Anna Engelhardt hörte dem Vortragenden angespannt zu. Es war schon etwas Interessantes was er dort von den Führungsqualitäten leitender Angestellten in der Polizei erzählte, doch für sie war es nichts Neues. „…und es ist auch sehr wichtig, seine Leute auch zu loben, wenn sie gute Arbeit leisten. Und es ist auch wichtig, sie für schlechte zu tadeln. Man muss immer sehr genau….“ hörte sie ihm sagen. Sie nahm das Glas und trank etwas Wasser. Nun war sie schon den achten Tag auf dieser Tagung und hatte eigentlich nichts Neues dazu gelernt. Und sie hatte diese Zwangsveranstaltungen an denen sie teilnehmen musste. Dennoch machte sie sich ein paar Notizen von dem Gesagten um später gezielte Fragen stellen zu können. Wie lief es wohl in der PAST? Ob Semir den Laden im Griff hatte? Sie vertraute ihrem langjährigen Kollegen blind und er hatte schon mehrfach bewiesen, dass er es konnte. Doch seit zwei Tagen hatte sie ein sonderbares Gefühl. Es war unbeschreiblich und das machte ihr etwas Angst. Sobald die Pause eingeläutet wurde, würde sie in der PAST anrufen und nach dem Rechten fragen. Sicher hätten die Kollegen angerufen, wenn etwas nicht in Ordnung wäre, aber man weiß ja nie. Der eingeschworene Haufen konnte viel Blödsinn anstellen, wenn sie nicht da war. Nach einigen Minuten war endlich die ersehnte Pause da und Anna verließ den Raum um eine zu rauchen. Eigentlich hatte sie schon lange damit aufgehört, doch bei diesem trockenen Thema brauchte sie einfach eine Zigarette. Sie griff nach ihrem Handy und rief Andrea an. „Autobahnpolizei, Schäfer guten Tag…“ hörte sie die Stimme der Sekretärin. „Andrea, ich bin es…ich wollte wissen wie es aussieht.“ erklärte Anna. „Chefin….ähm….gut…es ist alles in Ordnung…“ kam sofort von Andrea. Für Annas Meinung war das viel zu schnell. „Kann ich Semir bitte mal sprechen?“ bat Anna, denn Semir vertrat sie während sie hier auf dem Seminar war. „Oh…ähm…der ist unterwegs…“ gab Andrea zurück. „Wieso ist der denn unterwegs? Er soll doch im Büro bleiben, wenn ich nicht da bin!“ fragte Anna erstaunt. „Er muss Tom unterstützen…“ erklärte Andrea und Anna hörte das es eine Lüge war. „Okay Andrea…was ist los?“ wollte Anna nun wissen. Ihre Stimme war härter gewesen als sie es eigentlich vorhatte klingen zu lassen. Doch genau das brachte Andrea wohl aus dem Konzept. „Semir ist seit drei Tagen verschwunden. Wir haben sein Auto gefunden aber keine Spur von ihm. Er geht nicht ans Handy, er geht nicht ans Telefon. Seine Wohnung ist verlassen…“ zählte die Sekretärin auf. Anna trat ihre halb aufgerauchte Zigarette aus. „Ich werde mich sofort wieder auf den Weg nach Köln machen. Im ungefähr fünf Stunden bin ich dort, ordern Sie bitte alle Beamten zum Gespräch ins Büro und warten auf mich!“ befahl Anna. Sie beendete das Gespräch und ging in die große Halle. Der Seminarleiter kam gerade die Treppen runter. „Herr Hubert…ich müsste Sie dringend sprechen!“ bat sie freundlich aber bestimmt. „Frau Engelhardt, was kann ich für Sie tun?“ lächelte der Mann sie süffisant an. „Ich muss das Seminar abbrechen. Der Kollege, der mich vertritt, ist … ähm…krank geworden und ich kann die Station kaum ohne Führung lassen.“ erklärte Anna. Frank Hubert sah sie prüfend an. „Nun, wenn das so ist, können Sie natürlich die Veranstaltung verlassen, aber ich muss den Polizeipräsidenten davon berichten.“ gab er kühl zurück. Anna lächelte leicht. „Können wir das nicht umgehen?“ bat sie. Frank Hubert lächelte leicht. „Nun ja,….eigentlich schon ist eh nur Papierkram. Gehen Sie schon!“ forderte er sie auf. Anna ließ sich das nicht zweimal sagen. Sie nahm ihre Sachen und verschwand auf ihr Zimmer wo sie schnellstens packte und anschließend auscheckte. Dann ging es zurück nach Köln.
Tom sah auf die Uhr. Jetzt war es schon fast zwei am Nachmittag des dritten Tages und immer noch hatte Semir sich nicht gemeldet. Er war spurlos verschwunden. Niemand hatte etwas gesehen oder gehört. Keiner konnte Angaben machen. Die Frau, die Semir und Andrea gestört hatte war ebenfalls nirgends mehr aufgetaucht. Was war geschehen? Irgendjemand musste Semir doch gesehen haben. Nie verschwindet ein Mensch spurlos doch Tom glaubte auch nicht, das Semir sich etwas angetan hatte, weil Andrea sich wieder von ihm getrennt hatte. Das war schon zu oft vorgekommen ohne dass einer der Beiden an Selbstmord dachte. Es klopfte und Tom schaute auf. „Tom…ich…ich habe Angst. Angst um Semir. Was wenn er…ich meine…“ versuchte Andrea zu sagen. Tom stand auf und ging zu seiner Kollegin. „Hey, ich denke nicht, dass er sich etwas angetan hat und du hast doch auch gesagt, dass in keinem Krankenhaus jemand mit seiner Beschreibung liegt noch dass die Kollegen in der Stadt etwas von einem Unfall haben. Kein BMW oder sonst etwas. Wir werden ihn schon finden. Vielleicht hat er ja wirklich nur zu viel getrunken und liegt in irgendeinem Hotel um sich auszuruhen.“ versuchte Tom zu trösten. Andrea sah ihn skeptisch an.“Denkst du wirklich das er soviel trinkt und nicht nach Hause kann?“ hakte sie nach. Tom lächelte. „Wohl eher nicht. Okay, aber irgendwo muss er ja sein. Wenn wir nur wüssten wer diese Frau war. Das würde uns einen großen Schritt voran bringen. Was sagt denn der Computer?“ stellte Tom nun die Frage. Andrea zog die Schultern hoch. „Ich habe alles durch. LKA, BKA…nichts…eine Frau mit dieser Beschreibung ist nicht verzeichnet.“ stöhnte Andrea. „Und Ähnlichkeiten?“ hakte Tom nach. „Das Aussehen der Frau trifft auf 8694 Frauen zu. Die alle abzuklappern wäre ziemlich viel. Allein in NRW leben 3617 Frauen die dieses Aussehen, die Größe und die Figur haben. Willst du sie alle abklappern?“ wollte Andrea wissen. Tom stöhnte auf. „Das würde ewig dauern. Wir könnten sie nach und nach herbestellen, aber auch das würde Tage dauern und ich glaube nicht, dass uns soviel Zeit bleibt.“ gab er zu. Andrea sah zur Uhr. „Wenn ich bei ihm geblieben wäre, würde er wohl hier sitzen.“ wiederholte sie. Tom drückte ihren Kopf hoch. „Andrea, das ist doch Blödsinn! Du bist nicht schuld am Verschwinden von Semir. Wir werden ihn finden und dann werden wir ihm den Kopf waschen. Versprochen. Du weißt doch wie stur er sein kann. Wenn man ihn nicht stören will, dann versteckt er sich und keiner findet ihn. Ich mache dir einen Vorschlag. Wenn er heute Abend immer noch nicht zuhause ist und sich nicht gemeldet hat, werde ich eine Suchmeldung an die Kollegen rausgeben. Er ist erwachsen und er kann auf sich aufpassen.“ schlug Tom vor. Andrea nickte und verließ das Büro. Tom sah wie sie sich eine Träne weg wischte. Auch wenn sie noch so wütend auf ihn war, so konnte man nun deutlich die Angst sehen. Angst um ihren Freund und Kollegen.