Beiträge von Campino

    Jenny's Wohnung - 20:00 Uhr

    Jenny hatte ihren lädierten Freund am Vorabend umsorgt...sie hatte es zumindest vor. Sie ließ Kevin ein heißes Bad ein, das er sogleich annahm und sich aus den verschwitzten Sportkleidern schälte. Jede Bewegung, die er mit seinem Kopf tat, verursachte einen stechenden Schmerz, der vom Hinterkopf die Wirbelsäule herunter zu sausen schien. Das warme Wasser, das sich fast bis zu seinem Haaransatz an seine Haut schmiegte, entspannte die Muskeln. Der Schwindel gab etwas nach, sobald er die Augen schloss und versuchte, sich zu erinnern. An den Kampf, was war passiert, warum war er so schlapp? Das Wasser? Natürlich, das Wasser. Dieser Anton hatte ihm doch eine Flasche Wasser mitgebracht, von der er getrunken hatte... vorher hatte er sich doch noch topfit gefühlt. Ohne diese plötzliche Müdigkeit hätte er in einem Boxkampf sicher mehr mitbekommen, und vor allem hätte er sich von dem Kerl nicht so verhauen lassen.
    Aber was hatte er vorher gemacht... bevor ihm das Licht ausgepustet wurde. Sie hatten geboxt, er war getaumelt, konnte sich nicht mehr recht auf den Beinen halten. All das war vor Kevins innerem Auge vollständig sichtbar. Der Kerl wie er da stand, wie er wartete... was hatte er nur getan? Der Schwindel in Kevins Kopf setzte, genau wie die Schmerzen wieder ein, je stärker er versuchte, sich zu konzentrieren. Es hatte keinen Zweck, nichts wollte sich in dem verschwommenen Bild, das er vor sich hatte, wirklich konkretisieren. Er öffnete die Augen wieder und die Umgebung um ihn, das Bad, die Badewanne und das Wasser kam ihm, wie seine Gedanken, verschwommen und nicht klar vor. Kevin musste mehrmals blinzeln, um wieder klar zu sehen.

    Seine Freundin kam nach 20 Minuten ins Bad herein, und fragte lächelnd, ob alles okay sei. "Es geht schon... ich hab ja kein Bein gebrochen.", sagte Kevin lächelnd und stand aus der Wanne auf, um nur zwei Schritte weiter unter die Dusche zu gehen, um sich das warme Badewasser mit kaltem Duschwasser abzuwaschen. Der Temperaturwechsel ließ die Muskeln wieder etwas anspannen, was sofort wieder ein wenig Schmerzen verursachte. Offenbar hatte auch der Schultermuskel und die Wirbelsäule etwas von dem Schlag abbekommen, eine Prellung mindestens. Kevin trocknete sich ab, zog Boxer-Shorts und eins seiner alten Shirts, in denen er schlief, an. Jenny hatte das Bad wieder verlassen, hatte ihm einen Tee aufgesetzt, der schmerzlindernd wirken sollte, auch wenn Kevin normalerweise Tee scheute wie der Teufel das Weihwasser. Sie hatte ihm außerdem ein Essen gezaubert, von dem er doch mehr aß, als er dachte weil ihm vorhin noch übel war. "Ich hatte heute Angst um dich, als ich gehört hatte, dass man dich bewusstlos gefunden hat.", sagte die junge Polizistin mit zitternder Stimme. "Es tut mir leid, dass du so informiert wurdest. Hätte Tom 5 Minuten gewartet, wäre ich wieder aufgewacht.", meinte der junge Mann und strich seiner Freundin sanft mit der Hand über den Unterarm. "Ich... ich wusste gar nicht, dass du dich umgemeldet hast." Jennys Worte kamen nur zögernd, sie war so glücklich darüber, dass Kevin sich damit einen weiteren Schritt für ein gemeinsames Leben mit ihr entschlossen hatte, was ihm scheinbar etwas schwer gefallen war. "Ja... es sollte eigentlich eine Überraschung sein.", sagte er und zuckte lächelnd mit den Schultern. "Wäre ja mal was nach Plan gelaufen..." Seine Ironie brachte auch Jenny zum Lächeln und sie zog ihn sanft an sich heran und küsste ihn. "Was läuft bei uns schon nach Plan...", sagte sie.
    Kevin ging nach dem Essen sofort ins Bett, Jenny brachte ihm nochmal einen Kühlakku, den er sich auf den Hinterkopf legen sollte. Als sie das Zimmer betrat, war Kevin bereits erschöpft eingeschlafen... zärtlich küsste sie den eigenwilligen Kommissar auf die Stirn, strich ihm durch die Haare, die nach dem Trocknen ausnahmsweise beinahe züchtig am Kopf an lagen, und deckte ihn zu. So cool und unnahbar er sonst erschien, so zerbrechlich wirkte er in diesem kurzen stillen Moment, dachte Jenny...

    Die Nacht hätte entspannender nicht sein können... Trotz mancher Schmerzen, die Kevin gegen halb vier mit einer Schmerztablette weitestgehend betäubte, schlief er richtig gut. Zu groß war die Erschöpfung in seinem Kopf durch die Gehirnerschütterung, zu groß die Nebenwirkungen des Mittels in der Trinkflasche. Sie waren Balsam für einen Mann, der schon seit Jahren nicht ordentlich schlief, auch nicht seit er bei Jenny wohnte. Wenn er nicht wach lag, schlief er unruhig, wurde ständig wach oder hatte Alpträume, aus denen er erwachen wollte. Diese Nacht nicht, als er von selbst gegen 7 Uhr morgens aufwachte und sich langsam zu Jenny drehte, eine Hand um ihren schlanken Körper schlang und die Augen wieder schloss. "Bist du schon wach?", fragte sie mit verschlafener Stimme. "Hmmm...",antwortete er, was als "Nein" aber auch als "Ja" durchgehen konnte.
    Erst die nächsten Sätze waren etwas klarer: "Du kannst arbeiten fahren... ich verspreche dir, im Bett zu bleiben.", sagte er murmelnd. Mit einem offenen Auge blinzelte Jenny auf den Wecker. Dann müsste sie jetzt aufstehen, und ein wenig plagte sie das schlechte Gewissen. Die Dienststelle lief bereits im Notbetrieb, heute würde Andrea immer noch fehlen... "Versprichst du es mir wirklich?", fragte sie und drehte sich zu ihrem Freund um, der müde nickte und am liebsten sofort wieder zurück ins Reich des erholsamen Schlafes wollte. Zu diesem Zeitpunkt verschwendete er noch gar keinen Gedanken daran, sich nicht an das Versprechen zu halten. Diese Versuchung sollte erst später kommen. Jenny vertraute ihrem Freund und kroch aus dem Bett, um sich für den Dienstbeginn fertig zu machen.


    Semirs Haus - 7:45 Uhr

    Noch einmal alleine schlafen, alleine aufstehen, alleine frühstücken. Heute Vormittag würde Andrea endlich mit Ayda wieder zurück nach Hause kommen, und diese unangenehme Stille im Haus wäre vorbei. Lilly würde auch wieder kommen, sie war immer noch bei ihren Großeltern, weil Semir keinen Urlaub nehmen konnte, und der Kindergarten aufgrund eines Streiks geschlossen hatte. Semir fühlte sich ein wenig müde, und aufgewühlt ob der Erlebnisse des gestrigen Tages. Er fühlte sich unwohl bei dem Gedanken, dass diese Kerle wussten wo er wohnte... unwohl bei den Gedanken, was sie wohl als Nächstes planten. Offenbar schreckten sie selbst vor Todschlag nicht zurück, denn der Schlag auf Kevins Hinterkopf hätte durchaus mehr Schaden anrichten können.
    Gerade als er sich die leichte Jacke übergeworfen hatte, und die Haustür zugezogen hatte, konnte er nebenan bei Frau Zenner Stimmen hören. Eigentlich nichts außergewöhnliches, doch das Gespräch, was er mitbekam, ließ ihn aufhorchen. "Deshalb sind wir hier, um sie zu informieren, Frau Zenner. Wir sind von einer Gruppe, die in dieser hübschen Wohngegend dafür sorgen will, dass Menschen wie sie in Ruhe und Sicherheit leben können. Und wir werden auch besonders ein Auge auf ihren Nachbarn haben." Semir blieb knapp hinter der Tür stehen, eine Baumgruppe, die neben seinem Eingang wuchs, verdeckte ihn genügend, so dass man ihn von der Nachbarstür aus nicht erkennen konnte. Stocksteif verharrte der Polizist und schien den Atem anzuhalten. "Herr Gerkhan? Aber hören sie mal, der Mann wohnt hier schon seit 3 oder 4 Jahren. Das ist ein ganz netter Mensch.", hörte er die Stimme von Frau Zenner, die klang wie sich kleine Kinder eine herzensgute Oma vorstellten, die Geschichten erzählte und Süßigkeiten verteilte. "Natürlich ist er das, Frau Zenner. Aber sie wissen ja auch um seine Herkunft." Semirs Herz begann schneller zu schlagen, seine Hand ballte sich unweigerlich zur Faust. "Seine Herkunft?", schien Frau Zenner nicht sofort zu verstehen, was die beiden Männer, von denen immer nur einer sprach, ihr sagen wollte. "Dieser Mensch stammt aus der Türkei. Und sie schauen sicherlich Nachrichten, und wissen was in der Türkei und an der Grenze zu Syrien momentan passiert."

    Semir konnte es nicht glauben. Ohne den Kerl zu sehen konnte er ihn sich vorstellen vor seinem inneren Auge. Man versuchte doch tatsächlich eine ältere Frau zu verunsichern, in dem man ihr unwahre Horrorgeschichten über die undurchsichtige Krisenlage im Nahen Osten erzählte. "Zu Syrien... sie meinen..." "Krieg, Frau Zenner. Sie wissen schon, Islamisten, ISIS und so weiter. Wir möchten nur sichergehen, dass so etwas, wie in Paris hier nicht passiert." Die Stimme des Mannes war angenehm für eine verunsicherte Person, sie strahlte Ruhe und Sicherheit aus, und schien die Frau zu beruhigen. "Und sie glauben, dass Herr Gerkhan..." Wieder ließ der Kerl die Frau nicht zu Ende reden, und schien ihr die Meinung so in den Kopf zu drehen, wie er es brauchte. So etwas funktionierte bei älteren Menschen wohl am besten, eine Schwachstelle des Menschen, den auch Enkeltrickbetrüger gerne ausnutzten. "Das wissen wir nicht, Frau Zenner. Aber wir werden ein Auge auf ihn haben, und sie halten sich in Zukunft vielleicht etwas von ihm fern. Wir wissen ja nicht, wie viel Kontakt sie..."
    Diesmal wurde der Mann unterbrochen, denn Semir hielt es nicht mehr vor seiner Tür. Er ging mit schnellen Schritten den Weg seines Vorgartens entlang, und sobald die zwei Männer die Schritte des Mannes hören konnten, brachen sie ihren Satz ab. Genauso flink war Semir auf dem Weg zu Frau Zenners Haus. "Glauben sie ihnen kein Wort, Frau Zenner!", sagte er mit erregter lauter Stimme, und sein Gesichtsausdruck drückte Wut aus, seine Fältchen kamen dabei besonders zur Geltung. "Sehen sie diese Aggressivität... wir wünschen ihnen einen angenehmen Tag, Frau Zenner.", sagte der Mann scheinheilig, der, anders als Semir vermutet hatte, nicht mit Glatze und Springerstiefel, sondern normaler Frisur und Jackett an der Tür stand. Als Frau Zenner den wütenden Kommissaren entdeckte, war ihr Gesicht zuerst ein wenig verschreckt. "Hören sie nicht auf die! Frau Zenner, ich bin seit 4 Jahren ihr Nachbar. Die Türken haben mit der ISIS nichts zu tun! Die wollen Ihnen nur Angst machen!" Die energischen Worte des Polizisten schienen an der Haustüre abzuprallen, die Frau Zenner nun hastig zuzog. "Entschuldigen sie, Herr Gerkhan, ich muss leider hinein." Semir biss sich auf die Lippen... Frau Zenner war eingeschüchtert, und er konnte nicht mal sagen, ob von den Worten dieser beiden Männer, oder den Worten des Polizisten selbst.

    Semir wandte sich zu den beiden Kerlen: "Habt ihr sie noch alle? Was soll denn das?", fragte er mit aggressiven Unterton."Ich weiß nicht, was sie von uns wollen. Wir machen hier nur Werbung für unsere Partei.", sagte der Wortführer und zog einen Flyer der rechtsextremen NPD aus seiner Umhängetasche, und wollte ihn dem erregten Polizisten geben. "Hört auf mich zu verarschen, ich habe genau gehört, was ihr Vögel Frau Zenner erzählt habt." Dabei nahm er den Flyer, zerknüllte ihn und warf ihm dem Mann vor die Füße. Dessen stummer Freund, ebenfalls im Jackett und Hemd, zückte bereits ein Handy, um eine mögliche provozierte Eskalation des Polizisten aufzuzeichnen. "Wollen sie uns drohen?", fragte der erste Mann provokant, und Semir sah die Kamera. Innerlich musste er sich beinahe die Zunge abbeißen, als er versuchte den aggressiven Gesichtsausdruck langsam verschwinden zu lassen. "Nein... ich wollte sie nur höflich bitten, an meiner Haustür keine Parteiwerbung zu betreiben.", sagte er mit gespielt,höflicher Stimme und die Blicke der beiden Männer trafen sich. "Schönen Tag noch...", warf der Polizist dem Mann noch vor die Füße, drängte sich an ihm vorbei und stieg in seinen Dienstwagen ein. Darin musste er erst einma ltief durchatmen ob dem, was er gerade erlebt hatte...

    Krankenhaus - 18:50 Uhr


    Jennys Hände hatten so sehr gezittert, nachdem sie den Anruf aus der Boxhalle bekommen hatte... nein, sie traute sich nicht, das Auto zu benutzen. In ihrer ersten Verzweiflung wählte sie Bens Nummer. Ben stand ihr nahe, Ben war da, als sie jemanden brauchte und Kevin im Gefängnis gesessen hatte, auch wenn es damals zu dem folgenschweren Ausrutscher zwischen ihnen beiden gekommen war. Es war ein Mechanismus, der ihre Hände automatisch nach der Nummer des Kollegen suchen ließ, die Nummer wählte und sie fühlte sich sofort besser, als sie Bens vertraute Stimme am Handy hörte, auch wenn sie in diesem Moment von einem Weinkrampf geschüttelt wurde. "Um Gottes Willen, Jenny... was ist denn los? Was ist passiert?"
    Tom hatte sie angerufen... ihre Adresse stand in Kevins Personalausweis. Ihre Adresse? Wäre der Grund des Anrufes nicht so furchtbar, hätten sich in Jennys Körper wohl größere Mengen Serotonin breit gemacht. Er wohnte jetzt schon einige Wochen bei ihr, und hin und wieder hatte die junge Polizistin ihren Freund darauf angesprochen, sich umzumelden. Kevin war ihr ausgewichen, als hätte er seinen festen Platz in Jennys Leben noch nicht gefunden, er wusste selbst nicht warum. Es sei noch so früh, und sie sollten erst mal abwarten, ob das mit ihnen zusammen in einer Wohnung funktioniert. Der scheue Kater sträubte sich, seinen Kratzbaum für sich zu beanspruchen... er verließ ihn immer wieder, um zu umher zu streifen, hatte Jenny es in ihrem Tagebuch geschrieben. Jetzt erfuhr sie quasi am Telefon, einhergehend mit der Nachricht, dass sie Kevin leblos liegend im Ring gefunden hatten, mit einem beschädigten Trainingshelm und übel zugerichtet, dass er längst ihre Adresse im Personalausweis drinstehen hatte. Diese Tatsache wurde ihr erst bewusst, als die Straßenlaternen an ihr vorbeizogen, während Ben sie durch die Stadt fuhr.


    Ben hatte sich gerade erst wieder an normale Luft und Gerüche gewohnt, als ihm der unangenehme Krankenhausgeruch an der Eingangspforte entgegen schlug. Am Empfang mussten sie einen Moment voller Ungeduld warten, bis sie an der Reihe waren, und erfragen konnten, wo sich Kevin befand. "Einen Moment, ich frage bei der Aufnahme nach.", sagte die ältere rundliche Frau hinter dem Glas des Empfangs und wählte an einem altmodischen Telefonapparat eine dreistellige Nummer. Jenny trippelte nervös auf der Stelle und wischte sich nochmal mit einem Finger ein wenig durch die Augen. Sie hatte sich beruhigt, Ben hatte ihr gut zugeredet und versucht, ihr die schlimmsten Befürchtungen, die absoluten Horror-Visionen irgendwie zu nehmen.
    "Herr Peters ist noch bei der Untersuchung.", sagte die Frau nach einer gefühlten Ewigkeit und wies den beiden Beamten den Weg. Ihre Eile war vergebens, denn natürlich durften sie zur Untersuchung nicht hinein. Die ersten beiden Krankenschwestern, die auf dem Flur ihren Weg kreuzten konnten mit dem Namen des jungen Polizisten nichts anfangen. Erst ein etwas älterer, wichtiger aussehender Mann, der scheinbar von der zweiten Schwester aus dem Untersuchungszimmer geschickt wurde, weil Ben bereits etwas ungeduldig geklungen hatte, konnte Auskunft geben. "Meine Herren, Herr Peters befindet sich momentan noch in der Röhre. Ich kann ihnen erst etwas sagen, wenn wir die Untersuchung abgeschlossen haben.", sagte er mit einem gehetzten Unterton. Ben hatte manchmal das Gefühl, jeder Arzt in einem Krankenhaus leide unter akutem Streß. "Sagen sie uns doch einfach, nach was es aussieht. Was ist passiert?", bat Jenny mit herzzereissendem Leid in der Stimme. "Es sieht nach einer Schädelverletzung aus. Mehr kann ich ihnen momentan nicht sagen, je länger sie mich aufhalten, desto länger dauert es.", knurrte der Arzt und verschwand wieder im Untersuchungszimmer.


    Mit den Händen in den Haaren ließ sich Jenny auf einen der verlorenen Stühle, die an der Wand im Gang standen, herabsinken. Ben hatte nicht die Muse sich zu setzen, und blieb stattdessen neben ihr stehen. Es war eine unheimliche Stille, und der Polizist erinnerte sich, als er zuletzt in diesem Gang stand. "Hier habe ich mit Kevin gewartet, als du angeschossen worden bist.", sagte er zu Jenny, um die unangenehme Stille ein wenig zu unterbrechen. Mit leicht geröteten Augen blickte sie zu dem Mann mit dem Wuschelkopf herauf. "Habt ihr euch hier auch gestritten?" Er nickte nachdenklich. Hier hatte Ben beinahe die Polizeikarriere seines Freundes wegen einen unbedachten Äusserungen zerstört. Und mit ihr fast auch ihre Freundschaft.
    Wieder schwiegen die beiden Polizisten und wurden erst durch das schnelle Getrappel eines Fußpaares wieder aufmerksam. Semir kam den gleichen Weg, denn auch Jenny und Ben bereits zurückgelegt hatten, vom Empfang über den Flur zu der Sitzgruppe. "Und?", fragte er sofort, nachdem Jenny ihm um den Hals gefallen war. "Sieht nach einer Schädelverletzung aus, meint der Arzt. Sie haben ihn im Boxring gefunden, sein Sparringspartner war durch die Hintertür verschwunden.", erzählte Ben kurz und knapp. Semir zog verständnislos die Augenbrauen in die Höhe. "Schädelverletzung... Boxring? Wie soll das gehen? Die haben doch immer diese Dinger auf.", sagte er und machte eine Handbewegung über den Kopf, was den Sicherheitshelm darstellen sollte. "Der wäre kaputt gewesen." "Hör auf, so kann doch niemand zuschlagen." "Warte doch mal ab was Kevin nachher erzählt." "Wenn er noch was erzählt...", kam die kleinlaute Stimme von Jenny, die beiden Männern eine Gänsehaut bescherte.


    Wieder wurde es still auf dem Flur, Jenny saß immer noch auf dem Stuhl, mittlerweie die Füße auf die Sitzfläche gestellt und die Knie umschlungen. Ben und Semir gingen abwechselnd immer hin und her. "Das ist kein Zufall.", sagte der erfahrene Kommissar plötzlich, und wurde von Ben verwirrt angesehen. "Was meinst du?" "Wir haben heute morgen einen Neo-Nazi festgenommen, nachdem er einen Vietnamesen auf der Autobahnraststätte halb totgeprügelt hat. Beim Verhör hat er gesagt, wir würden nicht wissen, mit wem wir uns anlegen." Ben hörte aufmerksam zu, und auch Jenny hatte den Kopf zu Semir gedreht. "Heute nachmittag wurde mein Dienstwagen vor meinem Haus zerkratzt... mit Hakenkreuzen übersät. Und eine Stunde später wird Kevin beim Boxen zusammengeschlagen."
    Natürlich konnten Ben und Jenny jetzt auch zwei und zwei zusammenzählen. "Puh, mit wem habt ihr euch denn da angelegt?" Semir schüttelte den Kopf. "Ich hab keine Ahnung. Aber eins weiß ich... den Namen des Täters haben wir noch. Und der wird morgen von mir Besuch bekommen, das kann ich euch versprechen." Semirs Stimme klang erregt, und sein wütender Blick wurde erst abgemildert, als neben ihm die Tür aufging.


    Jenny blickte erst erschrocken, dann erleichtert und stand direkt auf. Kevin kam voran, hielt sich einen blauen Kaltbeutel, gefüllt mit Gel, gegen den Hinterkopf, die Lippe war ein wenig dick und rötlich-bläulich. Sein Blick angestrengt und müde, aber natürlich sah er erst einmal Jenny, die ihm vorsichtig um den Hals fiel. "Oh Gott sei Dank... ich hatte solche Angst.", sagte sie leise. Auch Ben und Semir waren erleichtert, dass die Schädelverletzung scheinbar nicht so schlimm war, wie zuerst angenommen. Der Arzt allerdings, hinter Kevin, war lauthals unzufrieden mit dessen Verhalten. "Herr Peters! Sie haben eine mittlere Gehirnerschütterung und waren mindestens 5 Minuten ohne Bewusstsein, danach hatten sie eine Eintrübung. Sie wussten bis zum Krankenhaus nicht, welcher Tag heute ist. Unter diesen Umständen muss ich sie warnen, das Krankenhaus auf eigene Gefahr zu verlassen. Ich hätte sie lieber noch eine Nacht zur Beobachtung hier behalten." Kevin atmete erschöpft aus, und scheinbar musste er sich diese Predigt schon länger anhören. "Mit einer Gehirnerschütterung sollte man auch nicht soviel zuhören müssen.", konterte er mit erschöpfter Stimme und nickte Semir und Ben zu. "Was macht ihr denn hier?" "Jenny hat uns angerufen.", sagte Ben und auch Semir antwortete: "Willst du nicht doch lieber eine Nacht hierbleiben?" "Ja... Ich bin ab morgen sowieso wieder auf dem Revier."
    Aber Kevin schüttelte den Kopf, wobei er sofort schmerzerfüllt die Augen schloß. Der Kopf schmerzte, ein durchgängiges Brummen und schwindelig war ihm auch noch. "Herr Peters! Ich verschreibe ihnen absolute Bettruhe. Ein weiterer Schlag oder eine Belastung auf ihren Kopf kann eine Gehirnblutung zur Folge haben, und die brauche ich ihnen wohl nicht näher zu erläutern." Ben blickte zu Semir, dass der zu Kevin vielleicht ein Machtwort sprechen konnte, und ihn überzeugen konnte, hier zu bleiben. "Na gut, Schluß jetzt.", sagte Semir tatsächlich. "Herr Doktor, wir übernehmen die Verantwortung. Herr Peters wird die nächsten Tage das Bett nicht verlassen." Dann blickte er mit strengen Blick zu seinem Freund. "Alles klar?" Kevin nickte langsam.


    Der Arzt gab nur widerwillig das Formular zur Entlassung auf eigene Gefahr, was Kevin unterschrieb. "Du passt mir die nächsten Tage auf ihn auf. Ich kläre das mit der Chefin.", sagte Semir in dem Moment, wo Kevin beschäftigt war. Dann gingen sie zusammen Richtung Ausgang, Kevin noch im verschwitzten Shirt und Shorts, so wie er gefunden wurde. Er ging ein wenig in Schlangenlinien, weil sich alles vor ihm zu drehen begann, sobald er den Kopf nach vorne hob. Jenny hatte sich bei ihm eingehakt, um ihn zu stützen. "Kannst du sagen, was passiert ist?", fragte Semir, als sie bei den Autos angekommen waren. Kevin sprach mit müder Stimme: "Ich weiß nicht genau. Da war so ein Typ, der wollte ein Sparrings-Training. Und... ich hab mich so... so müde gefühlt, und konnte mich gar nicht richtig wehren. Und dann..." Kevin stockte einen Moment, als müsse er nachdenken. "Ich weiß gar nicht... auf einmal... war ich weg." Er spürte, dass in seiner Erinnerung etwas fehlte. Er konnte nur nicht sagen was. "Komm lass gut sein... schlaf dich erst mal aus.", sagte Ben und bot an, die beiden nach Hause zu fahren. Jenny bejahte, und stieg mit Kevin hinten ein, während sich Semir und Ben verabschiedeten.

    @Yon

    Zur Erklärung: Nein, diesmal ist es kein Traum von Kevin. Ich streue diese kleinen Rückblicke immer ein, um spätere Szenen, die noch kommen, etwas besser nachvollziehbar werden. Und noch etwas, auf das ihr euch freuen könnt ;-): Zum ersten Mal in einer Story wird Kevins Schwester Janine "mitspielen", wenn auch nur in der Vergangenheit.

    Straßenzug - 13:00 Uhr


    Die Stimmung war an diesem Nachmittag aufgeheizt. Auf der Straße in dem kleinen Vorort von Köln hatte sich ein Spalier gebildet... allerdings kein Spalier, um jemandem eine gewisse Ehre zu erweisen, sondern ein Schutzspalier. Polizisten in dunklen, schweren Schutzuniformen, Helmen, Schilder und Schlagstöcken schützten den Demonstrationszug einer politischen Randgruppe. Viele der eingesetzten Beamten blickten mit misstrauischen Blicken und gemischten Gefühlen auf die vielen jungen Männern, in Bomberjacken und engen Jeans, die die Straße heruntergingen... ja beinahe marschierten. Sie hatten von der Stadtverwaltung harte Auflagen für ihren Gedenkmarsch bekommen. Keine Lieder, keine Bilder des Verstorbenen rechtsradikalen Politikers, nur ein großes Gedenkbanner trugen die Männer vor sich her, im Hintergrund wehten Flaggen der DVU, und die Deutschlandflagge. Allerdings die Flagge aus dem Kaisersreich, Schwarz-Rot-Weiß.
    Leise und langsam rollte der Zug durch die Straße. Die DVU hatte bei der Polizei einen Schutzwall verlangt, aus Angst vor Angriffen der linksradikalen Szene. In Wahrheit hofften einige Mitglieder der Demonstration darauf, dass es Krawalle gab, die möglichst medienwirksam auf die linke Szene geschoben wurde. Noch dazu die Polizei als Schutz... besser ging es nicht. Es war leise innerhalb der Menschenmenge, nur ein Mann hatte eine Trommel umgehängt, und schien mit seinen dumpfen Schlägen einen gruseligen Takt vorzugeben.


    Als der Zug auf die nächste Abzweigung zuschritt, konnten man sie hören, bevor sie sah. Laut ertönte ein rythmisches "Alerta, Alerta, Antifascista! Alerta, Alerta, Antifascista", und der Kampfruf wurde immer lauter, je näher der Demonstrationszug der kleinen Gruppe kam. Viele der Linksautonomen hatten sich vermummt, so auch Kevin. Der 14jährige hatte einen Kapuzenpullover an und ein Bandana vor das Gesicht gebunden, wie seine Freunde. Die Faust in die Luft gereckt, übertönten sie mit den Rufen das Trommeln innerhalb der Demonstration. "Nazis raus! Nazis raus.", brüllte es aus allen Kehlen, und die ersten Polizisten an der Seite des Zuges wurden nervös. Die Gruppe Punks hielt sich ausserhalb des Demonstrationsbereiches auf, und taten nichts Verbotenes... noch nicht. Allerdings wurden auch einige der Rechtsradikalen nervös, gaben Laute von sich und reckten dem linken Block den Stinkefinger entgegen,
    Als einer der Punks den schützenden Polizisten zu nahe kam, wurde er sofort zurück gestoßen. Die Meinung des Blockes richtete sich dann sofort auch gegen die Beamten. "99 Pflastersteine gegen 100 Bullenschweine.", schrien Kevin und die Jungs hinter und vor ihm. Die Situation drohte zu eskalieren, als zwei Neo-Nazis versuchten, die Polizeisperre zu durchbrechen und einige Pflastersteine tatsächlich aus dem linken Block geflogen kamen, und dicht bei den Menschen auf der Straße einschlugen.
    Sofort zerstreute sich der schwarze Block, als die Polizisten begannen, Kampfhaltung gegen die Punks zu beziehen, was die Demonstrationsmitglieder laut gröhlend kommentierten. "Den Linken auf die Fresse! Den Linken auf die Fresse!" und "Scheiss Zecken" wurde skandiert.


    Kevin atmete etwas schneller, als man feststellte, dass die Polizei die flüchtende Meute nicht verfolgte. Er zog sich die Bandana vom Gesicht und schob die Kapuze von seinem abstehenden Haaren. "Verdammt.", meinte Peter, der sich ebenfalls die Sturmmaske abzog. "Hätte nicht gedacht, dass die Faschos soviele Bullen als Begleitschutz bekommen haben." Peter war etwas älter als Kevin, und mit ihm waren noch Jerry und Mike bei ihnen. Der Rest hatte sich verstreut. "Tja, ist nun mal so.", sagte der Älteste unter ihnen und knuffte Peter in die Schulter. "Lassen wir es für heute. Die nächste Demo kommt bestimmt bald, und dann werden wir einige mehr sein. Für heute war das zu kurzfristig. Lasst uns abhauen." Eigentlich wollten alle zusammen zu ihrem Quartier gehen, doch Kevin wandte sich von der Truppe ab. "Ich muss meinem Vater im Club helfen. Wenn ich heute wieder nicht komme, prügelt er mich windelweich.", sagte der Junge missmutig. Jerry nickte: "Okay, dann komm nach, sobald du kannst."
    Die Gruppe trennte sich. Jerry und die anderen beiden folgten der kleinen engen Gasse, während Kevin zurück auf die Straße trat und diese Richtung Osten ging. Er war vielleicht 5 Minuten gegangen, als er stocksteif stehenblieb. Schräg gegenüber auf der anderen Straßenseite bemerkte er zwei der Neo-Nazis, die eben versucht hatten, durch den Polizeiriegel zu brechen. Auch sie blieben stehen, und einer von ihnen deutete mit dem Finger auf den 14jährigen. "Hey! Das ist doch eine der kleinen Zecken!", rief einer der beiden Glatzköpfe, und Kevin rutschte das Herz in die Hose. "Richtig! Schnappen wir ihn uns."


    Kevins Denkapparat setzte aus, und für einen Moment hatte er nur eins im Kopf: Nichts wie weg. Er drehte sich auf dem Absatz um und rannte, so schnell ihn seine Beine trugen. Er hatte sich natürlich auf dem Schulhof öfters geschlagen, dabei gesiegt und auch empfindlich verloren, aber mit gleichaltrigen Jungen, die körperlich mehr oder weniger so weit waren wie er. Doch diese beiden Typen, die jetzt so schnell liefen, wie es die Springerstiefel zuließen, waren Erwachsene. Sie waren einen Kopf größer als Kevin und waren körperlich sicher 30 Kilogramm schwerer, wenn nicht noch mehr. Der Junge war realistisch genug um zu wissen, dass er gegen die beiden nicht den Hauch einer Chance haben würde, wenn sie ihn erwischten.
    Auf der Straße schien es ihm, als würden seine Converse-Schuhe gar keinen Unterschied machen, ob er barfuss lief oder nicht. Er spürte jede Unebenheit der Pflastersteine, jede Kante am Bordstein, wenn er eine Abzweigung überquerte. Immer wieder blickte der Junge nach hinten und sah, dass die beiden Kerle nicht aufgaben, Kevin zu verfolgen. Insgeheim hatte er gehofft, dass sie viel zu faul waren, um jetzt noch ein "Fang-Mich-Spiel" zu veranstalten, doch da hatte er sich getäuscht. Die Kerle meinten es verdammt ernst, und waren sich nicht zu schade, Schweiß zu investieren um den jungen Kevin dran zu kriegen.


    Als Kevin in eine Gasse abbog, passierte es. Unrat und Müll säumte den Weg, und den übersah der Junge vor Angst und Anstrengung. Der Sturz auf Handflächen und Knie tat weniger weh als die Gewissheit, jetzt gleich massiv verprügelt zu werden von zwei Kerlen, die ihn ohne Probleme in der Mitte auseinanderbrechen würden. Er drehte sich auf den Po um und krabbelte wie ein Käfer auf dem Rücken hilflos weiter nach hinten, als könne er so noch entfliehen. "Schau dir die kleine Zecke an... wie klein und hilflos er ist, ohne seine Herde.", grinste einer der beiden Nazis, während sein Freund aus dem Unrat eine abgebrochene Eisenstange fischte, die er jetzt drohend schwang. "Hey bitte... Leute... lasst mich in Ruhe.", sagte Kevin mit zitternder Stimme, in der keinerlei Überzeugung sondern pure Angst war. Doch das Grinsen und der gewaltbereite Blick machte dem Jungen Angst.
    "Hey! Vielleicht probiert ihr es mit jemandem, der sich wehren kann!", hörte er nun eine Stimme, die hinter den beiden Kerlen dröhnte. Für einen Moment erstarrten die zwei, und drehten sich erst langsam um, während Kevin versuchte an den beiden vorbei zu blicken. Jerry stand am Eingang der Gasse, er war vorhin nochmal umgekehrt und hatte gerade noch gesehen, wie die beiden Glatzköpfe in die Gasse abgebogen waren. Jerry, der schon jahrelang Boxsport betrieb, hatte keine Angst es mit den zwei aufzunehmen. "Sollen wir uns mit dir warmmachen?", tönte der Kerl, mit der Eisenstange und kam drohend auf Jerry zu, der beide Fäuste vors Gesicht hob, wie ein Boxer, der auf die ersten Schläge wartete. Es kam allerdings kein Schlag, sondern eine geschwungene Eisenstange, die er mühelos mit einer Körpertäuschung auswich und sofort blitzschnell zuschlug.
    Einmal, zweimal, dreimal krachten seine Fingerknochen mit voller Wucht auf den Kiefer und das Nasenbein seines Gegners. Mit lautem Poltern fiel die Eisenstange auf den Asphalt und der Blick des Kerls wurde in ein blutrotes Licht getaucht, denn nichts anderes sah und spürte er, es floß aus Nase und Lippe. "Aua... hör auf! Bist du irre?", begann er zu jammern und spürte, wie seine Beine nachgeben wollten. Den zweiten Kerl schwand augenblicklich der Mut, als er sah mit welcher Geschwindigkeit und Präzision die Schläge angeflogen kamen. "Na gut... wir lassen den Kleinen zufrieden... aber fass mich bloß nicht an.", sagte er, ging wie in Zeitlupe an Jerry vorbei und versuchte seinen Freund ein wenig zu stützen. Nicht lange, und beide waren nicht mehr zu sehen.


    Jerry, der sich ein wenig die Fingerknochen hielt, ging zu dem immer noch am Boden kauernden Kevin. "Alles klar bei dir?", fragte er und streckte ihm die Hand entgegen. Der 14jährige ergriff sie und ließ sich von Jerry wieder auf die Beine ziehen. "Ja... ich glaube schon.", sagte er, und konnte das Zittern in seiner Stimme nicht verbergen. "Wird Zeit, dass du mal ein wenig mit mir trainierst, Kleiner.", sagte Jerry fürsorglich, legte dem Jungen eine Hand auf die Schulter und führte ihn aus der Gasse heraus...

    KTU - gleiche Zeit


    Hartmut hatte mal wieder Zeit vergessen... wie so oft. Ben hatte mal scherzhaft gesagt: "Wenn man im Duden das Wort "Workaholic" nachschlagen müsste, würde man Hartmuts Bild dort finden." und damit hatte der Polizist gar nicht unrecht. Es gab wohl keinen Mitarbeiter im technischen Dienst, der soviele Überstunden auf seinem Konto hatte, wie der rothaarige Techniker und Computergenie. Wenn sich Hartmut in einem Fall, einem Problem oder einer Analyse festgebissen hatte, dann ging er nicht nach Hause oder unterbrach diese Arbeit, bis er ein zufriedenstellendes Ergebnis hatte. Das Einzige, was ihn von seiner normalen Arbeit losriss war, wenn seine Freunde Ben, Semir, Kevin oder Jenny seine Hilfe dringend benötigten. Dann ließ er alles stehen und liegen, und war allzeit bereit, gefährliche Abenteuer zu bestehen, auch wenn das eigentlich nicht Hartmuts Spezialität war.
    Auch wenn der Rotschopf eine klassische Polizeiausbildung hinter sich hatte... für den alltäglichen Einsatz bei Cobra 11 war er nicht geschaffen. Das musste Semir bereits vor über 10 Jahren am eigenen Leibe spüren, als er Hartmut für einen Tag als Partner zugeteilt war, und den damals frisch von der Polizeischule und dem Wechseldienst kommenden Beamten gnadenlos durchfallen ließ. Hartmut fand sein Glück aber als Techniker der KTU durch seine umfassenden Kenntnisse in Physik und Chemie. Er kämpfte nicht mit Fäusten, sondern mit seinem Wissen, mit seinem Scharfsinn und seinen technischen Möglichkeiten, die den Beamten immer wieder zu neuen Erkenntnissen führte, auch wenn er deren Geduld manchmal mit überlangen Vorträgen auf die Probe stellte. Und auch wenn er vor manch gefährlichem Einsatz mehr Respekt oder Angst hatte, als die anderen des Teams... für seine Freunde würde auch Hartmut durchs Feuer gehen... soviel war sicher.


    Jetzt musste er nicht durchs Feuer gehen, aber zumindest seinen Lieblingsplatz am Computer verlassen. Ein Blick auf die Uhr ließ ihn die Augenbraue erstaunt nach oben ziehen, denn es war bereits spät, und Semir hatte sich nicht angekündigt. Und ausserdem... wie zum Teufel sah den sein BMW aus? Er kannte den erfahrenen Kommissar nicht unbedingt als ausgeflippten Tuning-Fan, der gerne mal einige ausgeflippte Folierungen an seinem Auto austesten wollte. Und dann noch an seinem Dienstwagen?
    Der Raum, in dem Hartmuts Arbeitsplatz inklusive eines Labors und umfangreicher IT-technischer Utensilien eingerichtet war, war eigentlich eine große Garage, beinahe eine Halle. Hier wurden Fahrzeuge untersucht, Festplatten ausgewertet und Fotos gerettet. Hartmut war für die Autobahnpolizei ein Techniker für alles. Jetzt rollte der BMW von Semir bis dicht an die ersten Tische des Arbeitsplatzes, dort erloschen die, durch die Automatik eingeschalteten Scheinwerfer und der brummige Motor des Dienstwagens verstummte. Hartmut stand nun auf, und betrachtete die auffälligen Streifen auf der Motorhaube und dem Dach. "Semir... du hättest mir etwas sagen sollen, ich hätte dir die Adresse eines guten Folierers gegeben. Das sieht ja aus, wie...", sagte er und strich mit einem Finger über die beklebte Stelle, woraufhin er stutzig stehen blieb: "...Klebeband?" "Du hast es erraten, Einstein.", sagte Semir brummig, während er seinen muskulösen, aber kleinen Körper aus dem tiefen Auto bewegte. Die beiden Freunde gaben sich die Hand, und Hartmut verstand noch nicht ganz, was Semir mit dieser Aktion bezweckte, oder was eigentlich vor sich ging.


    "Ich glaube, wenn du mir hilfst das Klebeband abzuziehen, bedarf es eigentlich keinen weiteren Erklärungen mehr.", meinte der Polizist vielsagend und sofort darauf begannen die beiden Männer, das Klebeband zu entfernen. Dabei mussten beide an manchen Stellen ganz schön schwitzen, denn Semir hatte das Band gut befestigt, und es war schwer ein Anfang zu finden. Hartmut übernahm das Dach, weil er mindestens einen Kopf größer war als der kleine Polizist und meinte scherzhaft: "Hast du dir dafür ein Gerüst gebaut?" Doch Semir war momentan nicht so sehr nach Scherzen zu Mute...
    Als Hartmut die Hälfte des Bandes auf dem Dach entfernt hatte, konnte er die Bescherung nur ahnen. Auch er wurde nun ruhiger und ernster. Das Kunstwerk ergab sich erst in voller Blüte, als er den letzten Streifen des Bandes in der Hand und zusammengeknüllt hatte. "Das ist vielleicht eine Schweinerei.", meinte er mit deutlicher Belegtheit in der Stimme. "Das kann man laut sagen.", brummte sein Freund, der sich an der linken Tür beschäftigte. Hartmut wandte sich an die Motorhaube, Semir wechselte zur Beifahrertür. Nach einer halben Stunde hatten sie eine mächtige Kugel Klebeband zusammengeknüllt, und das Auto stand in voller Pracht da. "Ich kann dir den Wagen direkt morgen früh lackieren lassen. Morgen mittag kannst du ihn dann abholen.", sagte Hartmut etwas gedankenverloren, und erntete einen etwas unverständlich wirkenden Blick von Semir. "Hartmut! Du sollst die Karre nicht lackieren, du sollst Spuren suchen. Ich will wissen, wer für diese Schweinerei verantwortlich ist." Nun war es Hartmut, der einen Blick aufsetzte, als hätte Semir ihn gerade mit Chinesisch überrascht... obwohl er das vermutlich auch noch verstanden hätte. "Spuren suchen?" "Richtig... Fingerabdrücke, mit was wurden die Kratzer gemacht, alles was du finden kannst."


    Hartmut ging einige Schritte um den Wagen herum und rieb sich mit der Hand unterm Kinn. "Semir, ich will dir nicht alle Hoffnungen stehlen, aber weißt du wie oft so ein Auto an der Straße mal einfach angefasst wird? Da wird sich die halbe Kölner Innenstadt dran verewigt haben." Natürlich hatte der erfahrene Ermittler bereits eine Vorahnung ob der Sinnhaftigkeit von Hartmuts Untersuchungen... allerdings hatte er auch im Gefühl, dass dieser Anschlag auf seinen Wagen nicht nur eine kleine Warnung war und mit Sicherheit etwas mit der Verhaftung heute Morgen zu tun hatte... soviel Zufall konnte es einfach nicht geben, als dass ausgerechnet heute ein Witzbold mit Hakenkreuzen seinen Wagen verunstaltete.
    Hartmut beugte sich nach vorne und betrachtete die dicken Kratzer im Lack. "Ich könnte vielleicht in der Rinne noch Reste finden, die nichts mit dem Auto zu tun haben. Dann kann ich dir sagen, ob die Kratzer mit einem Schlüssel, einem Stein oder einem Kleiderhaken hinein geritzt wurden. Aber ob dir das hilft..." Er richtete sich wieder auf, blickte Semir an und zuckte kurz mit den Schultern. "Warum ist dir das bei einem solchen Vorfall so wichtig? Weißt du eigentlich, wieviele Plätze, Schulwände und andere Oberflächen mit diesem Hakenkreuz-Mist verunstaltet werden? Wenn wir das jedes Mal genauestens untersuchen müssten, um jemanden wegen dem Verbreiten von verfassungswidrigen Kennzeichen dran zu kriegen, hätte ich hier nichts anderes mehr zu tun." Natürlich hatte Hartmut Recht, aber er kannte die Hintergründe nicht, und so bekam er diese von Semir kurz und knapp geschildert... das verprügelte Opfer aus Vietnam, die Verhaftung des Neo-Nazis, und dass sie ihn laufen lassen mussten. Jetzt erkannte auch das KTU-Genie den Zusammenhang...


    "Na schön... ich werde das Auto äusserlich komplett auf den Kopf stellen. Gib mir Zeit bis morgen Mittag, okay?" Semir nickte dankend, was er auch sofort in Worten zum Ausdruck brachte. Hartmut griff sich einen Schlüssel, der auf seinem Schreibtisch lag und warf ihn in Semirs Richtung, der diesen geschickt auffing. "Hier, Bonraths Porsche. Hab ihm einen Kratzer rausgeschmirgelt, den er nicht melden wollte.", meinte er grinsend. "Dann brauch ich nicht extra auf die Dienststelle kommen." "Alles klar, danke. Schönen Feierabend.", sagte Semir und stieg in den Porsche ein.
    Gerade als er den Schlüssel ins Zündschloß steckte, machte sich sein Handy durch ein penetrantes Klingeln bemerkbar. "Ben" prangte auf dem Display des Handys und dessen Bild erschien, bevor Semir abhob. "Ja?" "Semir, hier ist Ben. Du musst sofort ins Marien-Krankenhaus fahren. Jenny hat mich angerufen und war ganz aufgelöst, sie traut sich nicht zu fahren und ich gehe sie abholen. Wir kommen auch dahin." Ben redete so schnell und warf Semir sofort mit Informationen zu, so dass der Polizist einige Sekunden brauchte, um diese zu ordnen. Als das Wort "Marien-Krankenhaus" fiel, stockte erst sein Atem, und er dachte an Ayda. Aber halt, warum sollten die sich bei Jenny melden? "Was ist denn passiert?", formulierte er die Frage nun, für die er einen Moment gebraucht hatte. "Der Boxclub hat sich bei Jenny gemeldet. Sie haben Kevin bewusstlos im Ring gefunden..."

    Boxclub - 18:00 Uhr


    Kevins Haare hatten sich beinahe andächtig zum Kopf gelegt, nur einige wenige hielten der Feuchte des Schweißes stand, und standen trotzig vom Schädel ab. Ansonsten hatte das körpereigene Kühlmittel ganze Arbeit geleistet. Es rann dem jungen Polizisten aus allen Poren, als er vor dem Boxsack stand und verschiedene Schlagtechniken trainierte. Normalerweise mochte er Training alleine nicht, doch seit seinem Knastbesuch, seitdem er einmal wieder im Ring stand und vorher mit Jerry, seinem alten Mentor trainiert hatte, hatte ihn das Fieber wieder gepackt. Vorher war er nur sporadisch hier, wenn Ben sich mal erbarmte mit zu gehen, doch das war mehr aus Freundschaftlichkeit als wirklicher Wille von Seiten seines, etwas bequemeren, Partners.
    Es klatschte jedes Mal durch den, in der Helligkeit etwas gedämpften Trainingsraum. Man konnte die Männer trainieren hören, manche ebenfalls am Boxsack, manche mit einem eigenen Trainer, der eine Schlagvorrichtung in der einen Hand hielt, auf die der Schützling schlagen sollte. Andere pumpten sich an Geräten aus, die Gewichte klirrten aufeinander und es roch überall nach Schweiß. Kevin wurde immer schneller mit seinen Schlägen, immer variabler in seiner Auslegung, bis er seine mangelhafte Kondition spürte und wieder langsamer wurde. Er lockerte die Muskeln in dem er die textilfreien Schultern kreisen ließ, denn er trug, bis auf die Sporthose nur ein Tanktop. Alles andere war ihm in dieser stickigen Halle zu warm.


    Tom, der Besitzer der Sporthalle, kam in seine Nähe und führte vor sich einen Typ vor sich, der ebenfalls Boxhandschuhe trug und den Kevin vorher noch nie hier gesehen hatte. Auch er war bereits schweißbenetzt, auf seinen Muskeln klitzerte es und offenbar hatte er eine enorme Kraft. "Hey Kevin. Anton sucht einen Sparringspartner... hast du Lust?" Der Polizist warf einen Blick auf die Wanduhr hinter sich... er wollte ja mit Jenny noch ins Kino. Aber für einen kurzen Sparringskampf war noch genug Zeit. Mit dem Boxhandschuh wischte er sich über die Stirn und nickte zustimmend. "Klar, kein Problem." Die beiden schlugen sich mit den Handschuhen zur Begrüßung gegeneinander. "Anton.", stellte sich der Mann vor, und Kevin antwortete mit seinem Namen. "Der Ring in der Trainingshalle ist gerade besetzt. Aber ihr könnt ins Nebenzimmer. Ich mach euch noch das Licht an.", sagte Tom und drehte sich von den beiden Männern weg. Anton entschuldigte sich auch kurz, er habe sein Handtuch vergessen.
    Kevin ging schon mal in den Ring, lockerte wieder die Muskeln und versuchte seine rasche Atmung durch die Übung vorhin, wieder auf Normalgeschwindkeit runter zu bekommen. 5 Minuten später war Anton da, stellte zwei Flaschen Wasser in die Ecken. "Hab ich mitgebracht.", meinte er lächelnd. "Danke." Sie zogen sich die Schutzhelme fürs Training über den Kopf, tranken beide einen kräftigen Schluck, begegneten sich in der Mitte um nochmals abzuklatschen und gingen dann auseinander. Eine automatische Uhr im Ring hatten sie auf 6 Runden à 3 Minuten eingestellt.


    Anton boxte nicht zum ersten Mal, das merkte Kevin direkt. Seine Beinarbeit war schnell, seine Schläge gezielt und seine Kraft wuchtig. Der Polizist konnte gar nicht so schnell schauen, da hatte er bereits zwei schwere Kopftreffer kassiert. Trotz des Helmes taten sie heute mehr weh als sonst, dachte Kevin noch, bevor auch er endlich mal einen Schlag an den Kopf seines Gegners landen konnte. Er spürte sein Herz klopfen, er fühlte, wie Anton scheinbar immer einen Schritt schneller war als er. In der ersten Pause trank er zwei, drei Schluck Wasser mehr, bevor sie sich wieder in der Mitte trafen. Wieder ging Anton in die Offensive, Kevin hielt beinahe pausenlos die Deckung nach oben um nur abzublocken, trotzdem fühlte er, wie sein Atem immer schneller wurde, obwohl er gar nicht viel für den Kampf tat. Ein Treffer auf die Leber konnte er landen, doch die Intensität seines Schlages war so gering, das Anton das kaum juckte. Aus dem eben noch freundlich lächelnden Gesicht, wurde mittlerweile ein verbissenes, denn der Kerl schien es zu genießen, dass er Kevin scheinbar weitaus überlegen war. Doch Kevins Ehrgeiz war viel zu groß, als dass er zugegeben hätte, dass die Rollen ungleich verteilt waren, ausserdem konnte er sich nicht erklären was nicht stimmte... war der Kerl wirklich so schnell? Oder war er langsamer? Hatte er vielleicht zuviel trainiert, zu sehr gepusht so dass jetzt die Konditionsprobleme größer waren, als er gedacht hatte. Wieder spürte er einen heftigen Schlag am Kopf, Kevin taumelte zurück und hielt das Seil fest.


    In der nächsten Pause fand das kühle Nass wieder den Weg hinab in Kevins Schlund, doch je länger er boxte, desto schwerer fiel es ihm. Er hatte das Gefühl, dass Anton sich nicht mal mehr anstrengen musste, um Kevins harmlosen Schlägen auszuweichen und seinerseits Treffer zu landen. Noch schlimmer war, dass Kevin die Treffer nicht mehr richtig durch die Nackenmuskulatur absorbieren konnte, weil sich seine Sehnen und Knochen im Nacken wie Pudding anfühlten. Sein Kopf schlug wild hin und her, immer wenn er von der Faust seines Gegners erwischt wurde. "Na komm, wehr dich mehr.", rief Anton plötzlich, und seine Stimme hatte etwas aggressives. Kevin pustete durch, als würde er neue Kraft sammeln, ging nach vorne und wollte endlich mit einer Schlagkombination etwas Eindruck machen, doch wieder wich Anton, mittlerweile lachend, aus. "Hier stimmt etwas nicht...", kam Kevin noch in den Sinn, als er wieder heftigte Schläge spürte, so fest, dass ihm trotz des Helmes die Lippe aufplatzte.
    Spätestens jetzt spürte der Polizist, dass hier etwas schief lief. Vor seinem Auge drehte sich alles, ob durch die Schläge oder etwas anderes, er wankte beinahe nur noch und Anton schien gar nicht zu merken, dass sein Gegner nicht mehr konnte. Noch einmal kam ein fast schon unbeholfener Schlag, den Anton sofort konterte und Kevin wieder in die Seile beförderte. Mit beiden Armen hielt sich der Polizist fest und sah angestrengt geradeaus. Was zum Teufel ging in ihm vor, er fühlte sich so schlapp, so schwach, als hätte er Fieber oder sonst eine Krankheit. Und dieser Typ, dachte er, schien dies zu genießen, dass er diesen Kampf dominierte. Anton war einige Schritte weggegangen, die Uhr klingelte und der Typ hielt die Hände nach oben.


    "Na komm... ich hätte nicht gedacht dass du nach drei Runden schlapp machst!", rief er aggressiv. "Mir ist irgendwie nicht gut.", meinte Kevin mit leiser Stimme. "Hör auf dich rauszureden.", knurrte sein Gegner und ging sofort wieder auf Kevin zu, nachdem die Uhr das Ende der Pause angekündigt hatte. Kevin sah nur noch den Ring, und nichts mehr, was ausserhalb davon war... das war alles verschwommen. Auf die Stichelei reagierte er mit zwei schnellen Schritten und einem wuchtigen Schlag, der endlich sein Ziel fand und den Anton auch einen Schritt zurückgehen ließ. Doch statt sich zu wehren, lachte Anton plötzlich... er stand da, zog den Schutzhelm aus und ließ ihn auf den Ringboden fallen. "Was ist los?", fragte Kevin, dessen Beine sich wie Streichholze anfühlten. "Dein Kampf ist vorbei!", sagte er triumphierend. "Mein Kampf?", fragte der Polizist verwirrt und ein beinahe diabolisches Lächeln kam auf die Gesichtszüge des Mannes, der jetzt sein wahres Gesicht zeigte. Er schlug die Versen gegeneinander und regte den rechten Arm in die Höhe, bevor ein Gruß seinen Mund verließ, dem Kevin erst das Blut in den Adern frieren ließ, und dann den Groschen fallen ließ.
    Doch darüber nachzudenken, ob der Kerl etwas mit seinem schlechten Zustand zu tun hatte, dazu hatte der Polizist keine Gelegenheit. Auf seinen Kopf sauste von hinten ein Baseballschläger, und gegen solch einen Angriff war auch der Boxtrainingshelm kein Schutz mehr... er zerbrach sofort. Bei Kevin wurde jetzt auch der Boxring dunkel, sein Körper sank zusammen auf den Boden des Ringes, und noch bevor sein Kopf den Ring berührte, war der Polizist bereits bewusstlos.

    Jenny's Wohnung - 17:00 Uhr


    Es kam, wie es kommen musste. Ulrich wurde natürlich vom Haftrichter entlassen und musste sich "nur" auf eine nahende Gerichtsverhandlung einstellen, die dann eventuell mit einer Bewährungsstrafe beendet werden würde. Jenny und ihre Kollegen im Revier hatten es von der Chefin erfahren, und die junge Beamtin hatte Kevin sofort eine WhatsApp-Nachricht geschickt. Als sie sich auf den Weg nach Hause machte, hatte er die Nachricht noch nicht gelesen, was sie an den beiden grauen Haken erkennen konnte hinter ihrer Nachricht. Mit einem etwas verkniffenen Gesichtsausdruch ließ sie ihr Handy wieder in die Handtasche sinken und startete ihren Kleinwagen. Immer, wenn er schon zu Hause war und sie nach Hause kam, hatte sie Angst. Angst davor, wie sie ihren Freund vorfinden würde, Angst davor in wieder in einem Zustand vorzufinden, der gefährlich für ihn war, wie damals in seiner alten Wohnung bei Kalle. Sie hatte sich noch nicht durchgesetzt, und das "NOCH" betonte sie innerlich in ihren Gedanken ganz besonders. Er hatte die Drogen behalten und ihr hoch und heilig versprochen, sie nicht mehr anzurühren. Aber wegwerfen wollte er sie auch nicht, er geriet in Panik wenn sie abends nicht in der Nähe waren, wenn er nicht schlafen konnte, und er nicht wenigstens theoretisch die Möglichkeit hatte, sie zu nehmen. Jeden Morgen, wenn sie aufstand, prüfte sie das Döschen und zählte die pinken Pillen. Bis jetzt hatte sich der junge Polizist an sein Versprechen gehalten, und trotzdem schauderte es Jenny, wie wankelmütig er zeitweise erschien und wie labil dieses ganze Gerüst um ihn herum noch war. Sie versuchte es zu stärken, in dem sie für ihn da war, aber manchmal hatte sie den Eindruck, er bräuchte Phasen für sich, zum Alleine sein. Sie schrieb dann in ihr Tagebuch, dass ihr Straßenkater, mit dem sie ihn liebevoll verglich, heute ganz verschlossen war, und immer direkt unter den Tisch oder auf den Kratzbaum geflüchtet ist, wenn man ihm zu nahe kam. Einerseits tat Jenny dieser Zustand weh, ihn alleine zu lassen und auch, dass er alleine sein wollte. Andererseits hatte sie Verständnis und genoß die Stunden, in denen er "der andere Kevin" war... der starke Kevin, an den sie sich anlehnen konnte, der sich um sie kümmerte. So wechselten sie ihre Rollen, nur dass Jenny immer auf der Stufe blieb, auf der sie war und Kevin dagegen zwischen "Am Boden" und "Oben auf" immer hin und her schwankte.


    Heute hatte sie ein besonders schlechtes Gefühl... warum auch immer? Wegen dem Angriff heute nacht, und der Gewissheit, dass Semir und Kevin nichts gegen den Kerl tun konnten, ausser dass er jetzt eine Bewährungsstrafe bekam? Würde Kevin das zusetzen? Einerseits schüttelte sie den Kopf... es konnte ja nicht sein, dass ein solcher normaler Vorgang den jungen Polizisten wieder in seinem Arbeitsablauf knicken würde. Auf der anderen Seite war gerade im Moment die Psyche des Polizisten noch nicht völlig belastbar, und Jenny war keine Fachärztin... sie rechnete einfach mit allem. Auf Kevin, der am Fenster saß und sich freute, dass Jenny nach Hause kam, bis zu einem Kevin der orientierungslos irgendwo in der Badewanne lag. Sie hasste dieses Gefühl, nach Hause zu kommen und Angst zu haben.
    Sie fand weder das eine, noch das andere... sondern einen Kevin, der auf der Couch lag, die Augen geschlossen, mit neutralem Gesichtsausdruck. Er hatte sich die Wolldecke, die immer auf der Couch zusammengefaltet lag, notdürftig über sich geworfen, doch sie war zur Hälfte bereits heruntergerutscht. Zum Sterben würde er sich wohl nicht zudecken, dachte Jenny und war belustigt und erschrocken zugleich über ihren Gedanken. Sie legte Handtasche und Wohnungsschlüssel auf die Küchentheke und näherte sich ihrem Freund mit leisen Schritten, um sich zu ihm herunter zu beugen, die Decke wieder auf seinen schlafenden Körper zu ziehen, und ihm dabei einen sanften Kuss auf die Stirn zu geben. Dann beobachtete sie den Mann, der auf Umwegen in ihr Leben gestolpert war.


    Sie dachte an die ersten Annäherungen an einem DVD-Abend, während er und Ben einen Fall zusammen bearbeitet hatten, im Verlauf dessen sie angeschossen wurde und danach von Kevin ziemlich enttäuscht wurde. Nach seiner Suspendierung ließ er sich wochenlang nicht bei ihr blicken, und sagte kein Sterbenswörtchen, wo er war. Mittlerweile wäre sie ihm wohl nicht mehr böse, denn es war einfach Kevins Charakter. Er würde wohl niemals ein besonders guter Teamplayer sein, wie es Semir und Ben waren. Umso höher war es denn beiden zu verdanken, ihn mittlerweile irgendwie in das Team der Cobra 11 zu integrieren.
    Langsam regte sich der Polizist, seine Lider flatterten und er erwachte. Jenny lächelte ihn vom Sofa aus an, und er erwiderte ihr Lächeln, als er seine Freundin erblickte. "Hey... erforschst du mein Schlafverhalten?", fragte er und rieb sich die Augen. "Nein, ich bin gerade erst heimgekommen.", sagte sie und die beiden umarmten sich kurz. "Unsere Befürchtungen waren übrigens nicht unbegründet... man hat den Neo-Nazi wieder auf freien Fuß gesetzt." Kevin fuhr sich mit einer Hand durch die abstehende Haare, und wunderte sich über die ausbleibende Enttäuschung... eigentlich hatte er ja schon damit gerechnet. "Naja... so einer fällt heute oder morgen wieder auf. Da tut mir eher das Opfer leid, das jetzt weiter vor ihm Angst haben muss." Der junge Polizist stand auf und streckte sich kurz. "Sollen wir heute abend ins Kino gehen, wir zwei?", fragte Jenny und blickte zu dem Mann herauf, der sofort nickte... ein kleiner Erfolg, um den Straßenkater mal aus seiner Hölle zu locken. "Ich geh dann jetzt gleich noch zum Training, und hol dich dann ab."


    Semir's Wohnung - 17:15 Uhr


    Auch Semir nutzte den freien Nachmittag für ein kurzes Nickerchen auf der Couch. Endlich wieder ein erholsamer Schlaf, keine Alpträume von Ayda, wie sie vor seinen Augen verschleppt wird. Der erfahrene Polizist hatte eine unruhige Zeit hinter sich, solange die Gesundheit seiner Tochter noch in der Schwebe war, bekam er nur schwer ein Auge zu, was man wirklich ruhevollen Schlaf nennen konnte. Jetzt wusste er, dass seine Tochter auf dem Weg der Besserung war, dass sie noch eine Menge Kraft brauchen würden, es aber gemeinsam schaffen würden... und diese Gedanken beruhigten seine Seele so sehr, dass er seit langer Zeit mal wieder erholsam schlafen konnte.
    Jetzt stand er auf, kochte sich einen Kaffee, und warf einen Blick von der Küche hinaus. Für einen Moment schien es, als würde ihm das Herz stehenbleiben, gefolgt von einer unbändigen Wut, die in ihm aufstieg. "Verdammte Scheisse...", murmelte er, und merkte gar nicht, wie er die Kaffeetasse umstieß, die sich zum Glück nur zum Teil über die Küchenablage, zum Teil aber direkt in den Ausguss ergoss. Doch das war dem Polizisten jetzt erstmal egal, er setzte sich in Bewegung und war mit schnellen Schritten schon vor der Tür bei seinem Auto. Vandalismus sah er nicht zum ersten Mal, und da es sein Dienstauto war würde er auch nichts für die Reperatur bezahlen müssen... doch die Art des Vandalismuses war beängstigend unter dem Vorwand des nächtlichen Einsatzes. Auf Motorhaube, Dach und Seitentüren hatte jemand mit einem Schlüssel oder Schraubenzieher den Lack aufgekratzt. Nichts Wildes, sollte man denken, doch Semir zog mit dem Finger eine der Linien nach. Natürlich erkannte er das Symbol, dass sein Auto zierte... Vier Hakenkreuze prangten auf dem Fahrzeug, ein Symbol des Sonnengottes aus Fernost... und das Symbol der Nationalsozialistischen Flagge aus der NS-Zeit.


    Der Polizist sah sich um... wahrscheinlich war es passiert, während er schlief. Tollkühn, denn er hätte ja genauso gut am Fenster stehen können, und die Täter auf frischer Tat ertappen können. Niemand war auf der Straße zu sehen, nur ein junger Mann, der eine Hose anhatte, die ca 4 Nummern zu groß war, beäugte den BMW von der anderen Straßenseite interessiert. "Ey Alter, bist du Nazi oder was?", rief er und Semir wusste im ersten Moment nicht, ob der Kerl ihn verschaukeln wollte, oder ob er wirklich so dumm war. Doch auf Konfrontation war der Polizist nicht aus, und so reagierte er gar nicht auf den Typ, der in komischen Gang seinen Weg fortsetzte.
    Mit schnellen Schritten ging er in die Garage... er musste etwas unternehmen, bevor er so in der ganzen Stadt auffiel. Er fand drei verschiedene Rollen Klebeband in drei verschiedenen Schwarz und Grautönen. Sein BMW sah eine halbe Stunde später aus, wie schlecht aber modisch lackiert. Große Quadrate Klebeband zierten jetzt die betroffenen Teile seines Fahrzeuges. Währenddessen kam seine Nachbarin, Frau Zenner mit einem schwarz-weißen Cocker-Spaniel aus der Tür und grüßte. "Frau Zenner... sagen sie, haben sie irgendwann im Laufe des Tages mal jemanden an meinem Auto gesehen?" Die Frau, die immer einen Spazierstock bei sich hatte und die Leine des jungen aufgeweckten Hundes sicher hielt, schüttelte den Kopf. "Nein, Herr Gerkhan. Tut mir leid, ich habe nichts gesehen." Semir blickte misstrauisch, die Antwort kam wie aus der Pistole geschossen, und er wusste dass die verwitwete Frau gerne mal aus Langeweile die Straße beobachtete. Sprach aus ihr die Angst, und sie schüttelte den Kopf, als Semir die Frage nochmal stellte, und ging weiter Gassi. Beim Nachbar auf der anderen Seite war niemand zu Hause, gegenüber wusste er, dass Ralf in Urlaub war. Der Polizist blickte auf die Uhr, und wollte noch vor Feierabend bei Hartmut sein...

    Werde ich mir merken in Zukunft :) danke susan.

    Stimmt, ne gebrochene Rippe schmerzt auch noch länger. Ich kann da aus Erfahrung sprechen, auch wenn meine Rippe nur angebrochen war.

    Aber wenn eine Lungenperforation "repariert" wurde, und die Rippe gerichtet... muss man da wirklich noch länger als zwei Wochen im Krankenhaus bleiben? Ich musste zb bei meiner angebrochenen Rippe gar nicht ins Krankenhaus...

    Die Schmerzen werde ich trotzdem noch hinzueditieren... mit dem Shirt, okay, das war jetzt einfach ein bisschen der Dramaturgie geschuldet :D aber mit der Schmerzfreiheit, das stört mich jetzt selbst auch, das werde ich editieren. Danke nochmal :)

    Krankenhaus - 11:00 Uhr


    Der CT verlief zufriedenstellend... so hatte der Arzt es ausgedrückt. Der Stich in der Lunge, hervorgerufen durch die abgeknickte Rippe, war bereits ganz gut verheilt. Ein kurzer Belastungs-EKG hatte auch keinerlei Einschränkungen ergeben, was die Anstrengung betrifft. Ben verspürte keine Stiche in der Lunge, allerdings natürlich noch Schmerzen an der gerichteten Rippe, und dieser Schmerz wird ihn noch einige Wochen begleiten. Trotzdem hielt der Arzt ihn noch lächelnd an, in den nächsten Wochen nicht gerade Marathons zu laufen. Danach bekam er am Empfang die Entlassungspapiere, mit denen er hoch in sein Zimmer ging, um seine Tasche zu packen. Schlafanzug, Zahnputzbeutel, und einige Kleider, die Semir ihm nach der OP aus seiner Penthouse-Wohnung geholt und seinem besten Freund gebracht hatte.
    Dann hielt er das Langarm-Shirt in der Hand, das er an dem Tag an hatte, als es passierte. Nachdenklich betrachtete er es, gerade als er sich die Schuhe zugebunden hatte und noch einmal kurz auf dem Krankenbett saß. Die Krankenschwestern hatten versucht, es zu waschen, doch die hellroten Umrisse seines Blutes gingen aus dem weißen Stoff einfach nicht heraus. Im Zentrum dieses Fleckes war ein, leicht verbranntes kreisrundes Loch. Mit leicht zitternden Fingern strich der Polizist über die gerissenen Fasern des Shirts, während er in seinem Hinterkopf den Schuss hallen hörte. Er hatte erst gar nichts gemerkt... das Adrenalin in seinen Adern so hoch konzentriert, als er das Fläschchen mit der Flüssigkeit, die Ayda und anderen Kindern das Leben rettete, in den Händen hielt. Kein Schmerz, bis sich dieses Adrenalin langsam legte, ein Stechen beim Atmen zu spüren war, und er erst dann das warme Blut spüren konnte, dass sich aus der Wunde in die Freiheit drückte.


    Unbewusst beschleunigte sich Bens Atem. Er war mit dem Leben davon gekommen, aber es war verdammt knapp... das hatte ihm jeder Arzt, ob er selbst es hören wollte oder nicht, gesagt. Die Kugel ein bisschen weiter nach oben oder unten, und sie hätte sich von den Rippen nicht aufhalten lassen, und wäre direkt in die Lunge eingedrungen. Oder das Herz gestreift. Die Vorstellung machte Ben Angst. Man merkt es nicht, wenn man stirbt, und er konnte sich nicht vorstellen, dass der Tod eine schlimme Erfahrung war... man war dann halt tot. Aber der Gedanke daran, dass man dieses Mal selbst nichts dazu beigetragen hatte, sein Leben zu retten, oder dass jemand anderes dazu beigetragen hatte sondern ihm einfach nur das pure Glück zur Seite stand... dieser Gedanke machte Ben Angst.
    Er ließ das Shirt auf seinen Schoß gleiten und stemmte die Hände, zu Fäusten geballt, neben sich aufs Bett. Den Kopf legte er in den Nacken, so dass er für einen Moment an die kalkweiße Decke des kühl und steril wirkenden Krankenzimmers starrte, bevor er die Augen schloß. Er sah sich selbst in seinem eingeklemmten Mercedes, auf einem Waldweg nach einem Unfall. Eine Situation, die schlimm war... ja, auch lebensgefährlich. Aber war es da wirklich Glück? Das Auto hatte ihn vor Schaden bewahrt, das Benzin war zu feucht bei dem Starkregen, als dass es explodieren hätte können... aber er fühlte sich, als wäre er gerade dem Tod von der Schippe gesprungen. So extrem war ein Anfall seiner Platzangst, so groß die Angst und Panik nie wieder aus dem eingeklemmten Wagen heraus zu kommen.


    Seine nächsten Gedanken gingen zurück in den letzten Winter... täuschte er sich, war es subjektive Wahrnehmung dass er in den letzten Monaten zu oft bereits mit dem Tod geplaudert hatte? Im Winter hing Ben nach einem Zweikampf mit einem Gangster am Seil eines Werbeplakates, hoch über dem knüppelharten Asphalt an einer stillgelegten Industrieruine. Sein Arm von einer Kugel durchbohrt, über ihm am rettenden Ufer der Kerl, der ihn so schnell wie möglich tot sehen wollte, und mit einem scharfen Klappmesser seine letzte Überlebenschance, das Seil, am durchtrennen war. Hatte Ben damals wirklich Angst? Angst vor dem Tod? Er hatte sich danach keine Gedanken gemacht, denn er hatte sich nicht auf sein Glück, sondern seinen Partner Kevin verlassen, der das Überleben Bens vor seinen Rachedurst stellte und mit seiner letzten Kugel Bens Gegenspieler erschoss, statt den Mörder seiner Schwester. Ben konnte an dem, nur noch am seidenden Faden hängenden Seil nach oben klettern und hatte sich gerettet. Waren seine Gedanken damals deswegen nicht so intensiv, weil sich soviel danach ereignete? Kevins Geständnis, die Bilder von André?
    Ben atmete tief durch und öffnete die Augen wieder, und meinte für einen Moment in den grauen Winterhimmel zu sehen, an einem Seil, an dessen Ende ein Mann stand mit einem Messer in der Hand. Ja, Kevin hatte ihn damals gerettet... aber wieviel Glück war bei dieser Sache im Spiel? Glück, dass Kevin sich richtig entschieden hatte? Glück, dass er mit der letzten Kugel den Kerl ausgeschaltet hatte? Und Glück, dass das Seil noch hielt, bis Ben sich wieder zurück auf das Dach wuchten konnte?


    Langsam, wie in Zeitlupe, stand Ben von dem, wie er fand unbequemen Krankenbett auf und ging erst ziellos durch den Raum, bis er an der großen Fensterfront des Zimmers stehenblieb, und auf die Stadt und einen Teil des Rheins blicken konnte. Er hob sein Shirt und strich mit, immer noch zitternden Fingern über die Narbe an seiner Brust, in der noch mehrere Fäden steckten, die demnächst noch entfernt werden würden. Wieviel Glück hatte ein Mensch, in seinem Leben? Ist das Glück ein Literbecher, den man ausleeren konnte, der aber niemals aufgefüllt würde, und das Schicksal entschied, wann man einen beliebig großen Schluck davon nehmen konnte? Wieviel war noch drin, wie oft würde ihn das Schicksal oder der Zufall noch bewahren? Ben war sich im Klaren, dass er einen verdammt gefährlichen Job hatte, und dass er auch weiterhin in gefährliche Situationen kommen würde, wenn er seinen Job fortsetzen würde.


    Moment... hatte er selbst gerade im Konjunktiv gedacht? Wenn er seinen Job fortsetzen würde...?


    Ben war erschrocken über seine eigenen Gedanken. Machte er sich wirklich Gedanken darum, alles hin zu schmeißen? Machte er sich Gedanken, den Job bei der Autobahnpolizei aufzugeben, weil er in letzter Zeit so oft in brenzligen Situationen war? Als müsste er selbst seine Gedanken verscheuchen, schüttelte er den Kopf mit den Wuschelhaaren und drehte sich vom Fenster weg. Er musste hier raus, raus aus diesem kalten sterilen Raum, raus an die frische Luft und wieder einen klaren Kopf bekommen. Das Beste gegen solche Gedanken war das Gegenteil... Arbeit. Wieder arbeiten mit Semir und Kevin, wieder mit ihnen zusammen lachen, wieder im eigenen Bett schlafen..., ja das brauchte er jetzt.
    Als hätte er, aus den düsteren Gedanken gerade, neuen Mut geschöpft, packte er seine Tasche und warf sie sich um die Schulter, wobei sich da sofort seine Rippe mit einigen Schmerzreflexen meldete, bevor er das Zimmer verließ. Dass er zweimal nach rechts und links von der Tür in den Gang sah, um sicher zu gehen, dass niemand mit einer Waffe da stand um auf ihn zu schießen, wollte er nicht wahrhaben.

    Naja, die Verletzungen waren natürlich schwer, aber ein wenig abgehärtet sind die beiden Polizisten dann doch. Ich fände es etwas unrealistisch, bzw dann auch wiederholend, wenn Kevin jetzt von jedem Verletzten ein Trauma mitnimmt. Letztendlich war das für die beiden nur ein "normaler" Einsatz.

    Ja, Ben hatte ich jetzt ausgelassen... er hat ja nur gefragt: "Sehen wir uns nachher noch." woraufhin die beiden nickten. Vielleicht war er noch in der Röhre, oder sie hatten noch kurz miteinander geredet... ich persönlich fand den Part jetzt nicht wichtig zu schreiben. Aber Ben wird wieder mitmischen, keine Angst ;)

    Dienststelle - 9:30 Uhr


    Die Chefin blickte überrascht durch die große Glasfront ihres Büros, als ihre beiden Mitarbeiter Kevin und Semir in das Großraumbüro spaziert kamen, und offenbar miteinander scherzten. Denn Semir lachte gerade auf, und Kevin grinste verschmitzt. Es war ein Bild, dass sie am liebsten fotografieren würde, denn es hatte einen Seltenheitswert. Nicht dass Semir lachte, obwohl sie es sehr schön fand, dass ihr bester und langjähriger Mitarbeiter die Sache mit dem Koma seines Kindes so gut weggesteckt hatte. Nein, Seltenheitswert hatte eher, dass Kevin, der sonst immer sehr distanziert und melanchonisch wirkte scheinbar mit der Autobahnpolizei endlich eine Heimat gefunden hatte, und sich wohlfühlte. Mit Kollegen, die ihn respektierten, mit Freunden die ihn so nahmen, wie er war. Und sie hatte, über die üblichen Bürotratschereien auch mit bekommen, dass er offenbar bei Frau Dorn eingezogen war, auch wenn die beiden ihre Beziehung noch nicht öffentlich zeigten.
    Aber warum waren die beiden hier? Sie hatten Nachtschicht, und eigentlich schon Feierabend. Beide gingen zu Jenny an den Schreibtisch, die momentan immer noch Andrea vertrat, bis diese dann die nächsten Tage vermutlich wieder kommen würde. "Na? Hast du dich mal über den Typen erkundigt, was ich dir eben geschickt habe?", fragte Kevin und beugte sich über den Tisch zu ihr. Dabei konnte er ihr Haarshampoo riechen und sofort identifizieren, er spürte die Vertrautheit und die Nähe, die ihm in den letzten Tagen so unglaublich gut tat. "Ja, aber ich muss euch enttäuschen.", begann sie und rief die gespeicherte Akte von Ulrich Richter auf. "Er hat nur einen Eintrag wegen Ruhestörung. Keinerlei Vorstrafen, schon gar nichts fremdenfeindliches." Zwei Augenpaare huschten hin und her und lasen die Akte.


    "Verdammt...", murmelte Kevin enttäuscht und richtete sich wieder neben Jenny auf. Auch Semir machte ein bedrücktes Gesicht. "Das wird dem Haftrichter nicht reichen. Wurde er schon hingebracht?" Jenny nickte, und sagte: "Zwei Kollegen fahren ihn gerade aufs Gericht. Und von da aus darf er wohl wieder auf die Menschheit losgelassen werden." "Toll..."
    Die Enttäuschung war beiden Kommissaren ins Gesicht geschrieben, doch damit mussten sie umgehen. Es kam öfters vor, dass Gewaltverbrecher laufen gelassen wurden, weil sie entweder noch keine Vorstrafen hatten, oder es während des Ermittlungsverfahren einfache Formfehler gab, mit denen windige Anwälte ihre Klienten dann rausboxen konnten. Es war zum Kotzen, aber "das gehört dazu...", hatte Semir mal gesagt. "Was machen sie denn noch hier?", hörten die beiden jetzt die vertraute Stimme ihrer Chefin hinter sich. "Leiden sie unter Bettflucht?" Beide grinsten, als sie sich umdrehten. "Überstunden, Chefin. Wir sind schließlich pflichtbewusste Beamte.", meinte Semir übertrieben förmlich und erntete auch dafür ein Grinsen seiner Chefin. Mit kurzen knappen Sätzen erstatteten sie ihrer Chefin Bericht über die letzte Nacht. Sie hörte aufmerksam zu, nickte hin und wieder, und musste ihnen dann beipflichten dass eine Untersuchungshaft wohl ausgeschlossen sei, und höchstens mit einer Bewährungsstrafe zu rechnen sei. "Es kann auch sein, dass der Staatsschutz die Sache wegen dem politischen Hintergrund weiter verfolgt. Sie wären dann sowieso raus.", sagte sie noch und blickte sofort tadelnd. "Und ich hoffe, dass sie sich DIESMAL auch daran halten." "Ist das jetzt ein Präventiv-Anschiss?", wollte Kevin wissen, doch seine Frage war nicht böse, sondern eher belustigt gemeint. Natürlich spielte die Chefin darauf an, dass man im Fall der Komakinder jegliche Anordnung des LKA in den Wind schlug. "Ich verlasse mich auf sie.", stellte die Chefin unmissverständlich klar, und kehrte zurück ins Büro.


    Also die beiden Polizisten wieder zurück in das ungemütliche Herbstwetter traten, schien es als herrsche immer noch halbe Nacht. Der Himmel war wolkenverhangen, es war neblig und einfach nur ungemütlich. "Ist mir auch ganz recht. Besser, man hat mit diesem Gesocks so wenig wie möglich zu tun. Dann lieber ein paar Drängler auf der Autobahn.", meinte Semir und steckte die Hände in die Taschen seiner Lederjacke. "Früher hab ich immer gedacht, man müsste unbedingt etwas gegen diese Leute tun.", meinte sein Partner und fuhr sich mit einer Hand durch die, wie immer, abstehenden wilden Haare. "Und heute?" "Heute weiß ich, dass man eh nichts bewirken kann. Dass man gegen Windmühlen kämpft. Mit Worten wirst du solche Leute niemals umstimmen können." Gemeinsam schritten sie über den feuchten Asphalt hin zu ihren Dienstwägen. Sie würden jetzt den Feierabend endlich wahrnehmen, sich zu Hause ein wenig aufs Ohr hauen um wieder in den Rythmus zu finden, morgen früh wieder zur normalen Schicht zu erscheinen.
    "Hast du die linke Szene verlassen, nachdem du dich von der Gang losgesagt hast?", fragte Semir interessiert und hatte beinahe keinerlei Bedenken mehr, bei Kevin in Bereiche einzudringen, die diesen vor den Kopf stießen, oder in irgendeiner Form zu persönlich zu werden. "Jein... Die Punk-Szene war ein Teil der Gang, beziehungsweise die Gang ein Teil der Punk-Szene. In der Szene war ich immer noch zwei Jahre oder so, allerdings hatte ich so die Kontrolle über die Drogen verloren, dass mich niemand aus der Gang zurück gewünscht hatte, nachdem ich ein halbes Jahr von der Bildfläche verschwunden war, nach Janines Tod." "Und was hast du ... in dem halben Jahr so gemacht?", fragte Semir diesmal etwas vorsichtiger und erntete einen verlorenen Blick seines Freundes. "An das halbe Jahr kann ich mich gar nicht mehr richtig erinnern.", sagte er dann leise, und der erfahrene Polizist konnte sich denken, weshalb, denn Kevin flüchtete sich damals in Alkohol und Drogen. "Ich weiß nur, dass ich ausser Heroin so ziemlich jeden Stoff genommen habe, den ich bekommen konnte."


    Die Worte hingen Semir nach, als er bereits im Auto saß und nach Hause fuhr. Drogen in seiner Jugendzeit, während der Gang, nach der Gang nochmal exzessiv, dann wieder weniger als er bei der Polizei anfing. Eigentlich war es beinahe ein Wunder, dass Kevin diese Vergewaltigung, die er seinem Körper damit angetan hatte, so schadlos überstand, wobei man Spätfolgen niemals voraussehen konnte. Trotzdem schockte es den hartgesottenen Kommissaren immer wieder, schon damals in der Kneipe, als Kevin ihnen zum ersten Mal von den Drogen erzählte, und seine Jugendsünden dann Stück für Stück immer mehr ans Licht kamen. Es zerstörte nicht das Bild dieses Mannes in Semirs Augen, es fügte sich eher zu einem zusammenhängenden Puzzlebild. Jeder von ihnen hatte seine Lasten zu tragen, auch Semir. Er war aufgewachsen im Köln-Kalk, ein Arbeiterviertel. Da ging es nicht zimperlich zu, er musste sich durchbeißen, und auch er war knapp davor auf die schiefe Bahn zu rutschen. Bens Kindheit war zwar mit einem goldenen Löffel verbunden, dafür aber mit recht kühler und materieller Liebe seiner Eltern. Auch nichts, was man sich unbedingt unter einer "schönen Kindheit" vorstellte. Aber was Kevin bisher in seiner Kindheit erlebt hatte, stellte das doch ziemlich in den Schatten. Halbwaise und ein Vater, der sich "nie um ihn kümmerte.", wie er nur mal beiläufig erwähnte. Vielleicht würde er auch darüber mal mehr erzählen, da war Semir sicher. Er spürte, dass der Junge endgültig zu ihm Vertrauen fasste und sich immer mehr öffnete, dazu tat ihm die Nähe zu Jenny offenbar sehr gut. Ben hatte ihm vor kurzem erzählt, dass es ihn scheinbar sehr mitgenommen hatte, dass ein Kind in dem Haus, in dem auch Ayda gefangen war, gestorben ist, er es aber scheinbar ohne Drogen geschafft hat, damit fertig zu werden. Das machte Semir froh... auch, weil er und Ben die Wahrheit nicht kannten.

    Krankenhaus - 8:00 Uhr


    Der Geruch, der ein Krankenhaus verströmt, war immer wieder etwas Eigenes, wenn man es nicht gewohnt war. Sicher, Ärzte und Krankenschwestern, so wie Langzeitpatienten dürften davon nichts mehr spüren. Kevin aber merkte es immer wieder, wenn er die Eingangshalle eines Krankenhaus betrat. Ben hatte die Empfindung schon fast verloren, er war ja jetzt schon einige Zeit hier und wartete auf die Visite. Der Polizist hatte bereits gefrühstückt, und wollte bereits aus dem Bett steigen, als es an der Tür klopfte und diese sofort aufschwang. Doch statt dem weißen Anzug eines Arztes kam Semir in seiner dunklen Lederjacke, sowie Kevin in seinem Mantel herein und begrüßten ihren Kollegen. "Na ihr zwei? So früh schon auf?", grinste der Mann mit dem Wuschelkopf und erhielt sofort einen Konter seines besten Freundes: "Das sagt grad der Richtige." Normalerweise war Ben für seine Unpünktlichkeit, meistens weil er verschlafen hatte, bekannt und erschien regelmäßig zu spät im Büro.
    "Na, wie siehts aus mit deinem Gerüst?", fragte der kleine Kommissar, wollte seinem Freund am liebsten etwas gegen die Rippen tätscheln, unterließ es aber lieber. Die Rippen, die ihm durch den Schuss gebrochen wurde, hatte ganze Arbeit geleistet, und seine Organe vor dem Geschoss geschützt. Dummerweise bohrte sie sich selbst in einen Lungenflügel, was damals sofort eine OP nötig machte, und man vorschnell urteilte, dass Ben wenig Chancen habe. Doch er hatte Glück... der Stich war nicht tief und verheilte, die Rippe wurde gerichtet, und wuchs zusammen. "Ich spüre es noch ein bisschen, aber ich denke, ich darf heute raus. Ich muss nachher nochmal in die Röhre, und dann... schauen wir mal." Just in diesem Moment kam dieses Mal auch der Arzt herein, um Ben abzuholen. "Sehen wir uns nachher noch?", fragte er seine Kollegen, und beide nickten.


    Also zogen Kevin und Semir weiter auf die Kinderstation. Dort traten sie in das Zimmer von Semirs Tochter Ayda ein, die im Schneidersitz auf dem Bett saß und mit Andrea ein Brettspiel spielte. Es sollte Aydas Denk- und Merkfähigkeiten trainieren und gehörte zur Therapie. Das kleine Mädchen musste noch so lange im Krankenhaus bleiben, weil man kurzzeitige Rückfälle befürchtete, doch diese blieben bisher zum Glück aus. Auch von ihren Bewegungsabläufen her war sie wieder voll auf der Höhe, was sie auch sofort bewies. Semir war noch nicht richtig im Zimmer, da hüpfte das Mädchen schon vom Bett und kam, noch etwas wackelig, auf ihren Papa zugelaufen, der sie sofort an den Schultern in die Höhe hob und umarmte. Andrea beobachtete die Szene lächelnd.
    Was mussten die beiden ausstehen, was haben sie sich gegenseitig getröstet, zusammen geweint, zusammen gebangt und gebetet. Semir hatte schon vieles erlebt, viel Schlimmes erlebt, er hatte 2 Partner verloren und sterben sehen, seine Frau war mehrfach schon in Lebensgefahr gewesen... aber so eine Angst, eine lähmende Angst und Hilflosigkeit hatte er noch nie gespürt, wie das Gefühl, als er seine Tochter im Koma liegend in diesem Bett liegen sah. Diese Angst, das schwor er sich, wollte er nie nie wieder spüren. Ein wenig hatte der Polizist die Befürchtung, dass er Ayda und Lilly nun übervorsichtig behandelte in ihrer Freizeit, aber seine Frau war da realistischer. Sollte man die beiden Mädchen jetzt zu Hause einsperren, statt sie nach draussen zum Spielen zu schicken? Das war sicher nicht der richtige Weg. Aber ein mulmiges Gefühl wird in Zukunft immer bleiben bei den Eltern, wenn Ayda nicht zu Hause ist.


    "Na, mein Mäuschen? Was macht ihr Hübsches?", fragte Semir, als er Ayda wieder auf den Boden herabliess und seine Frau mit einem Kuss auf den Mund begrüßte. Auch Kevin begrüßte Andrea, er allerdings nur mit einem Kuss auf die Wange. Andrea war Kevin sehr dankbar, dass er, genauso wie Ben, seinen Job riskiert hatte, um Ayda zu retten. Bei Ben war das für sie keinerlei Überraschung, er gehörte zur Familie und hatte schon mehrfach alles riskiert, um Semirs Familie zu beschützen. Bei Kevin war die Mutter aber hin und wieder noch unsicher... doch mit der Aktion damals nahm sie ihn ebenfalls in diesen Kreis auf, auch wenn er auf sie ebenfalls sehr unnahbar und geheimnisvoll wirkte. "Mama und ich, wir spielen ... wir spielen...", sagte das Mädchen und musste nachdenken. Was spielten sie noch gleich? Diese Aussetzer in ihrem Gehirn waren noch typisch, und daran musste sie in der Therapie arbeiten. Andrea und Semir sagten nichts, drängten sie nicht zu einer Antwort, und Ayda lief durch das Zimmer zurück aufs Bett um einen Blick aufs Spielbrett zu werfen. "...Mensch-ärgere-dich-nicht.", vervollständigte sie den Satz dann und grinste.
    Beide mussten in Zukunft Geduld mit ihrer Tochter haben. Sie hatten den Arzt mehrfach gelöchert, ob dieses Verhalten vollständig wieder verschwinden würde. "Ja.", sagte dieser andauernd und setzte ein "wenn man die Therapie konsequent durchführt." hinten dran. Trotzdem hatte Semir ein wenig Angst, dass dieses Handycap Ayda später noch Probleme machen könnte, wenn sie erwachsen war. War ihr Hirn vielleicht doch ein wenig vorgeschädigt? Wäre sie anfälliger für Hirnschläge, für Alzheimer-Erkrankungen? All das verneinte der Arzt konsquent, doch eine echte Überzeugung konnte der Polizist nicht heraus hören. "Der Arzt hat gesagt, sie dürfe morgen nach Hause.", sagte Andrea dann lächelnd. Auch sie war darüber erleichtert, denn sie schlief nun schon Wochen im Krankenhaus, Lilly wurde hin und hergeschoben von Semir, wenn er zu Hause war, zu Andrea's Eltern... auch für die jüngste Tochter war das eine Belastung.


    Kevin entschuldigte sich kurz bei Semir und Andrea, und schenkte seinem Partner somit noch mehr Zeit mit seiner Tochter, während er das Zimmer verließ um die Befragung von Nguyen alleine durch zu führen. Er klopfte an dem betreffenden Zimmer kurz an, und trat dann ein. Das Bild, das sich im bot, machte ihn wieder wütend. Den Kopf hatte der Vietnamese verbunden, ein Auge war zugeschwollen und blau verfärbt, genauso wie mehrere Schwellungen im Gesicht. Eine etwa gleichaltrige Frau, ebenfalls asiatischer Herkunft saß bei ihm am Bett, und sie redeten asiatisch miteinander, wobei Nguyens Stimme eher nach einem leisen Wimmern klang. Die Schmerzmittel, die er sicherlich bekommen hatte, schienen nicht alles zu betäuben, was ihm zu schaffen machte.
    Die Frau drehte sich ruckartig zu dem Polizisten um. "Wer sind sie?", fragte sie im perfekten Deutsch. "Guten Morgen. Peters, Kriminalpolizei. Ich habe nur... nur ein paar Fragen an Herr Giang.", sagte er... unwissend, dass man im Asiatischen immer den Nachnamen vor dem Vornamen nannte. Die Frau sank wieder auf den Stuhl neben dem Bett zurück, scheinbar beruhigt. "Haben... haben sie ihn gefunden?", fragte sie zaghaft und strich mit der Hand über die verbundene Hand des Mannes. Kevin nickte: "Wir kamen zufällig vorbei. Wie gehts ihm?", fragte er in Richtung der Frau, weil er sich nicht sicher war, ob der Mann ihn verstehe. "Der Kiefer ist gebrochen... eine leichte Gehirnerschütterung, zwei gebrochene Rippen und unzählige Prellungen. Aber zum Glück keine inneren Verletzungen." Die Frau bot sich für die Fragen als Dolmetscherin an, denn für Nyguen war es unter Schmerzmitteln leichter, in seiner Landessprache zu antworten. "Wer sind sie?" "Ich bin seine Schwester... ich bin schon vor 30 Jahren nach Deutschland ausgewandert, und er wollte mich besuchen kommen."


    Mit leiser und wimmernder Stimme, in einer Sprache, die Kevin völlig fremd war, schilderte Nyguen, was an diesem Abend passiert war. Es deckte sich alles mit der Vermutung der beiden Polizisten, dass die beiden Neo-Nazis nur auf eine Gelegenheit gewartet haben, bis sie zuschlagen konnten. Keinerlei Provokation ging der Schlägerei seitens des Ausländers voraus, es gab eine Rempelei, aber nur weil einer der beiden Kerle den Durchgang blockiert hatte.
    "Was... was wird mit dem Kerl nun geschehen?", fragte die Schwester, die jedes einzelne Wort des Verletzten übersetzt hatte. "Er wird heute dem Haftrichter vorgeführt. Der wird dann entscheiden, ob er bis zu seiner Verhaftung in U-Haft bleibt... kommt auf seine Vorstrafen an." "Und der andere?" Kevin sah etwas betreten aus. "Der Andere ist uns leider entwischt."
    Die Frau blickte traurig zu Boden: "Wir haben hier immer mal mit Anfeindungen zu kämpfen. Wenn so etwas passiert, fühlen wir uns so unsicher." Der Polizist nickte nachdenklich, und erinnerte sich an seine Jugendzeit. "Ja... das kann ich verstehen..."

    Kneipe "Germania" - 7:45 Uhr


    Er musste sich erst mal ein Bier genehmigen... auch wenn die Uhrzeit ganz und gar nicht dafür geschaffen wurde. Doch Benno Kupik, der sich gerade die Haare aus dem Gesicht wischte und seine Bomberjacke auf einen der Barhocker warf, war zu verärgert, zu aufgebracht. Dieses verdammte Schlitzauge, dachte er für sich als er zum großen Glaskühlschrank ging und sich dort eine Flasche eiskalten Gerstensaft genehmigte. Er weiß gar nicht genau, wie lange er unterwegs war, von dem Wald neben der Autobahn, über einige Feldwege zurück in die Stadt. Und Ulrich, dieser Idiot, hatte sich scheinbar erwischen lassen, sonst wäre er schon längst hier.
    Eigentlich hatten die Zwei an diesem Abend nichts besonderes vor... ein bisschen rumhängen, zwei drei Bierchen an der Tankstelle zischen. Da kam irgendwann das Auto angerollt und der eindeutig fernöstlich anmutende Kerl betankte sein Vehikel. Sie hatten gelacht, und überlegt ob sie ihm am Eingang des Geschäftes den Hitlergruß zeigen sollten, oder ob sie ihm anders ein wenig Angst einjagen könnten. Sollten die verdammten Asiaten doch dort bleiben, wo es Hunde zum Mittagessen gab oder geröstete Vogelspinnen als Nachtisch. Doch die Sache lief irgendwie aus dem Ruder, auch wenn den beiden brutalen Schlägern das nicht unangenehm war. Am Ausgang berührte der Kerl Ulrich leicht, weil dieser sich mehr als eindeutig in den Weg stellte, und die Sache nahm seinen Lauf. Nach dem ersten Schlag mit dem Baseballschläger versuchte er noch abzuhauen, und war wesentlich flinker als die beiden Verfolger. Doch im Wald kam er dann zu Fall, und hatte keine Chance mehr sich gegen die beiden stärkeren Kerle zu wehren, die immer wieder auf ihn eindroschen.


    Benno erinnerte sich an das krachende Geräusch, als Ulrichs Schläger auf den wimmernden Asiaten fuhr und innerlich grinste er. Aber dann kamen diese beiden Helden in den Wald. Zum Henker, wer konnte denn damit rechnen? Er hatte die Entfernung zum Parkplatz überschätzt, ansonsten wären sie wohl ein wenig leiser gewesen. Dann hatten sie sich getrennt, er war in Richtung Wald, sein Freund wieder zurück Richtung Autobahn gelaufen. Sie haben sich getrennt, etwas dass sie eigentlich in solchen Situationen niemals tun sollten. Benno fluchte leise... mit Sicherheit hatten sie Ulrich erwischt. Was waren das für Typen? Polizisten? Waldläufer? Linke Zecken? Wohl eher ersteres, die zufällig auf dem Parkplatz waren, und den Lärm im Wald gehört haben, vielleicht sogar das Hilfe-Ächzen des feigen Schlitzauges.
    Nachdenklich saß er auf dem Barhocker, hatte den Kopf auf die groben Hände gestützt und dachte nach. Sie mussten überlegen, was sie jetzt tun, denn Rocky, der Anführer der Gruppe, wäre sicherlich nicht sehr glücklich darüber, wenn ihm nun einer seiner Leute fehlen würde. Er war der Älteste aller Mitglieder, sie waren eine Gemeinschaft die ihren Unterschlupf in Rockys Kneipe hatte, eine szenebekannte Neo-Nazi-Kneipe. Sie nannten sich Sturmfront und standen für vieles aus der Vergangenheit, was anderen Leuten das Blut in den Adern gefrieren ließ. Doch komischerweise fanden sie immer neue Anhänger, und viele Leute, die vor einigen Jahren politisch noch eher in der allgemeinen Mitte standen, wandten sich immer mehr zum rechten Spektrum. Die Flüchtlingspolitik, das Verhalten vieler Ausländer tat ihr Übriges dazu. Momentan konnten sie sich wirklich nicht beschweren, dachte Benno.


    Pünktlich um 8 Uhr ging die hintere Tür auf, die nach oben in die Wohnräume des Hauses führte, wo Rocky lebte. Er gähnte einmal und war sehr überrascht Benno mit einem Bier am Tresen da sitzen zu sehen, und fuhr sich überrascht über seinen Bürstenschnitt. "Benno? Was machst du um diese Zeit hier?", fragte er und kam hinter den Tresen, um sich einen Kaffee aufzubrühen. Fast alle Mitglieder hatten einen Schlüssel zur Kneipe und waren rund um die Uhr willkommen, insofern kam es schon mal vor, dass Leute hier waren, ohne dass Rocky hier war... aber um diese frühe Zeit, und dann mit einem Bier in der Hand, das war durchaus selten. "Rocky... wir haben ein Problem...", sagte Benno etwas kleinlaut an seiner Flasche vorbei und strich sich erneut eine der Haare, die von seinem locker gegelten Seitenscheitel immer wiederi ns Gesicht fielen, von der Stirn. "So? Was ist denn passiert?" Mit einem Zischen sprang die Kaffeemaschine an und der Anführer der Sturmfront füllte frische Kaffeebohnen in die Maschine. "Also... Ulrich und ich... wir... wir waren heute Nacht... wir waren unterwegs." Ganz sicher klang seine Stimme nicht, und Rocky war clever genug sofort zu merken, dass die beiden scheinbar Unsinn angestellt haben.
    "Und wo ist Ulrich jetzt?", kürzte er beinahe die Story ab und ließ Benno unsicher aufblicken. "Ich... ich weiß nicht. Wir sind da auf... einen Asiaten gestoßen." "Gestoßen...", wiederholte Rocky mit nickendem Kopf. "Ja... also... wir hatten ein bisschen Spaß mit ihm. Aber da kamen auf einmal zwei Typen im Wald angelaufen. Und wir... wir befürchteten dass das Bullen sind und sind getrennt..."


    Beim Wort "getrennt" wechselte Rockys Gesichtsausdruck vom Interessierten ins Wütende. Auch Benno merkte das, und unterbrach seinen Satz kurz, bevor das "abgehauen.", noch zaghaft hinterher geschoben wurde. "Ihr habt euch getrennt?", rief der Anführer erbost, und man musste Angst um die Theke haben, auf die er nun mit der geschlossenen Faust wütend draufschlug, dass die Gläser darauf klirrten. "Warum habt ihr euch getrennt? Glaubt ihr, unsere Großväter und Urgroßväter wären auch nur einmal auf dem Schlachtfeld in verschiedene Richtungen weggelaufen, weg von ihrem Kameraden? Überhaupt wären die nicht einmal weggelaufen!!" Benno sank auf seinem Stuhl ein wenig zusammen, er hatte gewusst, dass Rocky wütend sein würde.
    Der Ausbruch hielt aber nur kurz an. "Glaubst du, dass Ulrich verhaftet wurde?", fragte er mit knurrender Stimme. "Kann sein... ich weiß es nicht, aber sie sind auf jeden Fall nur hinter ihm her gelaufen. Mich haben sie gar nicht gesehen." "Das kann ja dann nur die Autobahnpolizei gewesen sein, in diesem Abschnitt. Das wird sich ja herausfinden lassen." "Was hätten wir denn tun sollen, ausser abhauen?", wollte der Nazi noch von seinem Anführer wissen und nahm einen weiteren Schluck Bier. "Ihr könnt euch doch wehren. Und wenn, dann wäret ihr halt gemeinsam wie Männer untergegangen, aber eben gemeinsam. Das ist es, um was es bei uns hier geht. Kameradschaft bis in den Tod.", sagte Rocky nun etwas lauter und lehnte sich gegen das Regel in seinem Rücken. "Wir kriegen schon raus, wer Ulrich verhaftet hat. Und dann sollen sie unseren deutschen Zorn zu spüren bekommen..."

    Dienststelle - 6:00 Uhr


    Nachdem unerfreulichen Zwischenfall in der Nacht hatten Kevin und Semir sich gegen 6 Uhr nach einer erneuten (ruhigen) Streifenfahrt an der Tankstelle ein viel zu überteuertes Frühstück gegönnt, und ahnten bereits, dass der Arbeitstag noch lange nicht zu Ende war. "Riecht nach Doppelschicht.", mutmaßte Semir und raschelte in seinem Büro mit der Tüte, als er die letzten Krümel seines Frühstücksbrötchen versuchte, heraus zu kratzen. "Mit der Aussage des Opfers können wir den Kerl sofort heute noch vor den Haftrichter bringen." Kevin nickte zustimmend, ausserdem konnten sie dann in einem Aufwasch gerade Ben mitnehmen, der, wenn die Visite positiv verlief, heute entlassen wurde.
    "Sag mal, aber ganz helle war der Typ doch wirklich nicht, oder?", sagte Semir nach einer kurzen Zeit des Schweigens und beugte sich auf seinem Schreibtisch ein wenig nach vorne. "Die Dümmsten aus diesen Reihen sind nicht unbedingt die ungefährlichsten.", gab Kevin zur Antwort, und bedachte seinen Partner mit einem besonderen Blick. Kevins Tonlage hörte sich so an, als hätte er nicht zum ersten Mal mit diesem Typus Mensch zu tun. Semir wusste, dass der junge Polizist früher in einer Jugendgang war, dass er einige kriminelle Dinger gedreht hatte... aber nicht, auf welcher politischen Seite die Gang damals stand... und mit ihr natürlich auch Kevin. "Ich interessiere mich ja nicht wirklich viel für Politik.", meinte der erfahrene Polizist, wobei er sich ein wenig in seinem Bürostuhl zurücklehnte. "... aber ich dachte, die große Welle der Nazis sei vorbei? Von der NPD hört man doch nichts mehr, und jede radikalere Partei ist doch längst verboten." Sein Partner, der ihm gegenüber saß und kurz am heißen Kaffee nippte, lachte kurz auf. "Die NPD ist solchen Typen wie Richter schon lange nicht mehr radikal genug... und im Grunde auch nicht besonders gefährlich. Die haben zwar ziemlich krude Ansichten vom zukünftigen Deutschland, aber die haben nichts mehr mit prügelnden Glatzköpfen zu tun. Gefährlich sind da eher diese Undergrund-Banden."


    Semir hörte interessiert zu, und mehr und mehr hatte er den Eindruck, dass Kevin davon mehr wusste, und sich entweder mit diesem Thema mehr beschäftigt hatte, oder selbst Erfahrung hatte. Wundern würde ihn das bei dem jungen Polizisten wirklich nicht. "Was haben die da eigentlich gerufen, als sie den armen Kerl verprügelt haben?" "Fidschi, Fidschi, gute Reise.", gab Kevin ihm zur Antwort, denn er hatte es ganz deutlich gehört... und er kannte die Parole. "Und was bedeutet das? Soll der Tod die gute Reise sein, oder?", wollte der Polizist wissen und schüttelte ein wenig verständnislos den Kopf. Kevin tat es ihm gleich, nur dass der den Kopf nicht verständnislos, sondern verneinend schüttelte. "Die Parole ist ein Liedtext einer rechtsradikalen Band. Gute Reise heißt in dem Fall wirklich "Gute Reise"... also verschwindet in euer eigenes Land zurück."
    Semir sah klar... ein weiterer Beweis dafür, dass die Tat aus reinem Ausländerhass passiert war, und nicht weil sich irgendjemand von dem Opfer provoziert gefühlt hatte. "Du weißt ziemlich viel über das Thema.", meinte er vielsagend in Kevins Richtung. Es tat beiden gut, sich mal ungezwungen zu unterhalten, nach dem ganzen Streß, den sie vor einigen Wochen noch durchgemacht hatten. Kevin mit seinem erneuten Drogenrückfall, und Semir mit dem Koma seiner Tochter. Beide versuchten, so gut es ging, wieder in den Alltag zu finden. "Damals in der Jugendgang standen große Teile unserer Gruppe quasi genau auf der anderen Seite.", gab Kevin zur Antwort und zwinkerte Semir zu. "Andere Seite? Also linksradikal?" Kevin mochte das Wort "Radikal" nicht unbedingt... aber es war nicht unbedingt falsch. Damals gehörte alles dazu... Aufmärsche von rechten Gruppen stören, auch mal eine Straßenschlacht mit der Polizei, besetzte Häuser. Für Kevin war es eine wilde Zeit, aber auch eine Zeit, die er nicht missen wollte. Jerry holte ihn damals aus seinem Elternhaus, und in der Gruppe verstand Kevin zum ersten Mal, was es hieß ein gewisses Vertrauen und Freundschaft zu spüren.


    "Wenn man es so nennen will.", antwortete er lapidar auf Semirs Frage, der sich ein wenig wunderte, dass Kevin sich auf seine Vergangenheit angesprochen viel offener verhielt als sonst. Aber sie wussten jetzt schon so viel über sein früheres Leben... da war der Teil dann wohl auch nicht mehr so wichtig. "Ich meine, ich hatte in meiner Zeit in der Bereitschaftspolizei ja auch häufiger mit beiden Gruppen zu tun.", erzählte nun der erfahrene Polizist seinerseits. "Natürlich kann man sagen, dass der linke Teil sich für eine bessere Sache einsetzt, wenn er gegen Fremdenfeindlichkeit ist. Aber ein Pflasterstein am Kopf hat uns damals immer gleich weh getan, egal ob von einem Fascho geworfen, oder von einem Punk." Semir wollte diplomatisch ausdrücken, dass er beide extremen Seiten nicht unbedingt wertschätzte... und fürchtete sich ein wenig, Kevin damit auf den Schlips zu treten. Doch der war keine 14 mehr, er war Ende 20, und er konnte gut einschätzen, dass er damals viele Dummheiten gemacht hatte. "Ich weiß. Und glaub mir, ich teile viele Ansichten von damals heute nicht mehr.", sagte er mit verschmitzter Miene, während er mit dem Stuhl immer ein wenig nach links und rechts schwang. "Das ist gut.", stimmte Semir ihm zu, und konnte sich den jungen Mann gut in der Szene vorstellen. Mit seinem wilden Aussehen, der Frisur und manchen Klamotten, die er heute noch anzog, würde er bei einer Demonstration bei den Autonomen wohl eher weniger auffallen.
    Beide Männer empfanden es als sehr angenehm, sich miteinander zu unterhalten. Sie hatten nun schon viel miteinander durchgemacht, Semir hatte öfters mit seiner Weisheit und seiner Ausgeglichenheit auf den jungen Mann eingewirkt und ihm so geholfen. Kevin hatte ihn vor jemand anderem mal als "großen Bruder" bezeichnet, was Semir sehr ehrte. Ausserdem hatte Kevin dem Familienvater schon einmal das Leben gerettet. Beide hofften, dass sie, zusammen mit Ben, endlich mal einen Fall normal bearbeiten würden, und Kevin Semir auch von seinem Fähigkeiten als Polizist überzeugen konnte. Der wiederrum sah jetzt auf die Uhr... es war beinahe 7. "Lass uns fahren... bis wir im Marien-Krankenhaus sind, sind unsere Patienten sicher wach."


    Krankenhaus - 7:30 Uhr


    Ben hätte sich am liebsten mit dem Kopf unter dem Kissen vergraben. Wenn es etwas gab was er hasste, dann war es frühes Aufstehen... und wenn er etwas noch mehr hasste, dann war es, wenn man einfach eine grelle Neonbeleuchtung anschaltete, während er noch im Halbschlaf war. Wenn er schon mal krank war, dann wollte er wenigstens ausschlafen, aber das konnte er im Krankenhaus vergessen. Die, recht korpulente, Schwester brachte das Frühstück und das alltägliche Fieberthermometer, was heutzutage Gott sei Dank, man nur noch an die Stirn halten musste und innerhalb von Sekunden die Temperatur ausspuckte. Vor einigen Jahren lief diese allmorgendliche Prozedur noch anders ab. "So, Herr Jäger... sie werden also heute hoffentlich entlassen.", quäkte sie mit einer unangenehm neugierigen Stimme und während sie das Bett aufschüttelte, und Ben in Shorts und T-Shirt an dem kleinen Tischchen sein Frühstück verspeiste. "Das hoffe ich nicht... ich will eigentlich nur hier raus.", meinte er, doch die Schwester schien seinen kleinen Spaß nicht verstanden zu haben.
    Herr im Himmel, wie sollte er zwei weitere Tage hier drin überstehen, wenn der Arzt sagte, dass die Perforation noch nicht genügend geheilt ist, der Knochen noch schief und die Schusswunde entzündet? Er würde vor Langeweile eingehen. Klar war er oft bei Ayda, eine Station tiefer auf der Kinderstation, und spielte mit Semirs Tochter, damit auch sie eine Beschäftigung hatte. Aber Ayda brauchte immer wieder Pausen, sie schlief noch sehr viel und in dieser Zeit tigerte Ben durch die Flure, den Garten, wenn das Wetter es zuließ, oder las Zeitschriften. Semir hatte ihm den ein oder anderen Krimiroman von zu Hause mitgebracht, aber dafür hatte Ben keinerlei Geduld.


    Ihm wurde vor einigen Tagen erst bewusst, wieviel Glück er gehabt hat. Dieses Mal war es wirklich verdammt knapp, sagte auch der Arzt. Einen Centimeter weiter rechts, links, oben oder unten... und Ben hätte für Ayda sein Leben gelassen. Es war seine Idee, sich aus der Deckung zu bewegen und zu versuchen, das letzte Fläschchen zu fangen. Die Theorie war gut, doch in der Praxis zeigten sich erst die wahren Mängel eines guten Plans. Er konnte sich noch an die Fahrt erinnern, wie das Auto links und rechts schaukelte und rutschte, Kevin bei ihm saß, ihn mit auf die Bahre hob und bis zum OP dicht war. Ja, er hatte Kevin einiges zu verdanken. Obwohl er fand, dass der junge Polizist zu Ben etwas distanziert war, seitdem Ben gestanden hatte, mit Jenny geschlafen zu haben, empfand er dessen Rückhalt und dessen Fürsorge doch für sehr wichtig und sehr schön. Aber er wollte auch, dass das Verhältnis zwischen den beiden Polizisten wieder etwas enger wird, vertrauter... so wie es war, bevor Ben die unbedachte Dummheit auf dem Flur dieses Krankenhauses getan hatte, und damit Kevins Berufsleben beinahe zerstört hatte...