Ben lag immer noch im Krankenhausbett, als einer der Wärter ins Zimmer trat. „Herr Jäger...ziehen sie sich an. Sie werden entlassen.“, gab er schroff bekannt und ging dann wieder. Ben dachte, nicht richtig gehört zu haben. Endlich...endlich war dieser Alptraum vorbei und er konnte wieder nach Daniels Mörder suchen. Vorsichtig und soweit es die Wunden zuließen, erhob er sich aus dem Bett, zog seine Sachen an und durchschritt dann die Tür, wo ihn schon ein Wärter zum Ausgang begleitete. „Ihre persönlichen Sachen.“, knurrte der Mann hinter der Scheibe und hielt dem jungen Hauptkommissar einen braunen Briefumschlag hin. Ohne ein Wort des Dankes zu entrichten, nahm Ben den Umschlag an sich, zog seine Kette hervor und legte sie sich wieder um den Hals. Dann verließ er die JVA und ging einfach die Straße hinunter. Von hier war es zwar ein weiter Weg zu seiner Wohnung, doch er wollte die neu gewonnene Freiheit redlich genießen. Langsam schlenderte er die Straße hinunter und ließ die Luft durch seine Nase in die Lungen ziehen, stieß sie dann wieder aus und wiederholte das Ganze, bis er vollkommen den Gefängnismuff vergessen und durch den frühlingshaften Duft der Bäume, Blüten und Gräser ersetzt hatte. Ein Wagen hupte hinter ihm. Ben drehte sich um. „Hey…willst du nicht mit mir fahren?“ wollte Semir wissen. Ben lächelte leicht und ging auf den Wagen zu. „Klar, ich will nach Hause…bitte bring mich..“ bat er seinen Partner. „Du kannst auch gern bei mir wohnen.“ bot Semir an. „Nein, ich möchte allein sein. Bitte hab Verständnis dafür…bitte.“ kam leise von Ben. Semir nickte nur und setzte Ben vor seiner Haustür ab.
Semir fuhr pünktlich um halb acht vor der KTU vor und hupte einmal kurz. Nach wenigen Sekunden kam Hartmut mit einem kleinen Koffer und einem Laptop unter dem Arm raus. „Mensch Semir, ich weiß nicht, ob das so gut ist, was wir hier machen...“, kam es zur Begrüßung. Semir grinste nur lässig und bemerkte dann, dass Hartmut weder eine Mütze noch dunkle Klamotten trug. „Sag mal Hartmut, willst du eigentlich auffallen? Du weißt doch, was wir vorhaben...warum hast du dir nichts Dunkles angezogen? Und setz dir vor allem eine Mütze auf. Deine Haare erkennt man ja von weitem schon.“ Hartmut verzog sein Gesicht und ging noch einmal zurück in die KTU. Wenige Augenblicke später kam er wieder, dieses Mal in einem schwarzen Overall und mit einer pechschwarzen Mütze wieder. „So besser für den Herrn Hauptkommissar?“, fragte er schnippisch. Semir grinste und nickte nur. Die Fahrt ging los und dauerte keine zwanzig Minuten da stand der BMW dem Firmentower von Mediotex Enterprizes gegenüber. „Semir, du hast mir nicht gesagt, dass die hier Hunde haben.“, stieß Hartmut aus, als er die Wachleute mit den grimmig und bissig aussehenden Vierbeinern vor dem Gebäude und neben der Straße Patrouille laufen sah. Semir musste gestehen, dass er nicht an die Überprüfung der nächtlichen Sicherheitsvorkehrungen gedacht hatte. „Ich bin davon ebenfalls nicht begeistert. Aber wir müssen da rein und ich sehe keinen Grund, wegen ein paar dummen Hündchen jetzt abzubrechen.“, knurrte Semir und parkte den Wagen dann in einer abgelegenen Seitenstraße. Gemeinsam schlich er mit Hartmut nach vorne und beobachtete die Sicherheitsleute. Semir überlegte genau, wie diese Leute am Besten und am unauffälligsten abzulenken waren.
Ben kam in seiner Wohnung an und ließ sich gleich aufs Sofa fallen. Da waren sie wieder. Die Erinnerungen...an Daniel, an den Unfall und an den Jungen. Nie wieder würde er dieses blutverschmierte, kleine und zarte Gesicht des Jungen vergessen, wie er in den Trümmern des Wagens lag und sich nicht mehr rührte. Ben musste mit jemandem darüber reden. Hier war niemand, mit dem er darüber reden konnte. Und Semir war sicher noch im Dienst. Vielleicht sollte er mit Andrea reden. Nein, sie war selbst Mutter und würde das sicherlich nicht verstehen. Mit wem konnte Ben über seinen Kummer reden? Julia.....nein...seine Schwester bekam in wenigen Tagen ihre Zwillinge und hatte sicher andere Sorgen als sich seine anzuhören. Eigentlich hatte er niemanden, mit dem er darüber reden konnte. Nur Semir und Andrea...Ben griff zum Handy und rief Andrea an. „Hi Andrea...ich wollte mich nur mal bei dir melden...“, sagte er als er die Stimme der Frau seines Partners hörte. „Ben...wie geht es dir?“, wollte die Frau wissen. Diese warme Stimme tat ihm gut. „Eigentlich ganz gut...ich bin nur irgendwie...fertig...ich brauche jemanden zum Reden...aber ich will keinen zur Last fallen...ich meine, du hast sicher andere Sachen zu tun und...ach vergiss es einfach.“, meinte Ben nur. „Nein...hey, ich hör dir zu...komm zu mir...wir essen zusammen. Semir verspätet sich heute etwas.....und die Kinder schlafen...“, lud Andrea ihn an. „Wirklich? Ich störe dich nicht?“, harkte Ben nach. „Du störst nie. Komm her oder soll ich dich abholen?“, wollte Andrea wissen. „Nein... du musst mich nicht abholen... ich bin schon fast vor der Tür...danke Andrea...danke, dass du für mich da bist.“, gab er leise von sich. „Hey... wir sind Freunde...komm her und iss mit mir zu Abend...ist besser als allein...“, lachte Andrea. Ben beendete das Gespräch und verließ, nachdem er geduscht hatte, seine Wohnung. Nur eine Stunde später saß er bei Andrea auf dem Sofa und erzählte wie es ihm ergangen war.