Ohja, natürlich. Wird sofort verbessert...
Selbst ausgespielte Version?
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Feldweg - 17:30 Uhr
Der Griff der Waffe in Kevins Händen schien zu glühen, doch er wirkte ruhig, eiskalt, beinahe völlig emotionslos. Kein Zittern, kein Zucken ging von seiner Hand aus, als Juan aus dem Auto stieg und die Hände ein wenig in die Luft hielt. Nicht mal dass penetrante Vibrieren seines Handys in seiner Hosentasche konnte ihn scheinbar aus seiner Ruhe bringen. Nur Juans Gesichtsausdruck verwirrte ihn, denn der Kolumbianer sah ihn weder verärgert noch besonders ängstlich an. Sein Gesicht war von einer verdammten Selbstsicherheit erfüllt, die sogar beinahe in ein leicht schelmisches Grinsen überging, als er den Kopf ein wenig schief legte und erst wenige Meter von Kevin entfernt stehen bleiben ließ.
"Ganz ehrlich... ich hätte dich nicht für so dumm gehalten, Kevin.", sagte er mit ruhiger Stimme in Richtung der offenen Waffenmündung, die auf ihn gerichtet war. Seine Stimme war sicher und überlegen, kein Zittern, keine Unsicherheit. Verdammt, hier stimmte etwas nicht, dachte Kevin. "Dass du dich so einfach vor Santos' Karren spannen lässt, damit er mich aus dem Weg räumt." Nun lachte Juan sogar auf, und es war, als hätte er die ganze Zeit in Kevins Hemdtasche gesteckt und wusste alles, was am Nachmittag vorgefallen war... zumindest schien er sich alles zusammenreimen zu können. "Was hat er dir versprochen, wenn du mich tötest? Dass du mit seiner Freundin seelenruhig davon spazieren kannst?", fragte er verachtend.
Kevin blieb, trotz seiner Verwunderung über Juans Reaktion, völlig emotionslos und sagte monoton: "Ich sehe nicht viele Alternativen." "Oh doch, ich sehe da eine... weißt du welche?", fragte der Kolumbianer beinahe verheißungsvoll und lächelte wieder. Der Polizist zuckte kurz mit dem Kopf nach oben, eine erwartende Geste, was Juan denn nun zu sagen hatte. "Die Alternative ist, dass du ins Gras beißt, wenn du nicht in 2 Minuten deine Knarre runternimmst." Trotz der Drohung änderte sich seine Stimmlage nicht, und scheinbar schien er sich dessen verdammt sicher. "Ich brauche nur zwei Finger in die Luft zu strecken, und du bist Wurmfutter. Und ich kann Sekunden sehr gut einschätzen, Amigo." Ein kurzes Zucken ging durch Kevins Nasenflügel, seine Finger bewegten sich kurz am Waffengriff, doch sein Arm wankte keinen Millimeter.
"Dein Leben gegen Annies Freiheit. Das ist der Deal?", erklärte er dem Mann, auf den er gerade den Revolver richtete. "Der Deal?", wiederholte Juan und lachte, wobei er die Hand noch ausgestreckt hielt. "Hör auf zu träumen. Du bist hier nicht in Köln. Santos scheißt dir einen Deal. Der weiß selbst, dass ein dahergelaufender Grünschnabel wie du es bist es nicht schaffen wird, wieder lebend in das Viertel zurück zu kehren, selbst wenn es dir gelingen sollte, mich ab zu knallen.", rief er Kevin zu, und der musste sich eingestehen, dass er tatsächlich gerade ein bisschen naiv auf Juan wirken musste... die Betonung lag auf "wirken"...
Ein Rascheln ging von den Büschen rechts von den beiden Männern aus, was durchaus auch der Wind sein konnte. Hinter Juan konnte Kevin kein Auto oder irgendwelche Männer erkennen, und die Blöße, sich umzudrehen, wollte er sich auch nicht geben. "Und selbst wenn du es zurück schaffen solltest, dann wirst du der Nächste sein. Ein Drogendealer aus Deutschland wird hier keiner vermissen, mein Freund. Und was Santos einmal besitzt, das gibt er nie wieder her." Von der rechten Hand, an der er noch alle Finger von der Handfläche gestreckt hielt, nahm er den Daumen zur Handfläche und hielt nur noch vier Finger nach oben, um Kevin unter Druck zu setzen. Der senkte die Waffe nicht. "Also, was soll die Show? Nimm die Waffe runter, ich fahre dich morgen zum Flughafen, und du vergisst dieses kleine Abenteuer am besten ganz schnell.", riet der kolumbianische Kartellchef dem jungen Mann.
Doch der schüttelte den Kopf. "Du wirst mir helfen.", sagte er seelenruhig und schaffte es zumindest für einen kurzem Moment, Verwirrung in Juans geordnete Gesten zu bringen. "Helfen?", wiederholte er, zog den kleinen Finger zur Handfläche und Kevin nickte, ohne die Waffe zu senken. "Du hilfst mir, Annie aus diesem verdammten Loch zu holen, und bringst uns beide zum Flughafen, bis wir nach Deutschland abgehoben sind.", forderte die Stimme des Polizisten und Juan musste wieder lachen. "Ansonsten...", sagte Kevin und spannte den Hahn des Revolvers... "...ansonsten bin ich bereit, das Risiko um Santos Deal einzugehen. Und ich werde eher schiessen, bevor du deinen letzten Finger eingezogen hast, denn ohne Annie werde ich dieses Land nicht verlassen, verlass dich drauf." Die Hand wanderte nun provokativ sogar noch ein Stück höher, zielte nicht mehr auf Juans Brust sondern in dessen Gesicht.
Nun war Juan es, der innerlich mehr überrascht war, als sein Gesichtsausdruck zugeben wollte. Es wäre ein Leichtes gewesen, ihn nun auszuschalten, seine Männer hatten sie verfolgt und beschattet, sie hatten aus ihrem Versteck Kevin genau im Visier. Zog er den Finger ein, würden den jungen Mann soviele Kugeln treffen, dass dieser nicht mehr im Stande war, auch nur einmal seinen Revolver abzudrücken. Und doch hielt ihn etwas zurück... es war die Hartnäckigkeit, diese unbändige Sturheit und vor allem auch der Mut... nein, es war die leichtsinnige Tollkühnheit des jungen Mannes, die Juan bemerkenswert fand, ihn beinahe faszinierte. Dieser junge Kerl war gerade dabei sein Leben für die Freiheit und die Gesundheit einer Frau zu opfern, die er lapidar "eine Freundin" nannte. Selbst wenn dies nicht stimmen sollte, und es doch eine Liebesbeziehung zwischen Kevin und Annie gab, so fand er das Verhalten des Mannes bewundernswert. Juan verstand sich als eine Art Ehrenmann, der es vorzog, Feinde selbst auszuschalten als feige durch einen Hinterhalt. Seine Männer waren allerdings seine Absicherung, seine Lebensversicherung. Und er fand, dass es unrecht wäre, einen Mann, der das für einen Menschen aufs Spiel setzte, einfach hinterrücks abzuknallen, auch wenn er sich natürlich seiner eigenen Gefahr bewusst war. Andererseits verließ er sich auf seinen Instinkt, und es passte irgendwie nicht zu diesem Typ, den er kennengelernt hatte, wenn er Juan jetzt kaltblütig erschiessen würde... Nein, das passte einfach nicht.
"Wie stellst du dir das vor, Kevin? Hmm? Soll ich einen verdammten Drogenkrieg gegen das größte Kartell Kolumbiens beginnen, nur wegen der Freiheit einer Frau?", fragte er und beließ die drei Finger in der Höhe. Kevin schüttelte den Kopf: "Du sollst mir mit deinem Wissen helfen. Dein Wissen über Santos, dein Wissen über die Mädchen im Haus. Mit irgendwas, verdammt nochmal! Ich weiß jetzt wo sie ist, und ich muss sie nur noch herausbekommen." Da war sie wieder, die Schwelle zwischen Tollkühnheit und Naivität. Juan wusste nicht, was Kevin in Deutschland trieb, aber er schätzte ihn nicht als Typ ein, der ein Haus stürmte und gerade mal ein Dutzend Männer erschiessen musste, um eine Frau daraus zu befreien. Dass Kevin bei der Polizei war, wusste er nicht. Aber er war bereit, mit ihm zu reden. Aber der Kartellchef wusste, dass er seine Grenzen hatte.
"Na schön. Lass uns darüber reden, aber erst wenn du die Waffe weg gelegt hast. Ich habe dir jetzt vertraut, dass du nicht abdrückst." Wieder nickte sein Gegenüber, ohne die Waffe zu bewegen. "Dann vertraue ich dir, dass du erst deine Heckenschützen, oder wenn auch immer du auf mich angesetzt hast, zurückpfeifst." Es passte gar nicht, dass Juan seine Lebensversicherung aufgab, aber etwas in ihm, sein Instinkt sagte ihm, dass er Kevin vertrauen könnte... Der Himmel weiß, was ihn gerade ritt, als er die Finger zu einem Kreis formte, Kevin in der Nähe zwei Autotüren hörte und das Geräusch, wie sich ein Geländewagen durch offenes Feld arbeitete. Eben war er so abgelenkt, dass er dieses Geräusch überhaupt nicht gehört hatte.
"Jetzt du." Endlich, jetzt endlich senkte sich die Waffe in Kevins Händen, der Hahn glitt zurück in Ausgangsstellung, und beide Männer trauten sich wieder, normal zu atmen. Juan senkte seine Arme ebenfalls und kam ein Stück näher an Kevin heran. "Was sollte die Show?" "Würdest du mir helfen, wenn ich dich einfach im Wagen gefragt hätte? Ausserdem dachte ich, der Wagen hinter uns wären Santos Männer, und sie würden die Story abkaufen, dass ich dich hier in eine Falle locken.", antwortete der Polizist auf Juans Frage. "Du bist völlig wahnsinnig. Hast du wirklich geglaubt, meine Männer hätten mir nicht sofort gesagt, dass du mit Santos gesprochen hast? Dass du mit ihm in das Haus gegangen bist? Und dass du verdammtes Glück hattest, nicht schon dort abgeknallt zu werden..." Mit einem fragenden Ausdruck in den Augen sah Kevin seinen Reiseführer an. "Auf dem Dach, schräg gegenüber des Hauses, war ein Scharfschütze postiert, du Experte. Hättest du Santos angegriffen, oder hätte der, als du alleine rausgekommen bist, über Funk das Signal zum Abschuss gegeben..." Er beendete den Satz mit einer Schnittgeste an der Kehle vorbei und jetzt wurde Kevin endgültig klar, dass er Santos wohl weit... sehr weit unterschätzt hatte. "Klingelt es langsam? Ich hab dir nicht umsonst gesagt, dass du dich von ihm fernhalten sollst. Dann hättest du morgen die Suche aufgegeben und wärst in einem Stück nach Deutschland zurück geflogen." Hinter ihnen begann langsam, die Sonne zu sinken und die Flure und Plantagen in blutrotes Licht zu tauchen. "Los komm... wir fahren zu deinem Appartement und dort reden wir.", meinte Juan und spürte ein seltsames Vertrauen zwischen ihm und Kevin, was er sich selbst nicht erklären konnte... und es erschien ihm unheimlich. Es wurde sogar verstärkt als er, kurz vor dem Auto, Kevin fragte: "Sag ehrlich: Wenn ich nicht zugestimmt hätte... hättest du dann geschossen?" Der Polizist blieb für einen Moment stehen und drehte sich zu Juan. Dann zog er die Waffe wieder hervor, öffnete mit geübten Griff die Trommel, hielt sie Juan vor die Nase und drehte sie. In keiner einzigen Kammer steckte eine Patrone, die Juan hätte verletzen oder töten können. Er hatte sie herausgenommen, als er auf dem Platz auf Juan gewartet hatte, und er hatte niemals vor den Kolumbianer zu töten. "Ich erschiesse keine Leute, die ihr Wort halten.", sagte er mit monotoner Stimme und ließ den Revolver wieder zuschnappen. Juan war aufgrund soviel Leichtsinn diesmal sprachlos... und das kam nicht oft vor.
Verdammt, jetzt hab ich die Spannung verdorben
Hmm... Juan kommt Kevin um 17:00 abholen... Er sucht in noch 10 Minuten, sie gehen zum Auto, fahren, halten an... Dann wacht Jenny mit 6 Stunden Zeitverschiebung um 23:30 (17:30Uhr in Kolumbien) auf ... Passt doch soweit im nächsten Kapitel wird Kevins Handy brummen.
Ich hab den Link wieder rausgenommen, weil das Video keine Altersbeschränkung hat und hier auch jüngere unterwegs sind. Wer interessiert ist, kann sich per PN melden.
23:30 Uhr
Das helle Licht blendete Jenny... sie wusste nicht, wo sie sich gerade befand. Alles um sie herum war dunkel, ihr Herz pochte so laut, dass sie es selbst hören und fühlen konnte, ohne die Hand auf die Brust zu legen. Die Dunkelheit um sie herum wurde nur von dem grellen, beißenden Lichterschein durchschnitten, der so unangenehm war, dass sie die Augen mit der Hand schützen musste. Es war kein natürliches Sonnenlicht, eher eine wahnsinnig helle Lampe oder ein Scheinwerfer, der jedoch nicht greifbar war und unbewegt blieb. Der Gang fiel ihr schwer, als sie versuchte zu ergründen, wo sie sich befand und es fühlte sich an, als wären zentnerschwere Betonsäcke an ihre Oberschenkel gebunden. Ausserdem dachte sie, sie trüge etwas vor sich, sie umfasste ihren Bauch, doch es fühlte sich normal an.
Der Polizistin wurde schwindelig, sie ballte die Hände zusammen als sie mit der Außenfläche der Hände an die metalähnliche, glatte Wand stieß, und sich daran abstützte. Es wirkte wie ein großer metallischer Raum, in dem sie war, der sich in sich selbst bewegte und zu drehen begann, so dass sie wieder langsam von der Wand wegtaumelte, um im nächsten Moment wieder dagegen zu fallen. Dieser Vorgang schien immer schneller zu passieren, bis ihre schweren Beine schließlich kapitulierten, und sie auf die Knie fiel.
Sie spürte, dass sie etwas in der Hand hielt und sah, als sie die Hand öffnete, das Pillendöschen. Ihr Atem beschleunigte... hatte sie die etwa genommen? War deshalb alles um sie herum so surreal und komisch? Oh Gott... sie konnte doch keine Drogen nehmen... sie war doch schwanger! Stöhnend drückte sie sich von der Wand weg und krabbelte ein Stück auf allen vieren, bis sie eine brennende Hitze in sich vernahm. Wie ein Blitz fuhr ihr diese Hitze vom Bauch in den Unterleib, und im Reflex fasste sich Jenny mit der Hand zwischen die Beine, als sie dort ein Feuchtigkeitsgefühl vernahm. In ihrem Bauch breitete sich dazu ein untrügerliches, in den letzten Tagen so oft bekanntes Übelkeitsgefühl aus, das von ihr Besitz ergriff, und sich steigerte, als sie auf ihre zitternde Hand blickte, die sie von ihrem Schritt wieder wegnahm... sie war blutdurchtränkt.
Jenny konnte nicht glauben was sie sah und bekam Panik. Ihr Magen krampfte sich zusammen, sie fiel wieder auf alle viere und kroch ein paar Schritte über den metallenen Boden, das Pillendöschen fest umklammert. Um sich herum nahm sie Schritte wahr, aber keine Stimme, kein Atmen, keinerlei Anzeichen menschlichen Lebens, dass sich eine andere Person bei ihr befand. Nur Schritte, die um sie herum zu gehen schienen, solange sie wie in Zeitlupe zitternd vorwärts kroch und sich dabei der Raum immer wieder drehte und der Boden schwankte. Das helle Licht war immer noch stechend scharf und trieb ihr die Tränen in die Augen. Sie wusste sich nicht aus dieser Welt zu befreien.
Plötzlich zog sich Jennys Magen zusammen, und sie begann zu erbrechen. Sie spuckte und würgte weißen Schaum aus, nichts was in irgendeiner Weise mit ihrem Abendessen zu tun hatte. Auch konnte die junge Polizistin das Erbrochene nicht riechen oder schmecken, lediglich spüren, als es auf ihre Hand tropfte, und sie letztlich völlig kollabierte und dabei in ihrem Erbrochenen zu liegen kam, sich dabei auf der linken Körperseite windete und krümmte, als hätte sie Schmerzen. In ihrem Kopf dröhnte es, die Schritte waren immer noch klar zu vernehmen und irgendwo konnte sie die Schreie eines Babys hören. Es schien, als sei jedes der Geräusch direkt in ihrem Kopf präsent, und wurde mit jedem Moment eindrücklicher und stärker.
Jenny spürte, dass sie das Pillendöschen immer noch in der Hand hielt, und jetzt endlich konnte sie erkennen, dass sich eine Person bei ihr befand. Sie blickte nach oben und konnte die Schemen sehen, die sich im gleißenden Licht abbildeten. Lange konnte sie jedoch nicht nach oben sehen, da das Licht, das sich links und rechts von der Person brach, in ihren Augen brannte. Sie erkannte die schwarzen Schuhe, die abgewetzte Jeans und konnte gerade noch die klimpernden Schnallen einer Lederjacke sehen. Obwohl sie das Gesicht nicht sah, nur die Schemen der abstehenden Haare im gleißenden Licht, als käme gerade ein Zug durch einen Tunnel gerast, ließ sie erkennen, wer neben ihr stand, und eine Mischung aus Hoffnung und Angst stieg in ihr auf.
"Kevin..." Jenny wollte schreien, sie wollte ihn anflehen, doch es kam kein Ton aus ihrem Mund. Sie hörte sich nicht selbst, und doch schien ihr Freund, der Vater ihres Kindes, ihr Flehen zu erhören. Er ergriff die Hand, die auf dem Boden lag, mitten in Jennys Erbrochenen, das Pillendöschen festumklammernd und für einen Moment dachte sie, er würde ihre Hand nehmen, um sie herauf zu ziehen, sie in die Arme zu nehmen und von diesem furchtbaren Ort wegtragen... sagen, dass alles gut wird und er wieder bei ihr war. Doch grausam fühlte sich die Enttäuschung an, als Kevin zwar für eine Sekunde ihre Hand fest umklammerte, um dann das Pillendöschen zu nehmen und ihre Hand zurück zu Boden fallen zu lassen. Die junge Frau konnte es nicht fassen, als die vorher noch gebeugten Beine sich wieder erhoben und fortgingen... Kraft, nochmal nach oben zu schauen, hatte sie nicht. Das Gesicht blieb sowieso im Dunkeln.
Jenny dachte, sie müsse sterben. Das Blut in ihrem Schritt konnte sie immer noch spüren, und plötzlich war ihr Bauch, in dem ihr Baby wuchs, auf eine beachtliche Größe gewachsen, so dass sie Panik bekam. Bittere Tränen drückten sich durch ihre Augen aus ihrem zitternden Körper heraus, als sie wieder die vertrauten Beine vor ihr sah. Kevin war zurück... er würde ihr doch helfen. Er beugte sich nach unten zu seiner Freundin, nahm ihre Hände zusammen und Jenny spürte auf einmal etwas hartes, metallähnliches... vertrautes. Das geriffelte Metall an der Handinnenfläche, ein Stück abgerundetes Metall am Zeigefinger. Angestrengt schaute sie durch die Dunkelheit und sah, wie Kevin ihr eine Waffe, die etwas länger schien als gewöhnlich, in die Hände legte, selbst seine Hände um Jennys Hände fasste und die Waffe auf ihren Bauch richtete. Sie merkte sofort, dass der Polizist die Mündung nicht zufällig auf ihren Bauch richtete, er schien sie zielgerichtet auf ihr Baby zu richten. Dann öffnete er seinen Griff wieder und streichelte mit einer Hand, während er aufstand, über ihre Körperseite nach oben, bis er Jennys Haare nochmal berührte, um dann wieder weg zu gehen. Ohne noch einen klaren Gedanken zu fassen, ohne überhaupt den eigenen Willen aufzubringen und eine Entscheidung selbst zu treffen, konnte Jenny nur noch fühlen, wie ihr Zeigefinger gegen den Abzughebel drückte, bis er mit einem Ruck nachgab.
Mit diesem Ruck fuhr Jenny aus ihrem Kissen. Ihr Atem rasselte, ihr Herz pumpte genauso laut gegen ihre Brust, wie eben im Traum. Sie sah in die Dunkelheit in ihrem Schlafzimmer, tastete irritiert nach dem Lichtschalter, fand ihn und war beruhigt, dass das Licht anging. Schon als Kind wusste sie, dass sie immer noch träumte, wenn in ihrem Zimmer das Licht nicht funktionierte. Doch die Lampe an der Decke wurde vom Strom durchflutet und verscheuchte Jennys schreckliche Traumwelt. Sofort sah sie neben sich, doch wo gewöhnlich Kevin lag und schlief war nur ein leeres, aufgewühltes Bett zu sehen. Er selbst war Tausende Kilometer von Jenny entfernt, die sich jetzt langsam beruhigte und mit der Hand durch die schweißdurchnässten Haare fuhr. Sie musste aufstehen, so wie Kevin es immer tat, wenn er Alpträume hatte... ins Bad, Wasser ins Gesicht, Klamotten wechseln.
Die Gedanken an ihren Freund hatten sie den ganzen Tag begleitet. Obwohl sie wusste, dass es ihm gut ging, machte es sie fertig, dass er sich nicht bei ihr gemeldet hatte. Sie konnte sich vorstellen, dass er ihre Androhung ernst gemeint hatte, sie wollte ihn anrufen und hatte sich doch nicht dazu durchgerungen. Doch der schreckliche Alptraum zeigte ihr, dass es so nicht weiterging. Er musste einfach Bescheid wissen, er musste einfach wissen, dass er zurück kommen musste. Jenny nahm das Handy vom Nachtisch und wählte Kevins Nummer. Es klingelte... einmal, zweimal, dreimal... sonst ging er doch direkt an sein Handy. Erst als die Mailbox ranging, legte sie auf und probierte es nochmal. Kein Erfolg.
Jenny blickte auf die Uhr. Sie würde nicht mehr einschlafen können, wenn sie jetzt nichts tat. Ein Seufzen durchdrang die Stille im Zimmer, und sie stand mit dem Handy in der Hand aus dem Bett auf und tapste mit nackten Füßen durch die Wohnung und zum Küchentisch, wo ihr Geldbeutel lag. In diesem Geldbeutel befand sich das Ultraschallbild, das sie von ihrer Frauenärztin bekommen hatte. Sie legte es ins gedämmte Licht, machte ein Foto davon und wollte es Kevin schicken. Er musste es einfach erfahren... jetzt und gleich. Jenny konnte der Botschaft des Traumes einfach nicht glauben, dass Kevin im übertragenen Sinne gegen das gemeinsame Kind war. Sie musste es jetzt wissen. Und wenn er nicht an sein Handy ging, dann müsste es halt so gehen...
Als Jenny die Nachricht abgeschickt hatte, wartete sie bestimmt eine dreiviertel Stunde darauf, dass in dem Chatprogramm die Nachricht kam, dass Kevin ihre Nachricht gelesen hatte. Doch nichts geschah bis die junge Frau langsam wieder dem Schlaf verfiel...
Was mir an den Bildern gefällt ist, dass vor allem das Team wieder einbezogen wird und der "Familiengedanke", der irgendwann in den Ben-Staffeln total abhanden gekommen war, wieder stärker miteinbezogen wird. Scheinbar haben vor allem Hartmut und Susanne größere Rollen.
Anna Engelhardt ist kein Flashback... scheinbar wechselt Paul von ihrer Abteilung zur Cobra 11.
Zeitverschiebung die schlafen den Schlaf der Gerechten
Bogota - 17:00 Uhr
Juan war verdammt pünktlich, und Kevin war froh drum, denn so langsam begann ihm langweilig zu werden. Er hatte sich, nachdem er das ominöse Haus verlassen hatte, zu einem Gemüsestand zurück an den Marktplatz begeben, den Carlos ihm beschrieben hatte. Auf Spanisch sagte er den einstudierten Satz, dass Carlos ihn schicke etwas abzuholen, und legte dem Verkäufer zwei Silbermünzen in die Hand. Offenbar wusste der Verkäufer, dass nur der Kartellführer diese Art von Münzen besaß, und nickte. In einer Papiertüte umwickelt überreichte er dem jungen Polizisten einen kleinen Trommelrevolver und sechs Patronen. Kevin suchte sich eine Gasse zwischen den Häuserzeilen, warf das Papier weg und ließ die Trommel der Waffe aufschnappen. Geübt legte er die sechs Patronen in die sechs Kammern, ließ die Waffe zuschnappen und steckte sie sich hinters Hemd in den hinteren Hosenbund.
Bevor er die Kasse verließ, hörte er ein Stöhnen. Er hatte die, im Schatten der Häuser und neben Mülltonnen zusammengekauerte Person gar nicht wahrgenommen. Es war das Mädchen, das ihn mit in das Zimmer genommen hatte. Sie lag gekrümmt am Boden, die Augen weit aufgerissen und schweißüberströmt. Kevin konnte nicht erkennen, ob sie Schmerzen hatte, sah jedoch die leere Spritze neben ihr und den Gürtel noch am Arm. "Hey...", sagte er leise, doch das Mädchen reagierte nicht. Betroffen, mit versteinertem Gesichtsausdruck blickte er sie an. Der Polizist wusste, dass er von den Passanten keine Hilfe zu erwarten hatte, er wusste nicht ob es eine Krankenstation hier gab und ausserdem lagen in jeder Gasse Drogenabhängige, die sich nicht in aller Öffentlichkeit den Schuss ansetzen wollten. Leise murmelte das Mädchen etwas auf Spanisch, und Kevin ließ sie schweren Herzens zurück. Doch der Anblick bestärkte seinen Willen, Annie hier raus zu holen.
Den Rest der Zeit saß er unter einem Baum im Schatten, hatte immer einen Blick auf das Haus, hing seinen Gedanken nach um seine Entscheidung, die er getroffen hatte, abzuwägen, bis Juan ihn fand. "Wir wollten uns eigentlich am Marktplatz treffen.", war dessen missmutige Begrüßung, denn er hatte Kevin sicherlich 10 Minuten gesucht, und das auf einem ganz anderen Platz. Zögern stand Kevin von seinem Sitzplatz auf und folgte seinem Reiseführer, erst wieder durch die Gasse, den Marktplatz und letztendlich zurück durch das Slum. "Hast du noch was rausgefunden?", fragte Juan beim Gehen, und der Polizist schüttelte nur den Kopf, während er sich eine Kippe anzündete. Es war komisch, nun mit dem Mann zu reden, der vielleicht die Lösung seiner Probleme war. Er kannte Juan nicht, er hatte keine besondere Beziehung zu ihm... würde es ihm was ausmachen, ihn zu erschiessen?
"Tja, meine Leute haben mir auch nichts gesagt... es sieht wohl schlecht aus, wie ich dir heute mittag schon gesagt habe.", meinte der Kolumbianer und sah Kevin zweifelnd von der Seite an, als sie den Geländwagen, mit dem sie heute morgen hergekommen waren, erreicht hatten. "Ja, das sieht es wohl.", meinte der junge Kommissar mit seiner gewohnt melanchonisch gleichgültig wirkenden Stimmlage. "Fliegst du morgen wieder?" Jetzt erst sah Kevin Juan zum ersten Mal am frühen Abend direkt an. "Vielleicht..."
Während die kolumbianische Landschaft an Kevin vorbeizog, spürte er wie ihn der Revolver am unteren Rücken kitzelte. Er drückte sich in die Haut, er fühlte sich heiß an, er schien zu glühen. Er schien Kevin anzuschreien, Juan endlich umzulegen, um Annie zu retten. Die Straße führte an Büschen und Bäumen, an niedrigen Mauern und weiten Plantagen vorbei, sie war staubig und schlecht geteert. Es war eine einsame Gegend, nur ein Auto war hinter ihnen im Rückspiegel zu sehen. Kevin sah aus dem Fenster, vor seinem inneren Auge war Annie zu sehen, wie sie neben der Frau mit dem Baby saß, ihre stumpfen Augen, ihr verlorenes Lachen. Er hatte, mit Absicht, nicht auf ihre Arme geguckt, um Blutergüsse zu erkennen... Einstiche hätte er auf diese Entfernung sowieso nicht gesehen.
"Ich kann dich vielleicht noch zu einem Bekannten von mir bringen.", sagte Juan irgendwann. "Er hat einen Nachtclub in Bogota, direkt in der City. Ein Umschlagplatz für Drogengeschäfte, allerdings eher für junge Touristen, die den Kick suchen, und genügend Geld haben." Das Auto sprang durch ein Schlagloch und das Lenkrad in seinen Händen vibrierte. "Willst du es da noch probieren?" Plötzlich klang er nicht mehr wie ein knallharter Geschäftsmann, der diesen "Job" nur wegen Kevins Geld machte, sondern beinahe wie ein fürsorglicher Freund.
"Kannst du da mal in den Feldweg fahren? Ich muss mal...", sagte Kevin. Er hatte sich an den Feldweg erinnert, als sie heute morgen vorbeigefahren waren. Sein Herz klopfte fest gegen den Brustkorb, er spürte den kurz zweifelnden Blick seines Nebenmannes, als der jedoch den Blinker setzte und in den Feldweg einbog, der sich von der Straße entfernte, bis der Geländwagen schließlich anhielt. "Dann beeil dich, ich bin eh spät dran.", sagte Juan und drehte sich eine Zigarette, während Kevin aus dem Wagen stieg. Er fuhr sich mit der Zunge über die Lippen, die sich wie ausgetrocknet anfühlten, er ging einige Schritte mit dem Rücken zum Auto, bis er stehenblieb. Er wusste nicht, ob Juan ihn beobachtete, oder weiter seine Zigarette drehte.
Als sich Kevin umdrehte, wusste er es... natürlich beobachtete Juan ihn, und er beobachtete genau, wie Kevin seine Waffe aus der Hose zog und auf den Kolumbianer richtete. "Steig aus!", rief er und Juan schien beinahe nicht mal überrascht zu sein. Er nahm, wie in Zeitlupe, die bereits gedrehte Zigarette aus dem Mund und legte sie auf den Beifahrersitz, dann öffnete er die Tür und stieg aus dem Geländewagen aus. Ohne Misstrauen zu erwecken hob er leicht die Hände nach oben.
Bogota - 12:45 Uhr
Kevin war sich nicht ganz sicher, ob er gerade richtig gehört hatte. Die beiden Männer sahen sich an, die braunen Augen von Carlos und die hellblauen von Kevin konnten gegensätzlicher nicht sein. Der Kolumbianer grinste nun etwas breiter und ließ langsam die Brille wieder auf die Nase sinken. "Ich soll was?", fragte der deutsche Polizist im ruhigen Ton, ohne ein Spur von Verwunderung zu zeigen. "Wenn du wirklich Teil einer kriminellen Gruppe bist...", hörte er die überlegene Stimme des Kartellchefs "...dann sollte das für dich doch kein Problem darstellen. Und dann kannst du deine kleine Freundin haben." Kevin kniff ein wenig die Augen zusammen, als versuchte er zu ergründen, ob Carlos es ernst meinte, oder ob das ein billiger Test war. Doch er merkte schnell, dass dieser Mann nicht erst seit gestern der Anführer einer wohl weitaus größeren Truppe war, mit der es Kevin jemals zu tun hatte und dementsprechend abgehärtet und undurchschaubar war.
Er schaute kurz zur Seite und spitzte den Mund, bevor er fragte: "Wenn es so leicht sein soll für mich, einen Anführer des gegnerischen Kartells zu töten... warum haben deine Männer es nicht längst getan." Das Lächeln gefror auf dem braungebrannten Gesicht. Carlos Santos war es gewohnt, dass seine Männer in siezten. Dass sie Respekt vor ihm hatten. Der Mann, der ihm jetzt gegenüber saß, schien diese Art der Ansprache nicht bewusst getätigt zu haben, doch Santos fiel es sofort auf. Doch er belehrte ihn nicht... Kevin war in diesem Moment eher ein... Geschäftspartner. Ein billiges Werkzeug.
"Ganz einfach... weil mir nicht der Sinn nach einem Kartellkrieg steht. Weil ich friedlebender Mensch bin." Es klang wie Sarkasmus, es war Sarkasmus... zumindest der letzte Satz. "Juans Männer und meine Männer kennen sich... alle. Jeder wüsste sofort, von wem das Attentat ausginge. Ein Ausländer jedoch, der aus irgendwelchem Grund auch immer, Juan tötet..." Der bullige Mann zuckte mit den Schultern, und Kevin verstand. Santos würde den Teil von Juans Kartell, seine Männer die ohne Führung waren, wohl leicht übernehmen können, denn meistens waren die "Mitarbeiter" eines Kartells Söldner, denen es egal war, von wem sie ihre Pesos bekamen... hauptsache, sie bekamen sie. Und sollte es tatsächlich eine Handvoll Leute geben, die Juan auch persönlich nahe standen, wären sie Kugelfutter für den Rest.
"Und wenn ich Juan heute abend davon erzähle?", fragte Kevin in seiner provokativen Art und Weise und zog die Augenbrauen hoch. Doch dafür hatte Santos nur ein müdes Lächeln übrig: "Chico... du möchtest etwas von mir. Ich nenne dir nur den Preis." Er war in einer überlegenen Position, den er hatte etwas, was der junge unbekannte Mann wollte. "Woher soll ich wissen, dass das Mädchen wirklich für dich arbeitet?", fragte der Polizist dann und wieder erschien das überlegene Grinsen auf Santos Gesicht und er lehnte sich ein wenig zurück. "Ich mag euch Deutsche... diese Gründlichkeit, jede Eventualität berechnend. Eigentlich bin ich auch... ein bisschen... deutsch.", sagte er und schien Kevin damit zu verhöhnen, dessen Gesichtszüge scheinbar wie Eis verharrten, bis der Kartellchef sich erhob und einige Scheine Pesos auf den Tisch legte. "Das geht auf mich. Komm mit, Chico."
Carlos Santos war auf alles vorbereitet. Der Scharfschütze, immer noch perfekt im Schatten des Daches versteckt, hatte sich auf der Position bezogen, um einen Großteil des Platzes zu überwachen... vor allem aber den Weg von der Kneipe zu dem Haus, auf das Kevin und Santos sich jetzt zu bewegten. Der Kolumbianer hatte vermutet, beinahe geahnt dass es für den Fall der Fälle nur einen Weg gäbe, den er mit dem unbekannten jungen Mann bestreiten würde... alles andere hätte keinen Sinn gemacht. "Wie heißt du?", fragte er, während sie über den Marktplatz gingen. "Kevin." "Carlos Santos... du kannst mich aber Carlos nennen, nachdem du bereits den Mut hattest, mich zu duzen." Der junge Polizist wusste nicht, was er von diesem Satz halten sollte. Kam sich dieser Typ nur so unantastbar, so überlegen in seiner Art vor? Spielte er das Spielchen bewusst, um Kevin Angst zu machen? Oder war die Dimension von Carlos' Macht für den Polizisten, der das Milieu nur in weitaus geringerer Größe aus Deutschland kannte, einfach nicht greifbar. Er beschloß, nur mit einem Nicken zu antworten, während das Fadenkreuz, durch das der Scharfschütze auf den Marktplatz blickte, unsichtbar an seinem Körper klebte. Mal zitterte es hoch zu seinem Kopf, dann ruhte es wieder auf seiner Brust und zuletzt, als sie an der Tür standen um in das Haus einzutreten, zielte der Mann Kevin auf den Rücken. Immer wieder konnte er beobachten, wie der junge Kerl mit der stacheligen Frisur nach rechts und links blickte, scheinbar aufmerksam war, aber niemals auf das Dach sah. Der erfahrene und geübte Scharfschütze erkannte am Gesichtsausdruck und an Kevins Körperhaltung, dass er Santos und seine Männer wohl gnadenlos unterschätzte. Als die beiden im Haus verschwanden, beruhigte sich sein Atem etwas, und er konnte beide Augen wieder öffnen.
In dem Haus war es stickig. Sie betraten beide einen Flur mit vielen Türen, es sah beinahe genauso aus, wie das Haus, in das Kevin heute vormittag mit der jungen Prostituierten gegangen war. An den Wänden lehnten junge Mädchen, manche rauchten, manche saßen am Boden. Männer jeden Alters kamen mit Mädchen im Arm und verschwanden in einem der Zimmer, andere kamen heraus und grinsten. Ein Mädchen, an dem sie vorbeiging, schien völlig weggetreten zu sein, doch griff sie plötzlich nach Kevins Bein, der beinahe erschrak und einen Schritt von ihr wich. Mit weit aufgerissenen Augen und Pupillen klein wie Stecknadelköpfen blickte sie den jungen Polizisten an, eine Spirtze lag neben ihr und war dreiviertel leer. So oft hatte Kevin das auch in Deutschland gesehen, so oft waren es früher Freunde, die die Grenze zwischen Partydrogen und Sucht überschritten hatten, bis auch Kevin soweit war. Immerhin... von der Nadel hatte er es immer geschafft, sich fern zu halten.
Bevor er selbst etwas tun konnte, reagierte Carlos Santos, diesmal in einer Stimmlage, die Kevin noch nicht kannte. Laut, brüllend und bestimmt fuhr er das Mädchen auf Spanisch an und trat ihr kräftig gegen den Körper, so dass sie aufheulte und spätestens jetzt losgelassen hätte. "Sanchez!!", rief der kräftige Mann dann laut, und ein langhaariger Mann mit offenem Hemd kam auf ihn zu. Auch er kassierte einen offenbar wütenden Anschiss auf Spanisch, den er beinahe Reue zeigend über sich ergehen ließ. Dann packte er das wimmernde Mädchen an den Armen und hob die dürre Gestalt mühelos über die Schulter, um sie in eins der Zimmer zu tragen. Beinahe entschuldigend zuckte Santos mit den Schultern in Kevins Richtung: "Es macht keinen guten Eindruck, wenn die Mädchen sich einen Schuss drücken vor der Kundschaft."
Der Polizist konnte spüren, wie sein Herz gegen den Brustkorb schlug. In jeder Situation hätte er vermutlich jetzt eingegriffen, doch er wusste, dass es nicht ging. Er wusste, dass er vermutlich keine 2 Minuten überlebt hätte, weil Sanchez sicher nicht der einzige anwesende "Mitarbeiter" von Santos im Hause war. Und er wusste, dass dann jede Chance auf Annie verloren war. So unterdrückte er seine Wut, versuchte diese nicht nach aussen dringen zu lassen und nickte Santos zu, wobei er sagte: "Es macht auch keinen guten Eindruck, wenn das eigene Personal pennt." Nun war es wieder Santos, der ein wenig Verblüffung zeigte. Er fühlte sich dem jungen Mann zwar gnadenlos überlegen, musste aber zugeben, dass er kein Angsthase war. "Ganz richtig. Das kann manchmal... ungesund sein.", antwortete er, bevor die beiden weitergingen.
Sie kamen zu einer zweiflügeligen Tür, die wohl in eine Art Aufenthaltsraum mündete. Die Tür war aus schmutzigem Glas, statt aus Holz und Santos hielt Kevin auf, in dem er seinen Arm auf Kevins Seite gegen die Wand stemmte. "Warte." Der Kartellchef riskierte zuerst einen Blick hinein, und nickte dann. "Schau hier durch. Wenn sie dich erkennt, ist der Deal geplatzt! Ich will nicht, dass sie dich sieht.", sagte er streng, denn scheinbar befürchtete er, dass Annie selbst dann Fluchtgedanken kommen würden, wenn sie wusste, dass Kevin draussen auf sie wartete. Dieser spürte sein Herz nun noch deutlicher, als er sich langsam nach vorne lehnte und einen Blick riskierte.
Er brauchte nicht lange den Raum mit den Augen abzusuchen, bis er sie sah... eigentlich sprang sie ihm direkt ins Auge. Ihre knallroten Haare waren unübersehbar, und hatten doch ihr Leuchten verloren. Es war, wie ein Innenhof des Hauses, viele Mädchen saßen, lagen oder standen umher. Sie unterhielten sich, einige Kinder liefen durch die Reihen und Annie saß etwas abgeschieden bei einer etwas älter wirkenden Frau, die ein Baby im Arm hatte. Kevins Herz schlug jetzt nicht nur, es krampfte sich beinahe zusammen, als er Annie betrachtete. Sie lächelte nicht wie früher, ihre Verrücktheit schien einer seltsamen Melancholie gewichen zu sein... sie war hier nicht freiwillig, das spürte Kevin ganz deutlich. Ihr Blick ging auf das Baby und hin und wieder zurück an eine gegenüberliegende Wand, sie saß schräg zur Tür, so dass die Gefahr, Kevin in der schmutzigen Scheibe zu erkennen, sehr gering war.
Eine kräftige Hand an seiner Schulter, die ihn von dem Fenster wegzog, riss ihn aus den Gedanken. "Überzeugt?", fragte Santos und fügte noch an: "Vergiss niemals: Ich halte mein Wort. Töte Juan, und sie kann mit dir hingehen, wohin ihr wollt. Oder bring mir 200.000 Dollar. Oder vergiss die Sache... dann würde ich dir aber raten, bis morgen mittag Kolumbien zu verlassen." Die beiden Männer sahen sich wieder an, Carlos hatte seine Sonnenbrille mittlerweile an den Kragen seines Tanktops gesteckt. Zwei Männer, wie sie unterschiedlicher nicht sein konnten... und doch hatten sie auf unterschiedliche Art ihr Gewissen längst verloren. "Na schön. Ich werde Juan töten, und du lässt sie dafür gehen." Er hielt Santos die Hand hin, der diese mit festem Händedruck ergriff. "Bis morgen mittag.", stellte er dann noch ein zeitliches Ultimatum und erklärte mit zwei Sätzen, wie Kevin sich auf dem Markt eine Waffe besorgen könne. "Alles klar...", war dessen Verabschiedung, als er sich umdrehte und alleine Richtung Ausgang ging.
Langsam legte sich ein Grinsen auf Santos Gesicht, als er dem jungen Mann nachblickte. Sanchez, einer der Handlanger des Kartellchefs, kam aus dem Zimmer, in das er eben das Mädchen verfrachtet hatte und fragte auf Spanisch: "Und?" Mit kurzen Sätzen erzählte Santos, was er herausgefunden hatte, und endete mit: "Er tut es. Wir werden ja sehen." Er war noch zurückhaltend skeptisch. "Wenn er es wirklich schafft, kann er morgen mit dem Mädchen in aller Ruhe hier raus spazieren." Ein kühles und selbstzufriedenes Grinsen legte sich auf das Gesicht des Kolumbianers. "Du sorgst dafür, dass das Mädchen das Haus bis dahin nicht verlässt. Und sag Fernando Bescheid... wenn die beiden morgen das Haus verlassen, soll er den Jungen abknallen."
Kommt morgen wieder Kevin dran?
Jap
Allerdings frage ich mich auch, was denn Kevin zwischenzeitlich so macht?!?
Ich mich auch Da müsste ich mal rasch nachschauen
Bzgl der Beamtenbeleidigung, das kam eventuell etwas falsch rüber und war von mir schlecht beschrieben/geschrieben. Letztlich regt sich der Kerl nur über die Beamtenbeleidigung auf, weil diese natürlich frei erfunden war. Einknicken tut er, weil er merkt, dass die beiden ihn sowieso am Arsch haben...
Innenstadt - 18:30 Uhr
Es dauert nur wenige Minuten, und die komplette Hauptstraße von Köln war in flackerndes Blaulicht getaucht. Bonrath und Jenny bestaunten das Werk der beiden Kollegen, einen Transporter mit aufgestellter Ladefläche, die deformiert passend zur Brückenbeschädigung quer auf der Straße stand. Semir verfrachtete den Fahrer gerade in den BMW, nachdem er ihm die Maskierung vom Kopf gerissen hatte und kettete ihn mit Handschellen und beiden Händen sicher an die Vorrichtung im Streifenwagen. "Da habt ihr ja mal wieder ganze Arbeit geleistet.", meinte Bonrath und sah mit abgenommener Mütze nach oben, während weitere uniformierte Kollegen die Straße absperrten und einen Abschleppdienst benachrichtigten. "Tja, Dieter... ging mal wieder nicht anders.", sagte Semir und sah mit Erleichterung Ben über Treppen von der Fußgängerbrücke steigen.
Der Polizist, dessen Frisur sich nun ein wenig der seines Freundes Kevin anglich, kam mit langsamen Schritten die Treppe herunter. In seinem Gesicht hatte der Sturz auf dem Asphalt Spuren hinterlassen, Kratzer und Abschürfungen an Wange, Stirn und Nasenbein. "Das Abrollen müssen wir scheinbar nochmal üben, hmm?", meinte Semir, als er bemerkte dass seinem Partner scheinbar nichts Schlimmeres passiert war.
Auch Ben betrachtete kurz die Beschädigung der Brücke von unten, bevor er seinen Blick Richtung BMW lenkte, und durch die Scheibe den Fahrer des Transporters nun ohne Maske erkennen konnte. "Und?", fragte Semir erwartungsvoll, denn er merkte sofort den Blick seines Partners. Der nickte auch und meinte: "Vesoski. Der Kerl, der mein Auto für Drager geknackt hat." "Scheinbar ein kleiner Fisch für allerlei Jobs... hoffentlich packt er ein bisschen was für uns aus." Vor Ben tauchte der eigene Kondensrauch seines immer noch etwas schnelleren Ein- und Ausatmens auf. Er dachte sofort wieder an Carina... genauso wie sein Partner gerade.
"Shit... hoffentlich ist Carina nicht abgehauen.", war sein erster Reflex. "Wo soll die so schnell abhauen? Glaubst du, die lässt ihre Mutter einfach daheim sitzen?", meinte Ben ein wenig arggewöhnisch auf Semirs spontane Reaktion der Fluchtbefürchtung, und der musste seinem besten Freund zustimmen. "Okay... Wir fahren jetzt nochmal zu Carina und nehmen sie mit aufs Revier. Sie muss einfach jetzt eine Aussage machen, sie ist der Schlüssel zu allem. Und den Kollegen nehmen wir erstmal mit." Ben seufzte: "Kann ich sie nicht anrufen, und sie morgen früh vorladen lassen? Wo soll sie denn um die Uhrzeit noch ihre Mutter hin tun, das geht nicht so einfach."
Semir presste die Lippen zusammen. Man spürte ihm den Tatendrang jetzt deutlich an, denn die Puzzlestücke fügten sich langsam aber sicher zusammen und bei so einem Fall brannte der Polizist immer sofort. Aber hier spürte er, dass Ben Recht hatte. Für die junge Frau war es nicht so leicht, einfach für zwei Stunden mal das Haus zu verlassen, und so widerstand er seinem Tatendrang und stimmte Ben zu, der sich erleichtert bedankte. Er zog sein Telefon und wählte Carinas Nummer: "Hi Carina... wir haben den Typen." "Puh, Gott sei Dank... hat er was gesagt?", fragte sofort die wieder gefasste Frauenstimme. "Nein, wir werden ihn jetzt erstmal verhören." Plötzlich spürte er dieses zwickende Unsicherheitsgefühl, dieses nagende Misstrauen als wüsste er, dass Carina die Frage nicht ehrlich beantworten würde: "Fehlt etwas aus dem Büro deines Bruders? Hat er etwas Bestimmtes gesucht?" Auch die Pause bis zur Antwort kam dem Polizisten zu lange vor. "Nein, ich konnte da nichts erkennen. Er war in seinen Bankordnern. Es fehlt nichts, wenn ich richtig sehe." "Kannst du deine Mutter morgen vielleicht irgendwo unterbekommen? Für 2 Stunden vielleicht? Du musst unbedingt zur Dienststelle kommen, ich kann dich abholen kommen." Nun seufzte Carina kurz auf. "Es gibt Einrichtungen für Notfälle. Ich such da etwas raus, okay? Da müsste sie auch hin, wenn du mal ins Krankenhaus müsstest, oder so.", bot Ben an, und Carina spürte am Telefon sofort wieder seine Fürsorge und sagte zu.
Dienststelle - 19:00 Uhr
Semir und Ben hatten sich beeilt. Die Feierabendzeit war längst überschritten und es würden sich mal wieder jede Menge Überstunden anhäufen. Semir hatte zuletzt scherzhaft gemeint, dass er morgen aufhören könnte zu arbeiten, wenn er seine Überstunden abfeiern würde inklusive seiner jeweiligen Jahresurlaubstage und danach könnte er sofort in Rente gehen. Jetzt saßen sie im nur halbwegs gut beheizten Verhörraum, Vesoski mit Pflaster im Gesicht und einer verbundenen Hand am Tisch, Semir gegenüber und Ben mit dem Rücken an die Wand gelehnt. Der erfahrene Ermittler war, unüblicherweise, ein wenig nervös. Es war sein erstes Verhör seit seinem Ausraster, was letztlich zu der kurzfristigen Suspendierung geführt hatte.
"Also, dann mal Karten auf den Tisch, Vesoski. Was hast du in der Wohnung gesucht?", fragte Semir im bestimmten, aber noch freundlichen Tonfall. "Ich hab nach Bargeld gesucht. Das war ein ganz normaler Bruch.", beharrte der Mann ohne einem einzigen Haar auf dem Kopf, was Semir unangenehmerweise auch noch an die Neonazis erinnerte, und seine Innenhandflächen noch etwas feuchter erscheinen ließ. "Hören sie doch auf.", sagte Ben aus dem Hintergrund. "In Ordnern findet man normalerweise selten Bargeld. Was haben sie gesucht?" Vesoski verschränkte die Arme vor der Brust und presste die Lippen aufeinander.
Ben kam von der Wand zum Tisch, stand kurz neben Semir und beugte sich über Vesoskis Akte: "Autodiebstahl, Einbrüche, Körperverletzung... ganz schönes Register. Damit gehst du in den Bau, Vesoski. Einbruch, Fahrerflucht und fahrlässige Körperverletzung, dazu Beamtenbeleidigung." "Beamtenbeleidigung?", schnappte Vesoski sofort nach Luft. "Ich hab gehört, wie du meinen Partner Arschloch genannt hast.", fuhr der junge Polizist den Verbrecher an, und Semir nickte sofort. Beinahe hilflos sah der Glatzkopf zwischen Semir und Ben hin und her... ein abgekartertes Spiel. "Na gut, ich sollte nach Dokumenten suchen.", sagte er dann verzweifelt. "Welche Dokumente?" "Kontoauszüge eines Schweizer Kontos. Und Abrechnungen... der Mann, der mich beauftragt hat, hat nur gesagt, ich sollte alle Abrechnungen mitnehmen, die ich finden kann."
"Der Mann heißt...?", hakte Semir weiter. "Ich weiß es nicht. Er ruft mich immer an, wenn es kleinere Dinge zu erledigen gibt. Da helfe ich ihm. Aber ich weiß wirklich nicht, wie das alles zusammenhängt." Der Mann klopfte bei jedem Satz mit den Händen, die immer noch mit Handschellen gefesselt waren, auf den Tisch, dass es klimperte. "War das der gleiche Mann, für den du meinen Wagen aufgebrochen hast?", fragte Ben dann urplötzlich, und Vesoski sah ihn überrascht an. "Scheisse... warum..." "Ob das der gleiche Mann war, will ich wissen!", fragte der Polizist etwas lauter. "Ich kenne ihn nicht..." "Ach, hör doch auf uns zu verarschen! Du hast ihn geduzt, als würdet ihr euch ewig kennen!!", sagte Ben nun aufgebracht.
Vesoski presste die Lippen zusammen. Dass Ben die beiden beobachtet hatte, hatten sie beide nicht gemerkt. Natürlich wussten die Bullen jetzt, dass er Drager kannte. "Wir wissen, dass der Mann Drager heißt, und dass du mit drinhängst. Wenn du uns hilfst, können wir was für dich tun.", sagte Semir nun wieder, als der ruhige Bulle. "Wer hat Björn Bachmann erschossen?" Das Erstaunen von Vesoski war echt, nicht gespielt, als seine Augen wieder zwischen den beiden Beamten hin und her flogen. "Hey hey... mit Mord hab ich nichts zu tun. Ja, ich hab dein Auto aufgebrochen und ich bin in die Bude eingestiegen um für Drager die Dokumente zu holen. Aber von einem Mord an Bachmann weiß ich nichts." "Aber Bachmann kennst du?" "Nein... Drager hat ihn nur erwähnt, dass ich bei ihm einbrechen soll."
Semir und Ben sahen sich für einen Moment an, dann nahm Semir den Hörer in die Hand und bat Bonrath, den Mann in die Zelle zu bringen, während Ben sich zu Semir auf den Tisch setzte. Als Vesoski draussen war, seufzte der Polizist. "Also entweder hat dieser Typ mehr Schiss vor Drager als Vaterlandsliebe, oder..." "Oder er ist ein kleiner Helfershelfer und weiß wirklich nichts.", vollendete Semir den Satz. "Dabei hatte er jedenfalls nichts, weder im Auto noch in seinen Taschen." Der Polizist fuhr sich mit der Hand durch die wuscheligen Haare, denn er wusste, was jetzt folgen würde... Semir, der nach dem ersten gelungenen Verhör stolz auf sich selbst war, ließ sich aber nicht nehmen, ihm es nochmal zu sagen: "Carina ist der Schlüssel. Sie MUSS morgen aussagen..."
Ach hör auf, bei so nem unrealistischen Kram vergeht mir schon jegliche Vorfreude
ZitatEin Metallsplitter - Überbleibsel von unzähligen Crashs und Explosionen - sitzt in seinem Kopf fest. Jede starke Erschütterung könnte einen tödlichen Gehirnschlag auslösen.
Das ist nicht denen ihr Ernst, oder?
ZitatIn einer Spezial-Episode in Spielfilmlänge erwartet die Fans eine temporeiche Story, erstklassige Action, eine aufregende, emotionale Berg- und Talfahrt samt einem spektakulären Finale, in dem es nicht nur um das Überleben von Semir Gerkhan geht, sondern auch um die Rettung der Welt!Im Gegensatz zu den letzten beiden Jahren, in denen sich die Serie eher von ihrer realistischen und oftmals dunkleren Seite gezeigt hat, soll die Jubiläumsfolge dem Anlass gemäß einen leichteren Ton anschlagen und mit einem Augenzwinkern auf die letzten 20 Jahre rekurrieren. Der 90-minütige Pilotfilm soll nicht nur spannend sein, sondern vor allem auch Spaß machen. Dazu gehört eine gesunde Portion Selbstironie, Cameos alter Bekannter, die Titelmusik als Blasmusik-Version und vor allem ein Thema, das "Cobra 11" schon in der Vergangenheit immer sehr stark gemacht hat: die Familie.
Puh, das Lesen ist für mich auch eine emotionale Berg- und Talfahrt...
Rettung der Welt
Gegensatz zum Realismus
Augenzwinkern
Selbstironie
Cameos
Titelmusik als Blasmusik
Familie
12:30 - Bogota
Carlos Salazar Santos war eine große Erscheinung. Wenn er stand, war er mindestens so groß wie Kevin, vielleicht noch wenige Centimeter größer. Kein Tropfen Schweiß war auf seinem glatten Schädel zu sehen, die kurz geschorenen Haare ringsherum waren deutlich angegraut, wie auch sein Bart um seinen Mund, der ebenfalls akkurat kurz geschnitten war. In seiner Fliegersonnenbrille spiegelte sich das Treiben auf dem Markt, und Kevin wusste genau, dass es kein Zufall war, dass der Führer des wohl größten Kartells Bogotas sich ausgerechnet an seinen Tisch niedergelassen hatte. Äusserlich völlig gelassen blieb der Polizist auch sitzen, beobachtete wie sein Nebenmann den Markt und nahm den letzten Schluck aus seinem Getränk.
"Ein Mann, der mit vier meiner Leute fertig wird, macht hier keinen Urlaub.", sagte Carlos dann ohne Begrüßung, ohne Umschweife mit einer tiefen sonoren, auf der einen Seite dominanten und respekteinflößenden, auf der anderen Seite aber auch vertrauenserweckenden Stimme. Allerdings sagte er es auf Spanisch, und so zog Kevin nur ein wenig die Augenbrauen nach oben und zuckte mit den Schultern. Nun bewegte sich der Kopf und das Gesicht Santos' zum ersten Mal in Richtung Kevin, der ebenfalls den Blick ein wenig drehte und sich selbst in der Sonnenbrille des Kolumbianers betrachten konnte.
"Englisch, deutsch?", fragte er dann erneut, in dem er beide Sprachen in ihrer Landessprache aussprach, das Deutsch mit erstaunlich wenig Akzent. "Deutsch." Der Polizist hatte, mit ein wenig Magengrummeln bemerkt, dass sich die Tische um ihn herum schnell geleert hatten, seit Carlos bei ihm am Tisch saß. Der saß entspannt, in seiner Khakibraunen Hose, die Füße ausgestreckt und gekreuzt, sein muskulöser Oberkörper, der allerdings nichts mit einem Bodybuilder zu tun hatte, in einem Tanktop. Es war schwer, ein Alter des Mannes zu schätzen, denn er schien unglaublich fit und durchtrainiert, aufgrund der kleineren Falten und grauen Haare würde Kevin ihn trotzdem auf Mitte oder Ende 40 tippen. "Ich sagte, wer vier von meinem Männern ausschaltet, der macht hier keinen Urlaub... ist es so?", erklang wieder die tiefe Stimme, und der Polizist nickte: "So ist es."
Es war wie ein Gespräch zwischen einem Kartellboss, der sich seiner Stellung auch bewusst war, und einem kleinen unwissenden Neuling auf diesem Gebiet, der sich vor dem großen Boss aber keinerlei Blöße geben wollte. Kevin war nicht nervös oder ängstlich, aber er war gespannt was Carlos von ihm wollte. Äusserlich gab er sich aber möglichst gleichgültig und hatte sich seinen Schutzwall aus kalter Arroganz aufgebaut. Carlos hatte den Blick wieder von Kevin abgewendet, und sah auf den Marktplatz.
"Wer bist du? Und was willst du hier?", waren die knallharten Fragen des Kartellbosses. Natürlich schöpfte der misstrauische Carlos Santos Verdacht, als der zwar unscheinbar aussehende Kevin mit Juan hier über die Plätze zog, und es dann auch noch schaffte, vier seiner gefährlicheren Männer im Kampf auszuschalten. Ein Urlauber, der Juan kennenlernt und dazu noch eine Kamfsportart perfekt beherrscht... nein, das war des Zufalls zuviel. Er vermutete, dass Juan, dessen Stellung innerhalb Bogotas zwar noch stark, aber immer schwächer wurde, seitdem auch Carlos begann, den deutschen Drogenmarkt zu beliefern, sich Verstärkung besorgt hatte. Es war sein Job, sonst hätte er es nie soweit gebracht, sich darum zu kümmern.
"Ich suche eine Frau. Sie ist aus Deutschland abgehauen, und ich vermute dass sie sich hier den Drogen hingibt. Ich möchte sie zurückholen.", antwortete Kevin mit seiner prägnant, oftmals gelangweilt monoton klingenden Stimme. Ein kurzer, prüfender Blick durch das Plexiglas von Carlos zu seinem Nebenmann. "Eine Frau?", fragte er nicht ungläubig, eher überprüfend und der Polizist nickte. Ohne eine Miene seines haarumwachsenden Mundes zu verziehen, zog der Kartellbos ein Päkchen filterloser Zigaretten aus der Hosentasche, steckte sich selbst eine an und legte das Päkchen in die Mitte des Tisches. Eine stumme Aufforderung, ein stummes Angebot an den jungen Mann neben ihm. Dieser kam dem Angebot nach, nahm einen Glimmstengel und zündete ihn sich ebenfalls an.
"Eine Frau, die hierher kommt um Drogen zu kaufen, die abhängig ist...", sagte er langsam und bedächtig, mit einer felsenfesten Sicherheit in der dunklen Stimme, die Kevin beeindruckend fand. "... landet früher oder später bei mir." Die Zigarette zischte, als Carlos daran zog. "Also kann ich dir vielleicht helfen." Mit der Zigarette im Mundwinkel griff Kevin in die Innentasche seines offenen Hemdes, das er über dem Shirt trug. Carlos flinke Augen flogen sofort nach rechts, ohne dass er den Kopf drehte, durch die Sonnenbrille konnte Kevin diese Reaktion nicht beobachten. Natürlich traute er dem jungen Burschen nicht, und natürlich hatte er sich durch seine Männer abgesichert. Sollte der unbekannte Mann aus irgendeinem Grund eine Waffe ziehen oder Dummheiten machen, hatte ein Scharfschütze unerkannt vom Dach eines Hauses am Markt Kevins hebende und senkende Brust immer Visier, und der Finger des Schützen zuckte kurz am Abzug, streichelte das dünne Metallteil, durch dessen Betätigen er ein Menschenleben auslöschen konnte, unbemerkt.
Kevin jedoch zauberte keine Waffe zum Vorschein, sondern das Bild von ihm und Annie, auf dem sie auch 10 Jahre später fast noch genau so aussah wie heute. Wortlos schob er es dem Kartellboss herüber, denn auf einmal hatte er eine Hoffnung, ein unerklärliches Vertrauen dass dieser Mann Kevin helfen würde. Oder zumindest Hinweise geben konnte.
Carlos griff das Bild und beobachtete es durch das getönte Plexiglas. Ein weiterer Zug an der Zigarette, den Stengel zwischen Zeige- und Mittelfinger haltend und den kalten Rauch inhalierend statt auszublasen, beobachtete er das junge Mädchen, und den Jungen mit den wilden Haaren und dem Stirnband. Dann legte er das Bild wieder auf den Tisch und schob es zu Kevin. "Du hast mir immer noch nicht gesagt, wer du bist. Ein Typ, der ein Mädchen sucht... warum tut er das?", verlangte Carlos weitere Informationen, und der Polizist hielt es für eine verdammt schlechte Idee, die Wahrheit zu sagen. "Ich bin Teil einer organisierten kriminellen Bande. Deswegen habe ich Kontakt zu Juans Kontaktmann in Deutschland. Deswegen weiß ich mich zu wehren..." Er hoffte, dass die Story glaubwürdig herüberkam, und fürs erste schien es Carlos zu genügen, denn er nickte leicht...
"Ich kenne das Mädchen. Sie arbeitet für mich.", sagte er dann und schob das Bild endgültig zu Kevin rüber, dessen Herz für einen Moment nicht wusste, ob es hüpfen oder zerspringen sollte. Ob es froh sein sollte, dass Annie hier war, oder entsetzt darüber, dass sie sich wohl verkaufte für Stoff. "Als was arbeitet sie?", fragte der Polizist und kannte die Antwort, Juan hatte sie ihm quasi schon gegeben. Das überlegene, wirklich schmutzige Grinsen seines Nebenmannes am Tisch war jedoch eine noch deutlichere Antwort, ohne Worte... und der Polizist ballte die Fäuste zusammen.
Für einen Moment schwiegen die Männer, und der Polizist war sich unschlüssig, wie er auf diese Nachricht reagieren sollte. Sollte er bestimmt sagen, dass Annie nun mit ihm nach Deutschland zurückkehren würde... sollte er ihn höflich fragen, wo sich Annie gerade aufhielt? Carlos kam ihm nach kurzer Schweigezeit zuvor: "Ich weiß zwar nicht, wer du bist... wirklich ein Freund von der Frau, oder vielleicht doch ein deutscher Zuhälter, der seine entflohene Nutte zurückhaben möchte...", sagte er wieder mit seiner sehr autoritär klingenden Stimme. "... aber gut. Du kannst das Mädchen haben." Sein Blick durch die Sonnenbrille war trügerisch, Kevin konnte keine Stimmung aus seinem Blick ablesen, er konnte nicht mal sehen, wo Santos gerade hinsah... sein Kopf war immer noch auf den Marktplatz gerichtet. "Allerdings nicht umsonst.", setzte er noch hinzu.
Kevin hatte schon mit sowas gerechnet. Auch im deutschen Rotlicht-Milieu "verkauften" Zuhälter ihre Mitarbeiter untereinander. Was beim Profisport ein normaler Vorgang war, wurde bei Frauen im Milieu hart bestraft. "Wiviel?", fragte der Polizist. "200.000", war die knappe Antwort. Nun war es Kevin, der die coole Maske des Beobachtens der Menschen, statt dem Anblicken seines Gesprächspartners verlor. Sein Kopf drehte sich zu Carlos, und diesmal war seine Frage umso unglaubwürdiger: "Pesos?" "US-Dollar, mein Freund." Beinahe sarkastisch musste der junge Mann auflachen und lehnte sich wieder im Stuhl zurück. "Du hast das Geld nicht?" Carlos Satz war eher eine Feststellung als Frage, und nun wurde es für ihn interessant... was war der Mann bereit für das Mädchen zu tun, und wie abgebrüht war er wirklich. "Du könntest mir auch einen Gefallen tun." Als Kevin sich mit offenen Ohren wieder zu Santos wandte und sogar den Kopf auf dem Tisch bzw auf seiner Hand aufstützte, sah auch Carlos zu ihm herüber. Er hob sogar für einen Moment die Brille und offenbarte seine braunen, typisch südamerikanischen Augen. Seine Bitte, sein Gefallen allerdings verschlug Kevin für einen Moment die Sprache: "Töte Juan..."
Es wäre mir eine Ehre
Innenstadt - 18:15 Uhr
Ben pfiff der eiskalte Fahrtwind um die Ohren, doch in dem Moment als sich seine Blicke und die, des flüchtenden Einbrechers sich kreuzten, spürte er nichts von der Kälte. Eher war es so, dass es ihm gleichzeitig heiß und kalt den Rücken herunterlief, denn der Kerl zögerte keine Sekunde. Das Glas zerbarst von der ersten Kugel, die dicht neben Ben einschlug, doch zum Glück hatte der Typ nur einen begrenzten Winkel zum Zielen, und so genügte es, dass der Polizist sich bis zum linken Rand auf der Matratze wegrollte und sich an der Seitenstange der Ladefläche festklammerte. Das leise Ploppen als die Kugeln in die Matratze neben ihm einschlugen, war in Vermischung des Motorengeräusches zu hören, und er meinte auch, den Kerl fluchen zu hören, weil er den ungeliebten Fahrgast nicht los wurde.
"Cobra 11 braucht Verstärkung, verfolge einen Matratzentransporter in der Innenstadt Richtung Ossendorf.", rief Semir in sein Funkgerät, während er dicht an dem Transporter dranblieb. "Wir brauchen eine Straßensperre, ich geb euch die Position durch." Über Funk gab Bonrath die Bestätigung, sich sofort mit Jenny auf den Weg zu machen. Semir konzentrierte sich im Dunkeln Ben im Auge zu behalten aber trotzdem sich durch den dichten Feierabendverkehr zu schlängeln. Der Einbrecher scherte sich nicht um rote Ampeln oder Vorfahrtsregelungen, und noch erschrockener war er, als noch einige Schüsse zu hören waren.
Als jedoch nur noch ein leises Klicken aus der Waffe zu hören war, warf der Einbrecher diese in den Fahrgastraum. Er schleuderte mit dem Transporter quietschend über die nassglatte Straße an einer Kreuzung, wo zwei unbeteiligte PKWs beim Ausweichen aneinander stießen. "Scheisse...", fluchte Semir, bremste voll ab und erkundigte sich durchs offene Fenster, ob bei den Insassen alles in Ordnung sei. Ein Mann, der sofort ausstieg und der Frau aus dem Gegnerauto aus dem Wagen half, zeigte den Daumen nach oben, und der Polizist nahm die Verfolgung wieder auf. "Brauche eine Streife und Krankenwagen zur Kreuzung Erftstraße Spichernstraße!", gab der erfahrene Polizist sofort per Funk durch und wurde von Hotte bestätigt, der das Funkgerät von Bonrath übernommen hatte, und nun die Verstärkung koordinierte.
Der Fahrer des Fluchtwagens versuchte nun, Ben anders loszuwerden und gleichzeitig das bewegende, im folgende Blaulicht aus zu schalten. Ein Hebel, angebracht unterhalb des Amaturenbretts wurde betätigt und damit die Kippfunktion der Ladefläche aktiviert. Ben spürte und sah, wie das Führerhaus vor ihm langsam verschwand, weil die Umrandung der Ladefläche sich immer weiter erhob und die oberste Schicht Matratzen ins Rutschen geriet. "Oooooh, fuck!!", rief er und versuchte sich mühsam aufzurichten, als die oberste Matratze nachgab. Trotz schnellen Krabbelns blieb er quasi auf der Stelle, wie bei einem Laufband, als seine Unterlage entglitt und auf die Straße fiel. Der dicht folgende Semir reagierte blitzartig und umkurvte das Hindernis.
"Wollen doch mal sehen, wie lang du dich da halten kannst!", rief der Einbrecher aus dem Führerhaus und ließ den Hebel in Kippstellung. Wie in Zeitlupe bewegte sich die Ladefläche unnatürlich nach oben und immer mehr Matratzen rutschten durch die geöffnete Hinterklappe auf die Straße. Ben kletterte und krabbelte um sein Leben und blickte mittlerweile immer mehr in den mittlerweile sternenklaren Himmel. Er biss die Zähne zusammen und nahm die Halterung der Ladefläche, die nun weit nach oben stand, ins Blickfeld, als eine weitere Matratze sich endgültig verabschiedet hatte. Würde er noch länger warten, käme er nicht mehr heran, da er durch die fehlenden Matratzen zu tief stand und die Fläche immer steiler wurde.
Also riskierte er es und brachte seine komplette Kraft in den Beinen auf, um vorwärts zu springen, die Arme ausgestreckt und einfach hoffend, die eckte Stange fassen zu können. Als er das eiskalte Metall an den Handflächen spürte, hätte er jubeln können, doch das Körpergewicht, das ihn nach unten zog, schien immer mehr zu werden, je steiler sich die Ladefläche aufstellte. Ben wusste, dass er das auf Dauer nicht halten könne, also wendete er nochmals Kraft auf, um sich an der Stange hochzuziehen, und schlang mit Schwung die Beine ebenfalls über die Stange. Langsam, sich mit den Händen immer noch festhaltend, versuchte er sich balancierend aufzurichten. Das Dach des Führerhauses kam ihm auf einmal recht klein und schwer zu treffen vor, wenn er jetzt runterspringen würde.
Semir bekam im Auto beinahe einen Herzinfarkt, als er sah was Ben da fabrizierte. Als sein Partner oben gefährlich zu wanken begann, beinahe das Gleichgewicht verlor und nochmal nach der Strange greifen musste, auf der er jetzt stand, klammerte sich der erfahrene Polizist instinktiv fester an sein Lenkrad. Dabei konnte er einer fallenden Matratze nicht komplett ausweichen und streifte das, gerade landende Hindernis mit dem rechten Kotflügel. Glas splitterte, ein Ruck ging durch das Auto und Semir hatte nur noch halbes Licht nach vorne. Doch das kümmerte ihn gerade nicht, denn seine Augen weiteten sich als er hinter dem Transporter ausscherte, um sich zu orientieren und die nahende Fußgängerbrücke sah.
So schnell er konnte, fuhr er das automatisch sich senkende Seitenfenster herunter, um Bens Namen zu rufen. Doch die Warnung war unnötig, Ben sah schließlich nach vorne und sah das drohende Unheil kommen. Mit hochgestellter Ladefläche war der Transporter zu hoch für die Brücke. "Scheisse, SCHEISSE!!", rief er und kraxelte langsam gebeugt, Füße auf der Stange und Hände rechts und links drum herum fassend, um das Gleichgewicht zu halten, nach rechts zum Rand. Er musste springen, bevor die Ladefläche gegen die Brücke krachte. Es wäre keine hohe Distanz, aber er musste sich weit genug abdrücken, um nicht vom der Ladefläche erschlagen zu werden, und im richtigen Moment, um nicht die Brücke zu verfehlen und auf dem Asphalt, weit unter ihm, zu landen. Eine andere Möglichkeit gab es nicht...
Es war schrecklich für Semir mitanzusehen, völlig hilflos, wie sein Partner sich selbst retten musste. Er versuchte, den Flüchtenden zum Anhalten zu bewegen, in dem er hupte und Lichthupe gab. Ein Ausbremsen kam wegen des Gewichtsunterschied nicht in Frage, der Typ würde Semir leicht von der Straße schieben. Und offenbar war der Typ mit der Flucht so beschäftigt, dass er die Brücke einfach übersah oder nicht mehr daran dachte, dass sein Wagen nun viel höher war. Ben hatte die Fußgängerbrücke fest im Blick, die Muskeln angespannt. Innerlich zählte er die Sekunden bis zum Einschlag und wollte genau eine halbe Sekunde vorher abspringen, obwohl dies eigentlich Blödsinn war... denn er konnte die Zeit nicht messen.
"Spring!", flüsterte Semir in dem Moment, als dem Fahrer dann wohl doch ein Licht aufging, und er in die Eisen ging... viel zu spät. Ben drückte sich von seiner Haltestange, schützte beim Flug seinen Bauch und Rippen mit den Armen und sah unter sich gerade noch das Brückengeländer, dass er verfehlte, vorbeiziehen bevor er auf dem Asphalt der Fußgängerbrücke aufschlug, sich zweimal, dreimal um die eigene Achse rollte und mit Wucht in das gegenüberliegende Brückengeländer... zum Glück mit Schulter und Rücken, nicht mit dem Kopf, einschlug. Noch währenddessen wurde das Reifenquietschen der Vollbremsung von einem lauten Knall unterbrochen, einem Dröhnen als sich schweres Metall verbog und Beton bröckelte.
Der Transporter wurde rüde von der Fußgängerbrücke gestoppt, die Ladefläche verbog sich und die Brücke erzitterte. Das Fahrzeug wurde herumgerissen und auf 0 abgebremst, während der vordere Teil des Wagens durch die Phsyik des Haltens an der Brücke nach oben gezogen wurde, knickte sämtliche Mechanik im hinteren Teil ein. Durch das Herumreißen und dem Zurückkippen, weil die Ladefläche weder abriss noch die Brücke durchbohrte, krachte der vordere Teil Sekundenbruchteile später wieder auf den Asphalt. Dampf stieg auf von zerborstenen Wasserleitung und hinter dem Transporter kam der schleudernde BMW von Semir zum Stillstand. Die erste Aufmerksamkeit des Polizisten richtete sich nach oben auf die Brücke. "BEN?? Bist du okay?", schrie er aus einer Mischung aus Panik, Angst und Hoffnung. "Ja....", kam eine leisere, eindeutig schmerzhafte aber lebendige Antwort, und Semir atmete auf.
Dann griff er zur Dienstwaffe, entsicherte diese und lief zur Fahrerseite des Transporters. Mit einem geübten Griff riss er diese auf, packte den stöhnenden und über dem Lenkrad hängenden maskierten Typen am Kragen und zog ihn grob aus dem Fahrzeug. Er schien, bis auf ein paar Schrammen im Gesicht, die Semir erst sah, als er ihm die Maske vom Kopf riss bemerkte, unverletzt doch in diesem Moment nicht mehr im Stande, Widerstand zu leisten. Der Polizist drückte ihn gegen das Fahrzeug, durchsuchte ihn schnell und legte ihm dann die Acht, seine Handschellen an. Als er ihn zum BMW führte sah der Polizist nochmal nach oben. Er konnte Ben bereits wieder auf den Beinen sehen, am Geländer stehend und sich über selbiges Beugen, um die Schäden an der Betonumantelung der Fußgängerbrücke zu sehen. Dann blickte er kopfschüttelnd zu seinem Partner nach unten. "Klasse... das kostet wieder teuer Geld...", brummte er nur und atmete schwer...
12:00 Uhr - Bogota
Den Platz wechseln, sich einen Sitzplatz sichern, und beobachten. So lief der komplette Vormittag von Kevin ab und mit jeder Minute schwandt die Hoffnung. Ob er nun am Rande eines Brunnens saß und die Menschen beobachtete oder im Schatten einer Palme... immer wieder konzentrierten sich seine Augen darauf, die grell-rote Kurzhaarfrisur von Annie zu erblicken. Doch nirgends war die Frau zu sehen, um die sich Ole und die restlichen Punks soviel Sorgen machten, und deren Handysignal zuletzt aus Bogota kam. Aufgeben wollte Kevin nicht, aber er fand auch keinen Lösungsansatz, keinen Schlüssel um weitere Gebiete zu erkunden, um seinen Suchradius zu vergrößern. Er hatte nur die Befürchtung, dass jede Stunde, in der er Annie nicht fand, sie noch weiter in Schwierigkeiten ziehen würde.
Gerade jetzt ass er einen Mix aus nicht ganz vertrauenserweckenden Tortillas und schwarzen Bohnen in einer einheimisch aussehnden Kneipe. Er hatte nichts gefrühstückt und es fühlte sich an wie ein Loch im Magen. Er konnte nicht sagen, ob es wirklich Hunger war oder die immer stärker aufkommende Enttäuschung, das immer stärker aufkommende Gefühl, sich im Kreis zu drehen und keinen Ausweg zu finden. Obwohl Kevin erst gute 4 Stunden in diesem Vorort war, den Juan eben noch "Vorort zur Hölle" genannt hatte, war er resigniert. Das Gelände war einfach zu klein, um einer so auffällig aussehnden Person in so langer Zeit aus dem Weg zu gehen.
Der junge Polizist war gerade in Gedanken versunken, als sich Juan zu ihm an den Tisch saß. "Hmm...", sagte er beinahe genießerisch und schnupperte. "Tortillas mit Bohnen... gute Wahl, mi Amigo." Er grinste und lehnte sich im Stuhl zurück, während er der Bardame winkte um das Gleiche zu bestellen. An Kevins Miene bemerkte er sofort den Misserfolg der Suche, fragte aber dennoch: "Na, wie siehts aus?" "Schlecht.", war nur die kurze Antwort. "Ich habe es dir ja gesagt. Du suchst eine Nadel auf einem ganzen umgepflügten Acker. Du sagst, dein Mädchen wäre irgendwo in Bogota... vielleicht macht sie doch Urlaub in einem der angesagtesten Hotels der Stadt. Wenn sie hier wäre...", sagte er und zeigte auf den Platz, an dem sie gerade saßen "...hättest du sie längst gesehen."
Kevin hatte die Ellbogen auf den Tisch gestützt, den Kopf auf die Füße abgelegt. "Und was ist, wenn sie irgendwo hier in einem Haus festgehalten wird? Du hast doch selbst gesagt, dass es solche Häuser gibt.", gab er die Hoffnung noch nicht auf. Es war die einzige Erklärung, die er hatte. Juan sah auf seine Armbanduhr: "Um diese Zeit müsste sie das Haus längst einmal verlassen haben." Kevin seufzte und legte den Kopf in den Nacken. Er hatte nicht zum ersten Mal das Gefühl, dass Juan ihm nur widerwillig half...
"Ich kann nicht aufgeben... noch nicht. Ich bin erst 4 Stunden in diesem verdammten Kaff, ich kann deshalb noch nicht alles hinwerfen." Der kolumbianische Drogendealer sah Kevin von der Seite an und schwieg einen Moment, bis die Bardame ihm einen Teller mit Tortillas und Bohnen auf den Tisch stellte. Nun seufzte Juan und begann zu essen. "Du bist ein verdammt sturer Kerl.", sagte er mit vollem Mund und sah Kevin dabei an. "Sag mir, warum tust du das? Was bedeutet dir das Mädchen, dass du das alles für sie tust?" Nun lenkte Kevin seine blauen Augen auf den essenden Mann neben ihm und zog die Mundwinkel etwas herunter. "Das würdest du nicht verstehen.", sagte er wahrheitsgemäß... niemand verstand es, warum er dies tat. Seine Freunde nicht, Jenny nicht...
"Vielleicht verstehe ich es nicht... aber du kannst es mir ja erklären.", sagte Juan, nahm seinen Teller in die Hand und lehnte sich damit ihm Stuhl zurück, während er langsam weiter aß. "Warum willst du das wissen? Ich bezahle dich dafür, dass du mich unterstützt, du sollst kein Psychater für mich sein." Kevin war mal wieder in seiner Paradedisziplin, sich eine Mauer aus Ablehnung zum Schutze um seine Seele zu bauen. Diese Ablehnung bekam nun Juan zu spüren. "Warum ich das wissen will? Verdammt, weil ich noch nie einen Typen gesehen habe, der sein Leben riskiert für eine Frau, die er lapidar als "eine Freundin" bezeichnet." Er musste grinsen, beinahe auflachen und schob den halbleeren Teller zurück auf den Tisch. "Du lässt dich mit einem Drogenkartell ein, zahlst mir 50.000 für ein paar Informationen und leihst dir das Geld von einem Hai aus Deutschland dafür? Das macht man nicht nur aus reiner Nächstenliebe..."
Kevin tat das, was er am besten konnte... er schwieg. Er sah weiter stur geradeaus auf den Platz, auf dem Menschen wuselten. Die meisten recht spärlich begleitet, hin und wieder mal ganz klar zu erkennende Touristen, grimmig schauende Männer mit Messern oder Macheten an den Gürteln. Einige trugen auch ihre Schusswaffen offen. "Also entweder, du bist ein Zuhälter aus Deutschland und das Mädchen deine beste Arbeiterin, die vor dir geflohen ist...", zählte Juan auf, der sich von Kevins Schweigen nicht abschrecken ließ. "Oder du bist ein Profikiller, der weit mehr als 50.000 bekommt, um sie zu erschiessen." Nun bekam er zumindest einen recht verständnislosen Blick von Kevin zugeworfen, was ihn wiederrum zum Schmunzeln brachte.
"Oder aber, du bist gnadenlos in sie verliebt, und bist blind und blöd vor Liebe." Juan sah erwartungsvoll, als sich Kevin aus seiner Haltung löste und sich ein wenig zu ihm herüber drehte. "Ja... oder sie ist einfach nur eine gute Freundin, die ich nicht an die Drogen verlieren möchte, weil ich weiß, wie schwer es ist, davon wieder weg zu kommen." Er beließ die vierte Möglichkeit absichtlich als Möglichkeit, machte durch seinen Tonfall jedoch klar, dass das wohl die einzige Erklärung war. Juan sah den Mann von oben bis unten an, für einen Junkie hätte er ihn nicht gehalten. Er stand auf und klopfte Kevin auf die Schulter. "Ich weiß nur eins: Wer so etwas für einen anderen Menschen macht, der kann selbst kein schlechter Mensch sein." Dann ging er, ohne zu zahlen, von dem Tisch weg. "Ich komm dich gegen 17 Uhr wieder abholen... sei pünktlich."
Das Gespräch hatte ihn nicht weitergebracht, eher noch mehr der Hoffnung gestohlen. Warum sagte er ihm nicht, wo die Häuser waren, in denen Frauen festgehalten wurden? Warum sträubte er sich so dagegen, dort rein zu gehen... war es wirklich die Angst vor der Konkurrenz? Der Polizist steckte sich eine Zigarette in den Mund und ließ sein Feuerzeug aufschnippen. Seine Augen wanderten über den Platz, zu einem Haus und deren halb offen stehenden Fenstern. Eins der Fenster schien seinen Blick magisch anzuziehen, als der blaue Dunst vor ihm von dem Glimmstengel aufstieg. Er war wie gelähmt von dem, was er sah, und er kniff einmal, zweimal die Augen zusammen. Der knallrote Schopf, der dort kurz am Fenster erschien, nach draussen zu gucken schien und wieder verschwand, ließ ihn fast versteinern.
Gerade als er aufstehen wollte, sah er aus dem Augenwinkel, wie sich erneut eine Person an seinen Tisch saß. Zuerst dachte er, es wäre erneut Juan, doch diesmal war es jemand anderes. Er schien sich zufällig hinzusetzen, er sah Kevin nicht an, er grüßte ihn nicht und doch wusste der Polizist, dass dieser Besuch nicht zufällig war. Neben ihm saß Carlos Salazar Santos, und seine Augen ruhten geradeaus auf dem Platz gerichtet, ohne Kevin zu beachten... und doch wusste der, dass es jetzt wohl besser war, sitzen zu bleiben. Die roten Haare waren verschwunden, und der junge Polizist konnte nicht mehr sagen, ob es Realität oder Wunschtraum war...