Beiträge von Campino

    Hallo technische Foren-Leitung,


    ist es möglich bitte, die Foren-Funktion der "zensierten" Wörter abzuschalten? In dem Forum ist im normalen Diskussionsbereich mittlerweile wenig los, dass es doch kaum zu Streit oder verbalen Entgleisungen kommt, und zumindest im FF-Bereich unglaublich nervig, Schimpfwörter, die in einer FF eben mal vorkommen, mit . zu verunstalten, um den Beitrag posten zu können. Bei A.rschloch, das kommt ja nicht so häufig vor, ist das ja vielleicht auch noch hinnehmbar, aber wenn in meiner Fanfiktion, wie im letzten Beitrag, ein Hund vorkommt, und ich dessen Freudesbekundung beschreibe, die sich bei einem Hund eben durch das Wedeln seines Schwanzes ausdrückt, ich dieses Wort aber nicht schreiben darf ("Schwanzes" geht lustigerweise, "Schw.anz" aber nicht. "Schwänze" geht. Ausgereift ist die Funktion also auch nicht :D ) , weils zensiert ist... dann wirds ein wenig... kleinlich.


    Danke!

    Köln - 8:00 Uhr


    Irgendwann würde man das Unbequeme als bequem empfinden, die Kälte als Wärme. Das hatte Klara, die runzelige alte Frau, gesagt, die Felix in Köln getroffen hatte, nachdem er erst ziellos durch die große Stadt gelaufen war, und sich danach in den belebten Fußgängerzonen der Innenstadt aufgehalten hatte. Sie war eine Stadtstreicherin, im Volksmund auch als "Pennerin" verspottet, und hatte sich unaufgefordert, als es dunkelte, neben den jungen Kerl niedergelassen. Ihr Golden-Retriever, der wesentlich gepflegter aussah als sein Frauchen, schnupperte zuerst als an Felix Schuhen, wedelte dann freundlich mit dem Schw.anz und setzte sich neben den Jungen, der vor einem Handygeschäft saß, eine Decke auf dem kalten Boden ausgebreitet, den Rucksack neben sich gelegt. Er erschien prall, beherbergte Klamotten und Schlafsack.

    "Jacky erkennt gute Menschen am Geruch." Das war ihre Begrüßung als sie bei Felix auftauchte und auf ihn heruntersah. Felix blinzelte da in die tiefstehende Sonne, die langsam hinter den hohen Häusern verschwand in das verlebte Gesicht und wurde angegrinst. Ohne ein Wort zu sagen erwiederte er das Lächeln selbst, beinahe schon etwas scheu, und streichelte daraufhin den Hund, der seine kalte Schnauze in den Schoß des Jungen legte. Klara stellte sich kurz vor, setzte sich zu dem schwarzhaarigen Felix und wollte ihm Gesellschaft leisten.


    "Bist du von zuhause ausgebüchst? Du bist doch neu hier. Ich kenne hier jeden." Felix war nicht besonders auskunftsfreudig, auch wenn er die Erscheinung neben sich sofort sympathisch und warmherzig empfand. Seine schwarze Strähne hing ihm vor dem Auge und seine Haare schauten unter der Wollmütze rundherum hervor. "Nein. Ich komme aus Hamburg." Seine Sätze blieben kurz und seine Stimme klang abweisender, als es seine Absicht war. Felix hatte eine helle, freundlich klingende Stimme, manchmal sogar ein wenig kindlich, als sei er gerade erst kurz vorm Stimmbruch. "So weit her? Bist du getrampt? Das ist sicher furchtbar aufregend, was man da für Leute kennenlernt.", sagte Klara und erzählte sogleich, dass sie von anderen Großstädten träumte, obwohl es sicher überall die gleichen Fußgängerzonen gab.

    Sie leistete ihm Gesellschaft, in dem sie beinahe unentwegt redete und erzählte. Felix hatte die Fähigkeit, sich interessiert zu geben und trotzdem innerlich abschalten zu können. Er wollte die Frau nicht verletzen, in dem er Deinteresse zeigte. Und so nickte er oft, wenn sie von Jackys Kunststücken erzählte und beteiligte sich aktiv, in dem er dem Hund den felligen Bauch kraulte, als dieser sich auf den Rücken legte und vergnügt juchzte. "Und warum bist du jetzt von Hamburg nach Köln gekommen?" "Ich suche meine Schwester."


    Klara ließ sich für einen Moment das Foto zeigen. "Ein hübsches Mädchen. So tolle Augen. Und sie soll hier in Köln sein?" Felix nickte. "Gute Idee am Nachmittag und frühen Abend in der Fußgängerzone anzufangen. Die jungen Leute gehen hier gerne shoppen und abends aus. Kennst du denn ihr Umfeld?" Der Junge schüttelte den Kopf und steckte das Foto weg. Es würde die Nadel im Heuhaufen werden, doch er hatte einen Plan... so etwas, wie einen Plan zumindest. Er würde die Schulen abklappern, jeden Tag auf einem anderen Pausenhof sitzen und sich umsehen. Sie musste ja hier irgendwo zur Schule gehen, sie musste irgendwann mal in der Stadt auftauchen. Er würde auf den Zufall hoffen müssen, aber er glaubte daran, dass er das Mädchen, von dem er nicht mal den Namen wusste, finden würde.

    "Komm mit. Ich zeig dir, wo du heute Nacht schlafen kannst, ohne direkt zu erfrieren... wenn du vorher immer drinnen warst. Es ist nicht besonders warm oder bequem... aber irgendwann wirst du das Unbequeme als bequem empfinden, und die Kälte als Wärme." Die ältere Frau klang fast philosophisch und wie eine Mutter, die ihr Kind führte, streckte sie ihre Hand nach Felix aus, nachdem sie aufgestanden war. Der raffte seine Decke zusammen und stopfte sie in den Rucksack, um Klara in ein heruntergekommenes Altbauhaus in einer Nebenstraße, etwas ab vom Zentrum zu führen. Einige Fahnen hingen aus den Fenstern, es war besetzt von Punks und anderen Heimatlosen.


    Tatsächlich war es weder wirklich warm, noch bequem, und einige Jungs im Haus machten auf Felix den Eindruck, als würden sie ihn, ohne zu zögern, verprügeln um ihm die paar Euro zu klauen, die er heute in der Fußgängerzone erbettelt hatte. "Die sind hier alle in Ordnung. Du solltest das Foto mal rundzeigen." Felix nickte nur, seine Augen drückten Misstrauen aus. Doch die Jungs und Mädels im Haus ließen ihn in Ruhe und zeigten kein besonderes Interesse an dem schwarzhaarigen Kerl, der gar nicht soviel anders aussah, als sie selbst, mit seiner zerrupften Jeans und dem Piercing in der linken Augenbraue. Wo die meisten in dem Haus wie Punker aussahen, sah er ein wenig aus, als wäre er einem Gohtic-Treffen entsprungen, seine Aura war kühl und distanziert.

    Nachts kam sein Monster. Er nannte es Monster, denn es kam lautlos, ohne Vorwarnung und ohne Gnade. Ein stechender Schmerz, der ihm von der Schläfe durchs Auge zuckte, ein Druckgefühl auf die Nebenhöhle, als wolle sie implodieren. Ein heisses Messer, dass man ihm durchs Auge stach, seine Nerven wurden gereizt und augenblicklich war er wach und krümmte sich in seinem Schlafsack. "Verdammt..." stöhnte er leise und drückte, wie ein Reflex, seine Hand gegen das linke Auge, als würde es dadurch besser werden, doch das war nur ein psychologischer Effekt. Er kramte nach der Schachtel, die er mitgenommen hatte von seinem letzten Apothekeneinbruch, es waren nur noch zwei Ampullen Sumatriptan Nasenspray darin. Er drückte sich den Sprayerhals ins rechte Nasenloch und betätigte den Abzug, zog danach sofort intensiv zweimal die Nase hoch, damit das Mittel sofort in seinen Körper eindrang. Dann zählte er innerlich, während er sich unter verbissenen Schmerzlauten einrollte. Zwischen 900 und 1500 Sekunden, also 15 bis 20 Minuten dauerte es bei ihm, bis der Schmerz genauso schnell verschwand, wie er kam, und Felix schweiß überströmt wieder in einen unruhigen Schlaf entließ.


    Am Morgen bekam er von Karla einen dünnen Kaffee aus einer Bäckerei spendiert. "Das musst du doch nicht." "Oh doch. Ich muss mich doch um dich kümmern.", sagte die ältere Frau und sah in Felix ein wenig den hilflosen Jungen in einer fremden Stadt. Dass er selbst wesentlich erwachsener war und Verantwortung übernehmen konnte, sah man ihm äusserlich nicht an. Er war aber froh, die erste Nacht überstanden zu haben, trank den Kaffee, obwohl er Kaffee eigentlich nicht ausstehen konnte... aber er wollte die freundliche Stadtstreicherin nicht vor den Kopf stoßen. Sie zeigte ihm die Buslinie zum Humboldt- und Friedrich-Wilhelm-Gymnasium, die in der Nähe lagen und wo er anfangen wollte zu suchen. Bevor er sie verließ, umarmte sie den schmächtigen Junge und bat ihn, zurück zu kommen... vor allem, wenn seine Suche erfolgreich war. Felix versprach es. Um der Gefahr des Schwarzfahrens zu entgehen, nahm er den Weg zum ersten Gymnasium zu Fuß auf.

    Krankenhaus - 18:00 Uhr


    Es war bereits dunkel, als der silberne BMW auf dem Parkplatz des Kölner Krankenhauses anhielt und die beiden besten Freunde ausstiegen. Natürlich war die Fahrerei über die Autobahn erfolglos gewesen, Zenner rief sie zwei Stunden später nochmals an und blies die Aktion endgültig ab. Nur war der Informant erneut sehr kurz angebunden und Semir kam nicht umhin besorgt zu fragen, ob alles in Ordnung sei. "Na klar. Mach dir keine Sorgen." "Tue ich aber.", war die Antwort des erfahrenen Polizisten, denn Zenner wäre nicht der erste befreundete Informant, den er verlieren würde. "Wenn es zu heiß wird, tauchst du unter. Das ist eine Anweisung, alles klar?" "Na klar." Wieder nur eine kurze Antwort, dann wurde die Verbindung getrennt.

    Jetzt gingen die beiden Kollegen durch den kalten Abendwind. Auch wenn es tagsüber in der Sonne frühlingshafte Temperaturen hatte, fiel das Thermometer ins Bodenlose, sobald die Sonne verschwand. Der Himmel war sternenklar und der erste Bodenfrost würde kommen. In ihrer Frühjahrskleidung hatten die beiden Polizisten zwischen Auto und Krankenhauseingang auf einmal ziemlich kalt. "Morgen doch wieder Winterjacke. Kann man im Auto ja ausziehen.", meinte Ben und blies sich in die Hände, als sie durch die Pforte gingen.


    Jeden zweiten Abend besuchten sie Jenny jetzt schon, seit sie im Krankenhaus war, mittlerweile das dritte Mal. Einige Tage würde sie wegen ihren Verletzungen noch bleiben, vor allem die Gehirnerschütterung würde sie noch einige Zeit beschäftigen. Die Fissur an der Schläfe sah im Röntgenbild schon ganz gut aus, um den Fuß allerdings hatte sie noch einen Gips, der war gebrochen. Krücken waren in den nächsten Wochen angesagt, sobald sie wieder ohne Schwindelgefühl stehen konnte. Nach Blumen und mehreren Zeitschriften brachten die beiden Männer diesmal eine Keksdose mit, als sie ins Zimmer eintraten und Jennys müdes Gesicht anlächelten. Sie antwortete ebenso mit einem Lächeln, als sie das Bettoberteil ein wenig aufrecht stellte, um sich hinzusetzen. Dabei meldete sich ihr Kopf immer wieder mal.

    "Andrea und die Kinder haben das Backen vorgezogen... nur wegen dir.", sagte Semir mit einer übertriebenen Unschuldigkeit in der Stimme. Natürlich hatten seine Töchter Ayda und Lilly die vorzeitige Plätzchenflut ganz und gar nicht unangenehm empfunden, als Semir den Vorschlag machte, für Jenny zu backen. Und so konnte sich die junge Polizistin in den nächsten Tagen den Bauch mit Spritzgebäck und Zimtwaffeln vollschlagen, auch wenn die Portion nur klein war denn Jenny achtete penibel auf ihre Figur. Und gerade jetzt, ohne Sport, würde sie sicherlich nicht zu viele Süßigkeiten essen.


    Sie musste lachen und bedankte sich bei den beiden Männern, die sie beide kurz umarmten. Dann fragte sie, wie bei jedem Besuch, was auf der Arbeit so passierte, ob man mal wieder etwas von Lucas gehört habe. Letzteres mussten die beiden Polizisten verneinen. Lucas war ein angeblicher CIA-Agent, der die Männer von Cobra 11 beim letzten Fall unterstützten, dann aber einen Stick mit wichtigen Informationen für eine Organisation mitgehen ließ, um sich selbst und seine Familie aus dieser Organisation frei zu pressen. Seit Semir den Mann gehen ließ, hatte er nichts mehr von ihm gehört. Er fand das schade, aber irgendwo war er auch froh darüber. Er hoffte, nicht zu erfahren, ob seine Entscheidung falsch war...

    "Wann ist der Prozessbeginn gegen deinen Cousin?", fragte Jenny dann in Bens Richtung. "Das wird wohl noch etwas dauern. Die Verhöre dauern noch an. Er will von IX natürlich nichts gewusst haben, redet etwas von Kurzschlusshandlung und so weiter. Für IX gibt es leider, ausser dem Stick, auch keinen Beweis mehr." Ben sagte das ohne Vorwurf in seiner Stimme, er hatte Semirs Entscheidung akzeptiert und konnte sie auch nachvollziehen. "Für gefährliche Körperverletzung, versuchter Mord und Freiheitsberaubung fährt er trotzdem ein.", sagte Semir.


    Jenny seufzte. "Ich bin froh, wenn ich wieder hier raus bin." Dann dachte sie kurz nach. "Ich muss doch endlich wieder in meinen normalen Lebensrythmus finden." Sie hatte turbulente, leider sehr traurige Wochen hinter sich. Kevins Tod, das Ende seines Kampfes miterlebt zu haben, setzte der jungen Frau sehr zu. Sie dachte, sie könne die Situation gut behandeln, doch je öfter sie sich das einredete, desto tiefer wurde sie in eine dunkle Trauerspirale gezogen. Sie bildete sich ein, Kevin ständig irgendwo zu hören, zu sehen oder zu fühlen. Es ging soweit, dass sie sogar seine Drogen, die sie noch aufbewahrt hatte, zu probieren was ihr einen fürchterlichen Trip beschert hatte, von dem allerdings nur Ben und Semir wussten.

    Danach riss sie sich zusammen, am Ende des Falles kam es dann zu den schweren Verletzungen. Jetzt lag sie im Krankenhaus und hatte erneut viel Zeit zum Nachdenken. Und sie war traurig darüber, dass sie Kevins Wille, von dem sie geträumt hatte, nicht eingehalten hatte. Ihn in guter Erinnerung zu behalten. Ihn nicht zu einem Dämon werden zu lassen. Ein Dämon, der sie zur Rache antrieb, war er tatsächlich nicht. Ihr Ex-Freund wurde eher zu einem ruhelosen Geist, der selbst nicht von Jenny loslassen konnte, und in ihrer Nähe sein wollte... zumindest bildete die junge Frau sich das ein.


    "Nimm dir jetzt erstmal Zeit, wieder gesund zu werden. Und dann wird irgendwann wieder alles seinen gewohnten Gang nehmen.", sagte Semir, der am Fußende des Bettes stand, während Ben direkt neben Jenny auf einem Stuhl saß, und ihre Hand hielt. "Werden wir jetzt wieder einen neuen Kollegen bekommen...?", fragte sie noch zaghaft. "Wenn mein Partner nicht wieder jeden potentiellen Kollegen aus der Dienststelle mobbt...", gab Semir mit süffisantem Unterton zur Antwort, weshalb Ben die Augen verdrehte. "Die Chefin castet im Moment. Wir sehen immer wieder, dass sie Kollegen zu Gesprächen hat. Aber wir wissen noch nichts Genaues.", sagte er dann ernster. Irgendwann wird ein neuer Kollege Kevin ersetzen, das war sicher. Und damit müssten die Drei dann zurechtkommen. Bei dem ersten Versuch stand Ben noch die frische Trauer im Weg.

    "Könntet ihr mir vielleicht noch einen Gefallen tun?", fragte Jenny, als die beiden Männer sich nach einer Stunde Besuch zum Gehen wenden wollten. "Ich... ich nehme ja an, dass ihr das Grab pflegt, oder?" "Selbstverständlich.", sagte Ben sofort. "Könntet ihr vielleicht auch mal bei mir zuhause vorbeischauen? Blumen gießen, Post reinholen und so?" Ben blickte kurz zu Semir: "Da hätten wir auch selbst mal drauf kommen können." Jenny musste lachen und die beiden Männer versprachen, sich darum zu kümmern. Dann verabschiedeten sie sich.

    Autobahn - 14:00 Uhr


    Es war wenig Verkehr auf der Autobahn, das kam den beiden Männern in dem silbernen BMW zu Gute. Das Thermometer hatte Anfang November urplötzlich nochmal einen Sprung gemacht, Semir und Ben kamen heute beide in ihren Frühjahrsklamotten... Semir in einer leichten Jeansjacke, Ben in seiner braunen Lederjacke mit passender Sonnenbrille. Der Himmel war klar und blau, in der Sonne war es warm wie im Mai. "Von mir aus kann der Klimawandel ruhig weitergehen. Ich brauche keinen Winter.", sagte Semir und hatte sich, am Steuer, ebenfalls die Sonnenbrille aufgesetzt. Von seinem Partner neben ihm kam nur ein kurzes Brummen. "Winter braucht niemand. Man muss heizen, das Auto ist morgens eiskalt, du musst kratzen und die längsten Staus passieren immer bei Nieselregen um den Gefrierpunkt.", erzählte er weiter, als würde er Selbstgespräche halten oder einem Azubi seine Berufsweisheiten beibringen.

    Doch von Ben kam erneut keine Reaktion. Er war vertieft in die Zeitschrift, die er vor sich hielt, hin und wieder einem Kugelschreiber darin rummalte. Semir warf ihm einen schnippischen Seitenblick zu, ob Bens mangelnder Bereitschaft, seinen Ausführungen zu zu hören. "Ist spannend, was du da liest?", fragte er, während der BMW mit 100 auf der rechten Spur die Autobahn entlangrollte. "Hmmm.", war die vielsagende Antwort von Ben. Auf dem Cover des Magazins waren Autos abgedruckt.


    "Ist der Test des neuen M5 so interessant, dass man sich Passagen unterstreichen muss? Was liest du da wirklich?", fragte der erfahrene Polizist grinsend und griff mit einer Hand nach der Zeitschrift. "Sag mal...", mokierte Ben, und zog die Zeitschrift ein wenig zu sich. "...würdest du dich vielleicht auf den Verkehr konzentrieren?" Beim Griff nach der Zeitung klappte das Cover ein wenig herunter, so dass Semir für einen Sekundenbruchteil sehen konnte, dass Ben die Zeitschrift, die er wirklich las, in der Auto-Zeitschrift versteckte. "Brautmoden?", fragte der verheiratete, zweifache Vater erstaunt. "Ihr habt den ersten großen Krach hinter euch, und geht jetzt in die Vollen?" kicherte er noch hinterher.

    Ben stöhnte auf. "Siehst du. Ihr Frauen seid alle gleich.", sagte er und fasste ganz selbstverständlich Semir unter die Frauen. "Wenn ihr einen Mann seht, der in einem Magazin für Brautmoden blättert, denkt ihr, er will heiraten. Weil Carina so denkt, blättere ich nicht zuhause in dem Wisch und weil du genauso denkst, lege ich den Katalog in eine Auto-Zeitschrift. So!" Er klang dabei gespielt genervt, aber nicht schlecht gelaunt. Überhaupt war seid einigen Tagen, seid dem abgeschlossenen Fall mit Bens Cousin Christian die Laune wieder besser geworden. Vor allem auch, weil es Jenny besser ging und sie nach Köln ins Krankenhaus verlegt wurde, wo sie allerdings noch einige Tage bleiben musste.


    Semir schaute ein wenig verständnislos. "Und warum blättert ein Mann in einem Brautmode-Magazin, wenn er nicht heiraten will?" "Weil ein Mann auch einfach mal so einen neuen Anzug braucht. Mein Vater wird nächsten Monat 70 und feiert groß. Und den letzten Anzug den ich hatte, war mein Konfirmationsanzug, glaub ich." Er richtete seine beiden Zeitschriften wieder und schaute sich weiter Anzüge an. Manche davon kreuzte er an. Semir war mit dieser Erklärung aber noch nicht zufrieden. "Die sind doch viel teurer als normale Anzüge." "Ja, und besser verarbeitet. Soll ja auch noch halten, wenn mein Vater 80 wird." Semir kicherte. "Ob du dann noch rein passt." Wie in Zeitlupe drehte Ben den Kopf in Richtung Semir und wieder holte den vorherigen Satz, jedoch tauschte er Namen und Alter aus: "Oder wenn mein Partner 50 wird... demnächst!"

    Damit hatte Ben seinem besten Freund jeglichen Wind aus den Segeln genommen. Anspielungen auf sein Alter fand Semir, seit die 50 wie ein Fallbeil über ihm schwebte, irgendwie gar nicht mehr lustig. Er verzog den Mund beleidigt und schaute wieder geradeaus auf die Straße. Dabei hatte er seinem Freund angekündigt, den 50ten gar nicht groß feiern zu wollen. Die Kinder würden zu Oma und Opa gehen, und er würde mit Andrea über seinen Geburtstag ein paar Tage verreisen.


    Nur einige Minuten später klappte Ben die Zeitschriften zu und legte sie in den Fußraum. "Ich glaube, heute lässt unser Informant uns hängen.", murrte er. "Heute? Zenners Quote liegt knapp unter 60%. Ich frag mich sowieso, warum wir immer sofort springen, wenn er einen Tipp hat.", gab sein erfahrener Partner zur Antwort. "Naja... schwarzer BMW, der mit 20kg hochwertigem Kokain, bewaffnet über unsere Autobahn fahren soll, die wir nur abklappern müssen... wir würden ja sowieso nichts anderes machen." Semir nickte. "Die Observation vor einigen Wochen, als wir 10 Stunden im Regen standen, und nichts passierte, war ärgerlicher.", erinnerte er sich. Seine Augen streiften immer wieder auf die Autos, die ihn überholten.

    Nur noch ein paar Kilometer, und sie kamen zu ihrer Reviersgrenze. Sie mussten dann von der Autobahn runter und zurückfahren, um das Teilstück, wo der Kurier fahren soll, wieder von vorne befahren zu können. Bonrath und ein Kollege in Uniform hielten sich währenddessen ebenfalls auf diesem Teilstück auf, um sofort die Verfolgung aufzunehmen, falls der schwarze BMW sich blicken ließ, während Semir und Ben gerade den Rückweg antraten.


    Nach zwei Stunden hatten die beiden bereits Unmengen an Treibstoff verfahren. "Sich auf den Seitenstreifen zu stellen wäre vielleicht doch klüger gewesen." "Ja, das fällt gar nicht auf, wenn ein Pannenfahrzeug urplötzlich wieder funktioniert und folgt.", kalauerte Semir. "Ein Streifenwagen fällt also weniger auf?", fragte Ben und wählte bereits Zenners Rufnummer. "Zenner? Wir verfahren schon den dritten Satz Winterreifen. Du hast gesagt, zwischen 13 und 14 Uhr. Es ist jetzt 16 Uhr und kein schwarzer BMW mit polnischem Kennzeichen. Was ist los?" Zenner hatte eine auffallend helle Stimme, seit einigen Jahren steckte er den Autobahnpolizisten Tipps zu, seit er in der Kölner Unterwelt ein wenig aufgestiegen war.

    "Keine Ahnung. Wir warten hier auch. Handy ist aus, wegen der Ortung. Ich kann euch nichts sagen." Seine Stimme klang gehetzt und gestresst. "Glaubst du, das wird heute noch was." "Weiß nicht. Du Ben, ich kann hier nicht telefonieren. Ich meld mich." Dann wurde die Verbindung getrennt. "Na toll...", murrte der junge Polizist.

    Hoidoi,


    heute beginnt meine 13. Story. Sie beginnt nur wenige Tage hinter dem Ende der letzten Story "IX", beinhaltet wieder einen vom Umfang her "kleineren" Fall (so ist es zumindes im Kopf geplant), und ... wer weiß ... vielleicht kehren der ein oder andere Charakter als Thema zurück, die nach "Verloren" nicht mehr aufgetaucht sind ;)


    Die Post-Abstände werden wohl eher wieder so wie bei "IX", die Zeiten haben sich einfach geändert. Auch, um meinen Stammlesern "Zeit" zum Lesen zu geben, wenn ich mal wirklich jeden Tag ein Kapitel schreibe, schreibe ich vor und werde so ca ein- bis zweimal pro Woche versuchen, zu posten.


    Viel Spaß!

    Köln - 13:30 Uhr


    Immer wieder fielen dem jungen Mann im Fernzug die Augen zu, immer wieder schreckte er hoch, wenn er spürte, einzunicken. Sein Griff um den Rucksackträger wurde dann fester, als müsse er ihn festklammern, weil ihn jemand entreissen wollte. Oder klammerte er sich selbst an dieses Stück Stoff, das Letzte was ihm vorerst von der Heimat blieb? Seine Augen blickten auf, blickten umher als würden sie jemanden suchen. Dabei wollte er eigentlich nur prüfen, ob sich mittlerweile jemand in seine Nähe gesetzt hatte, der vorher noch nicht dort saß. Doch scheinbar war er so lange nicht eingenickt. Schräg vor ihm saß immer noch die ältere, sehr fein angezogene Frau, die die Illustrierte scheinbar nur mit den Fingerspitzen berührte. Gegenüber vom Mittelgang saß ein dicklicher Mann mit Vollbart und Blaumann, die Wollmütze tief ins Gesicht gezogen und friedlich nickend. Scheinbar kehrte er gerade von der Schicht nach Hause. Und hinter ihm kicherten immer noch zwei Mädels albern, die sich übers Handy vermutlich Beauty-Tipps über Youtube holte. Der Junge atmete durch... der Rucksack war noch bei ihm, das war wichtig. Er strich sich eine schwarze Strähne, die ihm öfters übers Gesicht hing, aus dem Auge und versuchte sein etwas längeres Haar zu bändigen. Würde er nachher in die Kälte treten, hatte er eine Mütze und er würde sofort anders aussehen. Dann würde er sich auf die Suche machen ... auf die Suche nach der Nadel im Heuhaufen.


    Der Junge mit der schwarzen Strähne hieß Felix Kreutzner. Er war vor wenigen Tagen 17 geworden und stammte eigentlich aus Hamburg. Von dort aus führte ihn sein Weg auch jetzt gerade nach Köln. Felix kam aus dem, was man wohl im Volksmund ein "zerrüttetes Elternhaus" nennen würde. Seine Mutter war früher eine drogenabhängige Prostituierte, heute ist sie nur noch drogenabhängig und alkoholkrank. Eine Frau, die zwischen Apathie, Rausch und Entzugsphasen hin und her pendelte, die ihrem Sohn nichts geben konnte ausser, dass sie als Vormund im Mietvertrag der kleinen Wohnung stand. Sie erhielt Stütze, den Rest besorgte Felix. Mit Zeitung austragen, Flaschen sammeln und Kurierdienste. In den Hamburger Kreisen gab es eine gut funktionierende Drogenszene, in die er sich einspannen ließ. Immerhin konnte er von sich sagen, dass er das Zeug, dass er mit seinem Fahrrad umherkutschierte, selbst nicht nahm. Höchstens, dass er mit seinen damaligen Freunden mal kiffte.

    Dass er selbst unter diesem Voraussetzungen seiner Mutter halbwegs gesund zur Welt kam, glich einem Wunder. Vielleicht war es auch nur Zufall, dachte der Junge oft. Genauso Zufall, wie seine Zeugung. Brutaler ausgedrückt, würde man es vermutlich Unfall nennen. Felix' Mutter ließ sich im Drogenrausch von einem Freier schwängern, und er selbst war das Ergebnis. Ungewollt in eine graue harte Welt in Hamburg geboren, in der er sich ab dem siebten Lebensjahr beinahe alleine behaupten musste. Es prägte ihn.


    "Nächster Halt: Köln Hauptbahnhof" klang es aus der Lautsprecherdurchsage. Felix hatte keine Angst vor einer fremden Stadt, er hatte keine Angst vor den nächsten Tagen oder Wochen ... je nachdem wie lange er hier bleiben würde. Er würde sich durchkämpfen, er würde vermutlich bei Minusgraden, die in den nächsten Tagen angesagt waren, bei Pennern unter Brücken schlafen, aber darauf war er vorbereitet. Er war nicht besonders groß, schmächtig und unheimlich gelenkig. Trotz der schwierigen Situation zuhause suchte Felix nach einem Ausgleich und fand ihn in Hamburg in Sportvereinen. Zuerst blieb er beim Hürdenlauf hängen, danach ging er in einen Kletterverein. Heute war der Junge unheimlich schnell auf den Beinen und wieselflink an allem hochgeklettert, was auch nur im entferntesten einen Halt bot.

    Es zeigte sich von Vorteil bei Drogengeschäften, die schief liefen. Denn mit Worten wehren ... dafür war Felix nicht schlagfertig und frech genug. Und mit Fäusten wehren war schon gar nicht seine Disziplin. Deswegen war der schnelle geordnete Rückzug immer das Mittel der Wahl, und selbst wenn man ihn mit einem Auto verfolgte, verschwand er oft über Gartenzäunen, kletterte an Gerüsten hoch und schaffte es immer wieder zu entwischen. Das half ihm auch bei zwei Einbrüchen in eine Apotheke.


    Dass er jetzt nicht bei seiner Mutter in Hamburg war und versuchte, neben seinen gelegentlichen Schulbesuchen Geld für sie zu verdienen, hatte einen besonderen Grund. Einige Tage nach seinem 17. Geburtstag lüftete seine Mutter, in einem der wenigen "lichten" Momente, das Geheimnis, dass sie noch ein Kind habe, von dem aber niemand etwas wisse. Sie wusste noch dass es mit einem Zuhälter geschah, und dass dieser ihr mit dem Tod drohte, wenn sie versuchen würde, für das Kind irgendein Sorgerecht zu erstreiten. Durch den Drogen- und Alkoholkonsum waren ihre Erinnerungen nur lückenhaft, das Zeitgefühl stimmte nicht und alles, was sie besaß, war ein Foto, dass irgendwann mal in der Post lag und angeblich ihre Tochter sein sollte. Felix konnte es schwer glauben, das Mädchen auf dem Foto schien jünger zu sein als er, doch seine Mutter war von diesem Gedanken nicht abzubringen. Wenn er selbst noch ein Kleinkind gewesen war... könnte er sich jetzt daran erinnern, dass seine Mutter mal schwanger war, als er 2 Jahre alt war? Er glaubte seiner Mutter.

    Ansonsten wusste sie nichts mehr. Weder den Namen des Zuhälters, noch die genaue Gegend, wo er mit ihr und einem weiteren Jungen hinzog, ausser dass es Köln "oder so" war. Selbst den Namen ihrer Tochter wusste sie nicht mehr, das Kind war damals keine sechs Wochen alt, als der gewalttätige Zuhälter Hamburg verließ. Doch sie hegte den Wunsch, ihre Tochter wenigstens kennen zu lernen... oder einfach nur zu wissen, ob es ihr gutging.


    Deswegen war Felix, schweren Herzens, nach Köln aufgebrochen. Harald, ein guter Freund, der die Tafel in dem Hamburger Viertel betreute, wo Felix lebte, versprach ihm, öfters nach seiner Mutter zu sehen und sich zu kümmern, damit der Junge seiner Mutter vielleicht diesen Wunsch erfüllen konnte. Und so packte er seinen Rucksack mit Klamotten, plünderte das bisschen an Ersparnisse, was er Monat für Monat entbehren konnte für das Zugticket, damit er nicht kurz hinter Lüneburg aus dem Zug geschmissen wurde, wenn er Schwarz fuhr und fuhr mit dem festen Ziel nach Köln, seine Schwester zu finden. Das einzige, was er an Informationen hatte, war Köln "oder so" und ein einzelnes Foto eines jungen Mädchens, mit leuchtenden Augen, schwarzen Haaren und einem positiven, ansteckenden Lachen. Obwohl Felix das Mädchen nie gesehen hatte, musste er immer ungewollt lächeln, wenn er dieses Foto betrachtete. Und er versprach seiner Mutter gerade, als der Zug in Köln einfuhr, per WhatsApp-Nachricht, diese vermutlich erst in ein paar Tagen lesen würde, dass er ihre Tochter, seine Halbschwester finden würde. Das Mädchen mit den schwarzen Haaren.

    Krankenhaus - 20:45 Uhr


    Immer wieder war Ben in einen leichten Schlaf gefallen. Er konnte sich nicht von Jennys Krankenbett losreißen, es band ihn die Verbundenheit zu der jungen Frau. Sie waren mehr als Kollegen, mehr als Freunde. Ausserdem drückte Ben das schlechte Gewissen. Sie war verletzt worden, als Geisel in der Hand seines Cousins. Als sei der Polizist mitverantwortlich dafür, weil der Täter aus seiner Familie stammte. Weil er seinem Cousin half, nicht bewusst dessen dass vieles von ihm genauso eingefädelt war, ausser dass sie von den Asiaten gefangen genommen wurden. Und so fühlte sich Ben nun in der Zeit einige Wochen zurückversetzt, als er auf dem Krankenhausflur stand, durch das Zwischenfenster starrte und Jenny an Kevins Bett sitzen sah. Wie sie seine Hand hielt, seine Haare streichelte - und am Ende doch alles umsonst war.

    Auch er hatte nun das Gefühl, dass etwas Schlimmes passieren würde, wenn er jetzt einfach fahren würde, und so war er geblieben. Eine Stunden, zwei Stunden. Er wartete auf Semirs Anruf, und obwohl die Sehnsucht ihn eigentlich in die Arme seiner Freundin Carina treiben sollte, bei der er sich vorher gemeldet hatte, so konnte er Jenny jetzt nicht alleine lassen. Auch wenn die freundliche Krankenschwester im hoch und heilig versprach, besonders gut auf die Polizistin aufzupassen, und die Verletzungen nicht lebensbedrohlich waren.


    Wieder war er eingenickt auf dem wackeligen, unbequemen Krankenhausstuhl, diesmal ließ ihn sein Handy-Klingelton aufschrecken. Jenny rührte sich nicht, doch sie atmete weiterhin gleichmäßig, so dass Ben unbewusst aufatmete und das Gespräch annahm. Als könne er die junge Kollegin wecken, dämpfte er seine Stimme. "Semir?" "Ja, ich bins. Bist du schon zuhause?" "Ich... Nein. Ich bin noch bei Jenny.", sagte Ben gedämpft. Er meinte, Semirs hochgezogene Augenbrauen sehen zu können, obwohl sie sich natürlich gerade nicht anschauten. "Wieso denn das?" "Ich weiß nicht. Ich komm einfach nicht hier weg." Semir presste die Lippen aneinander, eine Mischung aus Kopfschütteln und Verständnis für seinen Partner.

    "Ben, komm schon. Ihre Verletzungen sind nicht lebensbedrohlich, und wir fahren morgen früh sofort wieder hin. Sie ist in den besten Händen. Und nach all dem, was in den letzten Tagen passiert ist, wäre es wirklich am besten für dich, wenn du so schnell wie möglich zu Carina fährst - sofern sie noch nicht die Schlösser ausgetauscht hat." Semirs kleiner flapsiger Spruch am Schluss zauberte Ben ein kleines Lächeln ins Gesicht. "Ich war in den letzten Tagen ein A.rschloch, oder?" Semir nickte. "Und kein kleines, mein Freund."


    "Was ist mit dem Stick. Hatte Lucas ihn?" Ben konnte beinahe spüren, wie sich die Stimmungslage am anderen Ende der Leitung von der Erleichterung zu einer gewissen Schwere änderte. "Semir?", fragte er, als auch nach einer halben Minute keine Antwort kam. "Hmm. Ja... also... ich denke ja. Ich denke, er hatte ihn." "Was heisst, ich denke? Was hat er gesagt?" Wieder eine Pause. Warum fiel es Semir so unglaublich schwer, diese Fragen zu beantworten? Was war vorgefallen? "Er sagt, dass er den Stick hat." Die Stimme seines langjährigen Partners klang unglaublich schwer, beinahe fremd. Bens Augen zuckten durch den Raum, als suchten sie eine Erklärung für das merkwürdige Verhalten. Doch sie blieben nur an medizinischen Geräten, Jennys Bett oder der Wand hängen.

    "Hat er dir den Stick gegeben?", fragte er, bemüht ruhig. "Nein." Nein?, hallte es in Bens Kopf weiter. "Semir, verflucht! Was ist mit dir los? Was ist passiert?" Es dauerte nach Bens Empfinden unglaublich lange, bis Semir eine Antwort gab, und sie kam zögerlich, stockend. "Ben... glaubst du dass es nur richtige und falsche Entscheidungen gibt?" Ben schluckte, das Handy in seiner Hand fühlte sich an wie ein glühendes Stück Metall. Eigentlich stellte er seinem erfahrenen Partner solche Fragen. "Nein, das glaube ich nicht." Es war wie eine Bestätigung, die Semir gebraucht hatte. Ben würde ihm keinen Vorwurf machen. "Ich glaube, ich habe heute eine Entscheidung getroffen, die gleichzeitig richtig und falsch war... oder nichts von beidem. Ich weiß es nicht..."



    Jennys Wohnung - 23:00 Uhr


    Das Bett war leer, der ganze Raum dunkel. Draussen peitschte der Wind den Regen an die Fensterscheibe und ließ die halb heruntergelassenen Rolläden erzittern. In dieser Wohnung erinnerte nur der Koffer im Schrank und ein einziges Bild auf der Anrichte an Kevin. Jennys Gedanken an ihn waren stattdessen in ihrer alten Wohnung, wo sie einige schöne Stunden verbracht hatten, sich gestritten haben und einprägende Momente erlebt hatten. Die schlimme Nacht, als er die Tasche gepackt hatte, bevor er nach Kolumbien fuhr. Der Moment, in dem Kevin sein ganzes Leben in eine andere Bahn hätte lenken können.

    Jetzt im Moment war Jennys Wohnung verlassen, denn sie lag im Krankenhaus. Das Bett verwaist und zerwühlt, der kleine Apparat mit der Anrufbeantworterstation auf der Küchenanrichte. Jenny war der Typ Mensch, der der Meinung war "Wenn es wichtig ist, ruft er oder sie bestimmt nochmal an", Mailbox-Nachrichten hörte sie im Monatstakt ab, oder wenn der Speicher voll war. So nahm sie oft gar nicht wahr, wenn das rote Licht blinkte. Jetzt hallte der Klingelton durch die leere Wohnung, den sie sich ausgesucht hatte. Es klingelte einmal, zweimal, dreimal, viermal. Bis Jennys Stimme durch den Raum klang, fröhlich und locker, den Spruch aufgenommen als ihr Leben noch nicht nach und nach in kleine Scherben, die aus einer Vergewaltigung, Verlust, Kindestod und Trauer zerfiel. "Hier ist der automatische Anrufbeantworter von Jenny Dorn. Ich bin gerade nicht erreichbar, aber du kannst mir gerne eine Nachricht nach dem Piepton hinterlassen." Das Piepen erklang nur kurz und wurde von einem unheimlichen Rauschen abgelöst. Ein Rauschen, das klang als würde sich der Anrufer entweder unter Wasser befinden, oder an einem Ort mit ganz schlechtem Netz. Schwach war ein rasselndes Atmen, beinahe ein Röcheln zu vernehmen, des zitternd klang. Und dann, schwach, tonlos, zwei Worte: "Hilf mir...", bevor das Gespräch abbrach.



    ENDE

    Dienststelle - 20:00 Uhr


    Es war mittlerweile spät geworden, es war stockfinster vor der Polizeidienststelle. Der Wind hatte aufgefrischt und es schien sich ein kleiner Herbststurm anzukündigen, der endgültig die letzten bunten Blätter von den Bäumen wehen wollte. Lucas kribbelte es in den Handflächen, als er mit seiner Tochter auf dem Rücksitz und seiner Ex-Frau neben ihm wieder zur Dienststelle fuhr. Die Chefin bestandt darauf, ihn nochmal kurz sprechen zu können... doch der Stick in seiner Tasche brannte wie ein glühender Stab. Das schlechte Gewissen ebenso. Er hatte Semir und Ben geholfen, die beiden hatten ihm geholfen. Und vertraut. Jetzt würde er sie hintergehen, aber verdammt, er musste egoistisch sein. Für seine Freiheit, für seine Familie.

    Die Chefin hielt ihr Wort und die Unterredung kurz. Sie konnte verstehen, dass die Frau und ihr Kind nach diesen traumatischen Erlebnissen, einer Entführung über den großen Teich, so schnell wie möglich wieder nach Hause wollten, und das Lucas deren Rückreise organisierte. Sie bedankte sich bei Lucas für die Zusammenarbeit und schüttelte dessen Hand. Natürlich hegte die erfahrene Chefin ein gewisses Misstrauen gegenüber dem noch unbekannten Mann, doch er hatte ihnen geholfen, warum sollte er jetzt noch die Seiten wechseln.


    Mit schnellen Schritten ging der vermeintliche CIA-Mann zu seinem Wagen. "Und?" "Alles erledigt. Ich fliege mit euch zurück.", gab er seiner Ex-Frau zur Antwort. "Und dann ist Schluss mit alldem. Endgültig... Versprochen.", sagte er mit sanfter Stimme und der berechtigten Hoffnung, vielleicht nochmal einen Turnaround in seinem Leben zu schaffen. Die Hand auf die Gangschaltung gelegt, spürte er darauf die zarten Hände der Frau, mit der er seine glücklichsten Jahre verbracht hatte. Ein kurzes Lächeln huschte über beide Gesichter, und der Mann legte den Rückwärtsgang ein. Gerade, als er rückwärts aus der Parklücke gefahren war, und das Fahrzeug nach vorne Richtung Ausfahrt bewegen wollte, wurde er von Semir überholt, der seinen Dienstwagen quer vor den von Lucas stellte.

    "Was... was ist denn jetzt los?", fragte Marlaine überrascht, aber ohne Angst in der Stimme. Im Dunkeln konnte Lucas Semirs Gesicht erkennen, als dieser die Tür öffnete und das automatische Licht im Fahrerraum aufleuchtete. "Warte kurz.", sagte er und, schaltete den Wagen aus und stieg ebenfalls aus. Er wusste, dass Semir Bescheid wusste. Der kleine Ermittler war nicht auf den Kopf gefallen, und wenn der Stick nicht im Wagen lag, gab es nur eine Möglichkeit wo er hätte sein können.


    Die beiden Männer, beide mit ihrer Kurzhaarfrisur unangreifbar für den aufkommenden böigen Wind, trafen sich zwischen den Autos. Semir hatte eine ernste, aber keine feindselige Miene aufgesetzt, ein wenig das mahnende in Semirs Stimme, wenn er ehemals versuchte, Ben oder Kevin zum Einlenken zu bewegen. Doch dieses Mahnen würde bei Lucas nichts bringen, denn der war in einem anderen Alter und ein anderer Charakter. Der wiederum hatte einen etwas verkniffenen Gesichtsausdruck, der jedoch keinerlei Gefühlsregung verriet. "Du verlässt uns, ohne dich zu verabschieden?", begann Semir erst harmlos, was ein wenig konträr zu seiner Autoblockade war. "Ich denke, du verstehst, dass meine Familie so schnell wie möglich nach Hause will.", sagte Lucas ehrlich. Der kleine Polizist nickte.

    "Du hast uns sehr geholfen." "Ihr mir auch." "Ich weiß... und deshalb sollten wir weiter ehrlich sein. Du hast die Karten auf den Tisch gelegt, also tu es auch jetzt." Die beiden Männer blickten sich an, ohne dass einer von ihnen den Blick senkte. Wie bei einem Duell im Wilden Westen... wer blinzelte, würde sterben. "Also... hast du den Stick?" "Ist er nicht im Auto?", fragte Lucas und hätte sich für die Dämlichkeit seiner Frage selbst ohrfeigen können. Diesmal konnte Semir den mahnenden Blick nicht verhindern.


    "Semir, ich brauche den Stick. Er wird keinen Schaden anrichten, wenn die Organisation ihn hat. Sie werden die Beweise gegen mich nur vernichten, wenn ich ihnen den Stick liefere.", schenkte Lucas dem Polizisten dann doch schnell reinen Wein ein. Es brachte ja alles nichts. Und er betete, dass Semir einlenken würde. Denn ansonsten hatte er eine weitere Flucht vor sich, und er würde es nur schwer übers Herz bringen, Hand oder Waffe gegen Semir zu erheben. Aber er würde es tun, für seine Freiheit. "Wie stellst du dir das vor, Lucas? Was soll ich der Chefin sagen? In den Berichten schreiben? Lucas O'Connor oder Blake, wie auch immer, hat den Stick zu seiner Organisation gebracht, alles in Ordnung?" Er schüttelte dabei den Kopf.

    Lucas sah kurz zur Seite, er konnte Semir natürlich verstehen. "Schreib, dass ihr den Stick nicht finden konntet. Dass er zerstört wurde beim Unfall... irgendwas.", sagte er dann und blickte Semir erneut an. "Die Organisation wird mich jagen. Vielleicht wird sie auch meine Familie jagen. Oder ich muss weiterhin für sie arbeiten." Dabei schüttelte er den Kopf. "Ich will mein altes Leben zurück. Mit meiner Familie... aber das geht nur, wenn ich der Organisation den Stick liefere."


    "Lucas..." "Du hast gesagt, du hast selbst Familie. Semir, du würdest das Gleiche tun." Mit diesem Vergleich erwischte man Semir immer. Ja, er würde vermutlich für seine Familie das Gleiche tun. Er wusste nicht, inwiefern er für seine Verfehlungen geradestehen würde, denn so etwas wie Lucas hatte er nie erlebt. "Vor allem... nach deiner Entscheidung damals... deine Familie zu opfern. Du würdest es nicht noch einmal tun, ganz gleich wieviele Menschenleben daran hingen." Lucas Stimme klang eindringlich und Semirs braune Augen hatten den Mann fixiert. "Ich im Gegensatz weiß, dass niemand sterben wird, wenn ich den Stick der Organisation übergebe. Aber du musst mir vertrauen." "Ich weiß aber auch, dass niemand sterben wird, wenn ich den Stick über den offiziellen Weg übergebe.", entgegnete ihm Semir.

    Lucas presste kurz die Lippen zusammen. "Doch. Ich werde dann sterben." Wieder herrschte Stille, nur der Wind jammerte immer lauter und das Rauschen der Autobahn waren die Geräuschkulisse. "Auf vielfachen Mord und Kriegsverbrechen steht in Amerika immer noch die Todesstrafe. Oder die Organisation erledigt das." Semir atmete hörbar aus. "Bitte Semir. Du siehst mich nie wieder und wirst niemals mehr etwas vom Projekt IX hören. Lass mich und meine Familie gehen, und lass mich meinen Auftrag beenden. Bitte!"

    Krankenhaus - 18:45 Uhr


    Die Momente des Wartens waren wieder unerträglich lange. Semir und Ben waren natürlich mit ins Krankenhaus gefahren, wo besonders auf den jüngeren der beiden Polizisten eine Zereissprobe wartete. Semir hatte ihm auf dem Weg ins Krankenhaus mit vorsichtigen Worten offenbart, was sich in seiner Wohnung zugetragen hatte. Die Konfrontation mit den Handlangern der Yakuza, der Schusswechsel und Carina zwischen den Fronten. "Wie bitte?", rief Ben geschockt und sah seinen Partner mit großen Augen an. "Warum erfahre ich das jetzt erst?" "Wann hätte ich es dir denn sagen sollen? Ausserdem war Carina ausser Gefahr, sie wurde betäubt, von Meisner betreut bis sie wach wurde und wir hatten zwei Mann vor ihrer Wohnungstür positioniert. Hier, schau.", rechtfertigte sich Semir und zeigte Ben eine Whatsapp-Nachricht, in der Meisner versicherte, dass Carina wieder fit war. Die Nachricht war gekommen, als Semir noch keinen direkten Kontakt zu Ben hatte.

    Sofort telefonierte Ben mit seiner Freundin, er entschuldigte sich gefühlte 100te Mal, dass sie in die Sache mit reingezogen wurde. Carina klang gefasst, aber doch ein wenig wackelig in der Stimme. Sie war ebenfalls heilfroh, dass ihr Lebensgefährte aus der, ebenfalls sehr gefährlichen Gefangenschaft ohne Verletzung rausgekommen war. "Ruh dich aus. Ich bin bald zu Hause.", sagte er dann noch, bevor sie sich mit Liebesbekundungen verabschiedeten. Semir merkte, dass durch diese Erlebnisse der letzten Tage vielleicht einiges wieder ins Lot gekommen war, was wegen Kevins Tod aus den Fugen gerutscht war.


    Im Krankenhaus war es dann Semir der telefonierte. Denn gerade als er auf den Besucherparkplatz fuhr, kam ihm der Gedanke schlagartig. "Ach du scheisse...", sagte er und blickte erschrocken zu seinem Partner. "Was ist denn?" "Wir haben den Stick völlig vergessen." Auch Ben fuhr sich durch die Haare und biss sich auf die Lippen. Die Sorge um Jenny, die Wut auf Christian... all das hatte ihren Blickwinkel verengt. "Wenn Christian ihn nicht hat, muss er ja im Auto sein." Semir nickte und meinte: "Pass auf, geh du mit Jenny rein und sieh direkt mal bei Christian nach dem Stick. Ich ruf die Kollegen an der Unfallstelle an."

    Ben eilte durch den Empfang sofort zur Notaufnahme. Christian war bei Bewusstsein, doch er blickte von seiner Rettungstrage nur desillusioniert auf, als er Ben erkannte. Man verband ihm gerade den Kopf in Erstmaßnahme, danach würde er zum Röntgen gebracht werden, wo Jenny bereits war. Das hatte Ben zuerst nachgefragt, wurde jedoch typischerweise sofort abgewürgt, der verletzten Kollegin zu folgen. "Wir werden sie erstmal eingehend untersuchen, bitte haben sie solange Geduld.", wurde er von dem Krankenpfleger beruhigt. Jenny hatte das Bewusstsein immer noch nicht wieder erlangt, als man sie in die Untersuchungsräume schob und Ben warf ihr einen sorgenvollen Blick hinterher... mal wieder. So langsam nahmen die Krankenhausaufenthalte überhand, dachte er noch, bevor er in den Untersuchungsraum neben an eintrat, wo sein Cousin verarztet wurde.


    "Wo ist der Stick?", fragte er ohne Umschweife und Mitleid in der Stimme. In diesem Moment war Christian für ihn ein einfacher Verbrecher. Kein Cousin, kein Familienmitglied. Seinem Onkel das Ganze schonend beizubringen würde noch eine Herkulesaufgabe werden für Ben. Christian drehte bei der Frage den Kopf weg. "Wo der Stick ist, hab ich dich gefragt!", wiederholte Ben lauter und die beiden Krankenschwestern schauten etwas überrascht auf. "Keine Ahnung.", war die leise Antwort des Mannes, der Moral gegen Geld eintauschen wollte. Ben machte einen schnellen Schritt zur Trage und wollte ihm gerade in die Hosentasche langen, als er von der älteren Frau zurückgehalten wurde. "Hallo? Verbrecher hin oder her, aber im Moment ist der Mann ein Patient nach einem schweren Autounfall. Ich muss also sehr bitten!".

    Ben bremste sich vor dem ersten Griff nochmal. "Ich werde ganz behutsam vorgehen. Ausserdem ist das mein Cousin, und der hat gegen eine Taschenkontrolle sicher nichts einzuwenden." Tatsächlich wehrte sich Christian nicht, als Ben ihm in alle Hosentaschen langte, den Stick aber nicht hervorzaubern konnte. Auf die erneute Frage, wo der Stick sei, gab Christian keine Antwort. Es war vor dem Unfall zwar Zeit, den Stick zu verstecken... aber hatte Bens Cousin dafür wirklich die Nerven bei der Flucht? "Dann hätten wir es ja jetzt. Wir würden gerne weitermachen.", forderte die Krankenschwester den Polizisten unmissverständlich zum Gehen auf.


    Semir stand währenddessen vor dem Eingang des Krankenhauses um zu telefonieren. Es dunkelte jetzt deutlich, der Wind wurde stärker und riss an den bunten Blättern in den Bäumen. Bald würde der erste große Herbststurm kommen und die farbenfrohe Landschaft Stück für Stück entfärben und in das triste Grau verwandeln, vor dem sich Winter-Pessimisten so fürchten. "Ihr habt das Auto schon untersucht? Wer hat das angeordnet? Ah, die Chefin. Ja und?", sprach er ein wenig gehetzt und fuhr sich über die hohe Stirn. Die Antwort schien ihm nicht zu gefallen. "Nicht gefunden? Habt ihr auch überall nachgesehen? Wirklich überall? Ja, dann schaut nochmal. Und durchsucht den Seitenstreifen, vielleicht wurde er bei dem Aufprall ja rausgeschleuert. Ja okay, ich warte auf deinen Rückruf, ciao." Zum Glück kannte Semir den Leiter der hiesigen Spurensicherung, so weit war man von der Heimat ja nicht entfernt. Doch wie ein wenig befürchtet war der Stick nicht im Auto.

    Seine Laune besserte sich nicht, als er im Flur vor den Untersuchungsräumen auf Ben traf. "Und?" "Er hat den Stick nicht." Der kleine Kommissar schüttelte den Kopf. "Das gibts doch nicht, Mensch. Im Auto ist er scheinbar auch nicht. Die Kollegen haben ihn nicht gefunden." "Vielleicht rausgeschleudert?" "Ja, das hab ich denen auch gesagt. Aber dann kann er bis auf die Gegenrichtung geflogen sein.", meinte Semir ein wenig niedergeschlagen. "Naja, ist das so wichtig? Schließlich kann niemand etwas mit dem Stick anfangen.", gab Ben zu bedenken und der erfahrene Polizist wankte mit dem Kopf hin und her. Dann schwiegen sie und warteten darauf, dass ein Arzt endlich mit guten Nachrichten kam.


    Plötzlich drehte Semir den Kopf Richtung Ben. "Verdammte Scheisse." "Was ist denn jetzt schon wieder?", fragte Ben irritiert, denn scheinbar hatte sein Partner eine Idee... oder einen Einfall, der aber nicht positiv war. "Hattest du die ganze Zeit Lucas im Auge?", fragte er und Ben dachte kurz nach. "Nein... also die ganze Zeit nicht. Aber er stand doch bei uns, als Jenny verarztet wurde, oder?" "Die ganze Zeit? Ich weiß es nicht, ich hatte mich auf Jenny konzentriert." Die beiden Männer sahen sich an, der junge Polizist wusste, worauf sein bester Freund rauswollte. "Du meinst... er hat den Stick an sich genommen, als wir nicht aufgepasst haben?", sprach Ben es schließlich aus und sofort bestätigte Semir diese Ahnung per Nicken. "Aber warum? Er weiß doch von der Software von Hartmut. Was soll er mit dem Stick anfangen?", entkräftete Semir seine Theorie.

    Ben fuhr sich mit der Hand durch die Haare, wie immer wenn er nachdachte. "Entweder will er die Organisation täuschen...", dachte er laut nach, wurde von Semir durch Kopfschütteln aber bereits verneint. "Glaube ich nicht. Der Typ hat vor nichts Angst, aber das würde er nicht riskieren, nachdem was er mir erzählt hat. Schon alleine wegen seiner Familie." "Dann... hmmm....", dachte Ben weiter und wurde unterbrochen: "Ich glaube eher, dass die auch sehr fähige Leute haben... und vielleicht eine Möglichkeit den Löschmechanismus zu umgehen. Er will dort mit aller Macht raus." In Semir breitete sich ein Gewissenskonflikt aus. "Und jetzt?" "Ich werde mit ihm reden...", sagte der erfahrene Polizist, er mit Lucas auf Augenhöhe kommunizierte, sofort und stand auf. "Du bleibst hier, bis du weißt, was mit Jenny ist. Meld dich!", rier er dann noch und lief den Flur entlang.


    Nur wenige Minuten später kam ein Arzt aus dem Untersuchungszimmer und Ben stand auf. Das Schlimmste befürchten und das Beste hoffen, so waren in diesem Moment immer seine Gedanken. "Sie sind ein Kollege?", fragte der Arzt nochmal sicherheitshalber, was Ben bejahte. "Frau Dorn hatte Glück. Ein Schleudertrauma und eine mittelschwere Gehirnerschütterung durch den Unfall, sowie eine Fissur an der Schädeldecke im Stirnbereich, wo sie der Streifschuss getroffen hat. Dabei hatte sie wirklich wahnsinniges Glück gehabt." Das konnte Ben sich vorstellen... er hatte es am eigenen Leib erfahren. Eine Kugel hatte ihm eine Rippe gebrochen, statt ins Herz einzudringen. Und das war noch nicht lange her. "Ausserdem hat sie sich, scheinbar durch den Aufprall und das Eindrücken der Pedale, den linken Fuß gebrochen."

    "Wie geht es jetzt weiter?" "Sie wird stationär noch ein paar Tage bleiben, danach kann sie nach Köln verlegt werden. Bei den Untersuchungen ist sie auch erwacht, aber wir haben sie jetzt erstmal noch schlafen gelegt bis morgen. Dann sehen wir weiter. Ihr Zustand ist absolut stabil und sie braucht vor allem jetzt noch Ruhe." Ben nickte und war froh, dass es scheinbar nicht so schlimm war. "Was ist mit Christian?" Die Frage war mehr dienstlich, als wirklich persönlich, zu groß war der Groll. "Den hat es besser erwischt. Ebenfalls Schleudertrauma, allerdings nicht so schlimm. Ein paar Schrammen. Medizinisch gibt es keinen Grund, ihn hier zu behalten." Ben nickte und würde sofort eine Streife rufen, die ihn in die nächste JVA bringt. Er tat es ohne Gewissensbisse oder schlechtes Gefühl...

    Autobahn - 18:10 Uhr


    Für Ben und seinen Partner Semir, sowie für Lucas im zweiten Verfolgungswagen lief der ganze Crash und alles was danach kam, wie in Zeitlupe ab. Der Wagen, der in die Leitplanken prallte und davon weg geschleudert wurde. Fliegender Dreck, Autoteile, qualmende Bremsen von anderen Verkehrsteilnehmern. Semir und Lucas reagierten jeweils sofort und hielten ihre Wagen bereits an, als das schleudernde Wrack noch gar nicht wirklich zum Stillstand gekommen war. In allen drei Köpfen schaltete der Kopf in den automatischen Notfallmodus, wo man ohne Gefühl nur funktionierte und einen klaren Plan abarbeitete. Ben sprintete aus dem Wagen sofort zum qualmenden Wrack, Lucas tat es ihm von seinem Wagen aus gleich. Als Ben sah, dass der kahlköpfige Mann zur eingedrückten Fahrerseite lief, entschied er sich für die Beifahrerseite.

    Semirs Weg führte zuerst zum Kofferraum seines BMWs, wo er den mobilen Feuerlöscher griff und nur wenige Sekunden später am Wrack eingriff. Der Dampf stellte sich als Kühlmittel heraus, es waren keine Flammen zu sehen, so dass der kleine Polizist die eventuellen Löscharbeiten schnell einstellen konnte.


    Ben riss die Beifahrertür auf und blickte überrascht, als Christian ihm mit weit aufgerissenen, geschockten Augen entgegenstürzte. Sein Gesicht war blutverschmiert, der rechte Ärmel aufgerissen. Der Mann, der sein wahres Gesicht gezeigt hatte, stürzte aus dem Auto auf den Asphalt und versuchte ihm ersten Affekt, ob aus Schock oder dem weiteren Drang zu fliehen, auf allen vieren davon zu krabbeln. "Christian!! Hey!!", rief Ben und packte seinen Cousin am Kragen seiner zerissenen Jacke. Er drückte ihn zu Boden, wie er es als Kind schon gemacht hatte, wenn sich die beiden prügelten und Ben oftmals die Oberhand hatte. Sein Cousin stöhnte vor Schmerzen auf, Ben ließ wieder etwas von ihm ab, aber gerade soviel, dass er nicht nochmal flüchten konnte. Trotzdem musste er natürlich etwas Vorsicht walten lassen, wegen eventuellen Rückenverletzungen.

    Lucas kümmerte sich um Jenny und wurde nur Sekunden später von Semir unterstützt. Sie hing bewusstlos überm Lenkrad, ihre Augen geschlossen und Blut tropfte aus ihren Haaren. Semirs Herz blieb für einen Moment stehen und er befürchtete gleich ein Einschussloch in ihrem Kopf zu finden, so wie es für die beiden Polizisten hinter Christian ausgesehen hatte. Der Amerikaner, mit mehr Distanz zu Jenny als Semir, blieb ruhig und legte zwei Finger an Jennys Hals. "Sie lebt noch.", war seine kurze Antwort. Dann nahm er fachmännisch ihren Kopf und Hals und legte sie vorsichtig nach hinten in den Sitz zurück, ohne die Wirbelsäule unnötig zu bewegen. Semir beugte sich unter dem etwas größeren Mann durch, schnallte Jenny ab und packte ihre Beine und Hüfte. Gemeinsam zogen sie die junge Frau schonend aus dem Fahrzeug und legten sie auf eine Rettungsdecke, die weitere Autofahrer, die hinter dem Unfall anhielten, bereits bereitgelegt hatten.


    Diese Autofahrer waren es auch, die bereits mehrere Notrufe an die Zentrale abgesetzt hatten. Als Lucas und Semir ihre verletzte Fracht vorsichtig ablegten, bemerkten sie neben mehreren tiefen Schrammen an Armen und Beinen auch zwei stark blutende Kopfverletzungen. Eine davon an der Seite, und definitiv von dem Unfall herstammte weil es aussah wie eine Platzwunde und das Blut aus dieser durch ihre langen Haare lief. Die zweite war seitlich an der Stirn und sah mehr wie eine tiefe Schramme aus, die ebenfalls stark blutete. "Semir? Was ist mit Jenny?", hörte der kleine Polizist die Stimme seines Partners. "Lebt noch!", war die kurze Antwort. In Notfallsituationen war keine Zeit für lange Erklärungen und Semir ahnte, dass Christian auch nicht besonders schwer verletzt war, wenn Ben beim Retten Zeit hatte, sich nach Jenny zu erkundigen.

    Für einen Moment schlug Jenny dann die Augen auf. Ihre Pupillen waren ganz klein und ihr Blick nicht klar. Sie schaute einen Moment zu Lucas und dann an beiden Männern vorbei, als wäre sie allein. "Jenny? Kannst du mich verstehen? Jenny?", fragte Semir hastig und versuchte zu ihrem Bewusstsein durchzudringen. Sie wollte den Kopf drehen, doch der wurde ihr von Lucas immer noch festgehalten. "Nicht bewegen, Jenny... ganz ruhig. Wir sind bei dir.", redete ihr Kollege beruhigend auf sie ein. Dann fielen ihr die Lider wieder zu, als sie die Sirenen hörte.


    Danach hatten zumindest die beiden Autobahnpolizisten das Gefühl, ihre Welt durch einen Watteschleier zu sehen. Alles kam ihnen unwirklich vor, als die Notfallsanitäter kamen und ihre Arbeit begannen. Jenny wurde der Nacken stabilisiert, ihre Atmung unterstützt weil man Angst hatte, sie hätte aufgrund von Wirbelverletzungen vielleicht auch eine Lungenruptur. Der Wagen war auf der Fahrerseite wesentlich beschädigter, weil sie im 45° Winkel nach links in die Leitplanke eingeschlagen waren. Semir hatte das Gefühl, all das schon mehrmals erlebt zu haben und jedes Mal ein Deja-Vue zu verspüren. Verunfallt, angeschossen, schwer verletzt. Er selbst als Retter, Zuschauer oder Opfer. Er betrachtete gedankenverloren seine Hände, an denen Jennys Blut klebte.

    Ben fühlte sich doppelt betroffen. Einerseits war seine Kollegin, mit der er ein enges Verhältnis hatte, schwer verletzt und er hatte die gleichen Empfindungen wie Semir neben ihm. Doch gleichzeitig wurde sein eigener Cousin gerade gleichermaßen von Sanitätern verarztet, als auch von holländischen Polizisten bewacht, die informiert worden waren von Frau Engelhardt. Ben selbst spürte getrocknetes Blut in seinem Gesicht durch die Misshandlungen im Keller und den Unfall mit seinem Wagen einige Stunden vorher. Es begann langsam zu dunkeln und dieser turbulente Herbsttag neigte sich endlich dem Ende zu. Obwohl ihr Verhältnis nie besonders eng war, und Ben Christian hätte schlagen können dafür, dass er Carina in Gefahr brachte, so machte ihn der Sinneswandel hin zu einem geldgierigen, skrupellosen Mann, der für Euro-Scheine über Leichen gegangen wäre, sehr zu schaffen. Nun war er auch noch schuld daran, dass Bens Kollegin verletzt wurde. Der junge Polizist warf Christian einen verachteten Blick zu, als dieser in den Kastenwagen verladen wurde.


    Lucas schaute sich das ganze Schauspiel nur ein paar Minuten an. Er merkte, wie mitgenommen die beiden Autobahnpolizisten waren, er selbst dachte nur daran, dass seine Frau und sein Kind wohlbehalten aus dieser Nummer heraus gekommen waren. Und einen anderen Gedanken erfasste ihn jetzt in einem Moment, als die beiden Polizisten nur Jenny im Kopf hatten. Während sie den Rettungsmaßnahmen beiwohnten, Semir zum Beispiel die Infusionsflasche für Jenny hielt, drehte sich der kahlköpfige Mann um und ging mit schnellen Schritten zu dem Autowrack. Er wies sich bei den holländischen Kollegen, die gerade ankamen und eine Vollsperrung eingerichtet hatten, aus und beugte sich von der Beifahrerseite her in den zerstörten Wagen. Das Lenkrad war nach vorne gerückt, die A-Säule auf der Fahrerseite eingedrückt und sogar die Pedale hatten ihre Position verändert. Die Beifahrerseite war wesentlich weniger beschädigt, nur das Glas war gesplittet und das Handschuhfach hatte sich durch den Anprall wegen den Airbags geöffnet. Lucas liess seine Augen durch den Wagen gleiten und am Boden im Fussraum fand er, was er suchte. Er streckte die Hand danach aus und ergriff den USB-Stick. Als er ihn in der Hand hielt, blickte er durch die Scheibe auf Semir und Ben, die ihm teilweise unbewusst, teilweise Semir aber auch bewusst geholfen hatten, um ihm aus der Klemme zu helfen. Hatte der rothaarige Technikfreak der Autobahnpolizei geblufft, oder waren die Daten wirklich verloren? Konnten die Spezialisten seiner Organisation dem Algorithmus zuvor kommen?


    Für einen Moment stand Lucas stocksteif an dem Wrack, hielt den Stick in der Hand, und es fühlte sich so an, als würde der Stick glühend heiß werden. Er war beeindruckt, wie sehr die beiden Polizisten auf Jenny fokussiert waren, und ihn völlig ausser Acht ließen. Ihre Aufmerksamkeit galt nur der verletzten Kollegin, und dieses Verhalten nutzte Lucas aus. Er fühlte sich schäbig, aber der Gedanke daran, wieder frei zu sein, vielleicht sogar mit seiner Familie, ließ sein Gewissen verstummen. Er steckte den Stick ein, und genauso unscheinbar, wie er den Platz der Rettungsmaßnahmen verlassen hatte, gesellte er sich wieder dazu.

    Kurz bevor der Krankenwagen dann aber abfuhr erinnerte sich Semir, selbst auch noch einen Blick in das Fahrzeug zu werfen. Ihm war die kurze Abwesenheit Lucas tatsächlich nicht aufgefallen, und er wollte Jenny nun nicht lange alleine lassen. Einige der deutschen SEK-Kollegen waren mittlerweile auch eingetroffen, und als Semir beim kurzen oberflächlichen Nachschauen den Stick nicht fand, gab er die Order weiter, das Auto und den Unfallort gründlich zu durchsuchen. Als die beiden Krankenwagen abfuhren, folgten Semir und Ben dem Krankenwagen, während Lucas zur Lagerhalle zurückfuhr.

    Schön mal wieder ein "altes" RTL-Action-Gesicht zu sehen, mit Martinek.


    Im Prinzip kann er der doch auch einen möglichen Partner darstellen, wenn man sich schon geeinigt hat. Bekanntes Gesicht, action-concept-bekannt, mal wieder ein älterer Kollege und in seiner Art kann er durchaus mal wieder einen "härteren" Typ abgeben.


    Ist der noch fit im Alter? :D

    Heerlen - 18:10 Uhr


    Jenny konnte an Christians Augen die genaue Reaktion ablesen, die Gedanken die ihm durch den Kopf gingen. War das Polizeitaktik? War Ben kalt genug, die auch bei seinem Cousin durchzuziehen? Der Stick wertlos und damit die gesamte Flucht sinnlos? Christian starrte einen Moment aufs Handschuhfach, als würden sich dort Antworten abbilden, das Quietschen der Reifen und Dröhnen des Motors rückten plötzlich in den Hintergrund. Als er seinem Cousin dann widersprach, empfand Jenny die Situation als Chance, dass der Flüchtige zu sehr abgelenkt war auf das Gespräch. Sie griff zu, wie sie es gelernt hatte, hielt das Lenkrad noch mit einer Hand fest, um nicht die Kontrolle zu verlieren. Sie drückte die Waffe und damit Christians Arm nach unten in den Fahrerraum und versuchte mit dem Ellbogen zu zu schlagen.

    Doch Christian war in diesem Moment geistesgegenwärtiger, als sie es einschätzte. Er ließ das Telefon fallen und schlug Jenny mit der Faust in die Rippen, um ihren Griff zu lockern. Die Polizistin nahm die zweite Hand zur Hilfe, doch das Auto bewegte sich mit einem Ruck. Sie konnte aus dem Augenwinkel gerade noch sehen, wie der Mann neben ihr den Arm mit der Pistole hochriss. Sie hatte keine Angst, in diesem Moment denn es ging alles viel zu schnell... anders als im Keller, als schon mal jemand mit einer Waffe auf sie zielte. Der Knall hallte ihr in den Ohren und um sie herum war alles schwarz.


    War das nun so, wenn man erschossen wird? Jenny erschrak. Sie öffnete die Augen, ihr Ohr und ihre Gesichtshälfte schmiegte sich an eine weiche Decke. Vor ihrem Blick verschwamm alles, sie nahm Meeresrauschen und eine leichte, frische Brise wahr. An ihren nackten Füßen spürte sie Sand und langsam manefestierte sich das Bild eines Strandes vor ihren Augen. "Um Gottes Willen...", dachte sie für einen Moment. Noch viel mehr erschrak sie, als sie eine wohlbekannte Stimme hinter sich hörte. "Na, gut geschlafen?", klang es monoton, aber mit einer positiven Aura im Klangbild. Jenny hob den Kopf und drehte sich ruckartig herum.

    Tatsächlich saß neben ihr auf einer Decke ihm Sand Kevin, der sie freundlich anlächelte. Seine Haare abstehend vom Wind, der an ihnen zog, er trug seine, an den Knien zerrissene Jeans und einen Kapuzenpullover... beinahe wie früher, bevor er zur Polizei ging. "Was... was mache ich hier?", fragte Jenny ein wenig ängstlich. Sie hatte schon viel von Nahtod-Erfahrungen gelesen, von Tunneln mit Licht, davon dass man Verstorbene wieder sieht und mit ihnen redet. Und dass sie scheinbar gerade entweder erschossen oder zumindest angeschossen wurde, erhärtete in ihr einen schrecklichen Verdacht. "Du hast ein bisschen geschlafen.", sagte Kevin leise und blinzelte in die Sonne. "Ich wollte dich aber nicht aufwecken." Jenny fasste sich an den Kopf, an die Stirn und ihre Schläfe... sie spürte weder Blut noch Schmerzen. Und auch Kevin neben ihr sah völlig zufrieden aus.


    "Bin.... bin ich tot?", traute sie sich dann doch zu fragen und blickte Kevin fest von der Seite an, nachdem sie sich auch richtig hingesetzt hatte. Sie wusste nicht warum, aber irgendwas hielt sie davon ab, ihm stürmisch um den Hals zu fallen, auch wenn sie sich natürlich freute, ihn zu sehen und sie auch das wohlig warme Gefühl in sich aufsteigen spürte. Das Gefühl von Liebe und Zuneigung. "Wieso solltest du?", fragte Kevin verblüfft und am liebsten würde Jenny gerade in den hellblauen Augen versinken, die sie so sehr vermisste. "Na... weil... weil ich... ich glaube, ich hatte einen Unfall. Und... und ich sitze hier mit dir plötzlich am Meer.", stotterte sie. Konnte man das eigene Herz schlagen spüren, wenn man tot war? Denn genau diesen Eindruck hatte sie gerade... als wolle ihr Herz in ihrer Brust zerspringen. Sie wusste nur nicht, ob das der Tatsache geschuldet war, dass Kevin neben ihr saß, oder sie eventuell Ben und Semir nie wieder sehen würde.

    "Und weil du bei mir sitzt, bist du tot?", lachte Kevin, und seine Stimme hörte sich völlig befreit an. Frei von Sorgen, frei von Problemen, die ihn sein ganzes Leben lang quälten. Auch das traf Jenny sowohl positiv als auch negativ. "Ja... weil du auch tot bist.", sprach sie die bittere Wahrheit aus, von der sie überzeugt war. Sie meinte ein schelmisches Grinsen in Kevins Gesicht zu sehen, als sie diesen Satz sagte, bevor er den Blick von ihr abwandt um auf den Horizont zu sehen, der das Meer endlos erscheinen ließ.


    "Kevin?", fragte Jenny nochmal, denn er gab darauf keine Antwort. Verdammt, was ging hier vor? Wo war sie hier und warum saß ihr Freund, der seit Wochen tot war, neben ihr? Es war so surreal, es fühlte sich nicht wie ein Traum, aber auch nicht wie die Realität an. Es fühlte sich aber auch nicht so an, als er neben ihr saß und sich verabschiedete. "Wie gehts Ben und Semir?", fragte der Mann neben ihr völlig unvermittelt, was Jenny nun völlig verwirrte. Sie wollte wissen wo sie ist, in welcher Welt sie hier gefangen war... und Kevin begann plötzlich einen Smalltalk, als würde er sie im Urlaub besuchen. Deswegen klang ihre Stimme auch weiterhin stockend und verwirrt: "Ja... also... Ben nimmt die ganze Sache ziemlich mit." Das Grinsen verschwand aus Kevins Gesicht. "Das wird schon werden. Lass noch ein paar Wochen vergehen."

    Plötzlich griff die junge Frau ihren Freund am Arm. "Kevin! Du hast mir in den letzten Tagen Angst gemacht. Am Anfang habe ich auf deine Worte gehört, die du mir gesagt hast... aber dann... ich weiß nicht. Ich hab mich manchmal von den Gedanken an dich bedroht gefühlt. Und... und ich hab deine Pillen genommen. Ich glaube, je krampfhafter ich versuche die Trauer in positive Energie umzuwandeln, desto schlimmer wird es." Ihre Augen füllten sich mit Tränen und ihre Stimme zitterte, als sie jetzt Kevins Blick sah. "Das tut mir leid, Jenny. Aber ich bedrohe dich nicht. Du bist so stark... so viel stärker als ich.", sagte er nur, und diesmal klang seine Stimme traurig. "Deswegen sag mir bitte... wo bin ich hier? Bin ich tot und bleibe ich jetzt bei dir, oder warum bin ich hier?"


    Nun kam wieder ein kleines Lächeln auf Kevins Gesicht, er beugte sich vor zu Jenny um sie sanft auf die Wange zu küssen, was in Jenny eine positive Gänsehaut auslöste. Und dann sagte er einen Satz, der sie nicht mehr loslassen sollte. "Wir sind beide nicht tot." Sie stumm zu ihm auf, als er sein Shirt auszog und im Laufschritt Richtung Wasser lief, in dass er, als er einige Meter hineingelaufen war und es tiefer wurde, mit einem kräftigen Sprung eintauchte. Als wären sie im Urlaub beobachtete Jenny still die Bewegungen ihres Freundes, dessen Haare sich durch das Salzwasser flach hinlegten. Jenny wäre ihm gerne nach diesem Satz gefolgt, doch eben dieser Satz schien sie zu knebeln, schien sie festzuhalten auf dieser Decke. Sie hatte kurz das Gefühl, jetzt doch so etwas wie Schmerz zu empfinden am Kopf, als Kevin sich immer weiter von ihr entfernt hatte. Als sie hinter sich ihren Namen hörte, drehte sie sich ruckartig herum... doch da war nichts, ausser Sand und Büschen, wie an einem riesigen einsamen Strand. Doch Jenny erschrak erneut, denn sie drehte den Kopf zurück in Richtung Wasser... Kevin war verschwunden. "Nein... NEEEIN!", rief sie laut und wollte aufstehen, um ihm nach zu laufen... doch sie konnte es nicht. Wie von einer unsichtbaren Macht wurde sie zurück auf die Decke gedrückt.


    Als sie erneut die Augen aufmachte, brannte es in ihrem Blick. Ein brennender Schmerz, von der Schläfe zu ihren Augen, ihren Nacken herab in die Wirbelsäule, in alle vier Gliedmaßen ausstrahlend. Sie spürte, dass ihre Füße nun in Schuhen steckte, eine Hand lag auf dem Asphalt, der Rest ihres Körpers auf einer Rettungsdecke aus Semirs Auto. "Jenny? Jenny, kannst du mich hören?" Neben ihr kümmerten sich zwei Autofahrer, die angehalten hatten, mit Ben zusammen um Christian, den man ebenfalls aus dem Auto gezogen hatte. Ihr Kopf schrie... er schrie vor Schmerzen. Und sie konnte Semir keine Antwort geben, sie konnte das Zittern in ihrem Körper nicht unterdrücken und sie konnte auch nicht sagen, was ihr passiert war. Starb sie jetzt? Semirs Blick war sorgenvoll, bevor sie in die Dunkelheit zurückkehrte.

    Heerlen - 18:00 Uhr


    Mit einem lauten Krachen durchbrach die dunkle Limousine, von Jenny gesteuert und von Christian bedroht, das Tor auf der Rückseite. Spätestens, als die drei Männer und Anna Engelhardt zur Vorderseite rausliefen, bekam das SEK mit, was gerade passierte. Semir stieg mit Ben in den silbernen BMW, Lucas stieg in einen schwarzen BMW vom SEK. Semir rief noch laut einem SEK-Beamten zu, dass er Lucas den Schlüssel geben sollte. Das ganze dauerte vielleicht eine Minute, dann fuhren die beiden Wagen an dem Hangar vorbei auf den Feldweg dahinter, über den Christian geflohen ist. Da der Feldweg gerade war und das Land dahinter flach und ohne Wald, konnten sie den flüchtenden Wagen und die Staubwolke noch sehen und sich orientieren. "Scheisse... scheisse ist das gelaufen!", schimpfte Semir und schlug aufs Lenkrad. "Das hätte ich mir nicht träumen lassen.", hörte er dabei die fassungslose Stimme seines Partners.

    Der Forstwirtschaftsweg führte an Feldern vorbei und schlängelte sich allmählich Richtung Autobahn. Offenbar hatte Christian auch noch Glück. Er hielt die Waffe fest an Jennys Rippenbogen gepresst, die mit beiden Händen das Lenkrad umklammerte, damit ihr der Wagen auf dem holprigen Weg nicht aus den Händen sprang. Durch die Vordersitze sah er immer wieder durch die Heckscheibe und bemerkte natürlich zwei weitere Staubwolken, die ihn verfolgten. "Verdammt...", knurrte er, was Jenny veranlasste, auch in den Rückspiegel zu schauen. "Gib auf. Das bringt alles nichts!", startete sie wenigstens den hoffnungslosen Versuch.


    Der Wagen schleuderte um eine Abzweigung und nahm nun direkten Kurs Richtung Autobahn. Der Forstwirtschaftsweg mündete in einen Rastplatz, wo Jenny vom Gas ging um keine Passanten zu gefährden. "Was soll das? Geb Gas! Häng sie ab!", schrie Christian wütend und stieß die Waffe fest gegen Jennys Körper. "Sonst schwöre ich dir, kommst du hier nicht lebend raus." Es war Jennys einziges Ziel... hier lebend raus zu kommen. Ja, sie hatte Angst in einer Situation, in der sie eigentlich keine Angst haben durfte. Sie war Polizistin, verdammt, sie musste kühl und sachlich bleiben. Und klaren Kopf behalten. Doch das tat sie nicht. Sie beschleunigte wieder, wich zwei Autos aus, denen sie die Vorfahrt nahm und beschleunigte auf der Ausfahrt Richtung Autobahn. Semir ging bei der Fahrt über den Parkplatz mehr Risiko ein, Lucas ebenso.

    Der nahm die zweite Abzweigung und schleuderte knapp an zwei Glascontainern vorbei, so dass er Semir und Ben überholte und vor den beiden Autobahnpolizisten auf den Beschleunigungsstreifen gelang. "Hossa...", meinte Semir und zog die AUgenbrauen nach oben, als er die Fahrkunst des Mannes betrachtete. Nun waren alle drei Wagen auf der Autobahn und die Verfolger kamen Christian immer näher, denn Jenny schaffte es, nicht jede Gelegenheit zu nutzen, sich durch den dichter werdenden Berufsverkehr zu schlängeln.


    Ben griff zum Handy und wählte die Rufnummer von Hartmut. "Ben, was gibts?" "Hartmut! Du musst sofort Jennys Handy auf Überwachung und Ortung stellen. Christian hat sie als Geisel genommen, und falls wir sie verlieren müssen wir sie orten können!", rief Ben in eine Mischung aus Motorengeräusch und Reifenquietschen. Hartmuts Stimme klang erstaunt und erschrocken. "Jenny... Geisel? Warum? Und warum Christian?" "Er will den Stick selbst als Waffe verkaufen. Er hat das ganze von Anfang an geplant und Jenny gekidnappt, als wir gerade den Zugriff hatten." Das rothaarige Genie schien fieberhaft zu überlegen. Man hörte Tastaturgeklapper. "Okay Ben. Ich werde sie gleich hier auf dem Schirm haben. Aber wegen dem Stick..." "Was ist mit dem Stick?" "Also... weil ihr diesem Lucas nicht getraut habt, hab ich nix gesagt. Ich hab heute mittag, bevor ihr abgehauen seid, es noch geschafft den Stick zu entschlüsseln. Und ich habe eine Software auf den Stick gespielt, die das Teil unbrauchbar macht." Ben zog die Augenbrauen nach oben und schaltete das Handy auf Freisprech, damit Semir mithören konnte, gerade als der den BMW veriss und auf dem Standstreifen an zwei LKWs vorbeizog und Lucas folgte. "Sag das nochmal!" "Der Stick ist nur noch scheinverschlüsselt. Die Software startet im Hintergrund, sobald man den Stick öffnet. Und sobald jemand versucht, das Ding zu entschlüsseln, werden alle Daten auf dem Stick gelöscht. Allerdings erst beim Kopiervorgang, das heisst, die Yakuza hätte sich zur Kontrolle die Daten ansehen können, damit sie die Geiseln freilassen."


    Die beiden Polizisten sahen sich gegenseitig an. "Christian wird mit dem Ding nix anfangen können.", wurden sie von Hartmut nochmal bekräftigt. "Vielleicht gibt er auf, wenn er das weiß.", dachte Semir laut nach und warf einen kurzen Blick auf seinen Partner, der seinen Cousin wohl wesentlich besser einschätzen konnte. Doch Bens Kopf war wie leergefegt, eine leere Schublade, in die er reinsah und nicht verstand, warum er keine Antwort darin fand. "Ben?" "Ich... ich weiß nicht. Vielleicht. Vielleicht dreht er dann aber auch total durch.", stammelte Ben und sah, wie Lucas nun an den beiden Autobahnpolizisten vorbeizog, und den Abstand zu Christian verkürzte. "Was wird das denn jetzt?", knurrte der erfahrene Autobahnpolizist und gab ebenfalls wieder mehr Gas.

    Auf einem kurzen Stück, wo die Bahn frei war, zog er neben Lucas und machte eine vielsagende Armbewegung nach hinten. Er sah Lucas verständnislosen Blick, der offenbar vor hatte, die Flucht endgültig zu beenden, doch Semir wollte keine Eskalation. Stattdessen entschied sich Ben dazu, seinen Cousin anzurufen. Der meldete sich auch sofort: "Verschwindet endlich! Das ist meine letzte Warnung!", keifte er in den Apparat. Ben hatte das Gefühl, einer fremden Stimme zu lauschen, die nichts mehr mit der seines Cousins Christian zu tun hatte.


    "Christian, hör zu! Die Daten auf dem Stick sind nichts wert. Es ist alles vorbei.", sagte Ben mit bemüht, fester Stimme in den Hörer. Es schien, als könne er das kurze Nachdenken seines Cousins spüren. "Hör auf mich zu verarschen!" "Es ist die Wahrheit. Unser Techniker hat den Stick geknackt und eine Software aufgespielt. Sobald die Daten kopiert werden, löschen sie sich." "Das könnt ihr gar nicht! Das ist unmöglich." Ben schloss die Augen und Semir versuchte durch die Heckscheibe der Limousine zu erkennen, was in dem Wagen vor sich ging. "Christian, die ganze Sache ist sinnlos. Fahr rechts ran und halt an. Bisher ist noch keinem von uns etwas passiert." "Vergiss es, Mann! Du verarschst mi...", weiter kam er nicht. Ben hörte plötzlich Stöhnen, Keuchen und sein Partner sah, wie das Auto vor ihm zu schlingern begann.

    "Christian? CHRISTIAN!!!", rief Ben in den Hörer und beiden Polizisten stockte der Atem, als sie sahen, was geschah... sie konnten den Schuss dumpf hören, doch was sie sahen bereitete ihnen wesentlich mehr Sorgen. Die Seitenscheibe auf der Fahrerseite zersplitterte nach aussen, was bedeutete dass Christian offenbar auf Kopfhöhe in Jennys Richtung geschossen hatte. "Oh Gott, nein!", entfuhr es leise Semirs Lippen, einen Sekundenbruchteil später verlor der Wagen jegliche Kontrolle und schleuderte in die Mittelleitplanke.

    Das Ding ist halt, die Erfolgsquote mit den EL-Spielen ist kurzlebig. Sobald keines mehr läuft, schaut dieses Sport-Klientel wahrscheinlich auch nicht unbedingt mehr RTL.

    Interessiert RTL nicht. Allein durch die Werbung in der HZ-Pause generieren die an einem EL-Abend Einnahmen, die zwei Staffeln AfC11 nicht einspielen.


    Und RTL geht sicher nicht bankrott weil man Cobra 11 vernachlässigt. Denn die Serie ist längst in der deutschen Medienwelt dermassen unwichtig, dass es weniger Leuten auffallen wird dass sie abgesetzt wurde, als du dir vorstellen kannst.

    RTL hat die Rechte an den EL-Spielen, glaube ich, erst seit diesem Jahr.


    Kann aber auch sein, dass letztes Jahr keine deutsche Mannschaft soweit gekommen ist in der EL und man hat auf die Übertragung verzichtet.

    Ich kenne die Quote des EL-Spiels nicht, aber die dürfte eine Cobra-Folge bei weitem (im dreistelligen Prozentbereich) übersteigen.


    Insofern macht RTL da wirtschaftlich aber sowas von alles richtig.

    Hangar - 17:45 Uhr


    Bens Verletzung tat auf einmal gar nicht mehr weh, Semirs Puls stieg an und Lucas schien seinen Augen nicht zu trauen. Christian, der die ganze Zeit einen zusammengeknickten und eher weinerlichen Eindruck gemacht hatte, strahlte plötzlich eine kalte Entschlossenheit aus, als er die Mündung fest seitlich an Jennys Hals drückte. Im ersten Affekt taten alle vier das Gleiche und zogen ihre Dienstwaffen. Frau Engelhardt hielt die Mündung zu Boden, Semir genauso. Ben und Lucas dagegen richteten die Waffe auf das nervös wirkende Bündel in Christians Griff. Lucas war abgezockt und ein Mann der Tat, jemand der auch ohne zu zögern ein Risiko eingehen würde... das wusste Semir seit dessen Auftritt in Bens Wohnung, und deswegen wunderte es den erfahrenen Polizisten nicht, dass der ehemalige Soldat sich nicht in Deeskalation übte.

    Doch Bens Reaktion überraschte ihn. Es musste Überwindung kosten, dass er überhaupt auf seinen Cousin zielte. Doch Ben schien wütend zu sein, seine Hand verkrampfte sich um den Griff. "Das würde ich an eurer Stelle nicht tun.", warnte Christian und stieß Jenny die Waffe fester gegen die Halsmuskeln. Zur Verdeutlichung legte er den Finger an den Abzug. "Runter mit den Waffen." Ganz eiskalt, wie es zunächst erschien, war Christian nicht. Seine Stimme zitterte ein wenig, es war aber keine Wut, sondern doch Nervosität. Sein Eingreifen hatte er scheinbar nicht geplant, es war eine spontane Reaktion.


    "Okay...", sagte Semir und hob beschwichtigend eine Hand. Er hatte direkt in Jennys Augen gesehen, und erkannte die Furcht der jungen Frau. Zu oft war sie in letzter Zeit in einer derartigen Gefahrensituation, und der erfahrene Polizist spürte, dass man ihr keinen Gefallen tat, wenn man es auf ein Spiel mit dem Geiselnehmer ankommen ließ. Die Chefin folgte ihrem besten Beamten, die Waffen glitten gesichert zu Boden. Semir blickte dann auch mit strengem Blick zu Lucas, der bereits abwägte, ob er einen ähnlichen Rettungsschuss begehen konnte. Doch Semirs Blick und das deutliche Kopfnicken liessen ihn von diesem Vorhaben abkommen. Scheinbar befürchtete der erfahrene Polizist ebenjenen Eingriff von Lucas. Mit verkniffenem Gesichtsausdruck legte er die Waffe ebenfalls nieder. Er dachte an seine Ex-Frau und sein Kind, bei dem Christian eben noch war. Wehe, er hätte...

    Ben dagegen senkte die Waffe nicht, auch nicht auf das fürsorgliche "Ben...", seines Partners neben ihm. Jenny stand ihm nahe, sie waren zusammen in Trauer um Kevin. Damals bereits, als er in Kolumbien verschollen war, trösteten sie sich gegenseitig, wenn auch anders als diesmal. Aber schlimmer war der Schock darüber, dass Christian scheinbar doch auf der "anderen" Seite stand. Nicht Lucas war der, der eigene Interessen verfolgte, es zumindest nicht durchzog... sondern Christian. "Leg die Waffe weg, Ben.", sagte Christian warnend.


    "Warum? Nur wegen deiner scheiss Forschung?", herrschte Ben seinen Cousin, mit dem er als Kind spielte und die sich dann irgendwann zu Teeniezeiten entzweiten, mit erstickter Stimme an. Er meinte, Christian grinste vor Hohn. "Ach Ben, du denkst, wie immer, viel zu klein. Ich habe meine Lebenszeit und Energie für die Forschung an der Zusammensetzung für diese Waffe doch nicht verschwendet, damit die amerikanische Regierung den Stick in irgendeinen Asservatenschrank sperrt. Oder dass die Yakuza sich noch mehr bereichert, als sie es durch Prostitution, Drogenhandel und sonstiges eh schon hat." Er schüttelte den Kopf und stieß Jenny etwas an, damit er dichter an die Gruppe heran gehen kann. Das SEK war draussen, verlud die Verhafteten und bekam nicht mit, was in der Halle passierte.

    Jennys Lippen zitterten. Sie starrte mit aufgerissenen Augen direkt in Bens Mündung und hatte schreckliche Flashbacks im Kopf. Als Kevin vor ihr stand, nicht Herr seiner Sinne und die Waffe gegen ihre Stirn richtete. Als sie gefesselt auf dem Stuhl saß und dachte, sie müsse sterben. Gerichtet durch den Mann, den sie liebte. Dem sie alles anvertraut hätte, von dem sie dachte, er sei tot. Sie schien ihren Polizeikollegen mit dem Blick anzuflehen, bitte die Waffe nieder zu legen. Ihre Beine wollten nachgeben und ihre Hände waren zu Fäusten geballt, so dass die Haut an den Gelenken weiß wurde.


    "Warum die ganze Show?", fragte Ben. "Als wir rausbekommen hatten, was wir da erforscht haben, hat unser Laborleiter kalte Füße bekommen. Er hat dann den Deal mit der Organisation eingefädelt, damit unser Unternehmen das Ding los ist. Niemand wollte Verantwortung übernehmen." "Verantwortung für Zehntausende Tote, die durch dieses Ding vielleicht ums Leben kommen?", fragte Lucas ohne Gefühlsregung in der Stimme. In Afghanistan hatte er genug mit sinnlosen Attentaten zu tun, die vor allem zu Lasten der Zivilbevölkerung ging. "Jeden Tag sterben irgendwo Menschen, die unschuldig sind. Das wird nicht aufhören, wenn dieser Stick irgendwo in einem Schrank verschwindet.", rechtfertigte Christian sich in seiner unvorstellbaren Gier. "Die richtigen Terrorgruppen werden für diese Informationen dreistellige Millionen zahlen. Dafür habe ich gearbeitet." "Deswegen der falsche Stick?", fragte Lucas erneut und Christian nickte. "Ich habe gesehn, wie die Yakuza dich vor dem Cafe attackierte. Deswegen wusste ich, dass ich zunächst den Stick zwischenlagern musste." "Und dafür kam dir dein blöder Cousin in den Kopf, du falsche Ratte?", rief Ben nun wesentlich erregter, was Semir Sorgen machte. Sein Partner und bester Freund war ein Bauchmensch, der in solchen Situationen oftmals nicht sachlich genug agierte. "Richtig. Allerdings hatte ich nicht geplant, dass Yakuza mich in Köln so schnell findet. Also musste ich untertauschen. Aber natürlich brauchte ich den Stick, und deswegen habe ich dich nach zwei Tagen wieder kontaktiert." "Und die Yakuza hat ihnen in Belgien erneut einen Strich durch die Rechnung gemacht.", schlussfolgerte die Chefin den Angriff auf Ben und Christian, sowie deren Entführung.


    "Es wollten einfach zuviele an meiner Arbeit mitverdienen. Aber damit ist jetzt Schluss." Ben presste die Lippen zusammen und sein Griff um die Waffe, die immer noch auf das Pärchen aus Geiselnehmer und Geisel gerichtet war, wurde fester. "Ben...", hörte er jetzt die Stimme von Jenny. "Leg die Waffe bitte runter." Es war nur dieser Eindruck, der sie nervös machte. Als Ben endlich nicht mehr auf sie zielte, schien die Angst vor der Waffe an ihrem Hals plötzlich ganz weit weg. "Der Stick!", forderte Christian nun erneut. Semir und die Chefin blickten zu Lucas, der langsam in seine Hose griff und das silberne Teil ans Tageslicht brachte. "Gib ihn mir.", befahl Christian, damit er sich nicht seiner Deckung entledigen musste. "Ich mach das.", sagte Ben schnell und nahm Lucas den Stick aus der Hand. Genau wie Semir befürchtete er, der forsche Soldat könnte ein unkalkulierbares Risiko eingehen. Er wurde daraufhin von Lucas ebenfalls mit einem arggewöhnischem Blick bedacht.

    Als Ben direkt bei Christian stand und ihm den Stick in die Hosentasche steckte, knurrte er: "Ich werde dich kriegen. Und wenn du Jenny auch nur ein Haar krümmst, bringe ich dich um, das schwöre ich dir." Christian schien diese Worte erwartetet zu haben, so realistisch war er. "Ich wollte dich da nicht reinziehen, es tut mir wirklich leid. Wäre uns die Yakuza nicht auf die Schliche gekommen, hätten wir ein paar coole Tage verbracht und ich wäre mitsamt dem Stick wieder weg gewesen." "Deine Entschuldigung kannst du dir sonst wohin stecken."


    Ben ging wieder ein paar Schritte zurück, mit seiner Hand streifte er kurz die eiskalte Hand von Jenny. Dann zog Christian die junge Frau nach hinten und ging langsam rückwärts, bis er zu einem der Wagen kam, die die Yakuza zur schnellen Flucht bereitgestellt hatte. "Ich übernehme die Verantwortung für vielleicht Zehntausende Tote, wie er so schön sagte.", meinte er und zeigte kurz auf Lucas... "...also wird mir ein weiteres Menschenleben nicht viel ausmachen. Deshalb würde ich euch nicht raten, mir zu folgen." Er schaffte es, mit Jenny fast gemeinsam im Wagen zu verschwinden und Jenny dabei auf den Fahrersitz zu stoßen. Dann ließ er den Wagen an und fuhr Richtung Hintertor, bevor die drei Männer im Vollsprint nach draussen zu ihrem Dienstwagen rannten.