Beiträge von Campino

    Dienststelle - 14:00 Uhr


    Ben saß an seinem Schreibtisch, die Ellbogen auf die Tischplatte gestützt und die Daumen aneinander reibend. Er starrte dieses komische Ding aus Hartplastik mit den 12 Tasten und der Verbindungsschnur an, als wäre es ein Ding aus einer anderen Welt. "Was ist denn jetzt? Machen wir es, oder nicht?", fragte sein Gegenüber zusehends genervt von Bens Unentschlossenheit, und wieder kam als Antwort nur ein interpretierbares Kopfwanken und ein summähnlicher Ton aus Bens Kehle. Er war hin und her gerissen zwischen Angst um Carinas Sicherheit, und dem Druck, den Mörder ihres Bruders zu finden. Er hatte es versprochen, doch die Situation hatte sich um 180 Grad gedreht. Die Chefin wollte es Carina Bachmann überlassen, ob sie den Lockvogel in einer fingierten Übergabe spielen wollte, Semir überließ es wiederrum Ben, überhaupt die Frage zu stellen.
    "Ich würde es mir nicht verzeihen, wenn ihr etwas passiert, Semir.", sagte er in Gedanken und strich sich mit den beiden Daumen seiner ineinander verschränkten Fingern über die Lippen. Semir presste die Lippen zusammen, und verstand seinen Partner natürlich. Klar machte er sich Sorgen, aber es war die vielversprechendste Möglichkeit, den Mord aufzuklären, seit sie an diesem Fall arbeiteten. Ausserdem hatten sie jetzt den Druck, dass die Unterlagen morgen nach Holland verschickt wurden, und Drager dann wegen den illegalen Geschäften des Kartells hinter Gitter ging. Im dann nachträglich den Mord nach zu weisen, würde fast unmöglich werden.


    "Ich werde dich zu nichts verleiten. Aber du weißt selbst, dass wir wohl bis morgen keine anderen Chance haben, Drager den Mord nachzuweisen." Ben nickte, wieder rasten die Gedanken durch seinen Kopf, wieder wog er ein Für und Wider ab, bis er schließlich den Hörer in die Hand nahm, und Carinas Handynummer wählte. Es dauerte nur ein paar Sekunden, bis die junge Frau sich am Telefon mit ihrem Familiennamen meldete. "Hallo Carina, hier ist Ben." "Ben... was gibts denn noch?", fragte sie mit müder Stimme. Entweder hatte sie gerade etwas geschlafen, oder aber sie war gerade wieder in einer anstrengenden Situation zu Hause mit ihrer Mutter. Im Hintergrund konnte der Polizist die klagende Stimme der alten Frau hören, die nach ihrer Mutter suchte und rief.
    "Ist alles okay bei dir?" "Jaja, nichts aussergewöhnliches. Warum rufst du an?" Ben druckste ein wenig herum. "Also... mit den Unterlagen können wir zwar vermutlich einen großen Teil des Kartells hinter Gitter bringen... allerdings wird es dann schwierig, den Mord deines Bruders nachzuweisen. Ich denke mal... dass dir das wichtig ist, oder?" Die Frage war eigentlich vollkommen überflüssig, aber Ben war ein wenig verlegen, weil er noch während des Gespräches überlegte, wie er die Frage verpacken konnte. "Ja natürlich ist mir das wichtig.", bestätigte Carina. "Wir müssen spätestens morgen die Unterlagen nach Holland schicken, und dann wird die Falle schnell zuschnappen. Wenn Drager erstmal als Teil des Kartells verhaftet ist, werden wir ihm den Mord nicht mehr nachweisen können.", erklärte er und seine Gesprächspartnerin hörte aufmerksam zu.


    "Wir... wir bräuchten... deine Hilfe." "Meine Hilfe?", wiederholte sie und schien nicht zu verstehen. "Richtig... wir haben uns gedacht, dass du... vielleicht bei einer fingierten Übergabe, ihn zu einem Geständnis bringen kannst." "Bei der Übergabe der Papiere, die Drager verlangt?" "Genau. Du rufst ihn an und sagst, dass du einknickst... dass du Angst hast, oder so. Bei dem Treffen werden wir dich, mit allem was wir haben, schützen. Du gibst ihm die Sachen und forderst, dass du wenigstens wissen willst, wer deinen Bruder getötet hat." Ben konnte spüren, wie Carina am Telefon zu denken schien. "Wir können das nicht von dir verlangen. Ich verlange es auf keinen Fall... aber wir wollten dir sagen, dass das die einzige Chance ist, Drager als Mörder zu überführen. Ansonsten wird Drager für seine Handlanger-Dienste ein paar Jahre einfahren, und der Mord bleibt ungesühnt."
    Ben klammerte sich mit schwitzenden Händen an den Telefonhörer und wartete gebannt auf eine Antwort. Er konnte Carinas Atem hören, er konnte immer wieder die Stimme ihrer Mutter vernehmen, die scheinbar orientierungslos im Haus herumging, auf der Suche nach ihrer eigenen Mutter. "Okay... ich mach es.", kam es dann irgendwann. "Ich werde Drager anrufen, und einen Treffpunkt mit ihm machen... sobald wie möglich." Ben atmete auf, doch Erleichterung wollte sich in seiner beklemmenden Brust noch nicht breitmachen. "Gut. Dann sagst du mir sofort Bescheid, wann der Zeitpunkt ist, damit wir alles vorbereiten können... Danke.", sagte Ben und nickte Semir zu, der sofort den Hörer ergriff und die nötige technische Ausrüstung von Hartmut anforderte.


    Sportgeschäft in Maastrich - 14:30 Uhr


    Nachdem Drager das Gespräch mit Carina Bachmann beendet hatte, blickte er gedankenverloren durch das kleine vergitterte Fenster, das zum Innenhof führte. Er war gerade bei seinem Kartellfreund Jos van Dyke, mit dem er sich zwei Tage zuvor noch auf der Raststätte getroffen hatte, um einige Dinge zu besprechen, als ihn ihr Anruf erreichte. "Was ist los? Das ist doch, was du wolltest.", sagte Jos auf holländisch, in selbiger Sprache antwortete ihm Drager. "Was ich wollte? Hör auf... wenn es nach mir ginge, hätte ich das Mädchen längst umgelegt." Sein Blick war verkniffen und seine Hand wanderte zu seinem Glas, das noch einen kleinen Rest dunkelbraunen Whisky enthielt. "Ach was... so ist doch alles in Ordnung. Wir haben die Beweise, mit der die Ratte uns erpresst hat. Also sind wir erstmal aus dem Schneider.", sagte van Dyke und zog an seiner Zigarette.
    Drager lachte kurz, nachdem er den letzten Schluck des bitteren Alkohols in sich gekippt hatte. "Sei dir nicht so sicher. Die Bullen haben gestern abend Vesoski geschnappt. Einer der beiden war ständig bei Carina. Ich weiß nicht, mein Freund. Die Sache stinkt zum Himmel, der Sinneswandel kommt mir zu schnell." "Du meinst, sie arbeitet mit den Bullen zusammen? Was soll das bringen? Die Beweise, uns hochgehen zu lassen, haben sie. Warum sollten sie das tun?" Van Dyke zog an der Zigarette und blies den Dunst durch den Raum, während sein Kollege das leere Glas in der Hand drehte. "Ich weiß es nicht... ich bin einfach misstrauisch."


    Für einen kurzen Moment herrschte Stille, bis van Dyke wieder das Wort ergriff. "Letztendlich musst du auf den Deal eingehen. Ansonsten fährst du ein, und das für lange Zeit. Und nicht nur du, sondern ich auch, und 10 oder 15 unserer Leute ebenso. Nur der Chef und zwei seiner engsten Vertrauten sind abgesichert, unabhängig davon, was in den Akten steht." "Richtig, und deshalb hat der Chef auch gut lachen, vor allem wenn er uns vorgibt, der Frau und ihrer Mutter kein Haar zu krümmen. Sonst hätte ich längst andere Seiten aufgezogen." Für einen Moment lachte der Verbrecher mit der Kippe auf. "Es konnte ja auch niemand ahnen, dass Carina die Erpressung weiterführt. Der Boss hatte ja gedacht, dass sie viel zu eingeschüchtert ist, wenn er Bachmann durch dich beseitigen lässt. Aber es ist schon eine Ironie, dass sich die eigene Familie gegen einen stellt."
    Drager sah zu seinem Freund rüber und presste die Lippen aufeinander. "Vielleicht hätte es geholfen, wenn der Alte gegenüber seiner Tochter mal mit der Wahrheit rausgerückt hätte. Dass Björn nur ihr Halbbruder war, und sie ein Kuckuckskind aus einer Affäre zwischen ihm und ihrer Mutter. Vielleicht wäre dann alles einfach gewesen." Grummelnd setzte er hinzu, als er vom Tisch aufstand. "Es wäre vor allem einfacher gewesen, wenn wir die Frau auch gleich erledigt hätten. Dann wären die Akten niemals gefunden worden." Noch einmal setzte er das Glas an den Mund, um auch wirklich den letzten Tropfen auszutrinken, bevor er es ungehalten auf den Tisch knallen ließ. "Wir müssen los." "Alles klar, mein Freund. Aber ich sag dir, verlier nicht die Nerven bei der Übergabe. Wenn dem Mädchen etwas passiert, wird es keinen Ort geben, an dem du dich vor dem Boss verstecken kannst..."

    Motel - 8:00 Uhr


    Juan spürte in sich eine eigenartige Mischung aus Vorfreude und böser Vorahnung, er war entspannt und angespannt zugleich. Er kannte das von sich selbst überhaupt nicht. Eigentlich war er ein Typ, der locker an jede Herausforderung heranging, Leute die ihn kannten beschrieben ihn als Sunnyboy, dem nichts die Laune vermiesen konnte. Nur im Geschäftsleben auf der kriminellen Seite konnte er knallhart sein. Jetzt wagte er es, und stellte sich mit diesem Unternehmen gegen den Chef des größten Kartells, Santos. Auch wenn er selbst bei dem folgenden Geschäft nicht aktiv etwas tat, so war er doch beteiligt. Er war es, der Esteban gestern abend noch angerufen hatte und dem mexikanischen Nachtclub-Besitzer aus Medellin die Idee, sich mal wieder in paar Mädchen für seinen Schuppen bei Santos zu besorgen, schmackhaft zu machen. Und nebenbei ein Mädchen mehr dort auszusuchen, als er brauchte... nämlich Annie.
    Der Kolumbianer verschwieg Esteban den eigentlichen Beweggrung für diese Aktion und gab vor, dass er selbst Interesse an der kleinen Europäerin hatte. Der Nachtclub-Besitzer war für Juan kein Freund, höchstens ein Geschäftspartner, bei dem er keinen Wert auf Ehrlichkeit und Offenheit legte. Wichtig war nur, dass Santos keinen Verdacht schöpfte, und da sah Juan gute Chancen, da Esteban sich schon öfters Mädchen bei dem Kartellchef "besorgt" hatte. Er hatte Kevin gestern abend noch eine Nachricht geschickt, dass Esteban einverstanden war und am Morgen bereits eintreffen würde. Sie machten einen Treffpunkt ab, der ausserhalb des Viertels lag, um Annie quasi auszutauschen.


    Als Juan jetzt, zum verabredeten Treffpunkt vor dem Motel stand und wartete, wurde er doch etwas nervös, denn Kevin ließ sich Zeit. Irgendwann, ungefähr 10 Minuten zu spät, kam er dann doch aus der Eingangstür des Motels, und der Kolumbianer musste zweimal hinsehen. Der junge Mann, der da jetzt mit langsamen Schritten aus der Tür kam hatte nichts mehr von seiner gestrigen Entschlossenheit und dem unbedingten Drang, Annie aus Santos Händen zu befreien. Sein Blick schien unsicher, seine Haare, gestern noch in alle Richtungen stehend, lagen beinahe andächtig flach beisammen. Nur wenn der Wind auffrischte hatte seine Frisur etwas von der Gestrigen. Den Blick immer wieder auf den Boden gerichtet kam er zu dem Geländewagen und stieg auf der Beifahrerseite ein.
    "Schlecht geschlafen?", war Juans Begrüßung und der Polizist neben ihm nickte stumm, als er die Tür zu zog. "Was ist los?" Kevin seufzte und sah aus dem Fenster. Es hatte sich gestern alles geändert, auf einen Schlag. Jenny war schwanger... von ihm. Er würde Vater werden und war tausende Kilometer weit weg von seiner Freundin, begab sich mehrfach in Lebensgefahr um eine Frau zu retten, die seinen Partner hätte sterben lassen für ihre Ideologie. Kevin hatte in Deutschland Ben und Jenny vor den Kopf gestoßen, Semir war er in den Rücken gefallen und die Chefin hatte er dreist belogen. Er hatte gestern wirklich nicht damit gerechnet, dass ihn auch nur einer von denen Wert darauf legte, dass er nach Deutschland zurück kehrte.


    Doch jetzt war alles anders. Plötzlich ergab hier alles keinen Sinn mehr. Der Dämon, der ihn verfolgte und zwang, Annie zu helfen als Ausgleich, als hilfloser Versuch etwas gut zu machen, wobei er vor 11 Jahren versagt hatte, war plötzlich unverständlich geworden. Er wusste nicht mehr, wohin er Kevin treiben sollte... zu Annies Rettung, oder nach Hause um sein Kind zu schützen. Letztendlich ließ er den jungen Mann hilflos zurück, der sich auch genauso fühlte... desorientiert und plötzlich in allem unsicher. "Ich... ich weiß nicht, ob es richtig ist, was wir machen.", sagte er irgendwann, als Juan den Geländwagen bereits auf die Straße gelenkt hatte, und jetzt mit einer Vollbremsung am Straßenrand zum Anhalten kam.
    "Wie bitte?", fragte der Kolumbianer verständnislos, und sah zu seinem Beifahrer herüber, der seinen Blick aus der verstaubten Frontscheibe richtete, sich auf die Lippen biss und ein wenig die Augen zukniff. "Ich sagte, ich weiß nicht, ob es richtig ist was wir machen." "Ich hab dich schon verstanden, Mann. Ich will nur wissen, was du damit meinst!", fuhr der Kolumbianer ihn an. Kevin schluckte... "Es hat sich... alles ein wenig verändert." Nun war es auch Juan, der sich desorientiert fühlte. Was war denn nun los? Der junge Mann, der gestern noch davon redete, sich symbolisch eine Kugel zu verpassen, wenn er es nicht schaffte seinen Dämon durch Annies Rettung zufrieden zu stellen, war auf einmal unsicher? Das kalte Feuer in den hellblauen Augen war vollständig verschwunden, die sichere Haltung in seiner Statur schon auf dem Weg zum Wagen verloren gegangen.


    "Was ist los? Esteban ist auf dem Weg hierher. Der hat mit Santos alles abgeklärt! Und du bist dir auf einmal nicht mehr sicher? Warum nicht??" Juan verstand die Welt nicht mehr und Kevin litt Höllenqualen. Wie gerne hätte er jetzt seine Helferlein dabei, die auf jedes Problem ein Hochgefühl als Antwort haben. Er würde Juan keinesfalls davon erzählen, was ihn in dieser Nacht so durcheinander gebracht hatte. So sehr er sich jetzt auch auf den Kolumbianer verließ... völlig vertrauen tat er ihm nicht. Er hatte bisher nichts von sich preisgegeben, weder seinen Beruf, noch wo er genau herkam. Er sprach nur davon, dass er vieles in Deutschland aufgegeben hatte, was Freundin und Freunde anging.
    Kevin hatte Angst, dass etwas schiefgehen konnte, und Juan und er sich vielleicht doch nicht freundlich trennten. Das Wissen, dass Kevin eine kleine Familie zu Hause hatte, ein Kind bekommen würde, wollte er Juan nicht geben, zu groß war die Angst vor einer Rache des Kolumbianers... oder einer Rache von Santos, falls dieser Juan unter welchen Mitteln auch immer zum Reden bringen würde. Nein, davon durfte niemand hier erfahren... niemand! "Du hast recht... das war Blödsinn.", wischte Kevin die Zweifel zumindest äusserlich bei Seite. "Es ist nichts. Lass uns die Sache durchziehen."


    Juan sah immer noch misstrauisch zu Kevin herüber, der es immer noch nicht schaffte, seinem Fahrer in die Augen zu schauen... untypisch für den jungen Polizisten. "Na schön...", sagte er langsam und brachte den Wagen wieder auf die Straße und ins Rollen. "Esteban wird gegen 9:30 Uhr bei Santos eintreffen und den Deal abwickeln. Er holt fünf Frauen für seinen Club, und Annie als sechstes. Danach treffen wir uns in einem kleinen Stück Dschungel in der Nähe des Rio Cauca, eine halbe Stunde von Bogota weg. Dort wird Esteban Annie quasi "übergeben", und ich bringe euch auf dem schnellsten Wege zum Flughafen. Das letzte Stück fahrt ihr alleine, damit mich niemand sieht. Alles klar?", erklärte Jaun den Plan, und Kevin nickte ein wenig abwesend.
    Trotzdem hörte der Polizist natürlich zu. "Was ist, wenn die am Flughafen auf uns warten?", fragte er, und sein Fahrer schüttelte den Kopf. "Bogota lebt auch noch vom Tourismus. Die Politik wäre sehr ungehalten, wenn die Urlauber durch eine Schießerei am Flughafen gestört werden. Dort kann euch am allerwenigsten passieren. Wenn sie uns im Dschungel abfangen, haben wir verloren." "Und was ist dann mit dir?" Kevin sah nun etwas verwundert drein, denn gestern hatte Juan es noch, verständlicherweise abgelehnt, seine komplete Existenz in Kolumbien zu riskieren. Der spitzte nun ein wenig die Lippen. "Falls es wirklich kommt, dass Santos misstrauisch wird... und das wird er... und uns erwischt... dann werde ich sagen, dass ich euch beide zusammen aufgegalbelt habe. Annie wird er wieder mitnehmen, und dich kann ich vielleicht frei pressen." "Ist das dein Ernst? Er wird sie dann einfach töten!", sagte der Polizist empört. "Ja, das wird er.", bestätigte der Kartellboss unverhohlen. "Ich habe dir von vorneherein gesagt, dass ich für dich nicht alles aufs Spiel setze. Das ist mein Angebot. Wenn schiefläuft, haue ich dich raus, und er nimmt sie mit... oder...", Juan verstummte kurz und erinnerte sich an Kevins Gespräch von gestern abend. "Oder was?", versuchte der ihm auf die Sprünge zu helfen. "Oder umgekehrt... ich presse Annie frei... und er wird dich mitnehmen. Es liegt dann ganz an dir."Der Polizist sah herüber zu seinem kolumbianischen Fremdenführer und presste die Lippen zusammen, während sein Dämon im Kopf höhnisch lachte und sich die Hände rieb...

    Kannst du das bitte mal beim technischen Admin anfragen? Die haben normalerweise, wenn sie was auf dem Kasten haben, Serverlogs um auszulesen, wer den Thread wie gelöscht hat.

    Hier war es ein Kapitel... Wenn das bei einer Story mit bereits 80-90 Kapitel passiert, wäre ich im Falle des Autors leicht ungehalten...

    Dienststelle - 11:00 Uhr


    Ben hatte sich ein wenig Zeit gelassen. Er und Carina hatten Hermine Bachmann aus der Betreuungseinrichtung abgeholt und nach Hause gebracht. Dort hatten sie noch kurz geredet. Carina schien sehr erleichtert, und ihr Zorn auf Ben von gestern abend schien verflogen. Sie hatte eingesehen, dass er nur seinen Job machte, und dass hinter seinen Besuchen keine doppelte Absicht steckte. Kleinlaut entschuldigte sie sich und hatte gleichzeitig große Angst davor, ins Gefängnis zu kommen. Aber der Polizist versuchte sie zu beruhigen, sie solle sich jetzt keine Gedanken machen, ihr Haus würde bewacht werden und er würde versuchen, Drager so schnell wie möglich hinter Gitter zu bringen. "Wir schaffen das schon. Vertrau mir, du musst nicht ins Gefängnis.", sagte Ben, als er sich verabschiedet hatte. "Ich weiß, dass es falsch ist, was ich getan habe. Aber...", sagte Carina leise und schaute mit traurigem Blick auf ihre Mutter, die müde im Sessel saß.
    Carina händigte dem Polizisten noch einen kleinen Schlüssel für das Bankschließfach aus, sowie eine Bevollmächtigung, dass Ben das Schließfach öffnen und den Inhalt mitnehmen durfte. Dies gelang ihm bei der Bank dann auch ohne Zwischenfälle, auch wenn er mit der kleinen Klemmakte in der Hand auf dem Weg vom Bankgebäude bis zu seinem Dienstwagen mehr als einmal um sich schaute.


    Jetzt lag die Akte auf dem Schreibtisch der Chefin und wurde von ihr kritisch beäugt. Vieles davon war auf niederländisch geschrieben und deswegen für alle drei unverständlich, einiges aber auch auf Deutsch, den Rest reimten sie sich zusammen. "Informationen und Notizen von Drogengeschäften... Abrechnungen von Prostituierten und Unterlagen von den Bränden des Sportgeschäfts. Alle Achtung, meine Herren.", sagte die Chefin nickend. "Damit werden die Kollegen in Holland bestimmt etwas mit anzufangen wissen." Lächelnd klappte sie die Akte zu und sah zu ihren beiden besten Mitarbeitern auf, die vor ihrem Schreibtisch auf den Stühlen saßen und noch nicht ganz zufriedene Gesichter machten. "Was ist los? Hat es ihnen die Sprache verschlagen?"
    "Naja, Chefin... wir wissen nicht wie weit der Drager da mit drin hängt. Er ist unser Hauptverdächtiger für den Mord an Bachmann, und es wäre fatal, wenn er wegen dieser Sache vielleicht mit einem blauen Auge davon kommt.", sagte Semir mit leicht wankenden Kopfbewegungen. "Für den Mord fehlen uns aber die stichhaltigen Beweise. Wir haben nur lose Indizien und sie wissen ja, wie das bei diesen Kartellen ist... wenn Drager nicht doof ist, hat er ein Alibi.", ergänzte dessen Partner. "Hmm... vielleicht finden sich in den Aufzeichnungen Hinweise auf weitere Morde." Die Chefin hob, während sie die Vermutung anstellte den Deckel der Akte noch einmal nach oben. "Bis die holländischen Kollegen das durchgearbeitet haben, ist der Typ vielleicht über alle Berge."


    Anna Engelhardt stützte ihre Ellbogen auf den Schreibtisch. "Was schlagen sie stattdessen vor, meine Herren?" Ben senkte den Kopf etwas und fuhr sich mit der Hand über die Stirn, ein untrügliches Zeichen der Ideenlosigkeit. "Wenn Carina Bachmann zum Schein doch bei Drager dem Druck nachgibt... und ein Treffen verabredet, um ihm die Dokumente zu übergeben?", dachte Semir laut und sah erst die Chefin, dann Ben herausfordernd an. "Bist du wahnsinnig? Was ist, wenn der Typ sie umlegt?", sagte Ben erregt und zeigte seinem Partner einen Vogel. "Das geht auf keinen Fall, Semir.", beharrte auch seine Vorgesetzte. "Nana... wenn Drager Carina oder ihrer Mutter hätte Leid antun wollen oder dürfen, dann hätte er das längst getan. Ich glaube nicht, dass sie gefährdet ist." "Jetzt komm mir bitte nicht wieder mit deiner Theorie, dass der Mord nur ein Versehen war." Ben sah seinen Partner ein wenig schnippisch von der Seite an.
    Semir seufzte: "Wenn Carina bei der Übergabe Drager zu einem Geständnis bringt, wenn sie ihn auf ihren Bruder anspricht... dann hätten wir ihn." Ben schüttelte den Kopf. "Natürlich müssen wir sie überwachen. Stimmenrekorder, GPS in der Kleidung, das ganze Programm." Die Chefin fuhr sich mit dem Zeigefinger über die Lippen. "Soviele Finger habe ich gar nicht an beiden Händen um aufzuzählen, wieviele Dienstvorschriften wir dafür brechen müssten." "Chefin, es ist aber nun wahrlich nicht die erste Übergabe, die wir arrangieren... und schon gar nicht die Erste innerhalb der Dienstvorschriften." Ben nickte: "Da hat er recht, Chefin.", meinte er schmallippig und Frau Engelhardt verengte ihre Augen zu Schlitze. "Das soll Frau Bachmann entscheiden, ob sie das tun will oder nicht. Spätestens morgen gehen die Unterlagen nach Holland."


    Ben und Semir verließen das Büro der Chefin, als der größere Beamte seinen kleineren Freund am Kragen kurz festhielt. "Bist du dir wirklich sicher bei dieser Idee? Ich habe echt Angst um Carina. Die Typen wissen doch, dass sie Kontakt zur Polizei, zu mir hat." Semir seufzte kurz, sah für einen Moment auf den Boden, bevor er seinen Blick nach oben zu Ben richtete. "Frag mich nicht wieso... Instinkt, Gefühl... aber ich glaube, die werden Carina nichts tun. Ich kann dir nicht sagen, warum. Aber dann hätten sie es schon längst getan. Es muss einen Grund geben, warum sie Björn Bachmann, falls es kein Versehen war, eiskalt umbringen und es bei Carina mit warmen und drohenden Worten versuchen. Irgendetwas muss da dahinter stecken." "Versteh mich nicht falsch, aber nur dein Instinkt ist mir ne Spur zu vage, mein Freund." "Ben... wir werden sie schützen, mit allem was wir haben." Er legte dabei seine Hand auf Bens Schulter und sah seinem Freund in die Augen. Kurz verharrte er dann aber, bevor er sagte: "Aber wenn sie nicht möchte, werden wir sie nicht zwingen. Und wenn du es nicht mit dir selbst verantworten kannst... dann werden wir sie gar nicht erst fragen, okay?" Er legte damit zwar die letztendliche Entscheidung in Bens Hand, aber er tat es aus gutem Grund. Carina war nicht irgendeine Zeugin... Ben fand sie sympathisch, vielleicht empfand er sogar mehr für sie. Da fand Semir es nur recht und gerecht, wenn Ben in dieser Sache das letzte Worte hatte.


    Gerade, als Semir sich von seinem Partner abgewendet hatte und einige Schritte ging, kam Ben der Gedanke, den er Semir eigentlich schon heute morgen mitteilen wollte. "Kevin hat übrigens geschrieben. Es ist alles okay." Semir blieb kurz stehen, mit dem Rücken zu Ben und schien kurz zu überlegen, ob er es einfach ignorieren sollte, oder antworten sollte. Es dauerte kurz, bis er den Kopf zu Ben herumdrehte: "Schön für ihn. Hoffentlich holt er sich keinen Sonnenbrand.", sagte er scharf und seine Stimmung kippte in Sekundebruchteilen. Sein Partner verdrehte die Augen: "Ach Semir, hör doch auf. Du willst mir doch nicht erzählen, dass es dich nicht interessiert, was er dort macht und wie es ihm geht."
    Nun drehte sich Semir dann doch um, und blickte Ben mit ernstem Blick an. Es war erstaunlich, wie schnell sein Gemütszustand wechselte, fand Ben, denn das war früher nicht so. "Nein, es interessiert mich nicht, Ben. Ich habe es dir auch gestern schon gesagt. Kevin kann mir gestohlen bleiben." Ben ging einige Schritte auf Semir zu und schob ihn in ihr eigenes Büro. Im Großraumbüro war, ausser Andrea, keine Menschenseele, aber die Chefin musste durch die geschlossene Tür die Unterredung ja nicht unbedingt mitbekommen. In Semir brodelte es, und er spürte dass sein Bauch, seine Emotionalität gerade anders redete, als sein Kopf dachte. "Das kannst du nicht ernst meinen, Semir.", sagte Ben ein wenig fassungslos und sah, wie sein Partner sich an den Türpfosten lehnte. "Doch, ich meine es ernst. Was er getan hat, kann ich nicht vergessen. Es ist mir egal, Ben. Es ist mir völlig egal, was er macht oder wo er ist."


    Wütend wollte Semir seinen Partner stehenlassen und durch das Großraumbüro Richtung Flur gehen, als Jenny gerade zur Tür hereinkam, und ein wenig verloren da stand. Ihre Wangen waren leicht gerötet, sie hatte leichte Schatten unter den Augen und sah nicht wirklich gesund aus. Sie hatte die lauten Worte Semirs noch mitbekommen und blickte den kleinen Polizisten traurig an. "Jenny... was machst du denn hier?", fragte Andrea erstaunt. "Ich dachte, du seist krank." Die junge Frau nickte und kam zu Andrea an den Schreibtisch. Die Geheimniskrämerei lähmte sie, sie hatte heute morgen nur die kurze Nachricht von Kevin gelesen, was sie einerseits freute, andererseits die Einsamkeit noch verdeutlichte. Sie wusste, dass er für sie da war, und war trotzdem nicht da. Es schmerzte sie so sehr, dass ihr zu Hause schnell die Decke auf den Kopf fiel. "Ich konnte nicht mehr alleine zu Hause sein. Ich fühle mich so einsam.", sagte sie leise und ließ sich erstmal von Andrea in den Arm nehmen.
    Nachdem Semir und Ben gestern schon vermutet hatten, dass Jenny sich komisch benahm und das noch auf Kevins Verschwinden schoben, waren sie jetzt nicht mehr so sicher. "Jenny, was ist los... in den letzten Tagen? Also nicht nur die Sache mit Kevin.", fragte Ben einfühlsam. Er hatte einen besonderen Draht zu Jenny und berührte sie sanft am Oberarm. "Kommt Männer, habt ihr nicht irgendeinen Einsatz zu fahren?", wollte Andrea die beiden abwimmeln, weil sie ja wusste, dass Jenny ihre Schwangerschaft geheim hielt. "Nein... lass sie... ich mag es nicht mehr verheimlichen.", unterband Jenny den Abwimmlungsversuch. "Ich... ich bin schwanger. Von Kevin."


    Für einen Moment hätte man im Büro eine Stecknadel fallen hören können. Semir und Ben sahen Jenny an, dann zu ihrem, immer noch flachen Bauch, und wieder zu Jennys Gesicht. "Schwanger?", wiederholte Ben und Semir fuhr sich über den Kopf. Normalerweise war so eine Nachricht ein Anlaß zum Glückwunsch, aber aus Jennys kompletter Körperhaltung, ihrem Aussehen und den Umständen um Kevin, sah man ihr an, dass sie momentan alles andere als glücklich war. "Ich habe es vorgestern erst erfahren." "Weiß... weiß Kevin Bescheid?", fragte der größere der beiden Polizisten. Die junge Frau nickte: "Ja. Ich... ich wollte es ihm am Telefon sagen, aber ich erreiche ihn nicht. Und nachdem ich heute nacht... einen schrecklichen Traum hatte... da hab ich ihm geschrieben. Ich hab es einfach nicht mehr ausgehalten." Sie zeigte die Nachricht und Kevins Antwort den beiden Polizisten. Semirs Zorn verflog nicht, aber er legte sich zumindest.
    Dann offenbarte Jenny die Angst, die sie hatte, weshalb ihr Kevins Nachricht auch Kummer bereitete: "Ich habe solche Angst, dass ihm was passiert. Ich fühle mich jetzt schon so alleine... wenn...", sagte sie stotternd, und Semir, der eben noch so wütend über den jungen Polizisten in Kolumbien war, fiel ihr ins Wort: "Hey Jenny... du kennst ihn doch. Ihm wird nichts passieren. Ausserdem...", und dabei blickte der erfahrene Beamte Jenny fest an. "Du bist nicht alleine, Jenny. Niemals!" Dabei lächelte er warmherzig und schaffte es, auch Jenny ein kleines Lächeln ins Gesicht zu zaubern...

    @Trauerkloss

    Ich sage mal aus eigener Erfahrung: Eine Teilzeitpflege, die zu den erkrankten ins Haus kommt, damit die Angehörigen selbst "mal raus" können, empfinde ich als weitaus entspannender, als die Erkrankte in ein Heim zu bringen. Sie bleibt in der gewohnten Umgebung, wird nur für einige Stunden von jemand anderem betreut, weshalb den Angehörigen das leichter fällt. Dieses "Abschiebe" - Gefühl ist da nicht so krass.

    Bei diesen Nachmittags-Einrichtungen, wie im Kapitel beschrieben, ist es auch so, dass die Angehörigen mitgehen, die ersten 2-3 Mal und es ein sanfter Übergang ist. Aber such da immer "nur" für ein paar Stunden. Carina hatte diesen sanften Übergang nicht.

    Dienststelle - 9:40 Uhr


    Ben musste erstmal durchatmen... und das konnte er nicht im Verhörzimmer. Dort war die Luft voller Spannung, sie kam ihm stickig und verbraucht vor, obwohl das Verhörzimmer an die Klimaanlage der Dienststelle angeschlossen war. Es war ein rein subjektives Empfinden, dass der Polizist mal raus auf den Flur musste, er tätschelte Carina kurz an der Schulter, die immer noch zusammengesunken auf ihrem Stuhl saß und leise schluchzte, bevor er den Raum verließ. Draussen lehnte er sich an die Wand, fuhr sich mit beiden Händen durch die, heute etwas wild stehenden langen Haare, und sah gedankenverloren zur Decke, als stünden dort alle Lösungen aufgeschrieben. Es war nicht so schlimm, wie es Bens schlimmste Befürchtungen waren, aber trotzdem bereitete ihm dieses Geständnis Kopfzerbrechen.
    Semir, der im Nebenraum das Verhör beobachtete, verließ diesen ebenfalls als er sah dass Ben kurzzeitig das Verhör unterbrach. Jetzt kam er nach drausse, stellte sich schräg gegenüber von Ben und stemmte die Hände in die Hüfte. Er war stolz auf seinen besten Freund, hatte der doch jegliche persönliche Aversionen professionell unterdrückt und gegen Carina sogar kurzzeitig das "Böse-Bullen-Programm" durchgezogen, was letzendlich dann auch zum Erfolg geführt hatte. Semir wusste, wie schwer das Ben gefallen sein muss.


    "Und, was denkst du?", fragte der jüngere der beiden Männer und Semir legte den Kopf ein wenig schief. "Ich weiß nicht.", meinte der erst, bevor er dann doch zu einer etwas ausführlicheren Antwort kam: "Also gut ist schon mal, dass sie scheinbar wirklich ohne jegliche kriminelle Energie da drinhängt, und die Erpressung mehr oder weniger verzweifelt von ihrem Bruder fortgesetzt hat. Wenn sie sich da geschickt verhält, dürfte sie rechtlich nichts zu erwarten haben." Ben nickte und das war auch das, was ihn so erleichterte. Einerseits. "Was natürlich weniger gut ist: Wir wissen immer noch nicht sicher, wer Björn Bachmann erschossen hat und selbst wenn wir Drager verhaften könnten, löst das Carinas Problem noch lange nicht.", wobei er bei dem Wort Problem Daumen und Zeigefinger aneinanderrieb.
    "Das wäre ja momentan noch das geringste Problem...", meinte Ben ein wenig entrückt... natürlich würde er Carina unterstützen, schließlich war er dazu in der Lage. Das erste, von Semirs beschriebenen Negativpunkten war dagegen schwerer zu lösen. "Drager ist ein Profi. Der wird für den Zeitpunkt ein wasserdichtes Alibi haben. Dass er es war, daran zweifel ich nicht. Die Bewegung, die er gemacht hat, als er vor meinem Auto stand, war eindeutig.", sagte Ben voller Überzeugung. "Das ist ja gut und schön, aber wie weisen wir es ihm nach?"


    Für einen Moment war es auf dem Flur mucksmäuschenstill. Beide Polizisten dachten nach, suchten nach der Lösung, dem Geistesblitz, der sie einen Schritt vorwärts kommen lassen würde. "Warum Drager ständig bei ihr ist, hast du nicht gefragt...", dachte Semir nun laut und sah Ben an, der den Kopf schüttelte. "Nein... aber vielleicht versucht er, Carina einzuschüchtern und die Papiere kostenlos zu fordern. Schließlich weiß sie jetzt, was mit ihrem Bruder passiert ist." "Aber warum bringen sie Carina nicht auch um? Oder setzen sie anders unter Druck?" Semirs Frage war berechtigt. Sollte es wirklich nur deshalb sein, um weniger Aufsehen zu erregen. Das hatten sie aber doch schon mit dem Mord an Björn Bachmann getan. "Vielleicht...", überlegte Semir nun wieder laut. "Vielleicht war der Mord ein Unfall."
    Ben zog die Stirn in Falten und sah Semir verständnislos an. "Ein Unfall? Mit einem Scharfschützengewehr?" "Warum nicht? Wenn Drager Björn vielleicht nur verletzten wollte. Oder erschrecken, vielleicht sogar nach der Geldübergabe. Nach dem Motto: Du hast dein Geld, versuch das nicht noch einmal. Jetzt war es kalt, der hat gezittert oder ist verrutscht, oder was weiß ich... und statt Bachmann zu erschrecken, erschiesst er ihn. Als er sieht, dass er tot ist, schnappt er sich das Geld wieder, wobei er ein paar Scheine verliert." Ben war von Semirs Theorie nicht ganz überzeugt, aber sie klang zumindest ein wenig plausibel. "Vielleicht schrecken die Typen doch vor Mord zurück. Sonst hätten sie dich und Kevin auf der Autobahn doch auch wegpusten können."


    "Komm mit rein.", sagte Ben dann plötzlich und trat wieder in das Verhörzimmer. Carina hatte sich ein wenig beruhigt und sah nun mit geröteten Augen auf, als Semir und Ben ins Zimmer kamen. "Was will Drager von dir, wenn er zu dir kommt?", fragte Ben dann wieder mit ruhiger Stimme, setzte sich Carina gegenüber während Semir stehen blieb. Der Blick der jungen Frau auf den erfahrenen Beamten war etwas unsicher. "Er... er droht mir. Er sagt, ich würde alles schlimmer machen, und mir würde nichts passieren, wenn ich ihm die Unterlange einfach gebe. Er versucht, mich einzuschüchtern." "Und sie haben keine Angst davor, dass nicht doch etwas passieren könnte?", fragte nun Semir. "Doch, natürlich habe ich Angst. Aber... es ist meine einzige Chance." Ihr Blick ging wieder zu Ben. "Die einzige Chance, Ben. Zumindest eine Teilzeitpflege zu bezahlen, damit ich mal wieder raus kann."
    "Wo sind die Dokumente jetzt?" "In einem Bankschließfach." Carina saß wieder aufrecht, ihre Hände auf dem Tisch. Irgendwie erschien sie doch ein wenig erleichtert, dass sie alles erzählt hatte, auch wenn ihr klar war, dass das Geld, das sie so dringend benötigte, jetzt futsch war. "Ich wollte einfach nicht, dass Björn umsonst gestorben ist. Deswegen habe ich die Erpressung weiter durchgezogen. Ich bin nicht kaltherzig, ich hab meinen Bruder geliebt, bitte glaubt mir das." Ben ergriff eine der beiden Hände auf dem Tisch und nickte. "Wir glauben dir das, Carina."


    Auch Semir war innerlich davon überzeugt, dass Carina die Wahrheit sagte. In fast 20 Jahren bei diesem Verein lernte man so etwas wie Menschenkenntnis, und das war auch nötig. Man musste in Sekunden abwägen, ob jemand log, oder die Wahrheit sagte und manche Menschen waren schwieriger zu durchschauen als andere. "Hat Drager mal ihren Bruder seit dessen Tod erwähnt?" "Er hat nur einmal gesagt, dass es mir so gehen würde wie Björn. Das war, als du uns vor dem Haus beobachtet hast.", sagte die junge Frau in Bens Richtung. Sie brauchten wohl ein Geständnis, über die Beweisführung war Drager der Mord nicht nach zu weisen. "Na gut, Carina... ich glaube, das wars erstmal. Wir fahren jetzt zusammen deine Mutter abholen, und vorher gehen wir die Unterlagen holen, okay?", sagte Ben und Carina nickte dankbar. Sie fühlte sich müde, aber auf der anderen Seite auch ein bisschen erleichtert. Der Alptraum würde zwar kein Happy-End für sie haben, aber er neigte sich dem Ende zu.
    Ben holte seine Winterjacke vom Stuhl und bedankte sich nochmal bei Semir für dessen Vertrauen, dass er das Verhör alleine führen durfte. "Kein Problem. Hast du sehr gut gemacht.", hatte der erfahrene Ermittler auch noch ein Lob übrig. "Wenn du wieder da bist, reden wir mit der Chefin. Vielleicht finden wir gemeinsam eine Lösung. Ausserdem soll sich eine Zivilstreife des Personenschutzes in der Nähe von Carinas Haus postieren, nur zur Sicherheit." Ben stimmte seinem Partner zu und verabschiedete sich.

    Dienstelle - 09:00 Uhr


    Den Weg vom Parkplatz zur Dienststelle ging Ben schon hunderte, vielleicht tausende Mal. Mal ging er allein, mal Seite an Seite mit seinem Partner Semir, mal hatten sie Verdächtige im Schlepptau, Verhaftete Verbrecher oder Opfer, die mitkamen um eine Anzeige aufzugeben. Doch heute hatte er das Gefühl, als würde er die junge blonde Frau, die neben ihm ging, zur Hinrichtung bringen. Als würde er selbst das Urteil fällen, aussprechen und gleichzeitig vollstrecken und er der Polizist fühlte sich dabei hundeelend. Am liebsten wäre er zu Semir gegangen und sich für den Rest des Tages krank gemeldet, doch er wusste dass sein Magen ihm nur einen Streich spielte und diese innere Unruhe, dieses innere Unwohlsein nur von der jetzigen schwierigen Situation her rührte.
    Die beiden traten in das Großraumbüro und Ben nickte seinem Partner, der gerade durch die Glasscheibe zwischen seinem und dem Gesamtbüro durchsah, zu. Semir winkte kurz, nahm etwas zu schreiben, und kam aus dem Büro heraus. Mit einem kurzen Händedruck begrüßte er Carina Bachmann, und wollte ihr schon den Weg zum Verhörzimmer zeigen, doch Ben kam ihm erst einmal mit etwas Freundlichkeit zuvor. "Möchtest du einen Kaffee?", fragte er, doch die junge Frau schüttelte nur den Kopf und ging den Weg, den Semir ihr gezeigt hatte. Scheinbar wollte sie den Spuk schnell hinter sich bringen.


    Die beiden Polizisten folgten ihr dicht. "Diese Tür bitte.", sagte Semir höflich und Carina trat ein. Ben hielt Semir, bevor der ebenfalls in das Verhörzimmer eintreten konnte, am Hemdsärmel fest. "Hey... lass mich bitte alleine mit ihr reden.", bat er leise. Sein erfahrener Partner seufzte. "Ben, die Diskussion hatten wir doch gestern abend schon..." "Ich weiß... aber... ach Mensch Semir. Ich hab einfach Angst vor dem, was sie erzählt, die Ungewissheit frisst mich aber genauso auf. Du kannst es dir doch ansehen, und eingreifen wenn dir was nicht gefällt.", sagte der Polizist und zeigte mit einer kurzen Geste auf die Tür neben dem Verhörzimmer. Dort konnten Beamte das Verhör mitverfolgen durch die verspiegelte Glaswand, die vom Verhörzimmer wie ein Spiegel aussah, von dem Nebenraum aber eine normale Glasscheibe war.
    Die beiden Männer sahen sich für einen Moment schweigend in die Augen, und Ben wiederholte nochmal mit Nachdruck. "Bitte, Semir. Dieses eine Mal..." Semir strich sich mit der Hand unsicher über seine kurz geschorenen Haare. "Na schön.", entschied er letztendlich und Ben atmete für einen Moment auf und wollte seinem besten Freund schon um den Hals fallen. "Aber ich komme rein, sobald ich merke, dass du nicht mehr objektiv bist, haben wir uns verstanden?" "Aye aye Sir... und danke.", sagte Ben in einer Mischung aus Flapsigkeit und Ernst. Er ging in das Verhörzimmer, während Semir, den Kopf leicht schüttelnd, die Tür nebenan öffnete.


    Carina hatte sich bereits an den Tisch gesetzt, wo das Mikrofon stand um den Ton in das Zimmer nebenan zu übertragen. Es war tatsächlich atmosphärisch so kalt, wie in den Kinofilmen, wenn einer der Bösewichte zum Verhör musste. Ben setzte sich Carina gegenüber, hatte die Akte von Vesoski und Drager vor sich auf dem Tisch. Für einen Moment blickten sie dich die beiden Erwachsenen nur an... tief in die Augen, als würden sie auf etwas warten. Letztlich war es Carina, die auf eine Frage des Polizisten wartete. "Lass uns dort weitermachen, wo wir gestern abend aufgehört haben. Was hast du mit diesem Drager zu tun?" Carinas Fingerkuppen reibten aufeinander und sie steckte mit ihrer Nervosität sofort Ben an. "Ich hab doch gesagt, dass das privat war. Es hatte nichts mit Björn zu tun.", beharrte sie weiter.
    Mit dem Finger öffnete der junge Mann die Akten vor sich. Dann drehte er sie zu Carina hin und schob sie ein Stück von sich weg. Carina sah nacheinander in das Gesicht von Vesoski und Drager, immer wieder hin und her. "Der Mann, der bei dir eingebrochen ist, ist dieser Vesoski. Der gleiche Vesoski hat gestern, als ich Drager verfolgt habe, sich mit ihm unterhalten und meinen Dienstwagen aufgebrochen." Carinas Augen waren immer noch auf die beiden Fotos gerichtet, ihre Zähne kauten auf der Unterlippe, und die Hände hatten den Tisch mittlerweile verlassen... die hatte sie zwischen die Oberschenkel geklemmt, weil sie ziemlich verkrampft da saß. Eine Körperhaltung, als müsse sie sich anstrengen, die Wahrheit für sich zu behalten. "Ich will dir helfen, Carina..." Bens Stimme war voll Vertrauen, aber er schaffte es nicht eine Antwort aus der jungen Frau heraus zu kitzeln. Sie schüttelte nur stumm den Kopf und sah für einen Moment zur Seite.


    Ben spürte bereits, dass Semir es bald nicht mehr hinter der Scheibe aushielt, also änderte er seine Strategie... er fuhr quasi den Weg, den jetzt Semir selbst wohl in seiner Rolle genommen hätte. "Wer hat deinen Bruder umgebracht?" Die Frage kam völlig unvermittelt für Carina, ihr Blick ging einmal kurz nach oben zu Ben, dann wieder runter auf die Tischplatte. "Warst du es?", fragte er dann, und diesmal war die Reaktion anders. Die Antwort kam blitzschnell, die grünen Augen starrten direkt in Bens Richtung. "Nein!!", sagte sie entschlossen, doch der Polizist ließ sich scheinbar von diesem Gedanken nicht abbringen. Es tat ihm in der Seele weh, Carina nun ein wenig quälen zu müssen, aber sie ließ ihm keine andere Wahl.
    "Ist er dahinter gekommen, dass du mit Drager und Vesoski in kriminelle Machenschaften verstrickt bist? Musste er deshalb sterben?" Carinas Herzschlag wurde schneller und schneller, wild sprang sie von dem Stuhl auf, so dass dieser klimpernd zu Boden fiel. "Du bist ja verrückt! Du mieses Schwein, wie kannst du mir sowas vorwerfen?? Ich habe meinen Bruder geliebt!!", schrie sie laut und Semir stand wie gebannt hinter der Fensterscheibe und beobachtete die Szene. Es war nur ein Instinkt, ein inneres Gefühl, das ihn abhielt, das Zimmer zu wechseln und in das Verhör einzugreifen. Er spürte, dass Ben einen Plan hatte, und die Situation im Griff, auch wenn Semir seinem besten Freund ansah, dass es ihm in der Rolle nicht besonders gut ging.


    "Wenn du deinen Bruder geliebt hast... dann würdest du mir sagen, wer der Mörder ist.", sagte Ben mit beinahe seelenruhiger Stimme, nachdem er seine Gesprächspartnerin auf die Palme gebracht hatte. Eine "Verhörtaktik", die er sich ein wenig von Kevins Verhalten in Diskussionen abgeguckt hatte. "Ich weiß nicht, wer Björn umgebracht hat!!", schrie Carina und ihre Augen füllten sich mit Tränen. Sie schlug die Hände vors Gesicht, ihre Finger krallten sich in die ihre blonden Haare und sie taumelte mit dem Rücken zur Wand... und so fühlte sie sich jetzt auch. Umzingelt von Bens Ruhe und seiner Provokation zu ihrem Gefühlsausbruch. Wie konnte er nur auf einmal so grausam sein, und ihr vorwerfen, sie hätte ihren eigenen Bruder umgebracht...
    Ben spürte, dass er erreicht hatte, was er erreichen wollte. Carinas Widerstand schien zuerst einmal gebrochen, und so musste Ben auch nicht mehr das Polizisten-Arschloch spielen, stand auf und fasste die schluchzende junge Frau sanft bei den Schultern. Dann führte er sie zum Stuhl zurück, wo sie sich langsam wieder niederließ, und der Polizist konnte ihre bebenden Schultern spüren. "Wenn du nicht redest, kann ich dir nicht helfen. Ich will Björns Mörder fassen, aber dazu brauche ich deine Hilfe... bitte.", sagte er ruhig und ging neben dem Stuhl von Carina in die Hocke, legte eine Hand auf ihren Oberschenkel und strich ihr mit der anderen Hand zärtlich eine Strähne von der tränenverklebten Wange.


    Carina schüttelte kurz den Kopf. "Weißt du wie schwierig es ist, eine demenzkranke Frau zu pflegen. Nicht von meiner Psyche oder meinen Physis. Nicht, weil ich mit ansehen muss, wie meine eigene Mutter sich langsam zu einem unselbstständigen verwirrten Kind zurück entwickelt, oder weil ich jeden Tag zu Hause bin, keine sozialen Kontakte mehr habe und mich fühle, als wäre ich alleine auf der Welt... bis auf Björn...", sagte die junge Frau leise, nachdem der Tränenausbruch erstmal vorbei war. Ben hörte ihr stumm zu. "Nein... vom Finanziellen her. Wenn deine Mutter niemals eine Pflegeversicherung abgeschlossen hat, und der Staat dich auslacht und keinen müden Cent locker macht, wenn du selbst die Pflege nicht schaffst. Ich konnte nicht arbeiten gehen, Ben und bekam auch kein Arbeitslosengeld. Björn verdiente als Buchhalter und später bei der Versicherung nicht viel. Hambrecht, dieser Kotzbrocken, bezahlt Hungerslöhne bei seiner Versicherung, aber Björn hatte Angst, nichts anderes mehr zu finden. Wir hatten wirklich ernsthafte Geldsorgen, weswegen es auch nie in Frage kam, Mama in ein Heim zu geben. Selbst wenn wir es gewollt hätten, wir konnten es nicht." In Bens Kopf schien es, als setze sich ein Puzzle langsam Stück für Stück zusammen. Manche Stücke schob Carina selbst in die Position, wo sie hingehören, andere steckte Ben selbst zusammen. Das Ergebnis machte ihm Angst. "Habt ihr deshalb für Drager und sein Kartel gearbeitet?", fragte er langsam und seine Muskeln spannten sich an. Die junge Frau schüttelte, mit Blick zum Boden, langsam den Kopf.

    "Nein... also... ich nicht.", sagte sie leise. "Björn hat für ihn gearbeitet. Hat irgendwelche Informationen der Versicherung verkauft, wegen den Bränden und so. Und später hat er die Buchhaltung für sie gemacht. Er hat mir immer alles erzählt, wir hatten keine Geheimnisse voreinander.", sagte Carina, und wieder drückten sich einige Tränen aus ihren Augen. "Aber er wollte nicht mehr. Es war ihm zu Gefährlich wegen der Polizei, er hatte Angst, uns alleine zu lassen. Wir hätten aber noch Geld gebraucht, also...", ihre Stimme stockte für einen Moment und Ben ermunterte quasi nur durch seinen Blick, dass sie weitererzählte. "Also haben wir Drager erpresst. Björn hatte Beweise, Unterlagen mit denen der ganze Laden dort aufgeflogen wäre, weil sie Björn vertraut haben. Wir hatten gedacht, dass das ein paar Versicherungsvertreter sind, und keine Mörder..."
    Ben atmete tief durch... zumindest hatte Carina sich keine schwere Straftat zu schulden kommen lassen, ausser der Erpressung. "Und du hälst die Erpressung jetzt noch aufrecht?", wollte Ben das letzte Puzzleteil einsetzen. "Obwohl die Kerle deinen Bruder getötet haben?" Die blonde Frau nickte. "Ich brauche das Geld einfach. Und Drager weiß, dass es des Zufalls zuviel wäre, wenn auch noch die Schwester des Mordopfers tot aufgefunden wird. Deswegen fühlte ich mich sicher. Aber er versucht mir Angst zu machen, sagt dass ich ihm die Dokumente überbringen soll, und es würde mir nichts passieren..." Die Dokumente, die Vesoski vermutlich gestern abend gesucht hatte... das Puzzle war komplett. "Ben... bitte... ich kann Mama nicht alleine lassen. Ich musste doch etwas tun... wir mussten etwas tun. Wir haben es nur gemacht, damit wir sie ordentlich pflegen können, und damit wir eine Einrichtung bezahlen können, wenn uns mal etwas passiert. Du... du darfst mich nicht einsperren..."

    Innenstadt - 08:15 Uhr


    Ben hatte Magenschmerzen, als er auf dem Weg zu Carina war. Vor Nervostiät, vor Aufregung, vor der Ungewissheit, die dieser Tag mit sich brachte. Würde alles gut gehen, wenn er Carinas Mutter in die Einrichtung brachte? Würde Carina heute auf der Dienststelle endlich reden und erzählen, welche Verbindung sie zu Drager hatte, der mutmaßlich der Mörder ihres Bruders war? Und wenn sie redete, hing sie vielleicht tiefer mit drin? So tief, dass es für Ben unmöglich war als Polizist weiter mit Carina befreundet zu bleiben? Würde er sie vielleicht selbst und eigenhändig heute vormittag einsperren müssen? Diese Gedanken schwirrten dem Polizisten nicht nur nachts im Kopf herum, so dass er Kevins "Alles okay"-Nachricht beinahe emotionslos mit "Alles klar" beantwortete, als er aufwachte.
    Carina wartete bereits mit ihrer Mutter, die einen Gehstock in der Hand hielt und fest eingepackt war, auf ihn. Als sie spazieren gingen, fuhr die junge Frau ihre Mutter im Rollstuhl, aber kürzere Distanzen konnte Hermine Bachmann mit etwas Hilfe auch zu Fuß absolvieren. Ben und Carina begrüßten sich nur kurz, beinahe flüchtig und der Polizist war sich nicht zu schade, helfen zu wollen als Carina ihrer Mutter beim Einsteigen in den, doch etwas engen Mercedes helfen wollte. Aber die junge Frau lehnte Hilfe mit einem kurzen "Ich mach das schon" ab, und Ben biss sich auf die Lippen. Gestern noch hatte Carina ihm vorgeworfen, dass er nur unter dem Vorwand des Aushorchens bei ihr zu Hause war, und ihr geholfen hatte.


    Auf dem Weg in die Einrichtung sprachen die beiden auch kein Wort miteinander. Trotzdem war es nicht still, denn Carinas Mutter sprach zu ihrer Tochter: "Wir können nicht zu lange wegbleiben. Du weißt doch, dass dein Vater schimpft, wenn er zur Mittagspause nach Hause kommt und das Essen steht nicht auf dem Tisch.", sagte sie mit Sorge in der Stimme und seufzte, ebenso wie Carina. Sie wusste natürlich, dass ihr Vater schon jahrelang verstorben war, aber Hermine Bachmann verwechselte wegen ihrer Demenz oftmals das Jahr, die Zeit. Manchmal lebte ihre Mutter noch, dann fragte sie nach ihrem Ehemann. Zuletzt hatte sie Carina mit der Frage geschockt, ob sie denn wüsste, wann ihre Tochter gestorben sei und Carina unter Tränen versuchte zu erklären, dass sie ihre Tochter war, was Hermine rüde bestritt.
    Ben fuhr auf den Parkplatz des großen Altbaus, das von einem Unternehmer zu einer Demenzeinrichtung umgebaut worden ist. Hier beschäftigten ausgebildete Pflegekräfte und Ärzte sich mit Demenzkranken über den Tag. Sie bastelten, spielten Spiele, backten Kuchen und Kekse oder unterhielten sich einfach auf der Ebene der Kranken. Diese konnten hier auch Kontakte zu anderen Demenzkranken knüpfen, und die Angehörigen hatten Zeit sich um alltägliche Dinge, oder die eigene Arbeit zu kümmern. Ebenfalls waren hier 30 Zimmer sowie 5 Notfallzimmer vorhanden. Sollte die Person der Familie, die die Kranke betreute zb unplanmäßig verreisen oder selbst schwer erkranken, so konnte man auf diese Einrichtung zurückgreifen. Allerdings hatte diese gute Pflege auch ihren stolzen Preis.


    Das wusste auch Carina, denn sie kannte diese Einrichtung. "Du bist völlig verrückt! Selbst wenn Mama hier nur heute vormittag bleibt, dafür muss ich einen Kredit aufnehmen.", fuhr die junge Frau den Fahrer des Mercedes an, der sich gerade abschnallte. "Nun übertreib mal nicht.", antwortete der mit beschwichtigendem Ton. "Das mit dem Geld ist geregelt, das habe ich dir doch gestern erklärt. Das übernimmt der Staat, weil du für eine Vernehmung zur Verfügung stehen musst." In Wahrheit übernahm der Staat überhaupt nichts, denn dem Staat war es egal, ob Carina Bachmann eine kranke Mutter zu Hause pflegte und zu einem Verhörtermin musste. In Wahrheit hatte Ben den Preis der Einrichtung bezahlt, was ihm zumindest finanziell nichts ausmachte. Er war abgesichert doch großen Reichtum seines Vaters, dem ein Börsenunternehmen gehörte.
    "Na sicher... der Staat. Der bezahlt vielleicht das heruntergekommene Pflegeheim am Deutzer Bahnhof, aber nicht das.", war Carina nicht zu beruhigen, doch sie stieg ebenfalls aus und half ihrer Mutter auf dem Weg zum Eingang. Mit der Dame am Empfang wurde nur wenige Minuten gesprochen, Carina musste einige Gewohnheiten der Mutter notieren, damit es keine bösen Überraschungen gab. Hermine sah nicht besonders glücklich aus, als sie langsam begriff, dass ihre Tochter sie hier erstmal alleine ließ, und auch Carina fiel dieser Abschied sehr schwer. Sie umarmte ihre Mutter fest und versprach in einer Stunde wieder da zu sein. Es war fast wie vor vielen vielen Jahren, als Hermine ihre Tochter zum ersten Mal im Kindergarten alleine ließ und das kleine blonde Kind mit Tränen in den Augen da stand und sah, wie ihre Mutter wegging, bis die Erzieherin sie an die Hand nahm und sagte: "Sei nicht traurig. Du wirst hier eine Menge Spaß haben." Fast die selben Worte benutzte jetzt ein junger Betreuer, der die freie Hand der Mutter ergriff und sie durch den langen Flur in den Gemeinschaftssaal führte.


    Auf dem Weg von dem Gebäude bis zum Mercedes sah Carina nur auf den Boden vor sich. Sie hatte die Lippen zusammen gepresst und schluckte mehrmals. Die Tränen ließen sich nur zurückhalten, bis sie im Auto saß und die Tür geschlossen hatte, doch da ließ sie ihren Gefühlen freien Lauf. Ben legte tröstend seine Hand auf ihre Schulter. "Hey... die kümmern sich hier gut um sie und in zwei Stunden holen wir sie wieder ab." Das Schluchzen verschluckte Carinas Worte beinahe: "Du verstehst das nicht. Ich weiß, dass man sich gut um sie kümmert. Aber trotzdem wird sie alleine sein. Sie wird nicht wissen wo sie ist, wer um sie herum ist und wird sich fragen, warum ich nicht da bin." Ben presste die Lippen aufeinander und konnte Carina in einem Punkt zustimmen... er wusste tatsächlich nicht, wie das ist. Er hatte keinen Pflegefall in seiner Familie, seine Großeltern starben, ohne dass er es mitbekam, weil sie nicht in der Nähe lebten. Immer nur hörte er von seinem Vater, dass ein Opa, eine Oma, die er fast nicht kannte, gestorben sei. Krankheit, Altersschwäche... von Demenzkrankheiten, Pflegefällen und dem langsamen Dahinvegetieren im Alter hatte er keine Ahnung. Irgendwie war er auch froh darum, denn er stellte es sich schrecklich vor... nicht nur, wenn er selbst alt war, sondern vor allem als Angehöriger. Seit er Carina und ihre Mutter kennengelernt hatte, hatte er es sich hin und wieder vorgestellt... sein Vater, mit dem er eigentlich nicht besonders klar kam, in 20 Jahren als demenzkranken alten Mann... ein Mann, der in seinem Leben alles geschafft hatte, was er schaffen wollte, den nichts umhauen konnte. Ein Macher, ein Arbeiter, der nur als Vater in seiner Familie ein wenig versagt hatte. Aber selbst das hatte er in den letzten Jahren, seit der Hochzeit von Bens Schwester, aufgeholt. Sich ihn als alten Mann vorzustellen, der sich selbst nicht mehr helfen konnte, der nicht mehr wusste, wie man einen Fernseher bediente oder nicht mehr wusste, dass er zuerst die Hose und dann die Schuhe anziehen musste, war für Ben eine absolute Horrorvorstellung...


    "Ausserdem...", riss Carina ihn wieder aus seinen Gedanken. "... hat es sich gerade so angefühlt, als würde ich sie irgendwo aussetzen... abschieben. Genau wegen diesem Gefühl habe ich es bis jetzt nie übers Herz gebracht, sie in ein Heim zu bringen, und alles auf mich genommen, um sie zu Hause zu pflegen." "Aber wie willst du das in Zukunft machen. Du musst doch auch von etwas leben... du kannst doch nicht das ganze Leben deiner Mutter verschreiben. Zumindest vielleicht... so eine Vor- und Nachmittagsbetreuung. Hin und wieder. Dann kann sie ja zu Hause wohnen.", versuchte Ben, sie irgendwie zu unterstützen, doch Carina schüttelte den Kopf. "Meine Mutter war mein ganzes Leben lang für mich da. Glaubst du, es wäre fair, sie dann abzuschieben, jetzt wo sie mich braucht?" Die junge Frau wischte sich die Tränen aus dem Gesicht. "Ich könnte nicht mehr in den Spiegel gucken..."
    Da war wieder dieses Gefühl, das Ben auch hatte, als er Carina kennenlernte. Diese Bewunderung einer starken Frau. Er hoffte, er betete zum Himmer als er den Mercedes zurück auf die Straße lenkte, dass er von dieser starken Frau heute nicht noch bitterböse enttäuscht wurde...

    So, ich hab mich dann auch mal wieder auf den neusten Stand gelesen.

    Erstmal vom Schreiberischen (was fürn Wort :D) habe ich diesmal rein gar nichts auszusetzen. Abwechslungsreich in der Wortwahl, atmsophärisch überall ins Schwarze getroffen... ob die Ernsthaftigkeit am Tatort, die Verliebtheit zwischen Veikko und Jenny, die tiefe Verzweiflung und Einsamkeit von Mikael hast du vorzüglich getroffen. Es ist nicht zu kitschig und immer glaubwürdig, die DIaloge sind gut ausgearbeitet und passen (von den bekannten Darstellern) wirklich 1A. Auch die Kabbelei zwischen Bonrath und Ben war lustig.

    Zum Inhalt: Puuh, Russenmafia ist immer gefährlich. Denke, da werden die Helden noch ein paar Mal in brenzligen Situationen die Köpfe einziehen müssen, wenns heiß hergeht. Bin gespannt, ob Hartmut die entscheidenen Details findet, um den Verdacht letztendlich zu erhärten. Die Mafia sollte sich statt Wodka eher guten Whisky aneignen... mein Favorit :D

    Mikael quält sich derweil mit Erinnerungen, die er versucht mit Tabletten zu betäuben. Puuh, ich weiß ja immer noch nicht genau was, aber da scheint etwas ganz tief drin zu stecken. Anders als andere Kollegen in solchen Situationen (:D) lässt er sich aber helfen und redet, sowohl mit Kasper als auch mit Ben. Der Familie Glück vorspielen ist immer ein sehr zweischneidiges Schwer, so eine Fassade lässt sich immer schwer aufrecht erhalten.

    Und zu Veikko und Jenny kann ich nur sagen: Finger weg, Bürschchen... sonst hüpft Kevin mal kurz von einer Story in die andere, und es gibt ordentlich Kasalla! :D (nicht zu ernst nehmen ;) ).

    Tolle Story bis jetzt, die ich weiter gesannt verfolgen werde.

    Dienstelle - 8:00 Uhr


    Als Semir seinen BMW auf den Dienstparkplatz stellte war seine Laune in Hochform. Er war jeden Morgen dankbar, arbeiten zu dürfen. Die, zugegebenermaßen kurze Auszeit hatte ihm den Wert seiner Arbeit viel bewusster gemacht. Seitdem freute er sich auf jeden Arbeitstag, wo er früher seine Arbeit oftmals zum Teufel wünschte, wenn die Überstunden überhand nahmen, wenn mal wieder ein Kind bei einem Autounfall schwer verletzt wurde oder gute Freunde in Gefahr gerieten. Ja, manchmal dachte er sogar daran, das Handtuch zu werfen, sich in den Innendienst versetzen zu lassen und die Autobahn hinter sich zu lassen. Besonders, als sein bester Freund Tom ums Leben kam, fragte sich Semir nach dem Sinn seiner Arbeit. Schließlich hatte er damals schon Ayda, und er wollte nicht, dass seine Tochter Waisen aufwachste. Doch das Team der Autobahnpolizei, nicht zuletzt auch seine Frau Andrea hatte Semir immer wieder Mut gemacht und ihn zum Weitermachen motiviert, zuviel Gutes tat er als Polizist in dieser Situation. Nach seinem Ausfall vor einigen Tagen war er sich dem wieder bewusst und freute sich auf jeden Arbeitstag.


    Heute vor allem, weil er sich von dem Verhör von Carina Bachmann versprach, in dem Fall um dessen toten Bruder endlich einen Schritt vorwärts zu kommen. Er war überzeugt, dass die junge Frau Informationen hatte, die sie bisher nicht preisgegeben hatte. Der Polizist hoffte, dass der Faktor Ben in diesem Falle die Frau endlich zum Reden brachte, und dass sie der Einbruch des Kriminellen Vesoski ein wenig beeindruckt hatte.
    Die typische Geräuschkulisse der Dienststelle empfing ihn und seine Frau Andrea, als sie die Dienststelle betraten. Er nickte Bonrath und Herzberger zu und hörte dann gleich von seinem dicken Kollegen, dass Jenny sich heute krank gemeldet hat... mal wieder. "Schon wieder? War sie die Tage nicht schon krank? Warum kuriert sie sich nicht komplett aus, bevor sie wiederkommt?", fragte er und zog die Augenbrauen hoch. "Ich weiß es auch nicht... gestern wirkte sie eigentlich recht fit.", meinte Bonrath, der gestern mit ihr auf Streife war. "Ach Männer...", meinte Andrea kopfschüttelnd zu den drei Polizisten und zeigte sich mit den Fingern kurz und dezent auf den Schritt. "Das ist mal wieder typisch. Habt ihr noch nie etwas von der Frauenkrankheit gehört?", fragte sie und spielte dezent auf die Periode an. Fast zeitgleich drehten sich Bonrath, Herzberger und Semir mit betretenen Gesichtern voneinander weg und wechselten das Thema. Es gab einfach Themen, über die Männer nicht untereinander sprachen... oder generell sprachen. Dies war so eins, und damit hatte Andrea, die die Wahrheit über Jenny wusste, zumindest
    erreicht, dass nicht weiter über die junge Kollegin spekuliert wurde.


    Ben würde heute etwas später kommen, das wusste Semir. Denn er wollte heute morgen Carina Bachmann abholen und ihre Mutter dabei gleich in eine Vormittagsbetreuung bringen. Er hatte gestern abend noch einen kurzfristigen Platz in einer guten aber sehr teuren Einrichtung klar gemacht und wollte Carinas Mutter dort heute morgen hinbringen, damit Carina genug Zeit für das Verhör in der Dienststelle hatte. Semir braute also schon mal Kaffee in seinem Büro, als das Telefon klingelte und dort der Name "Engelhardt" groß leuchtete. "Ja, Chefin?" "Können sie bitte mal in mein Büro kommen?", war die katzenfreundliche und somit gefährliche Stimme von Anna Engelhardt zu hören ... wie immer, wenn bei einem Einsatz größerer Schaden entstanden war. In dem Fall war es nicht ratsam, die Chefin lange warten zu lassen.
    "Eine abbruchreife Fußgängerbrücke, mitten in der Kölner Innenstadt.", sagte die Chefin mit drohendem Unterton in der Stimme, als ihr bester und längster Mitarbeiter vor ihr am Schreibtisch saß. "Ich hoffe, dass sich das gelohnt hat." "Ja, zumindest gibt es eine Verbindung zu Drager, dem Typ, der gestern mit Carina Bachmann Kontakt hatte. Aber..." Semir druckste ein wenig herum "...mehr halt noch nicht."


    Anna Engelhardt setzte nicht ihr zufriedenstes Gesicht auf. "Und wann wissen wir darüber mehr?" "Carina Bachmann ist auf dem Weg hierher. Wir hoffen, dass sie uns dann endlich Informationen gibt." "Ja, das wäre sehr wünschenswert. Fühlen sie ihr auf den Zahn und wenn die Frau Informationen vorbehält... dann müssen wir vielleicht davon ausgehen, dass sie in dem Fall eine gewichtige Rolle spielt... auf der anderen Seite." Semir wog den Kopf ein wenig hin und her, das Pflaster an seinem Hals drückte... nicht mehr lange. Morgen hatte er einen Termin bei einem Hautspezialisten, der ihm die hässliche Narbe mit modernster Technik entfernen würde. "Sie meinen, dass sie den Tod ihres eigenen Bruders für etwas in Kauf genommen hat?" "In Kauf genommen... in Auftrag gegeben hat... wer weiß. Eine Frau, die den Mörder ihres Bruders deckt, zu dem sie angeblich ein sehr inniges Verhältnis hatte, tut sowas nicht einfach so. Deswegen ist es wichtig endlich die Hintergründe ihres Handelns zu erfahren." Die Chefin konnte sich sonst immer auf das kriminalistische Gespür ihrer Beamten verlassen, doch als Vorgesetzte fand sie es wichtig, auch ihre eigene Meinung in den Fall mit einzubringen. "Ich verlasse mich auf ihr Gespür... und auf das ihres Partners." Semir nickte, obwohl er bei diesem Satz ein wenig Bauchgrummeln hatte, denn er war sich immer noch nicht sicher, wie Bens Gefühle zu Carina nun wirklich waren... und der wusste das ja selbst noch nicht.


    Semir wollte sich schon zum Gehen wenden, als die Stimme der Chefin ihn zurückhielt. "Ach Semir... haben sie eigentlich was von Herrn Peters gehört, wie es ihm geht seit dem Unfall?" Der erfahrene Polizist drehte sich zur Chefin um, und die fand dass sein Gesicht plötzlich jegliche Morgenzuversicht verloren hatte. "Ich weiß es nicht.", war seine kurze Antwort und Anna Engelhardt zog die Augenbrauen nach oben. Sie war immer noch im Glauben, dass Kevin mit einem Schleudertrauma das Bett, oder zumindest die gemeinsame Wohnung mit Jenny hütete, mit einem Krankenschein und Halskrause. "Haben sie nicht mal mit ihm telefoniert, oder ihn besucht?" In Semir arbeitete es... er hatte zu seiner Chefin immer ein gutes Verhältnis, ein sehr gutes Verhältnis. Er war ein ehrlicher Mensch und log gegenüber der Chefin oft nur aus der Not heraus, wenn es zum Vorteil seines Partners war. In diesem Fall war Kevin noch sein Partner... aber war er auch noch sein Freund. Er war immer noch sauer auf den jungen Polizisten, er war immer noch eine Spur verbittert und er hätte ihn am liebsten auf den Mond geschossen. Immer noch konnte sich Semir nicht mehr vorstellen, jemals nochmal mit Kevin zusammen zu arbeiten. Und jetzt zwang der ihn auch noch indirekt, die Chefin anzulügen... oder sollte er ihr die Wahrheit sagen? Die Wahrheit, dass Kevin in Kolumbien war, auf der Suche nach der Frau, die durch ihr Schweigen fast für Semirs Tod verantwortlich war?


    Er hatte das Gefühl, dass er schon viel zu lange im Türrahmen stand und nachdachte, welche Antwort er der Chefin geben sollte. "Nein... am besten fragen sie Ben. Ich weiß nicht, wie es ihm geht." Bevor er nochmal für Kevin lügen musste, drehte er sich um und schloß die Bürotür der Chefin hinter sich, die ihm etwas verblüfft hinterher sah. Sie war der Meinung, dass die drei Polizisten untereinander ein enges freundschaftliches Verhältnis hatten, und sie war überzeugt, wenn Ben krank oder verletzt wäre, wäre Semir über dessen Zustand stündlich informiert. Offenbar hatte sie das Verhältnis, zumindest das zwischen Kevin und Semir, überschätzt...

    Zeitverschiebung von - 6h, also ist es in Deutschland gerade Mitternacht, bzw nach dem Kapitel ungefähr 1 Uhr morgens. Demnach ratzen die beiden noch.

    Umgekehrt läuft es dagegen, wenn am Morgen Bens Schicht beginnt, dann wird es einige Ben/Semir - Kapitel geben, wenn Kevin schläft (ausser, mir fällt noch ein Alptraum ein :D) Aber in Bogota wird jetzt wohl nichts mehr passieren, weshalb es am WE, vermutlich, mit Ben/Semir weitergeht.

    Nächstes Mal schicke ich einen der Protagonisten besser nach Südafrika oder an den Nordpol, da gibts keine Zeitverschiebung :D

    So, jetzt versuche ich auch mal deine Story konstant zu verfolgen und zu feeden:

    Die ersten drei Kapitel haben mir schon mal sehr gut gefallen und fand ich auch noch besser zu lesen als bspw den Teil, den du mir vor kurzem geschickt hast ;). Die Sprache ist abwechslungsreich, Details beschrieben und die Atmosphäre, vor allem im Verlies, wo der erste Mord passiert, sehr gut greifbar. Nur ist mir da auch ein Fehler aufgefallen, oder ich habe einen Satz übersehen: Zuerst ist das Opfer mit den Armen hinter der Stuhlehne gefesselt, bzw fixiert. Wie kann er sich dann das Knie halten nach dem ersten Schuss? Habe ich da verpasst, dass er befreit wurde?

    Das zweite Kapitel ist dann erstmal Action - sehr fein. Was man "hätte" anbringen können, wäre ein Funkspruch, dass man für das Opfer trotzdem noch eine Ambulanz verständigt, und nicht einfach eine Leiche auf dem Rastplatz liegen lässt. Genauso habe ich nicht verstanden, warum der Öltanker bereits "ausgebrannt" war, bevor ein Auto reinfuhr... brannte der vielleicht schon, oder ist er schon explodiert? Das war mir nicht gaaaanz klar. Aber das ist Jammern auf ganz hohem Niveau :D denn die Actionszene an sich war super gut beschrieben, richtig cobra-like und du hattest trotzdem Platz für zwischemenschlich Töne, dass Veikko offenbar ein wenig Probleme hatte, sofort zur Waffe zu greifen. Deine Beschreibung hat mich übrigens sofort an jemanden erinnert :D nur die gute Laune hat nicht gepasst.
    Auch super, dass du da an einer ganz spannenden Stelle abbrichst, da nochmal Schüsse gefallen sind, bevor Stille einkehrt und der Leser momentan nicht genau weiß, ob und wie es Veikko erwischt hat.

    Das dritte Kapitel ist dann wieder ruhiger und führt Semir, der in Finnland Urlaub macht, in die Story ein. Da sind noch viele Hintergrundgeschichten, die auf die Vorgänger beruhen, die ich nicht kenne, aber ich denke, dass ich da im Laufe der Story genug Durchblick bekomme. ^^

    Weiter so! Bitte die Kritik nicht falsch verstehen ;) die Kapitel sind alle richtig richtig gut, und ich verspreche, dass ich versuche regelmäßig dran zu bleiben.

    Dein Schreibstil gefällt mir gut. Die Szene ist gut eingefangen, du achtest auf kleine Details (z.B. das Einparken) und bringst auch Semirs Familie ins Spiel.

    Zusätzlich reagiert Semir bei dir, wie in der Serie... natürlich macht er sich sofort Sorgen um seinen Partner, und die Andeutungen der Chefin sind mehr als merkwürdig. Mir kommt es vor, als wisse sie mehr als sie sagt. Dann noch der kurze Ausblick auf Bens Situation, die scheinbar alles andere als rosig ist.

    Bin gespannt, wie es weitergeht.

    Puh...das mit dem Metallsplitter klingt echt komisch.
    Aber ich gebe CobraMan recht. Diese Folge hätte man (und die Anderen bestimmt auch) hätte man auch mit Vinzenz drehen können und ob Paul so viel beliebter als Alex wird, muss die Zeit erst zeigen.

    Hatte aber Anna nicht ganz ihren Polizisten-Job an den Nagel gehängt und nicht nur die Abteilung gewechselt?

    Ja, hat sie. Aber vielleicht hat sie ein paar Jahre danach nochmal eine Dienststelle übernommen nach einer Auszeit.

    Motel - 18:00 Uhr


    Kevin hätte sich im Leben nicht zugegeben, dass ihm für einen Moment doch das Herz in die Hose gerutscht war. Auf dem Weg vom Feldweg zum Motel, als er die ganze Situation von Gerade nochmal überdachte, wurde ihm klar in welcher Gefahr er gerade eben geschwebt hatte. Und dass er sich in diesen Momenten mehr als einmal wünschte, doch Kugeln in die Trommel gelegt zu haben. Er hatte sich entschlossen, als er auf Juan auf dem Platz gewartet hatte, die Kugeln zu entfernen um dem Kolumbianer damit zu beweisen, dass er niemals dran gedacht hatte, ihn zu erschiessen. Scheinbar war es eine gute Idee, denn Juan vertraute ihm jetzt mehr als zuvor. Er hatte sich nicht von Santos kaufen lassen, denn dem Kartellchef traute Kevin selbst nicht, obwohl die Offenbarung von Juan im Bezug auf den drohenden Scharfschützen nochmal erschreckend für den jungen Polizisten war.
    Beide Männer stiegen im Motel die Treppe zu Kevins Zimmer herauf, an einem kleinen Kiosk vor dem Motel hatte Juan zwei Flaschen muffig schmeckendes kolumbianisches Bier gekauft, mit dem die beiden anstießen. "Ich hoffe, du verstehst, dass ich mit Santos keinen Krieg anfangen kann. Genauso wenig, wie er diesen Krieg mit mir möchte.", sagte der Mann im Tanktop. "Warum heuert er nicht einfach einen Profikiller an?", fragte der schweigsame Polizist und sein Gegenüber, der sich auf einen Stuhl im karg möbilierten Zimmer gesetzt hatte, antwortete: "Weil man so einfach nicht an mich heran kommt. Ich bin sehr selten in dem Viertel, und gebe mich nur mit dir ab, weil Zack dich kennt. Offenbar denkt er, dass du zu meinem Kartell gehörst, und er dich hätte mit Annie kaufen können."


    Kevin seufzte etwas, der Weg zu Annie schien immer noch ewig und voller Hindernisse. Natürlich verstand er auch Juan. Der Mann hatte sich hier ein, zwar moralisch zweifelhaftes Kartell aufgebaut, dass er wegen einer wildfremden Frau und eines leichtsinnigen Polizisten sicher nicht aufs Spiel setzen wird. Für einen Moment blieb es still, denn beide dachten nach. Kevin dachte darüber nach, nach ein paar von Juans Männer zu bitten, um in das Haus mit Gewalt einzudringen, doch er verwarf den Vorschlag, noch bevor er ihn verbal ausdrückte. Kevin wollte auf weiteres Blutvergießen, so gut es ging, verzichten. Irgendwann hielt es ihn nicht mehr auf dem Bett, er ging durch das Zimmer, sah aus dem Fenster nach draussen, wo es langsam immer dunkler wurde, und das Vibrieren seines Handys vorhin hatte er längst vergessen.
    Juan wippte mit dem Stuhl hin und her und beobachtete das wilde Tier im Käfig. Er hätte darauf wetten können, dass Kevin sich am liebsten bewaffnet und in das Haus spaziert wäre. Er wusste aber auch, dass der Junge wohl keine 5 Minuten dabei überleben würde. Plötzlich grinste der Kolumbianer. Er grinste über beide Ohren was zu seinem eigentlich oftmals sympathisch und freundlich blickenden Gesicht passte. "Ich glaube, ich hab da eine Idee.", sagte er vielversprechend und Kevin blieb am Fenster, wobei er sich mit dem Rücken gegen den Rahmen lehnte.


    "Ich kenne einen Nachtclub und Puffbesitzer aus Medellín. Einen Mexikaner. Ich weiß, dass er sich hin und wieder, entweder für große Privatparties oder für seinen Club junge Mädchen "besorgt." Hin und wieder auch von Santos.", erklärte der Kolumbianer seine Idee. "Die Drogen kauft er aber größtenteils bei mir. Er schuldet mir noch einen Gefallen." Kevin hörte gebannt zu, und es schien als würde sich der Weg zu Annie plötzlich verkürzen und einige Hindernisse würden sich in Luft auflösen. "Und du meinst, der Mexikaner könnte, unter dem Vorwand ein paar Frauen zu benötigen, zufälligerweise sich unter anderem für Annie entscheiden?" Juan nickte. "Esteban kann Santos nicht ausstehen, aber er hat sich über die Zeit die besten Preise erhandelt. Der Mann ist ein begnadeter Feilscher. Ich bin mir sicher, dass er uns hilft... bei einem entsprechenden Angebot."
    Plötzlich war Kevins Zuversicht wieder ein Stück weit verflogen und er zog die Stirn in Falten. "Ein Angebot? Du weißt doch selbst, dass ich mir die 50.000 für dich schon leihen musste. Mit was soll ich ihn bezahlen?" Aber Juan winkte ab, und nun zahlte es sich doch aus, dass sich Kevin Juans Vertrauen quasi erzwungen hatte. "Die Schulden hast du dann bei mir. Esteban wird ein paar Drogenlieferungen von mir umsonst bekommen." Für einen Moment blickten sich die beiden Männer direkt in die Augen. "Das würdest du für mich tun?", fragte der Polizist und sein Reiseführer, der immer mehr zu einem Partner wurde, nickte. Kevins "Danke" hätte sich gespielt nicht ehrlicher anhören können...


    "Ich werde Esteban heute noch anrufen, und mich bei dir melden. Zwischen Medellin und Bogota fliegt alle halbe Stunde eine Maschine, er kann also kurzfristig da sein. Wie ich ihn kenne, wird es ihm ein Spaß sein, Santos eins auszuwischen.", meinte Juan und feixte wie ein Schuljunge. "Und mir auch." Kevin nickte und schöpfte wieder Hoffnung, auch wenn Juan die Erwartungen dämpfte. "Wenn Esteban nicht zustimmt, versprich mir bitte dass du es lässt. Es gibt dann keinen anderen Weg, Annie da raus zu holen." Beinahe hörte sich Juan schon an wie Semir, als er diesen mahnenden Ton anschlug. "Es ist beschissen, aber manchmal muss man wissen, wann man aufgeben muss, Kevin. Du hattes schon mehr Glück als Verstand, seit du hier bist."
    Mit langsamen Schritten ging Kevin vom Fenster weg, setzte sich auf das Bett und fuhr sich mit den Händen durch die abstehenden Haare. Er spürte das Vertrauen, und er wollte es zurück zahlen. "Juan... ich hab mit 18 meine Schwester verloren, weil ich ihr nicht helfen konnte. Ich konnte einem Kind in einem brennenden Haus nicht helfen. Das ganze verfolgt mich mein Leben lang." Er sprach ruhig aber bestimmt, und Juan hörte aufmerksam zu. "Ich habe in Deutschland vermutlich meine Beziehung zerstört und habe meine besten Freunde enttäuscht, um dieser Frau zu helfen. Ja, sie ist mir auch wichtig... aber ich bin mir auch sicher, dass sie das Opfer, das ich erbracht habe, nicht wert ist." Juan hatte den jungen Mann bisher nie so gesprächig erlebt. "Es hätte mir weh getan, sie an die Drogen zu verlieren... aber nur für sie hätte ich das Opfer nicht erbracht. Es ist einzig der Dämon in meinem Kopf, der mich zwingt das hier zu tun. Der mich zwingt, Annie hier nicht zurück zu lassen." Der Kolumbianer sah Kevin mit ernstem Blick direkt in die Augen, als dieser kopfschüttelnd sagte: "Ich kann nicht aufgeben. Eher jage ich mir eine Kugel in den Kopf. Ich habe nichts mehr, wofür ich nach Deutschland zurückkehren müsste..."


    Mit gemischten Gefühlen verabschiedete Juan sich von Kevin und war sichtlich beeindruckt von dessen Worten. Dieser bewegte sich, nachdem der Kolumbianer das Zimmer verlassen hatte, ein wenig verloren durch den Raum, trank den Rest seines Bieres und lehnte sich gegen die Zimmerwand. Er erinnerte sich in dem Moment an das Vibrieren seines Handys und zog das technische Gerät aus der Jeans. Zwei Anrufe in Abwesenheit von Jenny ließen ihn die Augenbrauen nach oben ziehen. Er öffnete ihre Nachricht, der Ladebalken legte sich für einige Sekunden über das verschwommene gesendete Bild, bis es mit einem Mal scharf wurde. Darunter waren nur wenige Worte zu lesen: "Bitte komm gesund nach Hause. WIR brauchen dich."
    Die Bierflasche in der freien Hand fiel splitternd zu Boden, als der Polizist realisierte, was dieses schwarz-weiße, verpixelte Bild wirklich bedeutete. Die Form war auf einmal klar, das aktuelle Datum am oberen Rand des Ausdrucks ebenfalls. Seine Hand begann zu zittern und er fühlte, wie es ihn nicht mehr auf den Beinen hielt, und er langsam an der Wand in eine sitzende Position rutschte. Kevin wurde klar, dass das "WIR" in Jennys Nachricht nicht etwa Semir oder Ben mit einfasste... sondern einzig Jenny selbst, ihn und diesen kleinen Menschen, den der Polizist jetzt betrachtete. Diese Nachricht und dieses Bild änderte alles... Alles was Kevin vor 10 Minuten noch zu Juan gesagt hatte, alles was er hier tat, schien auf einmal sinnlos. Noch nie war der Polizist von etwas so überfahren, so positiv ergriffen.


    Seine linke Hand mit dem Handy und dem Bild sank zu Boden neben ihm, mit der anderen Hand fasste sich Kevin ins Gesicht, an die Augen und er konnte einen Weinkrampf nicht mehr unterdrücken. Es war eine Mischung aus Verzweiflung über seine hier vertrackte Situation, aus Wut und Selbsthass dass er Jenny alleine gelassen hatte... und einige Freudentränen mischten sich ebenfalls in seine Augen, als er das Bild immer wieder ansah. Aufgrund dessen, dass es in Deutschland mitten in der Nacht war, rief er Jenny nicht an, sondern sendete ihr nur ein "Ich komme zurück...". Den Zeitpunkt hielt er offen, denn er war mit sich selbst nicht einig...