Die Kapitel sind schon geschrieben
Beiträge von Campino
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Ich werde mich direkt mal nach einem geeigneten Zeugenschutzprogramm umhören... vielleicht bei dem Drehbuchschreiber, der Ben Jäger aus Cobra 11 rausgeschrieben hat... der wurde doch bestimmt auch von 'Mrs.Murphy' , @Darcie und @Trauerkloß bedroht
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Wenn Kevin stirbt, dann werde ich sehr böse sein. Sehr, sehr böse!
*schnell versteckt*
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Dschungel - 12:30 Uhr
Kevin war voll mit Adrenalin. André hatte ihn damals in der Karateschule "kaltes Blut" gelehrt, in einem Kampf niemals dem Bauch Entscheidungen überlassen, sondern dem Kopf. Obwohl André selbst das in seiner Polizistenlaufbahn eher seltener angewendet hat, versuchte er es dem damals noch ungestümen Jungen zu vermitteln. Manchmal schaffte es der schweigsame Polizist, vor allem wenn er in Wortgefechten seine Ruhe und Wortkargheit zur Provokation einsetzte. Doch jetzt überließ er seinem Bauch die Entscheidung, Santos von Annie und Juan weg zu locken, ihm zu entkommen und dann auf den Flughafen nach zu kommen. Gerade fuhr der Kolumbianer an ihm vorbei, Annie sah noch mit verängstigten Augen aus dem Seitenfenster, als Kevin sich in den kleinen, leichteren Jeep sprang, um ihn in Windeseile kurzzuschließen.
Gerade als er den ersten Gang einlegte und beim Gas geben im Sand die Räder durchdrehen ließ, fuhr ein weiterer Wagen um die Kurve hinter ihm. Santos saß auf dem Beifahrersitz, seine markanten Gesichtszüge wie versteinert. "Da ist er.", sagte er nur zu seinem Fahrer, der alsbald die linke Gabelung nahm, in der Kevin verschwunden war. Beide Fahrzeuge sprangen und flogen über den Feldweg, kleinere Hügel und wirbelten jede Menge Staub auf, was es für Santos beinahe unmöglich machte, genau zu sehen, wo das Fahrzeug vor ihm sich befand.Der junge Polizist hatte klare Sicht und zischte mit dem Geländewagen den Feldweg zwischen Palmen und anderen Bäumen entlang. Der alte Jeep quietschte und ächzte, er konnte vor Staub im Rückspiegel nicht erkennen, ob er Santos langsam loswurde. Erst als der Weg fester wurde, und der Dreck sich legte konnte er erkennen, dass Santos Fahrzeug ein gutes Stück kleiner im Rückspiegel geworden ist. Ein kurzes Lächeln legte sich über Kevins Gesicht, er konnte bereits die Brücke über den Rio Cauca erkennen, und dass die Straße dahinter frei geradeaus ging, und einigermaßen befestigt war. Die Brücke selbst war vielleicht 50 oder 100 Meter lang, hatte nur einen kniehohen Absatz rechts und links als Begrenzung, sowie einigen, vielleicht einen Meter hohen Säulen auf diesem Absatz, bevor es viele Meter nach unten in den Rio Cauca ging, der wegen der Regenzeit laut und wild war.
"Halt an.", sagte Santos zu seinem Fahrer, der sofort eine Vollbremsung machte, während sein Boss das Funkgerät griff. "Schalt ihn aus.", funkte er an seinen Scharfschützen, der Kevin eigentlich schon in Bogota auf dem Dach auflauern sollte. Jetzt saß er im Dickicht am Rande des Weges, unsichtbar für Kevin, der gerade an ihm vorbeifuhr. Der Drogenboss sah mit Genugtuung um auf das, immer kleiner werdende Heck des Jeeps, als plötzlich mit einem Knall der linke hintere Reifen zerfetzt, als die Gewehrkugel durch das Gummi eindrang. Das Fahrzeug wurde einige Male hin und her gerissen, bevor es mit dem Heck wuchtig an einer Palme hängen blieb, herumgerissen wurde und sich überschlug, bis er völlig verbogen auf dem Dach liegen blieb. "Los gehts, Männer."Der Polizist wusste gar nicht, wie ihm geschah. Er konnte das Auto nicht mehr halten, nachdem er den Knall wahrgenommen hatte, und nach dem fürchterlichen Schlag schmerzte sein ganzer Körper. Er wusste gar nicht, ob das Fahrzeug auf der Seite oder dem Dach lag, er wusste nur, dass er irgendwie am Boden lag und sich zunächst orientieren musste. Die Frontscheibe war völlig zersplittert, dadurch konnte er mit Mühe die Brücke erkennen, und es schien der schnellste Ausgang zu sein. Das Blut, das ihm von einer Platzwunde an der Schläfe und einem Schnitt unterm Auge bis nach unten über die Wange lief, sowie mehrere Schnitte in den Armen, spürte er kaum. Er musste raus, aber er war nicht in der Lage einen klaren Gedanken zu fassen. Nur, dass er den Revolver mitnehmen musste, daran dachte er noch.
Kevin linste um das Wrack, das ihm zunächst noch als Deckung nutzte, weil es mit der Frontscheibe zum Fluss lag. Santos, zwei weitere Männer sowie der Scharfschütze aus dem Gebüsch kamen zu Fuß in Richtung des Unfallwagens. Sein Atem beschleunigte sich, er lehnte sich kurz an das Wrack und sah zum Himmel... verdammt, jetzt saß er fest. Jetzt war alles vorbei. Die dunklen Wolken verdichteten sich über ihm, als er den Revolver aufschnappen ließ... noch vier Kugeln, für vier Mann. Unrealistisch, mit jedem Schuss zu treffen. Dann sah er in den Wagen und zog eins der automatischen Gewehre heraus, das er den beiden Rebellen abgenommen hatte, und lud es durch.Santos und seine Männer hatten nicht damit gerechnet, dass Kevin den Unfall überstehen würde. Relativ schutzlos waren sie dann auch, als der Polizist sich aus der Deckung raus wand, und das Gewehr antworten ließ. Vor Schmerz wurde ihm schwindelig, und viele Kugeln verpassten sein Ziel, nur den Scharfschützen konnte er im Oberschenkel treffen, der jammernd in die Knie ging. Die anderen beiden positionierten sich sofort vor Santos und schossen zurück, so dass Kevin wieder hinter der Deckung verschwinden musste. Als der Polizist nochmals schiessen wollte, gab die Waffe, die durch den Unfall verbogen wurde, den Geist auf. "Fuck!", rief er und warf das Gewehr zurück in den Unfallwagen. Es war vorbei... Er hatte verloren, und er wusste es jetzt endgültig. Nur eins musste er noch erledigen...
Kevin beugte sich nochmals aus der Deckung und schoss dreimal in Richtung der drei Männer, die sich langsam nochmal vom Wegesrand weg trauten. Alle drei Kugeln verpassten ihr Ziel, doch er erreichte immerhin, dass Santos nochmals versuchte, am Wegesrand Deckung zu finden und auf Spanisch fluchte. Dann rannte der Polizist. Er wandte sich von dem Autowrack ab und rannte, so schnell die Schmerzen, die sich über seinen Oberkörper und seinen Kopf verteilten, trugen. Er betete, dass Annie und Juan bereits weit genug weg waren, und er so immerhin Santos beschäftigen würde, bis die beiden am Flughafen waren.Kevin hatte auf der Brücke gerade die zweite Säule, die auf dem Absatz aus Stein gefertigt waren, erreicht, als Santos und seine Männer das Feuer wieder eröffneten. Im letzten Moment verkroch er sich dahinter, kniete auf dem Absatz der Brücke hinter dem Pfeiler. Neben ihm sah er in die tiefe, sah tosendes Wasser, Felsbrocken die aus dem Wasser ragten und Stromschnellen. Juan hatte mit der Beschreibung des Flusses nicht übertrieben. "Komm raus! Wir kriegen dich eh!", rief Santos mit seiner autoritären Stimme und hatte seine Hand fest um den Griff seiner 9mm-Pistole. Er hob die Hand, als er die Brücke erreichte. "Ich hol ihn mir selbst.", sagte er auf Spanisch zu seinem Bodyguard. Der Kartellchef nahm die Sache persönlich, dass Kevin versucht hatte, ihn aufs Kreuz zu legen und Annie zu befreien. Sowas tat man mit einem Carlos Salazar Santos nicht. Die Waffe im Anschlag näherte er sich langsam dem zweiten Pfeiler, hinter den Kevin gekrochen war.
Der wiederrum hatte sein Handy gezogen. Beinahe wie in Trance, das Rauschen des Wassers und die drohende Gefahr Santos ganz weit weg, starrte er auf ein Bild. Das Bild zeigte ihn und Jenny... in der gleichen Pose, wie er vor 13 Jahren ein Bild mit seiner Schwester gemacht hatte. Sie im Vordergrund, glücklich und befreiend auflachend, Kevin dahinter, die Arme schützend um Jenny gelegt, die Augen hellwach und sein Mund zu einem Lächeln geformt. Der Polizist biss auf die Zähne als einige Tropfen Blut seiner Stirn auf das Display fielen, küsste das Bild und nutzte dann die letzte Kugel seines Revolvers, um sie durch das Display des Handys zu schiessen, und das Gerät damit unbrauchbar zu machen. Würde Santos es in die Hände bekommen, wären Jenny und ihr gemeinsames Kind in höchster Gefahr. Das zerschmetterte Handy schleuderte er zu guter Letzt auch noch über die Brücke in den Fluß.Santos war bei dem Knall nochmal kurz in Deckung gegangen, doch jetzt sah er, wie mit einem Klackern der leere Revolver auf den Steinboden der Brücke geworfen wurde. Langsam kam der Besitzer des Revolvers hinter der Deckung hervor, im Gesicht blutverschmiert, schwer atmend und mit einem, beinahe mechanisch emotionslosen Gesichtsausdruck. Der Kartellchef richtete seine Waffe auf den jungen Polizisten, ging auf ihn zu, bis er dicht vor ihm stand, Kevin mit dem Rücken zum niedrigen Absatz. Das Rauschen des Flusses konnte er noch hinter sich hören, seine Haare, die sonst immer in alle Richtungen standen, waren zwar zerzaust, aber sie hatten nichts mit dem Kevin gemein, der er sonst war. Der Dämon hatte wieder gesiegt. Zwar hatte Kevin die Schlacht um Annie gegen ihn gewonnen, und es geschafft diesmal einen Menschen, der ihm nahestand, zu retten... doch dafür schlug der Dämon ihm ein Schnippchen und gewann den Krieg, in dem Jenny nun mit ihrem Kind alleine blieb. Der Polizist fühlte sich auf einmal unglaublich leer, und jeglicher Wille ging verloren. Hinter ihm der Abgrund, der den sicheren Tod bedeutete, vor ihm der eiskalte Drogenboss, für den es etwas Alltägliches war, einen Menschen zu töten. "Weiß der Teufel, was dich geritten hat, dich wegen einer kleinen H.ure mit mir anzulegen.", sagte Santos, der seine Waffe nicht mal einen Meter von Kevins Brust entfernt hielt. Der Polizist wiederrum hob nicht die Hände, er fiel nicht vor Santos auf die Knie, er blickte den Verbrecher aus seinen kalten Augen an. Er dachte an Semir, der ihn niederschlug... das Letzte, was er von ihm in Erinnerung hatte. Bens fassungsloses Gesicht, als er merkte, dass Kevin Semir hinterging. Jennys Tränen in den Augen, als er die Wohnung für immer verließ... alle letzten Erinnerungen in seinem Kopf waren negativ behaftet. "Ja genau... der Teufel...", sagte er nur leise.
Sein Herz schlug gegen seinen Brustkorb unter dem Shirt und dem offenen Hemd, das ebenfalls einige rote Spuren von herunter tropfendem Blut aufwies. Dann dachte er an Janine... würde sie ihn jetzt sehen? Er dachte an ihr Lachen, ihr befreites Lachen, das sofort ansteckte. An ihre Unbekümmertheit, wenn sie ihrem großen Bruder von ihren Träumen erzählte, die für Kevin damals immer Träume bleiben sollten. Er dachte nicht an die Mordnacht... nein, wenigstens von Janine würde er seine letzte Erinnerung positiv behalten. "Hast du noch was zu sagen?" Der Polizist blickte Santos noch einmal in die Augen und sah dann nach oben in den blauen Himmel, als könne er dort Janines Antlitz sehen. "Ich komme, Janine..."
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Toller Trailer.
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Dschungel - 12:00 Uhr
Annie hatte noch ein wenig geschlafen und sich erholt. Sie hatte von der Frau des Dorfes eine Art Ersatz-Droge bekommen... ein pflanzliches Gemisch, das auf das Gehirn wirkte und den Bedarf der Droge eindämmte, was somit die Symptome des Entzugs linderte. Jetzt stand die junge rothaarige Frau wieder im Licht der Sonne, noch etwas wackelig auf den Beinen und blass um die Nase. Kevin bedankte sich bei der Frau, auch wenn er diesen Dank nur mit Händen kommunizieren konnte. Pünktlich tauchte auch Juan wieder im Dorf auf. "Wo warst du denn?", fragte Kevin aus Neugierde, weniger dass er sich Sorgen gemacht hätte. "Ich war nochmal zurück. Wollte mal sehen, wie die Stimmung im Dorf ist und meine Leute warnen, falls Santos doch etwas tut, womit ich nicht rechne." "Und wie war die Stimmung?" Der Kolumbianer sah Kevin für einen Moment stumm ohne Lächeln an. "Aufgeheizt. Aber das hat dich nicht mehr zu interessieren. Ich fahr euch jetzt zum Flughafen, und dann ist der Film aus. Los gehts."
Annie und Kevin verabschiedeten sich aus dem Dorf und kletterten in Juans Geländewagen. Der Jeep rumpelte auf den Feldweg zurück, man bog nochmal ab und fuhr nahe an einer Art Schlucht vorbei, die nach unten in den Rio Cauca führte. "Wie tief ist es da?", fragte Annie irgendwann, die aus dem Seitenfenster schaute und das Wasser noch rauschen hören konnte. "Von den paar Brücken, die über den Cauca führen vielleicht 15-20 Meter. Wenn man den Sturz mit Gottes Hilfe überleben sollte, wird dich spätestens die Strömung, die jetzt nach der Regenzeit herrscht, umbringen."Auf Kevin wirkte Juan angespannter als zuvor. Seine Gelassenheit, die er bisher die ganze Zeit hatte, war wie weggeblasen. Scheinbar war die Stimmung in seinem Slum vor Bogota wirklich nicht so gut, nachdem er den beiden gegen Santos geholfen hatte. Vielleicht wurde dem kolumbianischen Kartellchef jetzt richtig bewusst, was er für einen unbekannten Deutschen und dessen Freundin aufs Spiel gesetzt hatte. Doch Kevin versuchte den Gedanken abzuschütteln, versuchte egoistisch zu sein. Für ihn zählte jetzt ausschließlich, den Flughafen zu erreichen und mit Annie zusammen das Land zu verlassen, um Heim zu Jenny zu kommen. Das Telefongespräch hatte alle Zweifel über eine Rückkehr, alles Denken über einen erneuten Schnitt in seinem Leben beiseite gewischt.
Juan folgte dem staubigen Feldweg, der wieder in den Dschungel führte. Sie kamen zu einer Gabelung, der rechte Weg führte weiter den Berg entlang, rechts am Rio Cauca vorbei, während die linke Abzweigung ein wenig Bergab zu einer Brücke führte. Der Kolumbianer bremste, als er den Geländewagen an der Gabelung bemerkte. "Scheisse...", sagte er auf Spanisch. "Was ist los?" "Das sind Santos Leute..." "Fuck, ich dachte die könnten uns hier nicht finden?", sagte Kevin laut und griff nach seinem Revolver. "Ganz ruhig... lass mich das regeln und ihr zieht die Birne runter.", sagte Juan und machte eine beschwichtigende Handbewegung.Juan wusste, dass sein Name und seine Persönlichkeit in Bogota Gewicht hatte. Santos Männer würden ihn sicherlich nicht über den Haufen schiessen, die jetzt mit zwei automatischen Gewehren aus dem Wagen kamen und dem langhaarigen Kolumbianer entgegen kamen. "Was macht ihr hier?", fragte er die beiden Männer auf Spanisch. "Wir haben Anweisung von Santos, hier kein Auto durch zu lassen, wo sich ein deutscher Mann mit einer deutschen rothaarigen Frau aufhält. Also werden wir dein Auto jetzt durchsuchen." "Und wenn sie drin sind?" "Dann sollen wir den Mann exekutieren." Juan blickte zwischen den beiden Kerlen hin und her. "Ihr werdet mein Auto nicht durchsuchen, sondern ganz normal weiterfahren lassen. Oder wisst ihr nicht, wer ich..." Der Kolumbianer stockte, und ihm fielen die Halstücher der beiden Männer auf. Nein, die kannten ihn nicht. Und wenn sie ihn kannten, war es ihnen egal. Es waren nicht Santos Männer, sondern Rebellen, mit denen Santos Kontakt hatten. "Oder was?", herrschte der Kerl und stieß Juan mit der Gewehrmündung vor die Brust.
Kevin linste über das Amaturenbrett und bemerkte die gefährliche Situation. Eine Hand am Türgriff, die andere um den Revolvergriff geklammert, wartete er keine Sekunde zu wenig. Glücklicherweise standen die beiden Männer nicht hinter Juan verdeckt, der nur noch das Klacken der öffnenden Autotür hörte und bemerkte, dass die Blicke der beiden Männer an ihm vorbeigingen. Dann fielen auch schon zwei Schüsse, und die beiden Angreifer gingen getroffen zu Boden. Einer war sofort tot, weil er von Kevin in die Brust getroffen wurde, der andere krümmte sich mit einem Bauchschuss. Annie sah ein wenig erschrocken auf ihren ehemaligen Freund, nachdem er die Waffe zweimal abgedrückt hatte. So kannte sie ihn nicht, und es kam ihr befremdlich vor, auch wenn die Situation es verlangt hatte, dass er eingriff."Sag mal, bist du irre??", rief Juan, nachdem er sich umgedreht hatte und Kevin ihm entgegenlief. "Gern geschehen. Frag den Typen lieber, ob Santos auch schon auf dem Weg hierher ist." Der Kolumbianer strich sich die Haare aus dem Gesicht und war tief im Inneren Kevin tatsächlich dankbar, denn die Situation hatte zu eskalieren gedroht. Juan beugte sich zu dem krümmenden Kerl nach unten und packte ihm am Kragen. Der Typ presste beide Hände zitternd auf die blutende Wunde, und seine Zähne waren bereits vom Blut bedeckt. "Wo ist Santos? Ist er auf dem Weg hierher?" Der Kerl grinste in seinen Schmerzen diabolisch. "Er ist längst auf dem Weg. Ihr werdet ihm nicht mehr entkommen.", stotterte er und versuchte krampfhaft, das Blut unter zu schlucken.
Kevin sah sich gehetzt um, und hatte das Gefühl, er könne Motorengeräusche hören. "Wir müssen hier weg, Juan." Der Kolumbianer richtete sich wieder auf, als der Kerl am Boden die Augen verdrehte und dabei das Bewusstsein verlor. Er pustete durch und sah auf den zweiten Wagen. "Santos hat einen Geländewagen, mit dem er uns garantiert bis zum Flughafen eingeholt hat.", sagte er nachdenklich. "Dann müssen wir uns trennen. Dir wird er nichts tun, und auf Annie scheint er auch nicht scharf zu sein. Du bringst sie zum Flughafen."Ohne Juans Antwort abzuwarten, lief Kevin zurück zum Wagen, wo Annie ängstlich wartete. "Warte! Das kannst du nicht machen!", rief Juan und hielt den jungen Polizisten am Hemd fest. "Santos wird dich umbringen. Du weißt nicht, wozu der Mann fähig ist." "Mit dem kleinen Jeep der beiden Typen wird er mich nicht kriegen." Der Kolumbianer schüttelte den Kopf. "Das ist Wahnsinn." Kevin packte Juan an den Schultern. Plötzlich war sein altes Ego wieder da, der Kevin, den nichts umstürzen konnte, der Fels in der Brandung der in diesem Moment nur daran dachte, seine Versprechen einzulösen. Sein Versprechen gegenüber Ole konnte er nur einlösen, wenn Juan Annie sicher zum Flughafen brachte und sein Versprechen gegenüber Jenny würde er nicht einlösen können, wenn sie jetzt gemeinsam weiterfahren würden.
"Hör zu! Ich habe dich engagiert, um mir zu helfen! Und du hilfst mir jetzt, in dem du Annie zum Flughafen bringst. Zu dritt schaffen wir es nicht, weil Santos nur eine Spur verfolgen muss. Und ich alleine finde den Weg nicht. Sobald ich Santos abgehängt habe, rufe ich dich an, und du lotst mich zum Flughafen." Die beiden Männer standen sich gegenüber, beide ungefähr gleich groß und blickten sich in die Augen. "Ich habe zwei Versprechen einzulösen. Und glaub mir, DIESMAL werde ich das auch tun." Kevins hellblaue Augen funkelten, und davon ließ Juan sich dann umstimmen.Der junge Polizist beugte sich durch die offene Tür zu Annie. "Juan wird dich zum Flughafen bringen. Ich komme nach. Falls ich den nächsten Flug nicht schaffe, wirst du fliegen, dann komme ich mit der nächsten Maschine." Annies Augen weiteten sich und sie schüttelte wild den Kopf. "Nein... nein, das..." "Es geht nicht anders. Annie, du musst mir jetzt vertrauen." Die Lippen der jungen Frau zitterten und in ihr stieg ein unheimliches, bedrohliches Gefühl auf dass diese Entscheidung nicht die Richtige war. "Bitte... ich bin für all das hier verantwortlich. Es darf nicht sein, dass du dafür in Gefahr gerätst.", sagte sie panisch. "Was ist denn jetzt? Ich seh im Rückspiegel schon Staub hinter den Bäumen aufsteigen. Santos ist nicht mehr weit weg."
Kevin fasste Annie an den Händen. "Denk dran, was ich dir gesagt habe vorhin... Lass es nicht umsonst gewesen sein. Wenn Santos uns alle erwischt, dann war es umsonst." Bevor Annie nochmal widersprechen konnte, zog der junge Polizist seine ehemalige Freundin heran und küsste sie. Es war wie eine Zeitreise, 13 Jahre zurück als Kevin 17 war und er Annie auf dem Dach der alten Halle küsste. Obwohl der Kuss keine zwei Sekunden dauerte, kam er beiden vor wie eine Ewigkeit, bis der Polizist sich lossagte und die Tür des Wagens zwischen sich und Annie schloß. Juan warf er noch den Schlüssel des Schließfaches zu, in der die zweite Hälfte des Geldes lag. Der Kolumbianer konnte es nicht fassen, dass Kevin daran in diesem Moment dachte und sah dem jungen Mann nach, wie er zu dem deutlich kleineren und schnelleren Jeep lief, bevor er selbst weiter fuhr und die rechte Abzweigung nahm. -
Krankenhaus - 17:00 Uhr
Ben nutzte das Blaulicht des BMWs, denn er sich kurzerhand von Semir ausgeliehen hatte, um mit Sonderrechten im Feierabendverkehr schneller voran zu kommen. Neben ihm saß Carina, die sich mit der rechten Hand am Innentürgriff festklammerte... jedoch nicht aus Angst vor Bens Fahrt, sondern aus Sorge. Die Betreuungsstation, wo Carinas Mutter untergebracht war, hatte angerufen. Ihre Mutter hatte einen Zusammenbruch, sie sei umgekippt. Die Stimme der Pflegerin hatte sich ernst angehört, auch wenn die erfahrene Frau versucht hatte, Carina zu beruhigen. Man hätte sofort einen Notarzt alarmiert, der Hermine Bachmann eiligst ins städtische Krankenhaus gebracht hatte. So vorsichtig wie möglich versuchte sie der geschockten jungen Frau zu sagen, dass der Notarzt einen Verdacht auf einen Herzinfarkt geäussert hatte.
Carina kaute an den Fingernägel, ihre Augen waren feucht. Sie wollte stark sein, sie wollte nicht weinen... sie war es doch jetzt, die verantwortlich war, was vorher immer ein wenig ihr großer Bruder war, der der rettende Fels in der Brandung war. Sie musste aber jetzt für ihre Mutter da sein. Doch das schlechte Gewissen nagte an ihr, weil sie ihre Mutter alleine gelassen hatte. Der Gedanke, alleine zu sterben, hatte Hermine immer Angst gemacht, das hatte sie ihrer Tochter öfters erzählt.Der junge Polizist fuhr schneller als erlaubt, er nutzte seine Sonderrechte, aber er fuhr trotzdem kontrolliert und risikolos. Ein Verkehrsunfall würde weder ihm noch Carina helfen, ausserdem nutzte er das Blaulicht privat, was ihm weiteren Ärger einbringen würde, falls es zu einem Unfall kam. Er spielte seine ganze Routine am Lenkrad aus, überholte mit Lichthupe nur links und fuhr bei Rot langsam an eine Kreuzung der Innenstadt heran, bis ihn jeder durchließ, statt auf gut Glück durch zu brausen, wie er es bei mancher Verfolgungsjagd tat. Immer wieder warf Ben einen schnellen Seitenblick auf seine Beifahrerin, die nicht wusste welchen Punkt sie fixieren sollte. "Jetzt mal nicht den Teufel an die Wand... vielleicht ist es nicht so schlimm."
Carina schniefte ein wenig, sie wusste, Ben meinte es gut und wollte sie trösten. Aber die Worte konnten die Sorgen nicht vertreiben. "Meine Tante hatte mit 40, 47 und 56 einen Herzinfarkt... und lebt heute noch ganz normal.", sagte er lächelnd. "Ich... ich hab solche Angst vielleicht zu spät zu kommen, Ben.", offenbarte die junge Frau ihre Sorge. Nicht für ihre Mutter da zu sein, in diesem Moment, wo sie Sie brauchte. Es hatte sich auch nichts angekündigt, die ärztlichen Untersuchungen, die in regelmäßigen Abständen stattfanden, waren alle in Ordnung gewesen.Es kam Carina wie eine Ewigkeit vor, obwohl sie nur 20 Minuten unterwegs waren. Ben fuhr direkt vor den Eingang, wo er Carina rausliess. "Ich komme sofort.", sagte er noch und suchte den Parkplatz bereits nach einem freien Platz ab. Er wollte den Eingang, trotz Sonderrechten, nicht blockieren, falls dort vielleicht jemand kam, der nicht besonders gut gehen konnte. Carina nickte und lief durch die Eingangstür an den Empfang, wo sie auch sofort an die Reihe kam. "Meine Mutter wurde eben von einer Betreuungseinrichtung mit Verdacht auf Herzinfarkt eingeliefert. Hermine Bachmann heißt sie.", sagte sie aufgeregt und ein wenig zitterig. Die ältere Frau schaute im Computer, und wies Carina die Richtung zur Intensivstation.
Der Weg wollte nicht enden, Carina kam es vor, als würde der Gang schwanken als sie ihn entlang ging. Ihr Herz raste, ihre Beine fühlten sich wie Pudding an, und auf einmal fühlte sie sich, als sie die Intensivstation erreichte, völlig verloren, bis sie endlich eine Schwester fand. "Warten sie kurz hier... ich schicke den behandelnden Arzt." In dem Moment kam auch Ben um die Ecke des Gangs und kam näher an Carina heran. "Und?" "Sie schickt mir den Arzt." Die Luft war zum Schneiden, und die Sorgen der jungen Frau nahm immer mehr zu, erste Horrorszenarien bauten sich in ihrem Kopf auf.Ein Mann in Weiß schwebte von einem Zimmer auf den Gang, und er erschien Carina sofort vertrauenserweckend.. als könne er drei Worte sagen, und alles war wieder gut. Doch sein Blick war ernst, er rückte seine Brille zurecht und hatte einige Ausdrucke in der Hand. "Frau Bachmann?", fragte er und die junge Frau nickte eifrig. "Ihre Mutter hat einen schweren Herzinfarkt erlitten, woraufhin es auch zu Herz-Kreislauf-Problemen gekommen ist. Wir...", er blickte kurz zu Ben, der dicht hinter Carina stand und dessen Gesicht langsam auch eher einen erschrockenen Ausdruck annahm, und blickte kurz verwundert auf den beschädigten und verbluteten Ärmel. "Wir mussten sie bereits... bereits reanimieren. Momentan ist ihr Zustand kritisch, aber stabil." Das Zittern von Carinas Hand, mit der sie sich nun zum Mund fuhr, wurde stärker und ihre Augen füllten sich erneut mit Tränen.
Ben bemerkte es und legte seine Hände von hinten um Carinas Schulter, um ihr ein wenig Halt zu geben, und auch der Arzt meinte, ob es nicht besser ist, wenn sie sich einen Moment hinsetzen würde. Aber die junge Frau schüttelte energisch ihren Kopf. "Kann ich zu ihr?" Die Miene des Arztes wirkte jetzt sogar eher bedrückt. "Selbstverständlich... kommen sie." Der Polizist wollte ihr folgen, doch der Arzt hielt ihn auf. "Sind sie auch ein Verwandter?" "Nein... ich bin... ähm... ein Freund." "Tut mir leid, in diesem Falle...", sagte der Arzt und nickte mit dem Kopf ein wenig zur Seite, als wolle er sagen: "Sie wissen eh, was ich ihnen jetzt sagen muss." Carina sah sich zu Ben um und nickte: "Ist schon okay, Ben... danke.", sagte sie und wollte den Gang alleine gehen. "Ich warte hier auf dich.", versprach der Polizist mit der Wuschelfrisur.Carina konnte sich später nicht mehr an Details erinnern... ob ihre Mutter Schläuche im Mund, etwas in der Nase und besondere Sonden am Körper hatte. Sie wusste nur, dass sie ganz ruhig und friedlich im Bett lag, ein elektronischer gleichmäßiger Piepton zu hören war, der allerdings von der Schnelligkeit her irgendwie anders war, als Carina ihn kannte. Aber auch das verschwimmte in der Erinnerung, verschwimmte in dem geballten Eindruck dessen, was sie sah. In einen Kittel gekleidet, setzte sie sich ans Bett auf einen Stuhl und ergriff die Hand ihrer Mutter zärtlich, wobei sie ihr mit dem Daumen über die Handfläche strich. Der Arzt blieb noch für einen Moment und sagte, so schonend wie möglich: "Ich möchte sie nicht verletzen, aber auch keine falsche Hoffnung machen, Frau Bachmann. Das bringt ihnen nichts. Das Herz ihrer Mutter ist durch den Infarkt schwer geschädigt und es schlägt nur noch mit verminderter Leistung. Wir müssen die Nacht abwarten, wie sich die Werte entwickeln. Bleiben sie heute Nacht bei ihr, für sie gelten keine Besuchszeiten." Die blonde Frau nickte gedankenverloren, ohne den Blick von ihrer Mutter abzuwenden. Trotzdem machte sich ein bisschen Erleichterung breit, dass sie zumindest bei ihr war, und ihre Mutter nicht allein war.
Ben stand draussen ruckartig vom Stuhl auf, als der Arzt nach draussen kam. "Hören sie, Doktor... ich weiß, ich bin keine Verwandtschaft, aber ich bin ein sehr guter Freund. Sagen sie mir nur, wie ernst es ist." Der Arzt sah den jungen Mann an und presste kurz die Lippen zusammen. "Ich habe ihr gesagt, dass das Herz durch den Infarkt sehr geschädigt ist und dass wir die morgigen Werte abwarten müssen. Und, dass sie heute Nacht bei ihr bleiben soll." Ben zog ein wenig die Stirn in Falten, es war ungewöhnlich, dass der Arzt vorschlug, dass Angehörige blieben. Sonst hieß es immer: "Ruhen sie sich aus, sie können eh nichts tun." Aber der Polizist erkannte den Hintergrund der Aussage. "Weil sie damit rechnen, dass es vielleicht morgen keine Werte mehr gibt?" Der Mann im weißen Kittel schaute kurz zu Boden und nickte. -
Wie der mit dem Rücken an der Hüttenwand sitzt, die Beine im 90°-Winkel aufgestellt.... darüber muss ich noch mal nachdenken.
Setz dich mal auf den Boden, Rücken an die Wand und dann stellst du die Beine so, dass Ober- und Unterschenkel einen 90°-Winkel bildenist gar nicht so schwer
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Dschungel - 11:00 Uhr
Nachdem Kevin das Telefongespräch mit Jenny beendet hatte, ließ er sich im Schatten neben der Hütte nieder, in der Annie gerade von einer Frau ein wenig betreut wurde. Den Rücken an das Holz der Hütte gelehnt, die Beine im 90 Grad-Winkel aufgestellt und dabei die Ellbogen darauf gestützt... so saß der junge Polizist am Boden und wurde von einigen Kindern immer wieder neugierig beäugt. Eine junge Frau brachte ihm ein wenig Wasser und sprach einige Worte, die er nicht verstand und er versuchte so dankbar wie möglich zu lächeln und zu nicken. In seinem Kopf schwirrten unendlich viele Gedanken und Gefühle umher, so dass er sich völlig seiner Umwelt und seiner Umgebung entzog. Der junge Polizist legte den Kopf nach hinten an die Hütte und strich sich mit der Hand durch das verschwitzte Haar.
Jenny hatte Angst... er konnte es verstehen. Aber ihre Stimme hatte ihm Mut gegeben, und er wusste dass Jenny verstand, warum er hier war... warum er Annie helfen musste. Die junge Frau kannte seinen Dämon, kannte seine Geschichte und Kevin war für sie wie ein offenes Buch, selbst wenn er versuchte den Deckel zuzudrücken und mit einem Schloss abzuschließen. Dass sie immer noch zu ihm stand, auch wenn sie ihn im Affekt vor der Abreise vor die Wahl stellte, gab ihm mental unheimlich viel Kraft.Kevin bemerkte es zunächst gar nicht, als sich die Frau, die eben bei Annie in der Hütte war, plötzlich neben ihm stand. Sie wusste, dass der junge Mann sie nicht verstand, deutete mit dem Kopf auf die Hütte, legte den Kopf etwas schief und ihre Hände gefaltet an die linke Wange. Annie schien zu schlafen, sollte das bedeuten. Der junge Polizist machte einen fragenden Gesichtsausdruck und deutete mit dem Kopf auf den Eingang, ob er zu ihr könnte und die Frau nickte, bevor sie langsam davon ging. Langsam ging Kevin in das dunkle Innere der Hütte, es war etwas kühler aber lange nicht mit klimatisierten Räumen zu vergleichen. Annie lag ein wenig zusammengerollt auf einem Feldbett, ihr Gesicht war schweißnass und blass. Vor ihr stand ein Behälter, gefertigt aus einem Holzrahmen und gespanntem Stoff, falls sie sich übergeben musste. Offenbar hatte die Frau ihr etwas gegeben, was die Entzugssymptome linderte und sie beruhigte.
Statt vor der Hütte setzte sich Kevin nun auf den sandigen Boden neben das Feldbett und strich der jungen Frau durch das rote feuchte Haar. Ihre Haut fühlte sich heiß an, als hätte sie Fieber, die Beine hatte sie an den Leib gezogen. "Kevin... bist du da?", flüsterte sie schwach. "Ja, es ist alles in Ordnung.", sagte der Polizist, und er hatte das Gefühl, dass sich Annies Körper entspannte, als sie seine Stimme hörte.Ihr Atem ging auch etwas langsamer und sie schlug nun die Augen müde auf. Als sie das verschwitzte Gesicht ihres ehemaligen Freundes sah, der neben ihr saß, stiegen ihr die Tränen in die Augen. Sie fühlte sich elend, sowohl körperlich als auch psychisch. Scham und Schuldgefühle gegenüber Kevin ließen Sie schluchzen. "Es tut mir alles so leid, Kevin. Ich habe alles falsch gemacht, was ich falsch machen konnte..." Kevin hätte ihr Recht geben können, aber er beließ es bei einem tröstenden Streicheln über den Kopf, um ihr wenigstens ein bisschen Sicherheit und Geborgenheit zu geben. Etwas, das Annie wohl nicht nur hier in Kolumbien vermisst hat, sondern vor allem auch in den letzten Jahren. Dass sie mit Ole und dem Rest der Clique engere Freunde hatte als sie dachte, schien sie nicht zu merken. Dass Kevin, den sie quasi "wiedergefunden" hatte, sie dann abwies und noch dazu mit ihr brach, als sie störrisch war und Semir nicht helfen wollte, warf sie vollkommen aus der Bahn.
Es kam ihr immer so vor, als sei sie ein Opfer. Ein Opfer des Systems, der Umstände, des Lebens. Doch ganz am Tiefpunkt, in einem Slum von Kolumbien, als sie in einer dreckigen Gasse mit der Spritze im Arm saß und wusste, dass sie in wenigen Stunden für die nächste Spritze die Beine für irgendeinen Mann breit machen musste, ekelte sie sich vor sich selbst. Sie war zu etwas geworden, was sie nie werden wollte und spürte, dass es nur einen Schuldigen für ihre Situation gab. Sie selbst. Doch es kam ihr so vor, als käme die Einsicht zu spät. Die Sucht hatte sie ergriffen, und sie schien alle Freunde verprellt zu haben, die sie hatte... Kevin wegen ihrer verweigerten Hilfe und Ole sowie den Rest der Clique, durch ihre Flucht.Und jetzt war der Mann, in den sie immer noch verliebt war, bis nach Kolumbien gereist, um sie hier rauszuholen, um sie zu suchen... sie brachte ihn in Gefahr, er legte sich mit einem Verbrecherkartell an, wegen ihr. Er wurde angeschossen, wegen ihr. Die Schuldgefühle nahmen überhand und ihre Wut richtete sich vor allem gegen sich selbst. "Was ist denn überhaupt passiert?", fragte Kevin irgendwann. "Ich musste raus... ich... ich konnte an nichts anderes mehr denken, als an dich. Ich war so oft kurz davor, zu dir zu kommen und habe es nicht geschafft, weil ich... ich nicht auch noch deine Beziehung gefährden wollte. Deswegen musste ich weg... und habe mich an unseren Südamerika-Traum erinnert." Als die beiden noch zusammen waren, träumten sie oft davon, von Mexiko durch Brasilien, Kolumbien bis zur Südspitze nach Argentinien zu reisen, am liebsten nur auf einem Motorrad.
"In Bogota war alles noch gut... ich habe mir dort eine Bleibe gesucht und bin abends einfach raus... und dort hat es angefangen, dass ich in den Diskotheken etwas genommen habe." "Du wolltest krampfhaft vergessen, hmm?" Kevin konnte ihre Gedanken, die sie in diesen Momenten gehabt hat, so gut nachvollziehen. Nach dem Tod von Janine kam auch er über den Verlust nicht hinweg und begann sich, in Drogen und Alkohol zu flüchten mit dem Unterschied, dass er durch seine Jugendzeit vorbelastet war, und es somit ein Rückfall war, während Annie vorher niemals Drogen angerührt hatte. "Am Anfang waren es nur Pillen... bis...", zitterte Annies Stimme und konnte das schreckliche Wort nicht aussprechen. Der Polizist nahm es ihr ab und sagte: "Ich hab deine Arme gesehen." Soweit war es bei ihm nie gegangen. "Es ging rasend schnell.", schluchzte sie. "Für den nächsten Schuss hat mich dann ein Typ mit hierher genommen, wo du mich gefunden hast... und ich musste hier..." "Ist schon gut...", beruhigte Kevin sie, als ihre Stimme wieder weg zu brechen drohte, als der wohl noch unangenehmere Teil der Geschichte kommen sollte."Ich schäme mich so. Ich bringe dich in Gefahr wegen meiner... meiner Dummheit. Wegen allem, was ich falsch gemacht habe...", sagte die junge Frau und wischte sich die Tränen aus den Augen. "Ich hab mich selbst für diese Reise entschieden, Annie. Aber bitte, lass sie nicht umsonst sein." Sie schüttelte den Kopf, und wusste selbst dass sie hier zu Grunde gehen würde. "Wenn wir zurückkommen, machst du eine Therapie oder irgendwas, um von den Drogen wieder weg zu kommen, okay? Ich helf dir auch dabei, du hast Freunde, die dir helfen." Annie blickte Kevin mit ihren grünen Augen an, in die er sich damals zuerst verliebte hatte. "Du... du hast eben etwas von Ole gesagt." Der Polizist nickte. "Ole hat mir erzählt, dass du weg bist. Und dass sie sich Sorgen machen, weil du dich nicht mehr gemeldet hast. Er hat mich gebeten dich zu suchen, aber die Entscheidung ob ich es tue, habe ich allein getroffen." Er rückte etwas dichter an Annie heran. "Ole hätte alles für dich getan. Der wäre sogar mit einem Schiff hierher übergesetzt, um dich zu suchen."
Der Blick der jungen Frau senkte sich. Sie war berührt davon, was die Freunde zu Hause für sie getan hätten, wie sehr sie sich gesorgt hatten und dass sie Kevin wohl doch noch etwas bedeutete, sonst wäre er nicht gekommen. "Ich hab euch nicht verdient...", sagte sie leise, ohne Kevin anzuschauen. "Jeder macht Fehler, Annie." Kevin wusste es nur zu gut... er verschwieg, wieviel Porzellan er in Deutschland zerbrochen hatte, als er hierher gereist war, um bei der jungen Frau nicht noch mehr Schuldgefühle zu verursachen.Dann schwiegen sie und warteten... warteten auf Juan, damit sie die Fahrt zum Flughafen fortsetzen konnten. Minutenlang schwiegen sie sich an, bis Kevin seine ehemalige Freundin wieder ansah, und es sogar schaffte, zu lächeln. Es war allein der Gedanke, der ihn seine Mundwinkel anheben ließ. "Ich werde Vater." Annie blickte sofort zu ihm herüber. "Mit... mit Jenny?" Er nickte. Obwohl Annie noch etwas für Kevin empfand, so sah sie doch mittlerweile, gerade nach der Rettung viel klarer. Sie war beruhigt, dass sie ihm scheinbar nicht vollkommen egal war, was er noch bei der Beerdigung zum Ausdruck gebracht hatte, und ihr Lächeln war ehrlich als sie nun seine Hand ergriff. "Das ist doch toll." Die ehrliche Freude der jungen Frau verstärkte das Glücksgefühl in Kevin nochmals. Sofort, nachdem er den Satz gesagt hatte war er sich unsicher, ob es gut war, Annie das zu erzählen und die Reaktion beruhigte ihn.
"Du wolltest doch nie Kinder..." "Naja, geplant war es auch nicht. Aber..." Er zuckte mit den Schultern. "Dinge ändern sich. Vielleicht hilft mir ein Kind mit Jenny, endlich mein Leben komplett in den Griff zu kriegen. Immer, wenn ich das Gefühl hatte, dass ich es geschafft habe, ist etwas anderes passiert." Für einen Moment blickte er zu Boden. "Ausserdem will ich ein besserer Vater sein, als..." "Hey... denk nicht darüber nach.", unterbrach Annie ihn sofort, denn sie kannte Kevins Vater, und sie kannte das Verhältnis zwischen den beiden. Der Polizist nickte und bemerkte, als er zu Annie aufsah, dass ihre Gesichtsfarbe langsam wiederkehrte. Die beiden lächelten sich an. "Ich werde dir hierfür auf ewig dankbar sein, Kevin..." -
Flughafen - 16:30 Uhr
Die ganze Szenerie hatte sich ein wenig beruhigt. Verstärkung traf ein, Krankenwagen fuhren vor dem Flughafengebäude vor und der Sonnenuntergang dieses Wintertages wurde mit zuckenden Blaulichtern veredelt. Carina trat auf dem Parkplatz wartend von einem Fuß auf den anderen, voller Sorge um Ben, der sie eben noch rausgeschickt hatte, nachdem er angeschossen wurde. Als sich plötzlich Sanitäter anschickten, mit einer Bahre in das Gebäude zu laufen, wäre die junge Frau ihnen am liebsten gefolgt, denn sie ahnte Schlimmes und umso größer war die Erleichterung, als Ben ein wenig humpelnd, mit zersaustem Haar, einigen Schrammen im Gesicht und verbluteten Oberarm aus dem Gebäude kam. Sofort fiel die ganze Anspannung, und die junge Frau fiel ihrem Retter um den Hals.
Nur wenige Augenblicke kamen die Sanitäter im Laufschritt mit Drager auf der Bahre aus dem Gebäude, zugedeckt und festgeschnallt. "Sieht nach einer schweren Schädelverletzung aus, wir müssen ihn sofort ins Krankenhaus fahren.", sagte der Notarzt, und der erste RTW fuhr vom Gebäude ab. Hinter dem Gebäude stieg dunkler schwarzer Rauch in den Himmel, der Ben kurz das Blut in den Adern gefrieren ließ, doch Hartmut, der den Techniktransporter ebenfalls auf den Parkplatz gefahren hatte, konnte seinen Freund beruhigen. Semir hatte den flüchtenden van Dyke gefasst.Es dauerte auch nur einige Minuten, bis der, ziemlich zerkratzt und ramponierte BMW von Semir am Gebäude vorbei auf den Vorplatz fuhr und ausstieg. Mit typisch skeptisch dreinschauenden Blick musterte er seinen ramponierten Partner. "Bist du aus der Übung?", fragte er ihn neckisch und Ben konnte, trotz seines pochenden Armes und seiner schmerzenden Kehle schon wieder Grinsen und deutete nur mit einem kurzen Kopfnicken zu Semirs Wagen, der eindeutige Schleifspuren auf einer Seite hatte, und der Seitenspiegel abgeknickt war. "Und du?" "Hey, der fährt noch... gut, der Audi fährt nicht mehr." Ben lachte auf, als Semir dann fast schon kleinlaut hinzufügte: "Und die Cessna fliegt nicht mehr." "Seid ihr immer so nett zueinander?", meinte Carina lächelnd und nahm gar nicht wahr, wie sie Bens Hand fest umgriff. Der allerdings bemerkte es, und spürte einen Glücksschauer seinen Rücken herunterlaufen.
"Kommen sie, Herr Jäger... ich verarzte ihren Arm.", sagte dann irgendwann ein Sanitäter. Spätestens jetzt bemerkte die blonde Frau ihren Griff und lies, beinahe erschrocken los. Ihre Blicke trafen sich nur kurz, und der Polizist wandte sich zum RTW, wo er sich auf die Einladekante saß, und der Sanitäter erst den Pulloverärmel hochkrempelte, um sich die Wunde anzusehen. "Es ist nur ein Streifschuss, es steht wohl keine Kugel drin. Aber lassen sie das heute noch röntgen, dass nichts am Knochen oder an den Nervensträngen beschädigt ist.", sagte er, desinfizierte die Wunde und verband sie."Tut es sehr weh?", fragte Carina, die ein wenig näher an Ben rangekommen war, und der Polizist schüttelte mutig den Kopf. "Wir merken das schon gar nicht mehr, so oft wie das schon vorgekommen ist. Nicht wahr, Ben?", sagte Semir, der sich zu Ben gesetzt hatte. "Was ist mit Drager." "Der ist auf den Kopf gefallen... von weit oben. Keine Ahnung, ob er durchkommt." "Er hat mir den Mord gestanden.", sagte dann die junge Frau, und die beiden Männer nickten. "Ja, wir haben es mitbekommen. Damit ist der Fall gelöst. Drager hat deinen Bruder wohl nach der Geldübergabe erschossen, und das Geld wieder an sich genommen. Dabei sind ihm ein paar Scheine herausgefallen." Ben verzog ein wenig das Gesicht, als der Sanitäter die Haut berührte.
"Aber warum danach?", fragte Carina und spürte wieder, wie die Trauer heraufstieg. Semir schüttelte den Kopf: "Das wissen wir nicht. Und wenn Drager nicht durchkommt, werden wir es nie erfahren. Aber hauptsache, du weißt dass der Mörder deines Bruders bestraft wird, sollte er überleben. Heimtükischer Mord... das gibt lebenslänglich." Es war nur ein schwacher Trost, aber immerhin war es ein Trost für die junge Frau, die jetzt trotzdem in eine ungewisse Zukunft blickte... allein mit ihrer Mutter, alle Verantwortung auf sich lastend, dazu die ungewisse finanzielle Situation."Achja, hier...", sagte sie dann und stellte den Koffer vor Semir und Ben. Sie hatte ihn die ganze Zeit über festgehalten, ohne es zu merken. Die beiden Polizisten betrachteten das kleine unscheinbare Dinge, der Ältere der beiden nahm ihn und öffnete das Behältnis. Er besah sich die bunten Scheine, nahm einzelne heraus und hielt sie gegen das Abendrot. "Sind echt... die wollten tatsächlich bezahlen." "Aber warum wollten sie mich zwingen, mitzukommen?" Darauf wussten die Polizisten keine Antwort, und Semir fing einen Blick von Ben auf, der das Geld betrachtete und dann mit, fast schon unschuldigem Blick zu Semir und zu Carina sah. Der erfahrene Polizist spürte sofort, was Ben dachte und schüttelte den Kopf.
"Vergiss es, Ben." "Aber Semir..." "VERGISS ES, habe ich gesagt." Carina verstand den kurzen Disput nicht wirklich, aber der erfahrene Kommissar hatte richtig vermutet. Das Geld gehörte Verbrecher... niemand würde es vermissen und die junge Frau konnte es gut gebrauchen. Das waren Bens Gedanken, die Semir wie mit einem Scanner ablesen konnte. Grundsätzlich hätte Semir das Geld auch lieber Carina gegeben, als es für die nächsten Jahre in der Asservatenkammer als Beweismittel verschimmeln zu lassen, aber sie wussten auch, dass sie in Teufelsküche kommen würden. Als Carinas Handy klingelte, entfernte sie sich einige Schritte von Ben und Semir."Vergiss nicht, dass wir momentan dabei sind, die Chefin zu belügen, was unserem allseits beliebten Kollegen angeht! Wenn wir jetzt noch Beweismittel verschwinden lassen, ist die Kacke wirklich am Dampfen. Wir versuchen sie irgendwie anders zu unterstützen, okay?", raunte Semir seinem besten Freund zu, ohne dass Carina es hören konnte, und Ben nickte. Er vertraute seinem Partner und sah ein, dass es wohl wirklich besser war, von so etwas die Finger zu lassen.
Doch plötzlich war das Geld, die Chefin und Kevin ganz weit weg, als Carina sich mit dem Handy am Ohr zu den beiden Polizisten drehte. Ben merkte sofort, wie blass Carina auf einmal war, wie ihre Lippe zitterte und sie plötzlich nicht mehr ganz sicher auf den Beinen war. Er bekam nur mit, wie sie mit tränenerstickender Stimme ins Mobiltelefon sagte: "Nein... das darf nicht sein!!" -
Flughafen - 16:15 Uhr
Als Semir laut in sein Funkgerät "Zugriff" rief, hatte er bereits den elektronischen Startknopf seines Dienstwagens gedrückt, und der PS-starke Motor brummte auf. Das Funkgerät flog auf den Beifahrersitz, krachend polterte der erste Gang ins Getriebe, wobei der Polizist mit dem Schaltknüppel nachhalf... vor über einem dreiviertel Jahr hatte er sich durchgesetzt und endlich wieder einen Dienstwagen mit manuellem Getriebe bekommen. Er fuhr mit immer mehr Beschleunigung auf die Szene zwischen Drager, van Dyke und Carina zu, als endlich Bewegung in die drei kam. Van Dyke rannte zu einem silbernen Audi, stieg ein und fuhr mit quietschenden Reifen beinahe Ben über den Haufen, der sich gerade noch mit einem Hechtsprung retten konnte.
Der Polizist hielt kurz die Luft an und hielt neben seinem Partner, während Drager Carina zurück ins Flughafengebäude zerrte. "Alles klar?", rief Semir aus dem offenen Fenster, als Ben sich schon wieder aufgerappelt hatte: "Los, schnapp dir den Kerl.", rief er und zeigte auf den Audi, der auf dem Rollfeld beschleunigte. Semir grinste, salutierte scherzhaft mit den Fingern an der Stirn und trat wieder aufs Gas, während sein bester Freund ins Flughafengebäude rannte, um dort die Verfolgung von Drager und Carina aufzunehmen.Der alte verlassene Flughafen war ein Verkehrsflughafen, dementsprechend groß waren die Rollfelder. Semir trat das Gaspedal seines BMWs bis aufs Bodenblech und unterbrach den Vorgang nur, wenn er die Gänge nacheinander ins Getriebe gleiten ließ. Beinahe wie ein Virtouse auf einem Instrument schaffte er es, seinen Wagen durch die richtigen Schaltpunkte schneller zu beschleunigen, als van Dyke im ebenso gut motorisierten Audi. Langsam kam Semir näher als der Tacho bereits 200 km/h anzeigte, und die Bäume hinterm Zaun des Flughafengeländes immer schneller an der Seitenscheibe vorbeizogen. Irgendwann leuchteten grell die roten Bremslichter von van Dyke auf, als er auf der breiten Landebahn eine der zahlreichen Asphalt-Abzweigungen nahm, die verschiedene Lande- und Startbahnen miteinander verbanden.
Auch Semir bremste, und mit wild quietschenden Reifen nahmen die beiden Fahrzeuge die Kurve, und schleuderten auf die, um 140° abgezweigte Startbahn, wo van Dyke sofort wieder beschleunigte. Es war angenehm, mal eine Verfolgungsjagd zu fahren, dachte Semir, bei der es soviel Platz gab, man keinen anderen Autos ausweichen musste, und es nur um die Beschleunigung der Autos ging. Als er sah, was der Verbrecher vor hatte, schnappte er sich sofort das Funkgerät. "Die beiden Ausgänge im Zaun versperren!" Sofort bewegten sich die beiden SEK-Autos und Hartmut im Technikbus, um die Ausgänge zu blockieren... van Dyke saß auf den riesigen Rollfeldern in der Falle.Semir hatte das Lenkrad fest in zwei Hände gepackt, nachdem er in den höchstmöglichen Gang geschaltet hatte. Er war nun dicht am Heck des Audis dran, scherte hinter ihm aus und kroch Centimeter für Centimeter nach vorne. Als er bereits mit seiner Motorhaube auf Höhe der Beifahrertür war, bog van Dyke plötzlich nach links ab und geriet dabei ins Schleudern, weil er die Handbremse zog. Semir tat es ihm gleich, in dem er nach rechts lenkte. Beide Wagen schlitterten auf dem trockenen Asphalt, quietschend, qualmend zogen sie schwarze Bremsstreifen hinter sich her und drehten herrlich eineinhalb Pirouetten, um sofort wieder aufs Gas zu gehen und die Landebahn erneut abzufahren. Als wäre es als Kunststück geplant, tauchte Semir wieder in der selben Position neben van Dyke auf.
"Um mich loszuwerden musst du dir schon etwas Besseres einfallen lassen.", sagte Semir angriffslustig. Vergessen war das Pflaster an seinem Hals, vergessen war die Therapiestunde, vergessen die schrecklichen Erfahrungen mit den Neonazis und vergessen war der Streit mit Kevin. Er tat seinen Job, er saß in seinem BMW und er tat das, was er am besten konnte... Autofahren, und Verbrecher fangen. Ein Glücksgefühl, das er in so einer stressigen Situation noch nie empfunden hatte, rieselte ihm den Rücken herunter.Als Semir sich nun Tür an Tür mit van Dyke befand, kamen sich die beiden Wagen bei hoher Geschwindigkeit verdammt nahe. Die Funken flogen bereits, als sich die Türen berührten und van Dyke merkte, dass er in der Falle saß. Mit einer ruckartigen Lenkradbewegung knallte es plötzlich, und Semirs Auto vibrierte, so dass er das Lenkrad noch fester halten musste. "Drecksack...", murmelte der kleine Polizist und konterte ebenfalls mit einem Stoß. Dadurch verloren die beiden Autos an Geschwindigkeit, doch bei dem Audi handelte es sich um einen großen SUV, der mehr Gewicht hatte, als Semirs BMW. Van Dykes Stöße hatten mehr Wirkung als Semirs Stöße. Die Autos wurden wieder schneller, und statt sich gegenseitig zu rammen, begann van Dyke nun, Semir abzudrängen.
Mit metallischem Quietschen und Kreischen der Karosserie bewegten sich die Autos aufeinander zu, Semir lenkte nach links Richtung van Dyke, der wiederrum leicht nach rechts zu Semir lenkte. Der Polizist merkte, dass er seinem Gewicht Tribut zollen musste und das erfrorene, matte Grün neben den Flugzeugpisten kam immer näher. Noch schlimmer waren die Grenzsteine, die die Piste markierten und alle paar Meter aus dem Boden ragten, sowie eine kleine Cessna, die auf einem der Querverbindungen parkte. Hobbyflieger durften manchmal den Platz als Start- und Landebahn benutzen.Semir biss die Zähne zusammen, als könnte er sein Auto dadurch mehr motivieren und Gewicht verleihen, um sich gegen van Dykes Audi durchzusetzen, doch mit jedem Stoß und Drücken näherte sich Semir dem Grün. Die Wagen hatten schon wieder auf fast 170 beschleunigt und die Grenzsteine kamen Semir immer dichter, die Außenflanke der Räder drohte bereits abzukippen, da der Asphalt etwas höher lag, als der Boden. Sie waren vielleicht nur noch wenige Meter von der Cessna entfernt, als van Dyke zum entscheidenden Rammstoß etwas ausholte, der Semir gegen die Grenzsteine befördert hätte. "Komm doch...", knurrte der erfahrene Autofahrer, und trat im exakt richtigen Moment mit aller Kraft auf die Bremse. Der Verbrecher reagierte zu spät und zog in Semirs Richtung, traf aber statt Tür an Tür nun mit dem hinteren Kotflügel an Semirs linken vorderen Kotflügel.
Durch den Schlag wurde der Audi herumgerissen und drehte sich um Semirs Stoßstange herum, bis seine Reifen sich in das Gras eingruben. Der Grenzstein stoppte die kurze Rutschpartie ruckartig, als der Wagen ungefähr auf B-Säulen-Höhe von jenem getroffen wurde. Durch die hohe Geschwindigkeit stoppte der Grenzstein den schweren Audi nicht ab, sondern hebelte ihn aus. Semir wich noch nach links aus, hörte nur das Krachen und Dröhnen als der schwere Audi hoch geschleudert wurde und mit dem Dach voran, immer noch unglaublichem Speed, von hinten seitlich in die Tragfläche und Personenraum der leeren, abgestellten Cessna hineinflog. Der BMW des Polizisten war noch am Schlittern, als dessen Fahrer das unangenehme, aber wohl bekannte laute Donnern einer gewaltigen Explosion hörte, denn sowohl Fahrzeugtank, als auch Flugzeugtank wurden augenblicklich aufgerissen und entzündeten sich. Reflexartig duckte Semir sich hinterm Lenkrad, als der BMW stillstand und er einen direkten Blick auf das Inferno hatte.Gerade als er, sich von dem kurzen Schock erholt, zum Funkgerät greifen wollte, um Feuerwehr und Rettungskräfte anzufordern (obwohl SEK und Hartmut das ganze Schauspieler verfolgt hatten), sah er, wie sich eine Gestalt auf dem Asphalt langsam aufrappelte, und gerade im Begriff war, hektisch und humpelnd, beinahe auf allen Vieren, sich davon zu bewegen. "Das gibts ja gar nicht.", murmelte Semir und warf das Funkgerät sofort wieder auf den Beifahrersitz. Van Dyke war, zwischen Semirs Aufprall auf dessen Heckkotflügel und dem Aufschlag gegen den Grenzstein offenbar rausgesprungen, und hart auf dem Asphalt aufgeschlagen. Trotzdem war er noch in der Lage, zu flüchten... jedoch zu langsam, um eine Chance zu haben. Semir war mit einem kurzen Sprint bei dem, mehr fallend und stolpernden Holländer und packte ihn am Kragen, um ihn flach auf den eiskalten Asphalt zu drücken.
Der Verbrecher blutete im Gesicht, seine Stoffhose war aufgerissen und er war schmutzig. Semir legte ihm ohne Gnade Handschellen an, und der Kerl jammerte. "Wer fit genug ist zum Flüchten, braucht auch keinen Krankenwagen.", flötete Semir ihm von hinten entgegen, und zog den Kerl auf seine Beine, der laut hechelte. Dann sah der Polizist auf das brennende Gemisch aus Audi und Cessna und schüttelte den Kopf, wobei er zu van Dyke sagte: "Die Nummer mit dem Rausspringen musst du mir nochmal zeigen, mein Freund..." -
Ich hab dich mal der Konversation zugefügt, kannst du dir mal durchlesen
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Es fehlt übrigens nur noch zwei Szenen aus dem Trailer
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Dschungel - 10:15 Uhr
Für eine Weile war nur das Gerumpel des Jeeps auf dem steinigen Feldweg zu hören, links und rechts türmte sich ein beeindruckendes Grün des Dschungels auf. Touristen hätten auf diesem Weg wohl mehrere SD-Karten ihrer Kamera vollbekommen und die Landschaft fotografiert, doch dazu hatten Juan und Kevin keinerlei Zeit oder Bedürfniss. Der kolumbianische Drogenboss hielt sein Lenkrad fest und überlegte, welche Folgen es für ihn hätte, wenn Santos ihn als Mithelfer der Flucht identifizierte. Er wusste zwar, dass Santos kein Interesse an einem Kartellkrieg hatte, aber den Tod mehrerer Männer mitzuverantworten würde er wohl nicht auf sich sitzen lassen. "Warum bist du eigentlich wieder zurück gekommen?", hörte er irgendwann Kevins Stimme. Juan lächelte ein wenig schnippisch: "Weil ich immer noch nicht den zweiten Teil meines Geldes habe." Auch Kevin erwiederte es mit einem Lächeln, denn er wusste, dass Juan es nicht ernst meinte. Für die läppischen 25 000 Dollar würde er nicht seine Kartellposition aufs Spiel setzen. Er war aus reiner Nächstenliebe, aus einer Überzeugung zurückgekommen, Kevin nicht im Dschungel zurück zu lassen. Der Polizist besah sich seinen blutigen Arm. "Schlimm?" "Nur ein Streifschuss.", meinte er. Es schmerzte zwar, aber die Blutung hatte bereits aufgehört, und es sah schlimmer aus, als es war. "Schon mal angeschossen worden?", fragte Juan, und die Frage klang in den Ohren des Polizisten so, als wollte der Kolumbianer ein wenig angeben, dass er vermutlich im Drogenkrieg öfters eine Kugel eingefangen hatte. Er sah ihn ein wenig schnippisch an und sagte übertrieben gleichgültig "Nein.", so dass Juan die Reaktion sofort verstand. Immer noch glaubte er, auch Kevin wäre im Drogengeschäft in Deutschland.
"Wo fahren wir jetzt hin?", fragte Kevin irgendwann, als hin und wieder der Fluss in sein Sichtfeld kam, und man dann wieder abbog. "Ich kenne hier in der Gegend das Oberhaupt eines kleinen Dschungeldorfes... dort könnt ihr für ein paar Stunden untertauchen, bevor ich euch zum Flughafen bringe." Der Polizist sah seinen Retter skeptisch an: "Das ist mir zu gefährlich... was ist wenn Santos mit seinen Männern dort ein Massaker anrichtet, wenn er uns sucht?" "Er kennt das Dorf nicht. Mach dir keine Sorgen. Hey, ich würde dich nicht dort hinbringen, wenn irgendeine Gefahr für das Dort bestehen würde, das sind Freunde." Das beruhigte Kevin dann doch, denn Juan hatte bewiesen, dass ihm Freunde etwas wert waren, sonst wöre er vorhin nicht zurückgekehrt.
Bevor sie losfuhren, hatte er Annie auf die Rückbank abgelegt und er beugte sich jetzt zwischen den Sitzen nach hinten, als sie leise wimmerte und stöhnte. Sanft strich er ihr mit den Fingern über die Wange. "Entzug?", fragte Juan, der die Symptome kannte. "Sieht ganz so aus." Der Polizist ergriff ihren Arm und drehte ihn sanft, um die Innenseite ihres Ellbogens zu sehen. Er musste schlucken und schloß seufzen für einen Moment die Augen, bevor er den Arm wieder sanft auf ihren Bauch legte, der schnell atmete. Die klitzekleinen roten Punkte am Arm, auf ihren Venen, waren sicher keine Mückenstiche, das wusste er. "Im Dort wird man ihr helfen.", hörte er von dem Kolumbianer neben ihm.Kevin hatte das Gefühl, dass er eine Reise in die Vergangenheit angetreten war. Was er immer mal im Internet gelesen hatte, von indigenen Völker im Dschungel, die noch lebten wie ihre Vorfahren vor hunderten und tausenden Jahren, jetzt stand er mitten drin, als sich zwischen den dichten Regenwaldbäumen eine Lichtung auftaut und Hütten ins Blickfeld kamen. Kinder rannten halbnackt lachend vorbei, Frauen saßen vor den Hütten, schnitzen Holz, kochten am offenen Feuer, Männer trugen Holz oder arbeiteten auf kleinen Ackern zwischen den Hütten. Es war einfach friedlich und ruhig, als das störende Motorengeräusch erstarb. Juan sprang aus dem Fahrzeug und ein groß gewachsener Mann, mit vielen Falten im Gesicht und langem grauen Haar, schüttelte ihm die Hand. Die Wortfetzen, die sie austauschten, konnte Kevin nicht im Ansatz verstehen, denn es war kein gewöhnliches Spanisch.
Irgendwann wandte sich Juan an Kevin: "Okay... wir können für zwei Stunden hierbleiben. Bring Annie in diese Hütte, eine heilkundige Frau wird sich um sie kümmern." Natürlich kamen immer mehr Kinder aus den Hütten und aus dem umliegenden Dschungel, denn sie betrachteten die beiden Neuankömmlinge neugierig. Diese eigenartigen Kleider kannten sie ja von Juan, der öfters hier war, aber besonders fasziniert waren sie von Annies feuerroten Haaren und Kevins heller Hautfarbe. Der Polizist hörte das Gekicher und Getuschel, konnte aber auch hier kein einziges Wort verstehen. In der Hütte war es etwas kühler als draussen, und er legte Annie auf ein weiches Lager, während hinter ihm eine ältere Frau in die Hütte trat, und eine Geste in Kevins Richtung machte, dass er die Hütte verlassen sollte. Juan im Türrahmen bemerkte den kurzen kritischen Blick. "Du kannst ihr vertrauen, sie weiß, was sie tut."Juan verabschiedete sich in Kevins Richtung und versprach, in zwei Stunden wieder da zu sein. Er müsse noch etwas erledigen, und der Polizist vertraute ihm. Den Revolver hatte er nochmal geladen im Hosenbund unterm Hemd stecken, und Juan hatte dem Dorfältesten alles erklärt. Als der Kolumbianer fort war, setzte Kevin sich in den Schatten einer Hütte auf den sandigen warmen Boden, und beobachtete wie ein Chamäleons das Treiben in dem kleinen Dorf. Es herrschte eine so herrliche Gemütlichkeit und Frieden hier, dass er sich plötzlich völlig entspannt fühlte, und viel Gelegenheit fand, nachzudenken. Nur hin und wieder kamen Kinder und sprachen ihn an, doch er konnte nur lächeln und mit den Achseln zucken, weil er sie nicht verstand.
Irgendwann zog er sein Handy aus der Tasche und suchte nach einer Satellitenverbindung, da er normales Handynetz hier nicht fand. Er hatte plötzlich ein drigendes Bedürfnis, jetzt war die Gelegenheit und er wusste nicht, wann er nochmal in Ruhe telefonieren könnte. Er hörte ein, leicht verrauschtes Freizeichen am Ohr, das Wählen der Nummer und dann irgendwann die, ihm so wohlvertraute Stimme. "Ja?" Der Polizist musste nur "Hallo" sagen, und die Gesprächspartnerin wusste, wer am Telefon war. Ihr Herz setzte für einen Moment aus und tausende Emotionen wurden ausgeschüttet."Kevin... schön, dass du dich meldest." Jennys Stimme klang stockend, beinahe erschrocken, als würde sie nur mit einer Meldung rechnen, wenn Kevin etwas zugestoßen wäre. "Wie gehts dir?", fragte er und verbesserte seine Frage sofort: "Wie gehts euch... euch beiden?" Jennys Emotionen verstärkten sich, denn sie wusste genau, worauf ihr Freund anspielte... nicht auf Semir, Ben oder die Chefin. Plötzlich schien die ganze Angst, die ganze Befürchtung vor Kevins negativer Reaktion auf das Baby in ihrem Bauch, abzufallen, die bereits nach seiner SMS-Antwort begann, zu bröckeln. "Ja, uns gehts gut. Morgens wehrt sich mein Körper noch etwas.", sagte sie und hörte Kevin ein wenig schmunzeln, was ihr Herz hüpfen ließ. "Und bei dir? Hast du... hast du Annie gefunden?" "Ja... sie ist bei mir." "Gehts ihr auch gut?" Kevin wog den Kopf ein wenig hin und her: "Geht so..." meinte er beinahe schon diplomatisch.
Für einen Moment trat Schweigen zwischen die beiden, wie zwei verliebte Teenager die nebeneinander saßen, sich nicht ansahen weil sie nicht wussten, worüber sie reden sollten. Irgendwann nahm Jenny all ihren Mut zusammen und sagte, was ihr seit Tagen auf der Seele lastete und sie zum Teil gestern bei Semir und Ben los geworden war. "Ich hatte solche Angst davor, wie du darauf reagierst...", sagte sie leise und musst ein wenig mit den Tränen kämpfen. "Was meinst du damit?" "Na... wegen allem... wegen dem Streit mit Semir und Ben und dass ich dich so vor die Wahl gestellt habe..." Ihre Stimme stockte kurz. "Ich habe gedacht, dass du jetzt einfach weg bist... weil hier alles kaputt gegangen war und es tut mir so unendlich leid, was ich gesagt habe..."Kevin empfand es als unheimlich, dass er darüber tatsächlich für Momente nachgedacht hatte. Wäre es mit Jenny tatsächlich aus gewesen, mit Ben und Semir die Freundschaft zerbrochen und hier in Kolumbien nicht so vieles schief gelaufen wäre... der Polizist hätte nicht gewusst, was er getan hätte. Aber Jenny liebte ihn immer noch, die Beziehung scheinbar zu retten und zumindest Ben war Kevin nicht grundsätzlich negativ eingestellt. "Mir tut es leid, Jenny. Du hattest so verdammt Recht mit dem, was du mir vorgeworfen hast. Wie willst du mir vertrauen, wenn ich das selbst nicht kann." "Ich wusste ja, dass es mit uns nicht so einfach wird... aber... aber ich wusste einfach nicht, was ich tun sollte." Die junge Frau konnte ein Schluchzen nicht unterdrücken. "Ich will dich nicht verlieren... aber ich habe eine schreckliche Angst davor, seit du weg bist."
Auch Kevin spürte, wie sein Herz klopfte und seine Brust sich zusammenzog. "Hey... nicht weinen...", sagte er leise, denn man konnte übers Telefon deutlich hören, wie Jenny etwas zurückhielt, was nicht zurück zu halten ist. "Du wirst mich nicht verlieren. Morgen ist alles wieder gut, dann komme ich zurück." Die Tränen, die jetzt Jenny über die Wangen liefen, waren eine Mischung aus der Angst, die sich in ihr festgesetzt hatte, und Freudentränen. "Und dann werden wir eine kleine Familie sein?" Der Polizist nickte: "Ja, das werden wir." Eine Familie, die er niemals hatte. "Bitte, pass auf dich auf... ich würde sterben, wenn dir etwas passiert..." "Mir wird nichts passieren, Jenny. Ich lasse dich nicht alleine, das verspreche ich dir... ich komme zurück." Die junge Polizistin konnte das Zittern in ihrer Hand nicht verhindern und ihre Stimme hörte sich zart und verletzlich an als sie leise sagte: "Ich liebe dich, Kevin." und der Polizist ebenso leise zur Antwort gab: "Ich liebe dich auch..." -
Parkplatz? Der Kampf findet doch im Flughafengebäude statt, wo schon mehrfach Vandalismus stattfand. Deswegen stolpert Ben auch über den Schutt, und da lag bestimmt auch irgendwo ne Eisenstange
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Flughafen - 16:15 Uhr
Carinas Herz begann schneller zu schlagen, ihre eh schon wackeligen Knie fühlten sich an wie Pudding und ihre aufgesetzte Souveränität ging sofort verloren, als Drager eine Waffe zog. "Was... was soll das? Ihr habt die Akten! Lasst mich gehen.", sagte sie und konnte nicht verhindern, dass ihre Stimme leicht zitterte. Der Verbrecher kam näher an sie heran und hatte nun die mentale Oberhand. "Tut mir leid, Herzchen. Aber du hast noch einen Besuch vor dir. Komm schön mit uns, und dir wird nichts passieren.", sagte er mit ruhiger Stimme und zeigte mit der Pistole auf das Flughafengebäude hinter ihm. Die beiden Gangster waren mit zwei Autos gekommen, eins stand auf dem Parkplatz vor dem Gebäude, eins am Rollfeld hinter dem Gebäude.
Die beiden Männer von Cobra 11 gaben sofort den Befehl zum Zugriff, als Ben das Klicken der Waffe vernahm. Semir hatte die Szene sowieso beobachtet, und das Funkgerät schon in der Hand. Nachdem er die Freigabe zum Zugriff gab, startete er seinen BMW und ließ im Sand des Waldes die Räder durchdrehen, fuhr durch den offenen Zaun seitlich an das Rollfeld zur Szenarie. Ben war längst aus dem Techniktransporter gesprungen und in einen schnellen Lauf Richtung Gebäude verfallen, um Carina zu Hilfe zu kommen.Van Dyke hörte als erstes das Röhren des Fahrzeuges. "Scheisse...", murmelte er mit holländischem Akzent und auch Drager fuhr herum. "Los weg hier! Wie abgesprochen!", rief er und packte Carina, in dem er ihr den freien Arm um den Oberkörper schlang und ihr die Waffe gegen den Rücken drückte. Beide Verbrecher trennten sich, während Drager Carina in das Gebäude zog, drehte van Dyke sich von dem BMW weg und lief in die andere Richtung zu seinem Wagen, in den er sprang. Schnell war der Motor gestartet und der Holländer trat aufs Gas, wobei er in Richtung des rennenden Bens fuhr der von der anderen Seite gelaufen kam. Doch der Polizist hatte in diesem Moment nur Augen für Drager, der mit der blonden Frau im Flughafengebäude verschwand. Mit einem Hechtsprung wich er dem silbernen Audi von van Dyke aus, der aufs Rollfeld fuhr.
Semir hielt mit quietschenden Reifen neben Ben, als dieser sich gerade wieder aufrappelte. "Alles klar?" "Los, schnapp dir den Kerl!", rief der Polizist sofort und rannte wieder los, während Semir sich grinsend mit zwei Finger zur Stirn fuhr und sofort wieder aufs Gas trat. Ben wischte sich mit dem Handrücken über eine Schürfwunde am Kinn und lief sofort wieder los, riss die Tür des Flughafengebäudes auf und sah sich um. "Drager, stehenbleiben!!", rief er laut als er den Verbrecher mit Carina im Schlepptau das Gebäude durchqueren sah. An der Eingangstür blieb Drager stehen, als er sah dass das SEK die Verstärkung bereits dingfest gemacht hatte, und drehte sich weg von der Tür.Er saß in der Falle. Er musste also wieder hinten raus und dann durch den Wald, doch zuerst musste er diesen lästigen Polizisten ausschalten. Drager fuhr herum, riss die Waffe von Carina weg und feuerte zwei Schüsse in Richtung Ben. Der hörte noch einen entsetzten Aufschrei von Carina und ließ sich zu Boden fallen, um nicht getroffen zu werden, wobei er auf dem glatten Steinboden einige Meter rutschte, bevor er wieder auf die Füße kam. Drager kam mit Carina wieder in Bewegung und schleppte sie zu einem Treppenaufgang zu einer Empore. "Lass mich los, du Schwein!", schrie Carina und versuchte immer wieder dem Griff Dragers zu entkommen, der hatte seinen Arm aber wie einen Schraubstock um den zierlichen Oberkörper gelegt. Auf der letzten Treppenstufe gelang es Carina, dem Kerl ein Bein zu stellen, und beide fielen hin. Die junge Frau nutzte die Chance und entglitt dem Griff, getrieben von Adrenalin ignorierte sie die Gefahr, dass Drager ihr in den Rücken schiessen würde und lief die Treppe herab, Ben entgegen der gerade die Treppe hochstürzte.
Mit Panik in den Augen sah der Polizist, wie Drager am oberen Ende der Treppe nun die Waffe auf Carina richtete, als sie gerade auf der Höhe mit Ben war. "RUNTER!", schrie er als Carina bei ihm war, lag seinen linken Arm um die junge Frau und drückte sie schnell und nicht gerade sanft nach unten, um seinen Körper vor Carinas zu bringen, um selbst freie Schussbahn zu haben. Drager allerdings war schneller, drei Schüsse halten durch das große Gebäude, ein vierter kam von Ben. Dessen Kugel allerdings verfehlte ihr Ziel weit, weil er just in diesem Moment von einer der drei Kugeln am Arm getroffen wurde und aufstöhnte."Fuck!", rief Drager, weil er Carina nun verloren hatte, drehte sich um und flüchtete im ersten Stockwerk weiter. "Ben! Beeeen! Was...?", keuchte Carina laut als sie kauernd auf der Treppe nach oben sah und sein schmerzverzerrtes Gesicht sah. Der Polizist biss die Zähne zusammen bis der Kiefer schmerzte, hielt sich für einen Moment den blutenden Oberarm bevor er sich wieder aufrichtete. "Lauf nach unten! Vorne auf dem Parkplatz sind SEK-Beamte, okay?", sagte er und sah Carina fest an, deren Panik im Gesicht noch nicht ganz verschwunden war. "Bitte komm mit! Lass den Kerl doch.", sagt sie ängstlich. "Ich will dich nicht auch verlieren!" "Ich pass auf mich auf, versprochen!" Die junge Frau spürte soviel Vertrauen in seiner Stimme, dass sie ihm schnell noch einen Kuss auf den Mund drückte und dann mit schnellen stolpernden Schritten wieder nach unten lief.
Ben stieg die Treppen schnell nach oben, die Hand fest um die Waffe geklammert und lief den Flur entlang. Er lief mit pochenden Schmerzen im Kopf, die der Arm ausstrahlte und übersah die Abzweigung, hinter deren Wand Drager lauerte. Jedoch bemerkte dies der Polizist erst, als er mit Wucht eine Eisenstange gegen die Schienbeine bekam und erneut der Länge nach auf den Steinboden fiel. Mit klackerndem Geräusch fiel die Waffe zu Boden und rutschte einige Meter weit. Offenbar hatte Drager sein Pulver verschossen und hatte sich von dem Schrott, der überall rumlag, etwas Neues besorgt. Ben reagierte schnell, drehte sich vom Bauch auf den Rücken, sah im rötlichen Abendlicht, das durch die Fenster schien, wie Drager über ihm mit der Stange ausholte, um ihm den Schädel anzuschlagen, oder das Gesicht zu zertrümmern. Sein Schlag traf nur den Steinboden weil sein Gegner sich blitzschnell zur Seite drehte und versuchte, in Richtung der Waffe zu krabbeln."Komm her, du kleiner Pisser!", knurrte Drager und legte Ben von hinten die Stange vor den Hals um ihn so auf dem Weg zur Waffe zu stoppen. Ben spürte, wie ihm die Luft wegblieb, er wurde von Drager wieder nach oben gezogen und begann zu würgen. Mit beiden Händen an der Eisenstange versuchte er, den Griff zu lockern doch im verletzten Arm fehlte ihm die Kraft. "Ich hätte dich schon an der Lagerhalle killen sollen!", sagte er Ben ins Ohr, der mit gurgelnder Stimme ein "Hast du aber nicht", konterte um dem Verbrecher dann den Ellbogen in die Magengrube zu jagen. Sofort lockerte sich der Griff und der Druck der Eisenstange, und Ben wand sich darunter heraus, musste aber sofort wieder den wilden Schlägen ausweichen. Jeder Polizist musste sich selbst verteidigen können, und obwohl Ben keine Kampfsportart wie Kevin betrieb, wusste er doch so einige Kniffe. Den ersten beiden Hieben des Verbrechers wich er aus, bevor er seinen Fuß gegen Drager einsetzen konnte, der daraufhin zurückwich. Doch dessen Schläge wurden immer schneller, und nun war es Ben, der in den Rückwärtsgang verfiel und dabei über den Schutt stolperte, der überall herumlag, so dass Drager ihn nochmal greifen konnte und ihn diesmal mit der Stange am Hals gegen eine Wand drückte. Wieder war Ben in der Zwickmühle, wieder bleib ihm die Luft weg, wieder hatte er beide Hände an der Stange, als Drager sagte: "Ich hatte ja gehofft, dass die kleine Blonde mich auch mal ranlässt."
Der Satz weckte in Ben die letzten Kraftreserven. Mit zusammengebissenen Zähnen und wütendem Blick stieß er sich mit einem Fuß von der Mauer ab, und kam so in den Vorwärtsgang. Mit unglaublicher Kraftanstrengung drückte er die Stange von sich weg, schaffte es, dass Drager begann, rückwärts zu taumeln und bekam immer mehr Dynamik und Geschwindigkeit in seine Aktion. Es waren nur wenige Meter Platz zwischen Mauer und dem Geländer der Empore, die Ben jedoch nicht sah, als er mit wütendem Knurren den Verbrecher vor sich her trieb, der die Balance verlor und beide immer schneller wurden. Beide hatten ihre Umgebung nicht im Blick und wurden sobald überrascht, als sie vom Geländer gestoppt wurden, welches jedoch so niedrig war, dass sie beide das Gleichgewicht verloren und nach hinten über kippten.
Drager packte Ben noch am Kragen, jedoch eher aus Panik und der Suche nach einem Halt, während Ben es schaffte, die obere Stange des Geländers zu greifen, als beide über eben selbiges fielen. Der Polizist konnte noch einen kurzen Aufschrei und das Aufschlagen von Dragers Kopf auf dem Steinboden hören. Regungslos blieb er am Boden liegen, während Ben sich am Geländer festhielt. Die Empore war gut 5 oder 6 Meter hoch, und würde Ben unglücklich fallen, könne er sich schwer verletzen, doch Hochziehen konnte er sich auch nicht, weil ihm nun endgültig die Kraft im verletzten Arm versagte. "Scheisse...", japste er schwer atmend, und sah nach unten. Es sah verdammt hoch aus...Dann hörte er Stimmen, laute Schritte. Er konnte sich nicht umsehen, doch Erleichterung machte sich breit. "Dort oben! Schnell!!" Geklimper von Ausrüstungsteilen, Geklapper von schweren Stiefeln, die die Treppe hochliefen und endlich kamen die schwarz vermummten SEK-Beamten am Geländer in sein Sichtfeld, die mit jeweils zwei Mann und vier starken Armen seine Handgelenke umfassten, die langsam nachzugeben drohten. "Lass los, wir haben dich! Hochziehen!", befahl einer der Männer und beinahe mühelos zogen sie den stöhnenden Polizisten über das rettende Geländer. "Puh... danke... das war höchste Eisenbahn.", stöhnte Ben und sah kurz nach unten zu dem bewusstlosen Drager. "Wir brauchen mindestens zwei RTW.", gab einer der SEK-Beamten über Funk durch, als er den blutenden Oberarm des Polizisten sah. "Das Mädchen ist draussen. Komm, wir kümmern uns hier.", meinte er dann noch zu Ben, und klopfte ihm anerkennd auf die Schulter.
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Köln - 16:00 Uhr
Nach dem Telefonat musste alles schnell gehen. Carina rief Ben sofort an um ihm die Details des Treffen zwischen Carina und Drager mitzuteilen. "Um 16 Uhr an einem alten Flugplatz ausserhalb von Köln.", sagte sie mit nervöser und leiser Stimme. Ben gab die Info an Semir weiter, der alles Weitere veranlasste, während er selbst zu Carina fuhr, um sie abzuholen und ihre Mutter wiederrum in die Betreuungseinrichtung zu fahren. Die alte Frau war merkwürdig still an diesem Nachmittag, wie der Polizist fand und auch ihrer Tochter war dieser Umstand aufgefallen. "Ich habe das Gefühl, sie ist mir böse, dass wir sie in der Einrichtung aussetzen." Ben strich der jungen Frau während der Fahrt kurz und flüchtig über die Hand. "Mach dir nicht diese Gedanken. Ich bin mir sicher, es tut deiner Mutter gut, mal andere Menschen zu sehen."
Danach eilten die beiden über die Autobahn zurück in die Dienststelle, wo Semir währenddessen fleißig war. Er hatte das technische Equipment bei Hartmut abgeholt und eine Kollegin der Dienststelle half Carina beim Anbringen der beidem Mikrofone. Früher mussten noch umständlich Kabel am Körper angeklebt und unter der Kleidung unsichtbar gemacht werden, heute funktionierte alles mit Funk und Bluetooth, und die Mikros waren so klein, dass sie fast nicht mehr entdeckt wurden. Hartmut hatte sich mit Leibesblut dafür eingesetzt, dass er seine Kollegen immer mit der modernsten Technik ausstatten konnte."Sie ist fertig.", meinte Claudia, die Beamtin von der Dienststelle und verließ das Büro der beiden Kommissare. Ben betrat das Büro nochmal und sah, wie Carina gedankenverloren auf seinem Stuhl saß. "Hey... alles klar?", fragte der Polizist und schloß die Tür hinter sich. Die blonde Frau sah auf und versuchte ein Lächeln, doch es wollte nicht recht gelingen. "Ich habe etwas Angst... nein... ich hab große Angst.", sagte sie ehrlich und stand vom Stuhl auf. Ben nahm sie in die Arme, um ihr Schutz zu bieten, einen Halt an den sie sich klammern konnte, den sie seit Björns Tod verloren hatte. "Ich hatte die ganze Zeit Angst davor, dass so etwas passieren könnte... aber jetzt ist sie noch realer..." "Das kann ich verstehen, Carina. Aber wir werden auf dich aufpassen. Du bist zu keinem Zeitpunkt allein."
Er spürte, wie Carina an seiner Schulter mit dem Kopf nickte. "Ich weiß... trotzdem." "Du musst das nicht machen...", gab Ben ihr zu bedenken und hatte bereits ein schlechtes Gewissen und Unbehagen, Carina dieser potentiellen Gefahr auszusetzen. Auch wenn das SEK die Übergabe bewachte, auch wenn Ben und Semir ganz dicht dran waren... es war immer ein Risiko, immer eine Gefahr. "Doch... ich muss. Und ich will. Ich will es für Björn tun.", sagte die Frau jetzt wieder ein wenig sicherer. "Sein Mörder soll hinter Gitter..."Für einen Moment schwiegen die beiden und Carina klammerte sich an Ben ein wenig fest. Es war ihm keinesfalls unangenehm, für Carina ein Fels in der Brandung zu sein, und sanft ruhte seine Hand auf ihrem schlanken Rücken. Der junge Polizist schloß für einen Moment die Augen und genoß den Augenblick, drängte die Sorgen nach hinten. "Ich bin dir so dankbar, dass du für mich da warst in den letzten Tagen.", sagte die Frau irgendwann leise, beinahe flüsternd und fügte sofort an: "Und es tut mir so unendlich leid, dass ich dich angelogen habe, oder was für Vorwürfe ich dir gemacht habe." "Hey... das hab ich längst vergessen, okay? Alles wird gut, wir schaffen das zusammen.", sagte der Polizist vertrauenserweckend.
Carina löste sich aus der Umarmung und die beiden sahen sich direkt in die Augen. Die junge Frau in vertrauenserweckende von Ben, die ihr Sicherheit und Halt gaben, obwohl Ben sich in seinem Inneren gerade selbst unsicher fühlte und seinerseits in die leicht scheuen, verschreckten und zitternden Augen seines Gegenübers blickte. Ihre Lippen waren nur wenige Centimeter voneinander entfernt, und plötzlich merkten beide, wie sie sich annäherten, als ob sie magnetisch langsam angezogen wurden, bis sie sich schließlich für einige Sekunden berührten, während die beiden die Augen schloßen. Der Kuss dauerte nur wenige Sekunden, doch für Ben und Carina blieb die Zeit stehen, so sehr wurden sie gerade von den eigenen Emotionen übermannt, auch noch als sich ihre Lippen letztlich lösten und sie sich wieder anblickten... bis es an der Tür klopfte, und beide beinahe erschrocken zwei Schritte auseinander gingen. Semir steckte den Kopf herein: "Wo bleibt ihr? Wir müssen los!"20 Minuten später, als der kleine Zeiger von Bens Uhr kurz vor der Vier, und der große sich immer bedrohlicher der 12 näherte, waren sie am Flughafen, der abseits von Köln lag und von Wald umgeben war. Er wurde seit den 90ern nicht mehr benutzt, die Flughafenhalle stand noch und wurde der Natur und dem Vandalismus überlassen. Auch die Zäune um die großen Rollfelder herum waren teilweise zerstört, was Semir sich zu Nutze machte. Er stand mit seinem BMW gut versteckt an einem Waldweg und konnte in wenigen Sekunden am Gebäude sein. Ben und Hartmut saßen in einem Transporter, auf einem Waldparkplatz, ebenfalls dicht am Terminalgebäude hinter einem weggerissenen Stück Zaun. Hartmut hatte hier eine mobile Zentrale, um sofort die aufgenommene Stimmen über Carinas Mikrofon zu hören.
Das SEK wartete im Hintergrund. Man wollte den Flughafen noch nicht umstellen, da man nicht wusste, wo die Übergabe letztlich stattfinden sollte. Die Sonne stand tief, es war herrlich wolkenlos aber eisig kalt, als Carina ihren Wagen, den sie nahm, nachdem Ben sie nach Hause brachte, auf dem alten Parkplatz vor der Abflughalle abstellte. "Wo soll ich jetzt hinkommen?", fragte sie Drager, mit dem sie telefonierte und klemmte sich die Akte, um die es ging, unter den Arm, von der Ben und Semir vorher reichlich Kopien angefertigt hatten. "Haupteingang rein, dann nach rechts bis zur Abflughalle... hinter der Glastür.", waren die knappen Anweisungen des Verbrechers, die Carina zur Sicherheit nochmal wiederholte.Ihre Beine zitterten ein wenig, als sie die knarrende Tür aufdrückte und in der Ankunftshalle des alten Flughafens stand. Schutt, alte Wartestühle und demolierte Schalter waren noch zu sehen, Graffitis an den Wänden und eine unheimliche Stille. Es war verdammt kalt hier drin, und Carina wusste nicht ob ihr Zittern Kälte oder Ängstlichkeit war. Sie bog nach rechts ab und durchschritt das alte Gebäude, halb verfallene Schilder wiesen ihr den Weg. Ben gab über Funk die ungefähre Position durch, wo die Übergabe statt finden sollte, und das SEK sollte sich in Bewegung setzen. "SEK an Einsatzleitung, wir sehen hier einen verdächtigen Transporter vorfahren, bitte um Anweisungen.", knackte es im Funk. "SEK-Einsatzleitung an Einsatzleitung, bitte um Info." Zweitere Einsatzleitung war Semir, der im BMW durch den Feldstecher blickte, und zwei Gestalten vor der Glastür im Freien sah, die zum Rollfeld führte. "Drager und eine weitere Person sehe ich hier. Das scheint Verstärkung der Bande zu sein. Zugriff, aber ohne Schusswaffengebrauch."
Mit mehreren Männern wurde der Transporter vom SEK umstellt, die Türen aufgerissen und routinemäßig mehrere Männer aus dem Kleinbus gezogen. Im Inneren fand das SEK mehrere Waffen... offenbar wollten sich die Verbrecher absichern und hatten sich auf eine Konfrontation mit der Polizei eingestellt. "Zugriff erfolgt, Personen festgenommen, mehrere Waffen gefunden." Ben trippelte neben Hartmut hin und her und überlegte mehr als einmal, Carina zurück zu pfeifen.Die durchschritt nun die Glastür und traf dort auf Drager und van Dyke. "Carina... schön dich zu sehen.", sagte Drager und strich sich eine Strähne aus dem Gesicht. In seiner Hand hielt er einen dunklen Lederkoffer. "Darf ich dir meinen Kollegen vorstellen?" "Nein. Gib mir einfach das Geld, ich gebe dir die Unterlagen, und wir werden uns nie wiedersehen.", sagte Carina mit bemüht fester Stimme. Drager lächelte und kam einen Schritt näher an Carina heran. "Ich liebe Frauen, die sofort zur Sache kommen... auch wenn sie vor Angst stinken.", sagte er leise und Ben ballte im Kleinbus die Fäuste. Carina hielt Drager die Akten hin, als dieser den Koffer zu Carina mit dem Fuß schob. Beide prüften den Inhalt... sowohl das Geld schien echt, als auch die Akten waren die richtigen.
"Ich will nur noch eins wissen...", sagte Carina leise, als sie den Koffer wieder geschlossen hatte, und Ben wartete gebannt. "Wer hat meinen Bruder erschossen? Warst du es?" Drager schloß die Akte und sah Carina kühl an. "Was bringt es dir, wenn du es weißt?" Das Zittern im Körper der jungen Frau wurde stärker. "Ich will es wissen... sag es mir!" "Ja. Er hätte die Warnung nicht ignorieren sollen." Ben konnte nun deutlich das schnellere Atmen der jungen Frau durch das Mikro hören. "Warum hast du mich nicht auch umgebracht, als ich nicht locker gelassen habe?" Drager lächelte. "Das kann ich dir gerne sagen. Das soll ich sogar... wir werden einen kleinen Ausflug machen." Als Ben durch das Mikrofon das bekannte Klicken, was von einem Entsichern einer Waffe herstammte, schnappte er sich das Funkgerät. "Semir!!", rief er und der reagierte sofort, ohne zu wissen, ob das SEK schon bereit war. "Zugriff! Sofort Zugriff!!", und startete dabei den Motor. -
Da hast du recht. Es war bezogen auf die drei, die die Verfolgung zu Fuß aufgenommen haben. Da war der Vierte schon ausgeschaltet.
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Dschungel - 10:00 Uhr
Annie sah mit getrübten Blick nicht viel von ihrer Umgebung, als das Chaos begann. Sie hörte Schüsse, sie schrie kurz auf, dann wurde sie am Arm nach vorne gezogen. Die junge Frau konnte noch Kevins Stimme hören, mit ihr mitzukommen, und sie hätte sich nicht mal anders entscheiden können, denn der Griff des jungen Polizisten war energisch und konsequent. Elend fühlte sie sich sowieso, da sie Spuren des Entzugs bemerkte und so wusste sie nicht, wieviele Meter sie schon gelaufen waren, als erneut Schüssen fielen und Kevin plötzlich aufstöhnte, bevor sie beide übereinander ins weiche Gras fielen. "Kevin, was ist los?", rief sie erschrocken und versuchte sich zu orientieren. Sie lagen für Sekundenbruchteile nebeneinander auf der Körperseite, die Frau sah nach ihrem Partner, der sich die rechte Hand auf den linken Oberarm drückte. "Fuck...", hörte sie nur sein Stöhnen.
Einige Meter entfernt erstarb das Motorengeräusch und mehrere Männer riefen sich spanisch klingende Wortfetzen zu. Der Schmerz der Kugel brannte Kevins Arm hoch und runter, durch seine Schulter in den Nacken bis in den Kopf. Dort lokalisierten sich auch die Stimmen, so dass er schnell handeln musste, die blutverschmierte Hand von der Schusswunde nahm und in den hinteren Hosenbund den Revolver ergriff. Die Waffe mit beiden Händen haltend, stemmte er sich hoch in die Richtung, von der sie gekommen waren und hatte den Überraschungsmoment auf seiner Seite. Von seinen zwei schnell abgefeuerten Schüssen schaltete eine Kugel einen der Verfolger aus."Komm, weiter!", sagte Kevin gehetzt und Annie verstand nicht, wie sie sich in ihrem Zustand so schnell wieder aufrappelte, doch das Adrenalin verdrängte ihren Entzug genauso, wie es Kevins Schmerzen verdrängte. "Ahí!! Ahí!", schrie einer der Männer, als sich die beiden durchs Unterholz flüchteten. Sie liefen Haken um sofort hinter dichten tropischen Sträuchern und Palmen zu verschwinden, einige Gewehrsalven waren noch zu hören, doch sie verstummten schnell. "Macht sie fertig! Los!! Derjenige, der sie erschiesst, bekommt eine Belohnung!", rief Santos persönlich aus dem Wagen in spanischer Sprache mit seiner dominanten Stimme, und die restlichen drei Männer versuchten durch hohes Gras und unwegsamen Dschungel die Verfolgung aufzunehmen.
Annie japste und stöhnte, Kevin rann der Schweiß durch die Haare. Ihre Kleider waren von dem Sturz verdreckt, aber sie waren ein wenig erleichtert, als die Schüsse verstummten. Zumindest hatten sie sich unsichtbar gemacht, doch das nächste Problem folgte sofort... wie kamen sie hier raus. Kevin hatte keine Karte und für einen Blick ins Handy fehlte die Zeit. Immer wieder blieb er nur für einen Moment stehen, um sich zu orientieren. Das Einzige was half, war das Geräusch des Flusses Rio Cauca, denn wenn es leiser wurde, bewegte sich Kevin davon weg, wurde es lauter kam er ihm näher. Er versuchte das Geräusch auf einer Lautstärke zu folgen um dem Fluss zu folgen, aber trotzdem im dichten Dschungel zu bleiben.Juan saß in seinem Jeep und bretterte den staubigen Feldweg entlang des Dschungels. Sein Gesichtsausdruck war verbissen, er schlug auf das abgenutzte Lenkrad und stieß spanische Flüche aus. Verdammt nochmal, er hatte die beiden im Stich gelassen. Er war ein Verbrecher, doch er war auch ein Mensch geblieben. Leute, die er verlor, setzten ihm zu. Kevin kannte er kaum, er hatte einen Teil des leicht verdienten Geldes von ihm bereits und vermutlich hätte sich jeder Drogendealer in seiner Position nun die Hände gerieben und die Sache abgehakt... noch dazu, dass er von Santos Leuten nicht gesehen wurde. Was kümmerte ihn so ein durchgeknallter Deutscher, der seiner Freundin bis tief in den kolumbianischen Dschungel folgte, und sein Leben riskierte. Sollte er dafür seine ganze Stellung in Bogota aufs Spiel setzen?
Der Wagen rumpelte und Steine flogen gegen das Blech. Irgendwann trat Juan mit voller Wucht aufs Bremspedal und die Reifen blockierten im staubigen Sand, bis der Jeep ächzend zum Stehen kam. Als um ihn herum noch Staub stand, sah der Kolumbianer aus der Frontscheibe, die Hände um das Lenkrad geklammert. Kevin hatte ihm imponiert, ein wenig sogar mit seiner leicht angedeuteten Geschichte berührt. Er riskierte für seine Freundin sein Leben, und Juan war niemand, der eigene Leute über die Klinge springen ließ, wenn es eng wurde. In der Beziehung war er anders als Santos, und darauf war er immer stolz, auch wenn er mit Feinden kurzen Prozess machte. Und Kevin hatte ihm vertraut, als er sich mit seinem leeren Revolver gegen ihn stellte... ihm vertraut, dass Juan mit ihm keinen kurzen Prozess machte. Der Mann schlug nochmals aufs Lenkrad, legte den Rückwärtsgang ein, und wendete den Jeep.Gehetzt sah sich der Polizist immer wieder um, seine rechte Hand um die kleinere seiner ehemaligen Freundin geschlungen, die er mit sich zog. Doch in Annies Kopf drehte sich alles. Der Entzug, die Aufregung, die Angst... alles prasselte auf sie ein, aus einer Schramme am Kopf blutete sie vom Sturz. Irgendwann spürte Kevin, wie er von Annie gestoppt wurde, wie der Widerstand am Arm plötzlich erstarkte... sie war wieder hingefallen. "Was ist los? Wir müssen weiter!", sagte er hechelnd. "Ich... ich kann nicht mehr... ich...", stammelte sie und spürte, wie alles um sie herum immer dunkler und dumpfer wurde. Der Polizist beugte sich über Annie, die schwer atmend sich auf den Rücken legte und die Augen verdrehte. "Annie... Annie!!" Leicht täschelte er ihr gegen die Wange, doch sie murmelte nur Unverständliches. Kevin kannte den Zustand, und gleichzeitig bestätigte sich die Befürchtung, mit der er hergekommen war. Annie nahm Drogen und war gerade massiv auf Turkey. Er war in diesem Zustand selbst, oft auf hitzigen Konzerten, umgekippt.
"Scheisse.", keuchte er, als er die Stimmen hinter sich wieder hörte. Er schlang sich Annies schlaffe Arme um den Hals und hob ihren leichten Körper hoch, so dass sie, wie ein Baby, sanft in seinen Armen lag. Sie waren so lange im Abstand zum Fluss gelaufen, dass die Typen diese Strategie eigentlich hätten bemerken müssen. Also ging der Polizist, so schnell er mit seiner Traglast konnte, im rechten Winkel nach rechts vom Fluss weg.Die Sonne drang immer mehr durch das dünner werdende Dickicht, doch das Rascheln verriet Kevins Richtungsänderung. Die Stimmen wurden wieder lauter und es war nur eine Frage der Zeit, bis sie dem Polizisten in den Rücken schossen, um ihn auszuschalten. Er überquerte einen Autopfad, einen Feldweg und verschwand im beginnenden Dickicht gegenüber, als wieder die ersten Schüsse fielen. Hinter einem moosbewachsenen Felsen legte er die bewusstlose Annie sanft ins Gras und flüsterte ihr zu: "Ich bring dich hier raus, Annie...". Dann lugte er über den Felsen, nahm wieder seinen Revolver in die Hand und wartete atemlos.
Ein Mann kam aus dem Waldstück auf den Weg, ein Zweiter ebenso. Beide hatten Maschinengewehre in der Hand und sahen in beide Richtungen des Weges, eine Richtung die geradeaus ging, die andere mündete in eine Kurve. Sie sprachen auf Spanisch und deuteten in das weitere Stück Dschungel auf der anderen Seite des Weges. Gerade als sie den Schritt von der Straße wegmachten, schnellte Kevin aus seiner Deckung und beschäftigte sich nicht mit einem "Waffen weg!", was die beiden Männer sowieso nicht verstanden hätten. Er war hier kein Polizist und hier galt nur das Gesetz des Überlebens. Drei Schüsse benötigte er für die beiden Männer, die zu sehr überrascht wurden, als dass sie selbst die Waffe hätten heben können. Kevin atmete durch, packte die toten Männer nacheinander am Kragen und zog sie von der Straße ins Gebüsch. Dann lief er zurück zu Annie und hob sie sanft wieder auf, wobei sie wieder murmelte, was immer ein gutes Zeichen war... dann lebte sie noch. Doch vom Entzug war noch niemand gestorben, ausser ihr Kreislauf kam ganz zum Erliegen, doch das war nicht der Fall.Kevin trat mit seinem Handgepäck auf die Straße, der er nun folgen wollte, sah einmal links und rechts. Wenn er die Richtung richtig im Kopf hatte, musste er in Richtung der Kurve, doch er kam nur einen Schritt weit. Santos' dritter Mann trat aus dem Wald und zielte mit dem Gewehr auf den Polizisten. "Scheisse...", murmelte er und sah in das dreckige Grinsen des Mannes, der das Gewehr bereits angelegt hatte und wohl schon nachdachte, was er mit Santos_ Belohnung anstellen wollte. "Hijo de Puta!", sagte er und legte den Finger um den Abzug, während Kevin ihm in die Augen sah und seine bewusstlose Ex-Freundin dichter an sich drückte. Er spürte in dem Moment ihre intensive Nähe, und erinnerte sich an frühere Momente. Es war ein kleiner Trost für ihn, dass sie wenigstens nichts sah, nichts spüren würde und keine Angst hatte.
Das Motorengeräusch überraschte beide... den Mann mit dem Gewehr sogar so sehr, dass er es vorzog, sich kurz nach hinten zu drehen in Richtung der Kurve von der das Geräusch kam und er mit Santos rechnete. Als jedoch der Jeep um die Ecke schoss, der eben noch bei der Übergabe stand, riss er das Gewehr hoch... zu spät. Der Jeep bremste, schleuderte geschickt und erwischte den Kerl mit dem hinteren schleudernden Teil des Wagens mit voller Wucht, so dass er meterweit gegen einen Baum geschleudert wurde, und regungslos liegen blieb. Der Polizist stand atemlos mit Annie im Arm vor dem Wagen, der quer vor ihm zum halten kam, bis Juan die Beifahrertür öffnete. "Was ist? Willst du hier Kartoffeln anbauen? Rein mit euch!" Kevin wusste, dass er sein Glück für heute ausgereizt hatte... -
Bogota - 9:30 Uhr
Esteban Gomez war nicht nur ein gnadenloser Geschäftsmann und Feilscher, er war auch überpünktlich. Um genau halb zehn stand er, wie mit Santos verabredet, vor der Tür des ominösen Hauses, in dem der Kartellchef seine Mädchen hausen ließ. Er war klein, hatte einen dünnen Oberlippenbart und mehrere Goldzähne im Mund. Bei ihm waren zwei Männer, die ihn um gut anderthalb Köpfe überragten und ihn begleiteten. Santos empfing Esteban mit einem festen Händedruck, und bat ihn als seinen Gast ins Haus. "Wie laufen die Geschäfte, mein Freund?", fragte der Kolumbianer seinen Geschäftspartner, und der hielt die rechte Hand nach vorne und schüttelte sie hin und her. "Geht so. Mal besser, mal schlechter. Aber unsere Partys ziehen immer. Dafür brauche ich noch ein paar Mädchen."
Santos hatte, wenn er ehrlich war, sowieso ein Überangebot. Viele der Mädchen, die bei ihm waren, würden für den nächsten Schuss alles tun, also versprach er ihnen das Blaue vom Himmel und mehr Geld, und niemand würde sich dagegen wehren, mit Esteban mit zu gehen. Es hatte sich ausserdem auch herumgesprochen, dass die Arbeitsbedingungen in Clubs besser waren, als in diesem Ghetto. Nur an harte Drogen kam man hier im Elendsviertel leichter, als in einem zwar heruntergekommenen aber immer noch weitaus besseren Vergnügungsviertel der Großstadt.Santos ging mit seinem Kunden und dessen Gorillas in den "Ausstellungsraum", den Gemeinschaftsraum in den er alle seine Mädels zusammentrommeln hat lassen. "Wieviele wirst du brauchen?" "Ich schätze... so um die 5.", meinte der Mexikaner mit wankendem Kopf und sah dann zweifelnd zu Santos: "Vorausgesetzt, der Preis stimmt." "Ich bin sicher, dass wir uns einig werden.", sagte Santos mit sicherem Lächeln und einem leichten Nicken. Der Nachtclubbesitzer ließ seine Augen über die leise tuschelnde Menge an Frauen wandern, zeigte immer mal mit dem Finger auf eine der Mädchen, die dann von Santos in harschem Ton zur Seite befehligt wurde. Es hatte den makabaren Eindruck einer Selektion und Esteban wählte jene aus, die zur Hinrichtung schreiten mussten... oder die, die davon ausgenommen worden.
Einige wussten nicht, was das ganze sollte, denn weder Esteban noch Santos erklärten den Mädchen vorher etwas. Eine dunkelhaarige, schlanke Frau jedoch kannte Esteban bereits, war er doch schon öfters hier, und sie freute sich, als sie von dem Mexikaner als Fünftes ausgewählt wurde. Dieser schaute wieder durch den Saal, bis sein Blick an dem rothaarigen, noch recht jung aussehenden Mädchen hingen blieb. "Wusste gar nicht, dass du auch Exoten hast. Sie sieht nicht südländisch aus.", sagte er interessiert. "Das ist richtig. Sie ist aus Europa, soweit ich weiß."Esteban sah seinen Geschäftspartner überrascht an. "Europa? Wer bitte kommt freiwillig von Europa in dieses Loch?" Der Kartellchef schaute ein wenig sarkastisch und blieb trotz des freundlichen Lächelns natürlich dominant. "Nebensächlich. Sie ist unverkäuflich." Esteban lächelte. Er war in seinem Element. "Mein lieber Carlos... liebster Freund.", begann er, und legte dem stämmigen Mann eine Hand auf die Schulter, wobei er sich dafür ziemlich strecken musste. "Dieses Mädchen wäre mit ihrem Aussehen einmalig in meinem Laden. Und sei ehrlich, wer hierher kommt um in erster Linie schnellen Sex zu suchen, dann weil er arm ist oder so verzweifelt dass es ihm egal ist, wen er vögelt. Er wird dir nie den Preis bezahlen, der dieses Mädchen wert ist." Er lächelte, wobei Santos Gesicht jegliche Freundlichkeit verlor.
"Versteh mich nicht falsch. Dein Hauptgeschäft ist nicht die Prostitution, und ich würde dir einen Preis für das Mädchen bieten, den du mit ihr niemals einnehmen könntest." Der Glatzkopf strich sich mit Daumen und Zeigefinger kurz über die Nasenflügel. "Wieviel?" "Sag mir einen Preis." Er wusste genau, dass Esteban wohlhabend war... und dass er recht hatte. Hier bezahlte niemand viel für Sex, die meisten Mädchen waren krank, und oft waren es die Jungs aus den Kartellen oder Bewohner des Ghettos, die keine Familie zu umsorgen hatten und ihr wenig verdientes Geld an den Mädchen ausgaben. Das Geschäft würde sich lohnen, und doch biss ihn ein wenig die Skepsis und das Misstrauen."150.000 Dollar." "150.000 Dollar für alle sechs? Alles klar, schlag ein. Du bist ein fairer Geschäftsmann.", sagte Esteban freudenstrahlend und hielt Santos die Hand hin. "Nein, mi Amigo. 150.000 für die kleine Rothaarige. Und nochmal 150.000 für die anderen 5." Nun war es Estebans Gesicht, das das Lächeln verlor. Zuletzt verlangte Santos 25 000 pro Mädchen. Diesen Preis schlug er jetzt auf und verlangte für das Mädchen mit den roten Haaren unverschämt das Fünffache. Der Mexikaner wusste aber auch, dass er den Preis von Juan zurück bekam, er wusste dass er mit dem Kauf von Annie einer Intrige gegen Juan zuvorkam, nachdem Santos von Kevin verlangte, Juan zu töten. Trotzdem konnte er seinen Sinn fürs Feilschen nicht unterdrücken.
"Pass auf Santos. Ich habe hier 5 Koffer...", sagte er mit ruhiger Stimme, und seine beiden Begleiter stellten nacheinander 5 Lederkoffer in den Raum. "250 000 Dollar. Eine Viertelmillion. Runde Summe." Santos sah mit versteinerter Miene auf die Koffer. "Entweder du nimmst die 5 Koffer für die 6 Mädchen, und wir schlagen ein... oder du nimmst nur 3 Koffer für die 5 Mädchen, und ich überlege mir das mit der Rothaarigen nochmal." Die beiden Männer sahen sich an, wie Raubkatzen, die sich beobachten, und der, der zuerst zuckte, hatte verloren. Estebans Gorillas waren ruhig, wie Eiszapfen und auch zwei Männer von Santos hatten die Ruhr weg. Santos nickte ihnen zu, deutete auf die 5 Koffer, die die beiden Männer sogleich einsammelten. Esteban grinste überlegen und sein Gegenüber ergriff letztlich doch die ausgestreckte Hand... Soviel Geld für ein Mädchen... er würde sich schwarzärgern, wenn Esteban von dem Geschäft absprang. "Es ist eine Freude, mit dir Geschäfte zu machen.", meinte der Mexikaner zum Abschied.Mit lautem Getuschel, von dem Annie nicht viel verstand, wurden die sechs Mädchen von den beiden Männern und Esteban zu einem Kleinbus gebracht, der neben dem Viertel stand. Ein Mädchen erklärte ihr auf Englisch, dass sie in einen Club kämen, wo alles besser war. Die Hand der Rothaarigen zitterte ein wenig, ihr letzter Trip war schon lange her, und sie spürte langsam den Entzug. Sie erschrak über sich selbst, wie schnell sie hier der Sucht verfallen war. "Ich brauche etwas.", sagte sie leise auf Englisch. "Warte, bis wir in der Stadt sind.", bekam sie zur Antwort, als sie in den Kleinbus stiegen, die Türen geschlossen wurden, und der Bus auf der schlechten Straße langsam losfuhr.
Eine halbe Stunde später hielt der Kleinbus an. Annie sah aus dem Seitenfenster und konnte eine Menge Palmen, Bäume und Sträucher erkennen, jedoch nicht den Grund des Anhaltens. Auch das Getuschel der anderen Frauen wurde lauter, bis irgendwann die Seitentür aufging. Einer der beiden Gorillas zeigte auf Annie und gestikulierte, dass sie aussteigen solle. Annies Herz begann schneller zu schlagen... was passierte hier? Hier war keine Stadt und kein Club, hier stand nur der Gorilla und hinter ihm ein fremder Mann im Muskelshirt, den sie nie zuvor gesehen hatte. Langsam und zögerlich schnallte sie sich ab und beugte sich vor, bevor sie von dem Mann an der Hand ergriffen wurde, und rausgezogen wurde. Sie schrie schrill auf: "Lass mich los! Ich möchte nicht!! Was... was soll das?" Plötzlich bekam sie Panik, eine Entführung, ein Überfall?"Hey hey! Bleib ganz ruhig, okay?", sagte Juan plötzlich, der Mann im Muskelshirt, und Annie erstarrte. Der Mann sprach deutsch, hob beschwichtigend die Hände, und der Gorilla ließ von Annie ab, als sie schon halb aus dem Bus hing. Dann wurden ihre Augen größer, ihr Mund stand halboffen, und sogar das Zittern aufgrund des Entzugs verschwand. Neben dem unbekannten Mann tauchte auf einmal ein sehr wohl bekannter Mann auf, dessen Haare zwar nicht so sehr vom Kopf abstanden wie sonst, aber dessen hellblaue Augen Annie wohl unter Tausenden wieder erkannt hätte. "Kevin...", flüsterte das junge Mädchen beinahe tonlos, und ihr Widerstand erstarb völlig. Kevin kam ganz dicht zu Annie heran und streckte seine Hand nach ihr aus. "Komm Annie... ich bring dich nach Hause."
Annie schüttelte plötzlich wild den Kopf, als ob sie auf einmal Angst vor ihrem ehemaligen Freund hatte, denn sie tief im Inneren immer noch liebte. "Nein... ich... ich kann nicht.", sagte sie auf einmal und wollte einen Schritt in zurück Richtung Bus machen. Nach Hause konnte sie nicht mehr... sie war abhängig. Sie wollte so nicht zu ihren Freunden zurück, sie wollte dort bleiben, wo sie leicht an Drogen käme. Und sie schämte sich vor Kevin. "Regel das! Du hast 2 Minuten.", knurrte Juan ungeduldig und wandte sich zu seinem Geländewagen, in den er einstieg und auch Esteban brüllte etwas unverständliches aus dem Bus heraus, was Kevin und Annie nicht verstanden. Der Polizist packte die Punkerin an den Oberarmen. "Ich will dir helfen, verdammt!! Ole und alle anderen machen sich Sorgen!" "Ole...", flüsterte das junge Mädchen und konnte fast nicht glauben, dass sich doch tatsächlich jemand um sie gesorgt hatte.Ein, zwei Schritte ließ sie sich von Kevin mitziehen, als der plötzlich Motorgeräusche von dem Forstweg vernahm, der durch den Dschungel führte. Der Gorilla von Esteban sah die Waffe, die aus dem Fenster des Wagens ragte zuerst und griff bereits nach seiner eigenen, wurde aber sofort von den ersten Kugeln tödlich getroffen. Die Mädchen im Inneren des Busses schrien, als dieser von dem zweiten Mann angelassen wurde und sich mit offener Seitentür in Bewegung setzte. Auch Juan ließ sofort seinen Geländewagen an und sah aus dem Fenster. "Sorry Kevin...", meinte er mit verkniffenen Gesicht und fuhr ebenfalls los, bevor er von Santos Männern nicht gesehen wurde. "Los komm!", schrie Kevin, packte Annie bei der Hand und zog sie mit sich. Als er sah, dass Juan flüchtete, wollte der Polizist in den dichten Dschungel abbiegen, um sich dort zu verstecken, und seine Ex-Freundin versuchte, mit dem Polizisten Schritt zu halten. Bevor sie die erste Baumgruppe erreichten, wurde er jedoch von einer Kugel getroffen, die ihn zu Boden gehen ließ und Annie mitriss.