Beiträge von Campino

    Jenny's Wohnung - 17:15 Uhr


    Irgendetwas tun... irgendetwas musste sie tun. War es nur zum dritten Mal diese Woche das Badezimmer zu putzen, einkaufen zu gehen obwohl sie eh keinen Hunger hatte, oder mal den Schrank nach alten Klamotten ausmisten. Nur vom Rumsitzen, warten, hoffen, trauern und Angst haben würde Jenny wohl wahnsinnig werden. Die Unwissenheit über den Verbleib ihres Freundes war präsent in ihrem Hinterkopf, Appetitlosigkeit begleitete ihren Tag. Die Chefin hatte ihr drei Wochen Sonderurlaub genehmigt... nein, eher verordnet. Während Jenny die erste Woche wirklich brauchte, viel weinte und kaum das Haus verließ, brauchte sie in der zweiten Woche eine Beschäftigung. Das Abwarten machte sie mehr fertig, als alles andere. Sie war in der 9ten Schwangerschaftswoche, die Morgenübelkeit war mittlerweile gewichen, doch hin und wieder spürte sie, seit sie die Nachricht von Kevins vermeintlichen Tod bekam, ein Ziehen im Bauch, Schmerzen, die sie nicht kannte. Doch es war immer nur so kurz, dass sie es ignorierte und meistens nachts.
    Nachts wurde die Trauer präsent. Sobald es draussen dunkel wurde, die junge Frau in der Wohnung das Licht anmachte, kam es ihr vor, als würden dunkle Schatten sie bedrohen. Dann sehnte sie sich nach Kevin, an dessen Anwesenheit sie sich in kürzester Zeit gewöhnt hatte, und die ihr jetzt so fehlte. Seine starken Arme, seine schützende Ausstrahlung, seine zwar monotone, aber Sicherheit schenkende Stimme. Jenny war kein ängstlicher Mensch, sie hatte ja auch zwischen ihrem letzten Freund und Kevin alleine gelebt... aber in Verbindung mit der Unwissenheit, der Trauer und der kompletten mentalen Situation drohte sie, in den Nächten zusammen zu brechen.


    Immer wenn es unten an der Haustür klingelte oder an der Wohnungstür klopfte, schreckte Jenny auf. Plötzlich waren da eine Vielzahl von Gefühlen... Überschwängliche Freude, weil sie sich immer mal wieder einbildete, es wäre doch Kevin, der zurückkehrte. Hoffnung, dass es Ben oder Semir mit guten Nachrichten waren, gleichzeitig aber auch Angst, dass es die beiden Polizisten, allerdings mit schlechten Nachrichten waren. Unsicherheit, oft auch die Unlust, überhaupt jemanden zu sehen. Aber Semir und Ben, genauso wie Andrea kannten in der Hinsicht kein Erbarmen. Sie ließen die junge Frau nicht im Stich und holten sie nach und nach aus ihrem kleinen selbstgebauten Schneckenhaus. Andrea ging mit ihr zum Shoppen, Ben ging mit ihr ins Kino.
    Vor allem Ben war Jenny sehr dankbar. Obwohl der gerade auch versuchte, so viel wie möglich mit Carina Bachmann, die er während des letzten Falls kennengelernt hatte, zu unternehmen, opferte er viel Zeit für Jenny. Sie telefonierten, sie trafen sich und redeten miteinander. Oft über Kevin, über die Arbeit, Jenny fragte auch oft, wie es denn mit Carina lief. Die junge Frau hatte vor zwei Wochen ihre demenzkranke Mutter verloren, und trotz der tiefen Trauer auch wieder Lichtblicke in ihrem Leben entdeckt. Die Freiheit, mal wieder auszugehen und Dinge zu tun, die sie in den letzten Jahren nie tun konnte, genoß sie, meist zusammen mit Ben. Aber der Polizist war auch voll und ganz für Jenny da... genauso wie er es war, als Kevin im Gefängnis saß, auch wenn sie damals eine Grenze überschritten haben.


    Als Jenny jetzt die Wohnungstür öffnete, und Ben vor der Schwelle stand, hatte die Angst die Oberhand gewonnen. Bens Blick, sein Gesichtsausdruck sprachen Bände. Auch meinte die Polizistin eine leichte Rötung der Augen zu sehen, und ohne ein Wort zu sagen wusste sie, dass er keine guten Nachrichten bringen würde. Wortlos umarmten sich die beiden für einen innigen Moment, danach schloß die junge Frau die Tür hinter ihm. Die Frage nach Neuigkeiten sparte sich Jenny, als ihr Kollege langsam die Jacke auszog und sich auf einen Stuhl am Küchentisch setzte. "Ben... bitte sag es mir, wenn du es weißt.", war das Erste, was Jenny sagte. Sie wollte endlich Gewissheit, egal wie schmerzhaft sie letztendlich war. Der Wunsch, endlich Gewissheit zu haben war beinahe größer als weitere Mutmacher, die letztendlich doch nichts aussagten. Die ganze Trauer in Jenny staute sich auf, und wollte endlich ausbrechen, doch immer noch blieb sie in der jungen Frau drin, weil noch dieses letzte kleine Fünkchen Hoffnung sie aufhielt. Tränen wurden vergossen, doch der Schmerz begann einfach nicht zu heilen.
    Ben seufzte, fuhr sich durch die leicht abstehenden langen Haare und sah kurz zu Boden. Er hatte weder Gewissheit, noch Mutmacher... nur noch mehr Vermutungen, Indizien, Hinweise darauf, dass Kevin den Sturz von der Brücke wirklich nicht überlebt hatte.


    "Die... die Botschaft hat sich gemeldet und gesagt, dass sie im Fluss flussabwärts zwei Leichen gefunden haben. Eine... eine passt von der Beschreibung her auf Kevin. Aber nur von Größe, Statur und Haarfarbe.", sagte er langsam, vorsichtig, als wolle er sich mit den Worten an einen Abgrund herantasten, den er nicht überschreiten dürfe. "Sie sind aber nicht zu identifizieren... optisch." Jenny wusste, was das hieß. Oft genug gab es auf der Autobahn Unfälle, wo man auch nur noch anhand von Ausweispapieren feststellen konnte, wer das Unfallopfer wirklich war. Langsam ließ sie sich ebenfalls auf einem Stuhl nieder. "Aufgrund der... der Liegezeit im Wasser ist auch kein... Tattoo mehr zu erkennen... zumindest kein Motiv." "Aber dass ein Tattoo da war, konnte man erkennen?", fragte sie leise, und erkannte ihre eigene Stimme von eben nicht wieder, als sie sich noch so selbstsicher anhörte. Ben nickte stumm...
    Informationen, die die Hoffnung wieder verkleinerten... so klein, dass fast nichts davon übrig blieb. "Sie haben noch ein total zerstörtes Handy gefunden, und schicken es uns zu. Wenn das Handy wirklich Kevin gehört, dann..." Bens Stimme stockte. Natürlich konnte man am Zerstörungsgrad des Handys nicht direkt ableiten, dass der Besitzer beim Sturz ums Leben kam, aber es war ein weiteres Indiz dafür, dass schwere Verletzungen garantiert sind. Ebenso der Verletzungsgrad der beiden gefundenen Leichen.


    Jenny wusste nicht, wie sie auf diese neuen Informationen reagieren sollte. War die Hoffnung nun ganz weg? Sollte sie damit abschließen können, müssen? Ihr Herz pochte laut in ihrer Brust, ihre Augen suchten einen Fixpunkt auf dem Tisch, doch sie fanden nichts. Nur ihre zitternden Hände fanden die von Ben auf der Tischplatte und hielten sie fest. "Es tut mir so leid, Jenny... ich weiß selbst nicht, was ich tun soll. Ich mache mir Gedanken, Semir macht sich verrückt... wir wissen beide nicht, ob wir nach Bo...", weiter kam er nicht, als Jenny ihm ins Wort fiel. "NEIN. Ihr fahrt nicht nach Bogota! Ich würde niemals damit zurecht kommen, wenn euch auch etwas passieren würde.", sagte sie sofort und hörte sich sofort wieder viel selbstsicherer an.
    "Ich weiß... aber es fühlt sich so an, als würden wir ihn im Stich lassen... auch wenn es kaum Hoffnung gibt, und es so gut wie unmöglich ist, den richtigen Ort alleine zu finden..." "Nein, Ben. Semir hat eine Familie... zwei Kinder und eine Frau. Und ich brauche dich, Carina braucht dich." Die beiden sahen sich einander an, und Jenny spürte wie Ben, dass ihr wieder die Tränen in die Augen stiegen, und sie versuchte das Gefühl herunter zu schlucken. Immer noch ließ sie die Trauer nicht aus sich heraus. "Kevin hätte das nicht gewollt... er würde euch das nie zum Vorwurf machen.", sagte Jenny leise und ergriff mit beiden Händen die Hände Bens. Und der konnte ihrem Satz innerlich zustimmen... Kevin hätte niemals verlangt, dass sich seine Freunde in so große Gefahr begeben, um ein so aussichtsloses Unternehmen zu starten. Und seine Freundin sah es ebenfalls so... die beiden sollten nicht ihr Leben riskieren, um ihr Gewissheit zu verschaffen. Diese Aufgabe würde sie ganz alleine tragen...

    Dienststelle - 16:30 Uhr


    Die Helden der Stunde, das waren Semir, Ben, Hotte und Bonrath, kamen zurück zur Dienststelle. Hotte und Bonrath führten den verhafteten Autodieb schnurstracks ins freie Verhörzimmer, während Semir sich einen verdienten Kuss seiner Ehefrau abholte. "Und? Niemand angerufen?" "Nein, Semir... sonst hätte ich es dir gesagt.", wiederholte Andrea beinahe schon mantrahaft. Semir musste lächeln, ein bitteres Lächeln. "Ich nerv ein bisschen damit, oder?" "Kaum...", sagte seine Frau gütig und die beiden umarmten sich. Andrea wusste, dass Semir sich schrecklich schuldig fühlte. Die ganze Wut auf Kevin, die er hatte nachdem dieser nach Kolumbien fuhr um Annie zu helfen, hatte sich in Trauer umgewandelt, in Zweifel über seine damalige Reaktion, obwohl man sie ihm zum damaligen Zeitpunkt einfach nicht übel nehmen konnte.
    "Warum haben wir damals nicht einfach gesagt: "Kevin, es ist scheisse was du machst, aber wir helfen dir." Warum haben wir ihn einfach gehen lassen...?", sagte der Polizist zu seiner Frau und sah sie ein wenig unglücklich an. "Semir... das konnte doch niemand ahnen. Deine Reaktion war damals völlig verständlich, vor allem in deinem damaligen Zustand. Heute würdest du vielleicht anders reagieren. Es hat ihn niemand zu dieser Reise gezwungen." Semir wusste, dass Andrea recht hatte, und doch war es so schwer für ihn zu akzeptieren, dass der Mann, der ihn mal als "großen Bruder" bezeichnet hatte, im Bösen mit ihm auseinander gegangen war, und sie dieses Verhältnis nie wieder kitten konnten.


    Das Verhör des Autodiebes dauerte nicht allzu lange. Am Tag nach der schlimmen Nachricht um Kevin hatten sie den Fall auf den Tisch bekommen, und danach zwei arbeitsintensive Wochen gehabt. Lange Observationen, ständiges Durchfragen bei zwielichtigen Gebrauchtwagenhändlern, Abklappern alter Kontakte im Autoschiebermilieu, bis sie endlich einen Namen hatten, der für die 23 Autodiebstähle verantwortlich war... scheinbar. Der Typ, in Basecap und Jeansjacke, gab recht bald zu, dass er die Diebstähle im Auftrag vorgenommen hatte. Bei der Frage nach dem Namen des Auftraggebers schwieg er beharrlich, nicht mal Bens Nussnummer konnte ihn aus der Reserve locken.
    "Wenn ich die Typen verrate, die machen mich kalt, versteht ihr?" "Vor fünf Minuten hast du den Namen noch nicht gekannt. Willst du uns verarschen?", bellte Semir über den Vernehmungstisch, und der Autodieb wurde wieder ein paar Centimeter kleiner, nachdem er seinen Widerspruch bemerkt hatte. "Pass auf, wir machen einen Deal. Auf deiner Liste stehen 23 Autodiebstähle.", begann Ben, nachdem er das Mikrofon abgeschaltet hatte. "Wie wäre es wenn wir jeden zweiten davon streichen, wenn du uns den Namen deines Auftraggebers nennst." In den Kopf des Mannes begann es zu arbeiten. Das würde die Strafe sicher um einiges mildern, aber konnte er den Namen wirklich verraten. "11 Autos gegen den Namen, ist das ein Deal?" "15...", war das schnelle Gegenangebot des Mannes, und die Miene von Ben verfinsterte sich.


    "Wir sind hier nicht auf einem Basar! Hier wird nicht gehandelt, hier wird unser Deal angenommen, oder es bleiben gelassen. Dann fährst du für 23 Diebstähle in den Bau, und kannst die nächsten Jahre davon träumen, jemals nochmal in einem Auto zu sitzen.", sagte der junge Polizist laut. Unter der Basecap begann der Mann zu schwitzen, er rieb die Fingerkuppen nervös aufeinander, weil Semir ihn durch das bloße Tippen des Fingers auf dem Knopf des Mikros zu einer Entscheidung drängte. "Ich... Ich...", stammelte der Mann und biss sich auf die Lippen, während er aufgeregt zwischen Semir und Ben hin und her blickte. "Was? Ich ich?? Musst du aufs Klo, oder was?", fragte Ben und legte den Kopf ein wenig schief.
    Ein Klopfen unterbrach das Verhör, und Bonrath steckte den Kopf durch den Spalt. "Semir! Telefon für dich... klang wichtig." Semir sah kurz zu Ben, und der junge Polizist hatte das gleiche hoffnungsvolle und zugleich angstvolle Funkeln in den Augen wie sein bester Freund. Wäre es die kolumbianische Botschaft, könnte es sein, dass sie in einigen Minuten Gewissheit hatten, was mit ihrem Freund und Partner Kevin geschehen ist, und ob sie nun trauern, oder weiter hoffen könnten...


    Semir eilte zu seinem Apparat, auf den das Gespräch umgeleitet wurde. Andrea nickte ihm dabei nur kurz zu, weil sie wusste, wer dran war, Ben folgte seinem Partner, während Bonrath den Autodieb bewachte. "Gerkhan, Kripo Autobahn?" "Herr Gerkhan? Hier ist die deutsche Botschaft in Bogota. Entschuldigen sie, dass es so lange gedauert hat.", meldete sich die gleiche Frauenstimme, mit der er vor zwei Wochen telefoniert hatte. "Haben sie Neuigkeiten für uns?" "Hmm... ja, Neuigkeiten haben wir. Aber ich bin nicht sicher, ob sie ihnen helfen..." Was war denn das für ein Beginn? Warum rief die Frau dann an, wenn es sich um Belanglosigkeiten handelte, und doch Neuigkeiten waren? Ben verdrehte die Augen, während Semir sich bemühte, nicht patzig zu klingen.
    "Wir wären an den Neuigkeiten trotzdem interessiert.", sagte er mit ruhiger Stimme und blickte in sorgenvolle Augen seines Partners gegenüber. "Ich sage ihnen, wie es ist... wir haben einige Kilometer flussabwärts der ersten Brücke hinter Bogota zwei männliche Leichen gefunden." Semir wurde blass, Ben schlug die Hände vors Gesicht und wollte nicht glauben, was er hörte. "Sie sind sehr übel zugerichtet, vor allem im Gesicht durch die... die Felsen und die Stromschnellen. Eine optische Identifizierung war deshalb nicht möglich."


    Semir schluckte und fand als erstes die Sprache wieder. "Können sie sonst was zum Aussehen sagen... die Haarfarbe oder so." "Der eine hatte halblange schwarze Haare und war eher klein gebaut. Die andere Leiche war größer und hatte kurze braune Haare." Während die beiden Polizisten bei der ersten Leiche noch aufatmeten, so hielten sie bei der zweiten Beschreibung erneut den Atem an. Solange wurde es der Zufälle zuviel... "Ausserdem scheinen beide Leichen tättowiert gewesen zu sein. Aufgrund der langen Liegezeit im Wasser können wir aber unmöglich sagen, welches Motiv. Es sind, durch die Hautveränderung, nur Spuren davon zu sehen, im Bereich des oberen Rücken bei beiden." Ben hielt es nicht auf seinem Sitz. Ihm schossen Tränen in die Augen, er stand vom Stuhl auf und ging zum Fenster um ziellos hinaus zu schauen.
    "Das sind die einzigen Infos aus Bogota. Leider verbieten uns die polizeilichen Behörden jegliche Fotografien zu senden. Aber der Beschreibung nach zu urteilen... wie soll ich sagen... möchten die ihnen das auch nicht zumuten." Der erfahrene Polizist war von den neuen Infos, weiteren Hinweisen darauf, dass Kevin tatsächlich tot war, und doch noch keine endgültige Gewissheit, geschockt. "Also abschließend... wir können unmöglich sagen, dass es sich um die von ihnen vermisste Person handelt. Was ich ihnen aber trotzdem sagen will ist, dass dieser Fluss tödlich ist...", unterstrich die Dame nochmal.


    Weder Semir noch Ben hatten in diesem Moment Kraft für Diskussionen. Fingerabdrücke waren nicht zu vergleichen, da man keine von Kevin hatte, und wenn nicht mal Fotos verschickt werden durften, wären die kolumbianischen Behörden sicher nicht weiter zur Zusammenarbeit bereit. "Danke für die Infos. Auch wenn es nichts konkretes ist, so... so sind es doch sehr viele Zufälle die... die dafür sprechen würden.", sagte der kleine Kommissar mit mühsamer Stimme, während Ben sich schon vor dem nächsten schweren Gang zu Jenny sah.
    "Da ist noch etwas... wir haben in der Nähe der Leichen Teile eines Handys gefunden. Es war ziemlich zerstört, aber einiges konnten wir retten. Da die Behörden eine deutsche SIM-Karte, die teilweise noch vorhanden war, identifizieren konnten, und ihre Anfrage bereits hatte, haben sie die Teile des Handys zu ihnen versandt. Sie dürften die Tage bei ihnen ankommen." Semir bedankte sich erneut. Vielleicht war das Handy der letzte endgültige Beweis. Als die Frau aufgelegt hatte und auch Semir den Hörer zurück auf den Apparat legte, war ihm übel. Verloren sah er den grauen Kasten mit den Tasten und den Hörer an, und konnte keinen klaren Gedanken fassen, während Ben immer noch aus dem Fenster sah, und ihm stumm eine Träne die Wange herunterlief.

    Ich kann Simon auch nur zustimmen.

    Für mich geht das Niveau der Serie langsam, spürbar aber stetig bergab. Ich hab mir zwar, in der Beck-Ära, wieder bodenständigere Fälle gewünscht, weniger Atombomben und Weltenrettung, was man ja auch in den ersten 2 Kiefer-Staffeln sehr gut hinbekommen hat. Allerdings fehlt ohne die horizontale Erzählweise die Spannung, der Drive, die Sucht die nächste Folge zu sehen. Und mit Hintergrundstory meine ich nicht, ob Semir und Andrea nun ein Haus kaufen...

    In Zeiten von Streaming-Serien, wo eine Handlung über 10-14 Folgen abgehandelt wird, ist so eine Erzählweise wie die Cobra sie momentan zeigt, nicht mehr gefragt. Man muss ja nicht einen Fall über die komplette Staffel zeigen, aber zumindest eine ernsthafte, spannende Background-Story MUSS heutzutage in jeder Serie sein.

    Dazu hat man zur Zeit nicht mal spektakuläre Fälle zu bieten. Schön, dass die beiden mal ermitteln und nicht von Schießerei zu Schießerei eilen, und ja, es ist schwierig nach 300 Folgen noch ne Story zu haben, die es noch nicht gab. Aber der Plot plätscherte vor sich hin, es war alles schon mal da, und bis auf den Jungen waren das alles Standardfiguren, bei denen man sofort wusste, wo man wen einsortieren sollte.

    Und nach wie vor bin ich mit der Figur Renner keinesfalls glücklich, und das liegt nicht an Roesner, sondern am Drehbuch bzw seiner Charakterzeichung. Keine Ecken, keine Kanten, kein Reiz der Figur zu zu sehen, wie sie agiert, warum sie agiert. Er ist einfach da, er ist gut drauf, lustig und ein netter Typ, das wars. In einem Bericht zu "Auferstehung" stand mal, dass man bei Cobra scheinbar nicht will, dass es ein zweiten starken Charakter neben Semir gibt, weshalb man André nicht dauerhaft einbauen will. Den Eindruck habe ich ebenfalls. Den mit Brandt hatte man einen solchen starken Charakter, der vor allem in den ersten Staffeln Semir oftmals in der Story die Show gestohlen hat. Evtl auch ein Grund, warum Kiefer gehen musste. Jetzt ist Semir momentan wieder der Star, auf den alle sehen, während Renner schmückendes Beiwerk, und nicht mehr ist.

    Schwache Folge, schwache Story, ein weiterhin farbloser Kommissar Renner ... nur über den guten Humor konnte man lachen.

    3,5/10


    Was bleibt ist die Frage, an was es liegt!
    Meiner Meinung nach an einem Paul Renner ohne bisherigen Ecken und Kanten! Man verpasst absolut gar nichts, wenn man eine Folge nicht sieht! Ich hätte mir für Ihn einen Hintergrund gewünscht, genauso Ecken und Kanten wie wir es bei Alex Brandt hatten, dazu einen Handlungsstrang der sich über mehrere Folgen zieht. Vielleicht hätte man dann Zuschauer halten können, die sich jetzt offensichtlich verabschiedet haben.

    Für mich ein Hauptkritikpunkt der bisherigen Staffel.

    Man hat zuviel Wechselerei in der Ausrichtung. Zuerst geht man Stück für Stück mit Ben Richtung Comedy und spektakulären Fällen. Hat okaye Quoten. Dann macht man den Radikalwechsel zu Ernsthaftigkeit und horizontaler Erzählung, gestaltet die Fälle wieder etwas bodenständiger. Beck-Fans sind weg, ein paar neue Fans kommen wg neuer Erzählung. Jetzt wieder der Sprung nach hinten, nur dass man die Fälle weiter bodenständig hält, die allerdings ohne Hintergrund und Charakterstory, furzlangweilig sind und nicht mehr gefragt. Dazu fehlen nun sowohl Beck/Comedy-Fans (da der Humor nicht Comedy ist) sowie die eher anspruchsvollen Charakteristika-Fans (da die Fälle viel zu simpel und die Charaktere momentan ohne Entwicklung sind).

    Was bleibt übrig? Ein paar Hardcore-Fans, die immer gucken und ein paar Roesner-Fans, die es noch nicht alzu viele gibt. Dazu noch ein paar, die neugierig auf den neuen Kommissar sind, der aber in den ersten 3 Folgen keinerlei Wert bot.

    Hallo nicci71,

    schön, dass du dich in meine Story reingelesen hast :)

    Zum Glück bietet uns die FF-Welt die Freiheit, den Lauf der Geschichte zu verändern ;). Als ich vor einigen Jahren mit "Auferstanden" angefangen habe zu schreiben, war ich sehr unzufrieden mit Cobra, dürfte so kurz nach dem Hotte-Tod gewesen sein. Also habe ich mir mein Lieblings-Cobra-Team als Vorlage genommen. In meiner Welt leben die beiden also noch :D. Anna Engelhardt ist übrigens auch noch Chefin ;-). Viele machen das bei den Haupt-Protagonisten auch so, schliesslich ist Ben eigentlich auch nicht mehr da.

    Falls du dich entschliesst, die Story weiter zu verfolgen, kann ich dir gerne eine kurze Zusammenfassung meiner bisherigen Storys schicken, damit du bzgl der Backstory keine Lücken hast, ohne alle Storys lesen zu müssen.

    Autobahn - 15:30 Uhr


    "Zentrale für Cobra 11, verfolgen den gestohlenen Ferrari auf der A57 Fahrtrichtung Neuss, wir brauchen dringend Verstärkung!" Ben schien das Funkgerät beinahe anzuschreien, als käme dann die Verstärkung schneller, als wenn er es in normalen Ton sagen würde. "Verstanden, Dieter und Hotte sind schon auf dem Weg.", antwortete Andrea's Stimme ruhig und besonnen zurück, während Semir auf der Überholspur einem Sonntagsfahrer ausweichen musste. Die Fahnung nach dem gestohlenen Luxuswagen lief schon seit heute morgen und jetzt, rein zufällig, wurden die beiden Polizisten auf ihrer Streifenfahrt von dem roten Geschoss überholt. Sofort hatten sie die Verfolgung aufgenommen, doch der PS-Unterschied zwischen dem Ferrari und Semirs hochgezüchteten Dienstwagen war trotzdem enorm.
    "Komm komm, wir verlieren ihn.", sagte Semirs Beifahrer und bester Freund, während er sich selbst auf den Oberschenkel schlug. "Hab ich vielleicht ein Pferdchen auf der Motorhaube?", kam sofort die Gegenfrage, und die Reifen des BMWs meldeten sich quietschend, als der Polizist einmal abbremsen musste, bevor er wieder ausscherte und überholte. "Ein kluger Mann hat mir mal gesagt, dass man fehlende PS mit Fahrkönnen ausgleichen kann." "Der kluge Mann wirft dich gleich raus."


    Immer wenn der Verkehr dichter wurde, konnte Semir auf den Ferrari aufholen, denn der Autodieb, der sich in der letzten Woche für Dutzende Diebstähle verantwortlich zeigte, war nicht so geübt darin sich durch den langsam beginnenden Feierabendverkehr zu schlängeln. Er musste bremsen, vermied es die Standspur zu benutzen und wurde so von langsam Überholenden immer wieder aufgehalten. Semir dagegen wechselte öfters die Spur, fand immer eine Lücke und benutzte auch mal, wenn es sicher war, die Standspur. Nur wenn mal einige Kilometer freie Fahrt auf der Überholspur war, überschritten die Geschwindigkeitszeiger zügig die 200 und der Ferrari setzte sich mit einem röhrenden Geräusch, was jeden Mann in Ekstase brachte, ab.
    Irgendwann tauchte im Rückspiegel von Semir der große Porsche Cayenne von Dieter und Hotte auf, der große Polizist am Steuer des Gefährts, dass PS-mäßig noch schneller unterwegs war als der BMW von Semir. "Hotte, auf freier Straße müsst ihr ranfahren und überholen, und im Verkehr bremsen wir ihn aus." "Alles klar, Ben... wir sind schon dabei.", gab der dicke Polizist mit einer Bierruhe in seiner Stimme durch den Funk durch und motivierte seinen Partner zum Schnellerfahren. "Los Dieter... so ein italienischer Prollkarren ist doch ein Klacks für uns."


    Semir ließ den bulligen Porsche überholen und die beiden Polizeiautos konnten im Gewühl wieder aufschließen. Bonrath fuhr zwar ähnlich hölzern wie er mit seinen beinahe 2 Meter durch die Gegend lief, doch er hatte ein gutes Auge und Gespür, wie die unbeteiligten Fahrzeuge reagierten. So kam er dem Ferrari schnell näher und konnte einmal die Standspur nutzen, um vorbei zu fahren. Auf freier Strecke hatte der Ferrari so keine Chance mehr, davon zu ziehen. "Jetzt haben wir ihn gleich... PASS AUF!", rief Ben plötzlich als der Ferrari von der Überholspur nach rechts zuckte, und dabei einen Kleinwagen neben ihm zum Bremsen zwang. Die ungeübte Fahrerin verlor ihren Wagen aus der Kontrolle und schlidderte erst nach links, dann nach rechts. Semir, der erst rechts auswich, wurde vom Richtungswechsel überrascht. "Ooooooh" Semir konnte es quasi schon Krachen hören, doch zog mit einer unglaublichen Reaktion komplett nach rechts, wo er aber die Abfahrtsspur erwischte und nicht mehr über den Grünstreifen auf die Autobahn konnte. "Fuck! Was jetzt?" "Na, jetzt fahren wir auf die Autobahn wieder drauf.", meinte der kleine Polizist ein wenig flapsig. Die Auffahrt mündete in eine Kreuzung, würde man geradeaus fahren, konnte man die Auffahrt wieder zurück auf die Autobahn nehmen. Semir fuhr an einer Kolonne wartender Autos vorbei, schaute seinerseits nach links, wo kein Fahrzeug auf der Vorfahrtsstraße war. "Rechts sieht auch frei... wooooaaaah" Den LKW, der von rechts kam, sah Ben zu spät, und sein Partner musste erneut mit einem Reflex zaubern, den BMW noch knapp vor dem hupenden Sattelschlepper über die Kreuzung fliegen zu lassen. "Sah wohl nur frei aus, was?", knurrte er in Bens Richtung.


    Schnell schloßen die beiden Polizisten wieder auf den Ferrari auf, der von Bonrath mittlerweile auf 100 km/h auf der Überholspur eingebremst wurde. Ein LKW auf der rechten Spur bekam das Schauspiel mit und verlangsamte seinen Sattelschlepper im gleichen Tempo, wieder der blockiernde Porsche. Der Ferrari-Fahrer trat auf die Bremse, doch es war zu spät um hinter dem LKW auszuscheren, Semir war schon wieder direkt hinter ihm und klopfte hauchzart an der Stoßstange an. Über einige Kilometer hinweg wurde das Paket immer langsamer, und der geübte LKW-Fahrer verhinderte jegliches Entfliehen des Ferraris, bis alle vier zum Stillstand kamen, und alle Autos hinter ihnen sicher anhielten. Semir, Ben, Dieter und als letztes der beileibte Herzberger stiegen mit gezückten Waffen aus ihren Wagen aus. Bonrath sicherte so wie Semir, während Ben die Fahrertür aufriss und den fluchenden jungen Mann aus dem Ferrari zog und gegen das Auto drückte.
    "Endstation, mein Freund. Los, die Beine auseinander.", knurrte der Polizist und die vier Beamten nahmen eine astreine Verhaftung vor. Der Kerl wurde zum Porsche abgeführt, wo Hotte sich mit grimmigen Blick in seinem eigentlich immer gutmütigen Gesicht zu dem Autodieb auf die Rückbank saß. Ben setzte sich in den Ferrari und Semir in seinen Dienstwagen, während Bonrath sich am Seitenfenster bei dem LKW-Fahrer herzlich für seine Hilfe bedankte.


    Als alle Fahrzeuge und der Verkehr wieder im Rollen waren, nahmen die drei Fahrzeuge Kurs zurück zur Dienststelle. "Cobra 11 an Zentrale, haben den Flüchtigen gestoppt und verhaftet, kommen zurück zur Dienststelle, Ende.", gab Semir durch den Funk und bekam postwendend eine etwas ironische Antwort seiner Frau: "Keine Feuerwehr oder RTW zur Unfallstelle?" "Es gibt diesmal keine Unfallstelle...", antwortete Semir, obwohl er wusste, dass seine Frau ihn necken wollte. Normalerweise endeten Verfolgungsjagden meist in Unfälle. Andrea versuchte immer wieder mit Späßen ihren Mann aufzumuntern in letzter Zeit, was ihr nur halbwegs gelang. Semir versuchte das Gleiche bei Ben... auch ohne großen Erfolg. Die Stimmung auf der gesamten Dienststelle war seit zwei Wochen bedrückt.
    "Hat sich die Botschaft gemeldet?" "Semir... du fragst mich das jetzt seit zwei Wochen alle zwei Stunden, wenn ihr auf Streife seid. Ich würde dir den Anruf sofort weiterleiten..." Der Polizist seufzte und presste für einen Moment die Lippen zusammen. "Ich weiß, mein Schatz. Aber es geht mir einfach nicht aus dem Kopf." "Glaubst du, die Mühlen malen dort schneller als unsere? Im Gegenteil..." "Ich frage mich immer noch, ob wir nicht doch dorthin fliegen sollten, und Kevin selbst suchen sollten." Semir hatte mit Ben darüber geredet, der zwar sofort bereit gewesen wäre, aber eben auch Zweifel hatte. Jenny hätte es sich gewünscht, hatte aber Skrupel Semir und Ben dieser Gefahr auszusetzen. Und Andrea hatte einfach panische Angst. "Ich hab damals nichts gesagt, als du mit André nach Mallorca geflogen bist. Aber da wusste ich, dass André die Typen kannte, und sich auskannte. Aber in ein Rebellengebiet zu reisen, für eine Suche, für deren Ausgang es quasi keine Hoffnung gibt..." Semir hatte selbst allerhöchste Zweifel an der Sinnhaftigkeit der Reise, und seine Frau gab letztlich den Ausschlag zum "Nein"... doch den Kommissar ließ ein kleiner, ganz kleiner Funke Resthoffnung nicht los...

    Alte Villa - 0:00 Uhr


    Totenstille herrschte in den Gemäuer der alten Villa am Stadtrand von Köln, die umgeben war von prächtigen Parkanlagen. Hier wohnten Menschen noch im Abstand von mehreren hundert Metern, und für die Gartenpflege benötigte man Personal. Die Häuser waren Altbauvillen aus dem 17ten und 18ten Jahrhundert, wunderschön verziert mit allerlei baulichen Besonderheiten dieser Zeit. Türmen, Erkern, große hohe Decken und riesige Zimmer. Wer hier wohnte, hatte sich entweder nach einem sehr guten Berufsleben zur Ruhe gesetzt, oder war eine bekannte Größe in zwielichtigen Geschäften.
    Nur bei einer Villa wusste die breite Nachbarschaft überhaupt nichts über den Besitzer. Er wurde so gut wie nie auf seinem Grundstück, das zusehends zuwuchs mit Sträuchern, Hecken und hohem Gras, gesehen, niemand kannte seinen Namen, sein Auto, sein Aussehen. Post und Zeitungen wurden täglich entfernt, aber scheinbar nachts... und nur nachts schien so etwas wie Leben in der Villa zu herrschen.


    Der größte Raum der alten Villa war in flackerndes Licht getaucht. Gabriel, mit weißer Hose und weißem Hemd gekleidet wie ein Arzt, schaute auf die Gemeinschaft an Anhänger, die sich vor ihm versammelte... Menschen, die sich von seiner Kunst des Redens fangen ließen. "Gemeinschaft der Engel" nannten sie sich, und sie waren nicht die einzige Gruppe in Deutschland, in Europa, auf der Welt. Ein Netzwerk an fanatischen Engelsanbeter, die an ihre eigene Auslegung der Bibel glaubten, und dem Menschen eine völlig andere Rolle zukommen ließen, als die ursprüngliche Fassung eigentlich gedacht. Wie in einer Kirche hatten die Leute in dem großen Raum auf Stühlen Platz genommen, die Stille war zum Greifen als Gabriel nach vorne trat.
    "Liebe Brüder und Schwester... ich möchte euch in der heiligen Messe herzlich begrüßen.", sagte er wie ein Pfarrer beim Sonntags-Gottesdienst, doch die Gemeinde vor ihm blieb still. Alle schauten auf den Boden vor sich und hatten die gefalteten Hände in den Schoß gelegt. Was in diesem Raum passierte, hatte mit einem Gottesdienst wenig zu tun. Es gab keine Musik, keine festen Rituale... nur Gabriel als eine Art Sprecher, der den Gläubigen vom Hass erzählte, und dabei bewegungslos an einem Tisch stehen blieb.


    "Wir sind Gottes treueste Diener. Dann hat er den Menschen erschaffen...", sagte der Mann mit beschwörender Stimme, und es schien als würden die Leute auf den Stühlen gebannt, beinahe wie in Trance zuhören. "Das war ein Fehler, meine Brüder und Schwestern." Nun kam Bewegung in den Mann. Langsam schritt er von einem Ende ans andere Ende des Raums, ging um das Quadrat aus Stühlen herum, und sprach dabei immer lauter, immer entfesselnder, langsam und eindringlich. "Er hat ein Raubtier erschaffen, das die Erde zerstört und ausbeutet. Das Gottes Gebote mit Füßen tritt. Das weder Nächstenliebe noch Zurückhaltung kennt." Zwischen seinen lauten Sätzen erfüllte jedes mal eine unheimliche Stille den Raum.
    "Gott ist schwach geworden. Die Menschen sind seines liebsten Kind, obwohl alleine wir... die Engel Gottes... seit Erschaffung der Erde ihm treu gedient haben. Doch das... ist jetzt vorbei." Gabriel war wieder am Pult angekommen und stützte die Hände auf der Tischplatte ab und sah mit funkelnden Augen auf die Menschen, die stumm und gebannt zuhörten. "Wir werden uns erheben. Die Engel Gottes werden die Aufgabe ihres Herren jetzt endlich übernehmen, und über die Menschen auf der Erde richten."


    "Ja, Gabriel...", murmelten die Stimmen wie im Chor dem Prediger zu. "Seid vorsichtig, meine Brüder und Schwester. Wir sind eine Gemeinschaft. Wir stehen zueinander und leben die Gebote Gottes... nur ein Gebot hat unser Herr geschrieben und den Menschen mitgegeben, an das wir uns in unserer Aufgabe nicht halten können." Der Mann dämpfte seine Stimme wieder und schaute beschwörend in die Menge, die jetzt alle gleichzeitig den Kopf gehoben hatten und ihren geistlichen Führer gebannt anblickten. "Das fünfte Gebot wird heute in unserer Gemeinschaft gegenüber den Menschen ausser Kraft gesetzt. Wir werden die Zerstörer unserer Erde, die von Gott als Paradies geschaffen wurde, bestrafen wozu der Herr nicht fähig ist."
    "Ja, Gabriel...", kam nun lauter als Antwort. "Wir lassen sie den bitteren Zorn spüren! Gott ist schwach und deshalb müssen und werden wir handeln, um die Erde wieder zu einem Paradies werden zu lassen. Es wird Zeit brauchen... viel Zeit." "Ja Gabriel..." Wieder war es still, unheimliche Stille und das Flackern der Kerzen legte bizarre Schattenspiele auf die Gesichter der Menschen, besonders auf das Gesicht Gabriels, der sich immer wieder bewegte und damit die Schattenstruktur auf seinem Gesicht sich immer wieder änderte. "Wir werden dem Menschen das Böse aus den Körpern nehmen... aus ihren Seelen herausschneiden, liebe Brüder und Schwester..." Die Stimme, mit der Gabriel den letzten Satz sprach, zeigte gnadenlose Entschlossenheit und würde normalen Menschen eine Gänsehaut über den Körper jagen...

    Oh, warte mal ab, was ich alles kann :evil:

    "Zwischenwelten" ist somit zu Ende. Übrigens meine bisher längste Story, glaub ca 20 Kapitel mehr als die zweitlängste. :D

    Danke für dir vielen Feeds, auch die im "Geheimen" zu dem Trailer, den ich dazu mal gebastelt habe, sowie die vielen Privatdiskussionen, die ich mit einigen hier bzgl Story, Charakterentwicklung usw führen durfte :)

    Der nächste "Teil" bzw die nächste Story "Hierarchie der Engel" steht schon in den Startlöchern und wird die Tage beginnen, wobei der Titel noch nicht gaaaaaanz final ist .

    Jenny's Wohnung - 14:45 Uhr


    Nachdem Semir die Wohnung ihrer jungen Kollegin verlassen hatte, stand Ben zum zweiten Mal an diesem Tage vor einer Couch und beobachtete eine junge, trauernde Frau beim Schlafen. Doch diesmal fühlte er sich leer, komplett aufgelöst. Er fühlte sich nicht wie die starke Schulter, wie es heute Mittag war, der Held, der da war wenn ihn Carina brauchte. Er fühlte sich klein und schwach und hätte sich am liebsten ebenfalls irgendwo hingelegt, eingerollt in seiner Trauer. Der Polizist konnte nicht lange ruhig sitzen, nachdem er eine Zeitlang neben Jenny saß und ihr immer wieder zärtlich über den Kopf gestreichelt hatte, war er aufgestanden, um den Wohnzimmertisch getigert, mal wieder auf dem Einzelsessel gesessen um nur wenige Minuten später, mit den beiden Armen auf der Fensterbank abgestützt nach draussen zu blicken.
    Das trostlose kalte Wetter war wie ein Spiegelbild seiner Seele. Er suchte nach dem kleinen Fünkchen Hoffnung in sich, nach den Erzählungen Semirs, was dieser Juan ihnen gesagt hatte... das kleine Fünkchen danach, dass Kevin noch leben würde. Alleine, ganz sicher schwer verletzt in einem Dschungelgebiet, vermutlich seine Gegner nicht weit. Ben bekam die Bilder vor seinem inneren Auge nicht zusammen, es war so surreal, so unvorstellbar.


    Er konnte sein Gesicht in der Fensterscheibe gespiegelt erkennen. Seine Augen, die aufgeschreckt aussahen, wie imemr wenn er Sorgen hatte. Seine Haare waren mehr durcheinander als sonst und er spürte, dass er schneller atmete. er versuchte sich an Kevin zu erinnern, als sie sich das letzte Mal sahen. Wie er am Boden der Dienststelle lag, nachdem Semir ihm einen Schlag versetzt hatte. Als Ben sich für seinen besten Freund entschied, unbewusst Kevin damit alleine ließ. Er konnte sich nicht mal mehr daran erinnern, ob und was er Kevin in diesem Moment gesagt hatte. Es tat ihm weh, dass dies die letzte Erinnerung war, die er an seinen Freund hatte, mit dem er Fälle gelöst hatte, Sport trieb und Musik machte.
    Langsam setzte Regen draussen ein, und gestaltete die Umgebung noch ein wenig trostloser, als sowieso schon. Der restliche Schnee, der noch lag, würde schnell tauen und heute Nacht würde es sicher eisig glatte Straßen geben, denn es war gerade mal knapp über 0. Ben sah einigen Tropfen, die die Scheibe herunterliefen, hinterher und versuchte sich zu erinnern. Kevin, als er ihn kennenlernte, als er ihn zum ersten Mal in seiner Wohnung vorfand und als sein Partner neben ihm hockte, als Ben in einem Autowrack eingeklemmt war und Panik bekam. Wie Kevin sich gegen die Rache an dem Mörder seiner Schwester entschied, um Ben das Leben zu retten.


    Eine leise, klägliche Stimme entriss ihn aus der Erinnerung. "Ben... bist du da?" Er drehte sich zu Jenny um, die zwar wach wurde, aber noch reichlich benebelt von den Beruhigungsmitteln war, die Meisner ihr gegeben hatte. Der Polizist kam vom Fenster weg hin zur Couch und setzte sich ans Kopfende, direkt zu Jennys Kopf. "Hey... ja, keine Angst, ich bin da. Du bist nicht allein." Ihre Augen wirkten müde und sie blickte etwas desorientiert einfach geradeaus in ihrer Wohnung umher. Die Erinnerung war jedoch nicht getrübt. "Ben... bitte sag mir, dass er nicht tot ist.", sagte sie und ihre Stimme klang beruhigter als vorhin, nicht hysterisch, nicht zittrig. Die Mittel wirkten, auch wenn sie jetzt nicht mehr schlief.
    Ben rückte noch ein wenig dichter an sie heran und die junge Polizistin legte ihren Kopf an die Oberschenkel ihres Kollegen, der nicht wusste, was er sagen sollte. Es war für ihn das erste Mal, dass ein direkter Kollege starb und er wusste nicht, mit dieser Situation umzugehen. "Ich... ich weiß es nicht, Jenny.", sagte er und spürte, wie sich auch ein Weinkrampf in ihm anstaute, dieses untrügerliche Gefühl im Hals, in der Stimme, welches er zunächst noch zurückhalten konnte. Er musste jetzt für Jenny da sein, wie er heute morgen für Carina da war.


    Auch bei Jenny war das Gefühl in ihr weniger die Sorge, als viel mehr der Schmerz und die Trauer. Auch sie hatte Annies Ausbruch gesehen, den man unmöglich schauspielern konnte. Und der fremde Kolumbianer, egal ob er nun Fremdenführer war oder nicht, hatte keinen Nutzen aus einem vorgetäuschten Tod des Polizisten... oder einer Übertreibung der Situation. Jenny biss sich auf die Lippen, sie fühlten sich spröde an und sie strich mit der Hand über den Bauch, in dem seit 5 oder 6 Wochen ein kleiner Mensch heranwuchs. "Ich habe mir gedacht, dass wir alles überstehen können.", sagte sie leise, als würde sie mit sich selbst reden, dabei redete sie mit Ben.
    "Ich wusste, dass es schwer wird... seine Selbstzweifel, die Trauer um seine Schwester. Nach der Sache mit dem verbrannten Kind hatte er auch wieder Drogen genommen." Etwas, was Ben noch nicht wusste, was dem jungen Kollegen damals aber auch nicht anzumerken war. Jedenfalls schluckte er einmal und atmete hörbar aus. "Aber er hatte es jedes Mal geschafft, mir die Angst zu nehmen. Er ist selbst wieder weggekommen von den Drogen... wir haben uns zusammengerauft, wir haben uns geschworen, alles zu schaffen. Und sogar...", erst jetzt kam zwischen den leisen Sätzen ein kurzes Schniefen bei Jenny durch "... als ich ihn vor die Wahl gestellt hatte, bevor er fuhr... und wir beide dachten, dass wir gescheitert waren... er hat mich angerufen, ich hab mich entschuldigt und er hat sich entschuldigt und sich so sehr auf unser Kind gefreut..."


    Beinahe unbemerkt liefen einige Tränen aus Jennys Augenwinkel über ihren Nasenrücken und tropften auf die Couch, auf der sie lag. Es war ein stilles Weinen, sie war ganz ruhig, nur ihre Schultern bebten leicht. Ben hörte ihr atemlos zu, und die Klammer um seine Brust wurde immer enger, wollte die eigenen Emotionen immer stärker aus ihm rauspressen. "Ich habe in diesem einen Telefonat gespürt, dass er sowas... eine Familie... sein ganzes Leben lang vermisst hatte.", setzte sie noch leise hinzu und schluchzte. "Und jetzt ist alles zu spät..."
    Sie räkelte ihren schlanken Körper kurz, um sich ein klein wenig anders hinzulegen, und Bens Trostgesten umfassten jetzt auch das sanfte Streicheln ihrer Schultern. In so einer Situation, als Kevin im Knast saß, hatten die beiden in Intimitäten Trost gesucht. Diese Situation war anders... so verdammt anders. Und in Ben machten sich, wie vorher auch in Semir, Schuldgefühle breit. Sie hatten falsch reagiert, so sehr er Semir auch verstand damals, dass der ausgetickt war und erst mal nichts von Kevin wissen wollte. Auch wenn die beiden Freunde waren, Semir und Kevin, so war dessen Reaktion doch verständlich. Doch er, verdammt nochmal, er hätte müssen als Freund der beiden irgendwie kühlen Kopf bewahren.


    Während Jenny die Augen schloß, und sich an ihren Freund zurückerinnerte, konnte der Polizist nun die Tränen nicht mehr zurückhalten. "Wir hätten mehr tun müssen... ich hätte mehr tun müssen.", sagte er leise. Die junge Polizistin hörte die Stimme und blickte wieder hinauf. Sie sah das Glitzern in Bens Augen, und dass auch er weinte. "Ich hätte ihn aufhalten müssen. Irgendwie die Wogen zwischen ihm und Semir glätten. Und dann hätten wir ihn nicht alleine gehen lassen.", sagte er mit bitterer Stimme, deren Ton sich immer mehr verlor. Er war sich sicher, wenn Kevin damals ehrlich gewesen wäre, hätte Semir zwar natürlich mit Unverständnis reagiert... aber nach 1-2 Tagen, vielleicht der einen oder anderen Aussprache, hätten die drei sich zusammengerauft. Sie wären gemeinsam nach Kolumbien geflogen und hätten Annie dort rausgeholt, und jeder hätte auf den anderen Acht gegeben.
    Sie hatten zu dritt alles geschafft. Sie hatten Kevin aus dem Knast rausgeholt, sie hatten Ayda, die entführt wurde, gefunden und das Koma-Gegenmittel gefunden und sie hatten Semir vor einer Neonazi-Gruppe gerettet. Es bohrte in Bens Seele und hinterleiß Narben für die Ewigkeit, dass sie ausgerechnet einmal, einen aus ihrem Kreis, aus ihrer Gruppe allein gelassen hatten. Einen Menschen, der ein Ziel hatte, aber dieses niemals erreichen konnte, der ziel- und rastlos schien, und nie den Platz für sich gefunden zu haben... ausser bei Jenny. Ein Polizist, der sich nie als Polizist gefühlt hatte, sondern als Einzelkämpfer, der aber Unterstützung bitter nötig hatte. Kevin hätte jede Hilfe abgelehnt, aber für jeden der Dienststelle sein Leben riskiert, vielleicht sogar geopfert. Der nach aussen hin versucht hatte, nie eine Schwäche zu zeigen und unnahbar war, und in seinem Innersten doch so zerbrechlich, doch einen Einblick darin hatte er nur wenigen Menschen gewährt.


    Jenny rappelte sich müde auf, als Ben nun doch von seinen Gefühlen übermannt wurde, und die starke Schulter endgültig nicht mehr darstellen konnte. Er kniff die Augen zusammen und begann zu weinen, Jenny hielt ihre stummen Tränen auch nicht mehr auf und schlang ihre Arme um den Hals ihres Kollegens, ihres guten Freundes. Während Ben auf der Couch saß, hatte Jenny sich in halber Liege und Kniestellung neben ihn gelehnt, die Arme um den Hals und den Kopf an seine Schulter, während er seinen Kopf halb auf Jennys Kopf legte. So blieben sie sitzen, weinten und erinnerten sich... und keiner der beiden konnte später sagen, wie lange sie kein Wort miteinander gesprochen hatten...


    ENDE

    Dienststelle - 14:45 Uhr


    Schweren Herzens hatten sich die beiden Partner in ihrer Sorge getrennt. Semir eilte zur Dienststelle zurück, schließlich war er noch im Dienst und von dort aus konnte er über den Dienstweg die deutsche Botschaft in Bogota erreichen. Hotte und Dieter sahen überrascht auf, als Semir mit schnellen Schritten in seinem Büro verschwand, Andrea's Platz war leer denn sie war gerade auf Toilette. Mit wenigen Klicks hatte Semir die Telefonnummer in Kolumbien gefunden. Er war erschrocken über seine Stimmung während der Autofahrt, denn die hatte sich von Sorge bereits langsam in Trauer gewandelt. Sein Unterbewusstsein, sein Gespür gaukelte ihm vor, dass es zu spät war. Das gleiche Gefühl hatte er damals auch bei André, nachdem sie ihn nicht im Wasser gefunden hatten. Und obwohl er damals falsch lag, so war er doch ganz sicher gewesen, dass André den Harpunenschuss nicht überlebt hatte.
    Im Gegensatz zu damals war Semir diesmal nicht dabei. Er musste sich auf die Beschreibungen von einem Fremden und einer Frau verlassen, der er nicht traute. Allerdings gab es für die beiden keinen Grund zu lügen, und einen Gefühlsausbruch wie der von Annie konnte niemand schauspielern. Er konnte es drehen und wenden wie er wollte, er konnte sich das Happy-End wünschen... sein rationales Denken gab ihm wenig Hoffnung, zu viel sprach einfach dafür, dass Juan nicht übertrieb mit seiner Ansicht ob der Gefährlichkeit des Rio Caucas, dessen Namen er beiläufig in den Erzählungen erwähnt hat.


    Auf Deutsch meldete sich eine Frauenstimme am Telefon. "Mein Name ist Gerkhan, Kripo Autobahn. Frau Neu, wir haben Informationen eines kolumbianischen Einheimischen, dass es im Dschungelgebiet in der Nähe von Bogota zu einem Unglücksfall eines unserer Kollegen gekommen ist. Ich bräuchte dringend eine Verbindung, wenns geht auf Englisch zu den ansässigen Rettungs- und Polizeibehörden." "Mal ganz langsam, Herr Gerkhan...", sagte die sympathische Stimme auf der anderen Seite der Welt, denn der Polizist hatte schnell und ohne Punkt und Komma geredet. "Sagen sie mir doch zuerst, was passiert ist." "Angeblich soll unser Kollege von einer Brücke in den Rio Cauca gestürzt sein. Er war dort mit einem Drogenkartell aneinander geraten."
    Semir konnte etwas Unverständnis aus den Worten der Botschaftsmitarbeiterin heraushören. "Wie kann es denn sein, dass ein deutscher Polizist in Bogota mit einem Drogenkartell aneinandergerät?" "Bitte ersparen sie mir unwichtige Fragen! Es geht jetzt darum, unserem Kollegen zu helfen... falls man ihm noch helfen kann." "Auf welcher Brücke soll das denn passiert sein?" "Ich weiß es nicht. Himmel Herr Gott, gibt es so viele verdammte Brücken an diesem Fluß?", polterte Semir, obwohl er wusste dass die arme Frau nichts dafür konnte, dass er so unwissend war...


    Diese blieb allerdings freundlich, wenn auch bestimmt. "Ja, es gibt einige. Und der Fluß ist relativ lange. Hat der Einheimische die Brücke irgendwie beschrieben?" Der erfahrene Polizist seufzte, fuhr sich mit den Fingern über die Stirn und bemerkte nicht, dass die Chefin mittlerweile im Türrahmen stand. "Sie muss in der Nähe von Bogota sein. Er sagte etwas, dass sie relativ hoch sei und ein Sturz nur schwer überlebbar, wobei der Fluss mit Felsen und Stromschnellen ebenfalls gefährlich sei zur Zeit." "Puuh...", machte die Mitarbeiterin, und es hörte sich in Semirs Ohren so hoffnungslos an, dass er eine Gänsehaut bekam. "Da hat der Kolumbianer nicht unrecht. Dieser Fluss ist in dieser Zeit lebensgefährlich. Obwohl er relativ flach ist, hat man in den Stromschnellen ohne Sicherung vom Ufer keine Chance. Bei einem Sturz aus dieser Höhe sowieso nicht."
    Die komplette Körperspannung wich aus dem Polizisten und er sackte auf dem Stuhl zusammen. Wieder knabberte jemand, der scheinbar um die Verhältnisse des Flusses wusste, an der eh geringen Hoffnung. "Bitte, wir können nicht einfach hier rumsitzen und Däumchen drehen. Wir brauchen irgendeine Gewissheit." Frau Neu verstand das Anliegen des Polizisten, sie konnte sich zwar nicht in ihn hineinversetzen, ihr war aber auch klar, dass die Kollegen des verschwundenen Mannes in völliger Ahnungslosigkeit schwebten. In so einer Situation wäre eine klare Todesnachricht schon beinahe eine Erleichterung, weil man endlich Gewissheit hätte.


    "Herr Gerkhan, es ist nicht so, dass ich ihnen nicht helfen will. Aber ich fürchte, aufgrund der Tatsache dass die Überlebenschance bei einem Sturz von einer dieser Brücken so gering ist, wir hier keinen Polizeichef dazu bringen können, Männer auf die Suche zu schicken. Ausserdem...", setzte sie noch hinzu, während Semir atemlos zuhörte "Dieses Gebiet im Dschungel ist... wie soll ich sagen... teilweise von den Rebellen kontrolliert. Ich weiß nicht, ob sie sich das vorstellen können, aber es gibt hier Gebiete, da wird die Polizei keine Leute hinschicken, weil sie nicht mehr widerkehren würden." "Na großartig...", seufzte der Polizist und wusste sofort: Wenn es zu gefährlich für kolumbianische Polizisten war, wäre es auch um ein vielfaches zu gefährlich für zwei, zwar wagemutige aber in dieser Gegend völlig ahnungslose deutsche Polizisten.
    "Hören sie... der Mann hatte eine Freundin hier zu Hause sitzen, die ein Kind von ihm erwartet. Beide sind sehr enge Freunde von mir. Ich... ich möchte einfach eine Gewissheit haben, ob wir uns noch Hoffnung machen können, dass er vielleicht in ein paar Tagen doch noch aus einem Flugzeug steigt, oder die Gewissheit haben, dass... dass er...", es fiel Semir schwer die endgültigen Worte auszusprechen "...dass er tot ist." Für einen Moment war Stille in der Leitung. "Herr Gerkhan, ich werde es versuchen. Aber ich kann ihnen nichts versprechen. Aber wenn sie meine Meinung hören wollen, als eine Frau die schon 20 Jahre in Kolumbien lebt und um Bogota fast alles gesehen hat..." wieder blieb es für einen Moment still "...machen sie sich keine Hoffnung. So schwer es auch fällt."


    Als die Frau das Gespräch beendet hatte, und auch Semir aufgelegt hatte, räusperte sich die Chefin im Türrahmen, so dass Semir kurz erschrak und sich zu ihr umdrehte. Ihr Blick war ernst, voll Sorge und verwirrt. "Haben sie mir etwas zu sagen, Semir?", fragte sie, doch es war diesmal nichts zu hören von ihrer scharfen Freundlichkeit kurz vor einem Vulkanausbruch. Auch Andrea kam zur Tür herein, als sie bemerkte, dass Semir wieder da war und hatte erst das Gefühl zu stören... doch Semir bedachte mit einer Handbewegung, dass sie bleiben solle... schließlich kannte sie Kevin auch. "Ich glaube, es ist etwas ganz Schlimmes passiert.", sagte er mit traurigem Gesichtsausdruck, der ihn immer ein paar Jahre älter wirken ließ, als er war. "Scheinbar... ist Kevin in Kolumbien... umgebracht worden."
    "Oh Gott", hauchte Andrea, ging sofort zu ihrem Mann und umarmte ihn. Sie konnte sich denken, wie sehr Semir das mitnahm, gerade nachdem sie gestern zusammen mit Ben dem jungen Polizisten seine Dummheit quasi verziehen hatten. Nur die Chefin verstand noch nicht: "Ich dachte, Herr Peters ist krank..." Semir schämte sich vor seiner Chefin dafür, dass er ihr alles verheimlicht hatte... mal wieder. Sie hätte es sicherlich verstanden, auch wenn sie sich über Kevins Verhalten geärgert hätte. Jetzt erzählte er die ganze Geschichte in kurzen Sätzen, und Anna Engelhardt schüttelte immer wieder den Kopf.


    "Weiß... weiß Jenny schon davon?", fragte Semirs Frau mit schimmernden Augen, als sie an die junge Kollegin dachte, und ihr Mann nickte. "Ben ist bei ihr... sie schläft und hat ein Beruhigungsmittel bekommen." "Ich... ich fahr zu ihr. Vielleicht... ich... ich kann jetzt nicht einfach hier sitzen.", sagte sie hastig und blickte zur Chefin, die großzügig nickte. Als Andrea das Büro verlassen hatte, setzte sie sich nachdenklich auf Bens Platz und sah zu Semir rüber. "Wie geht es ihnen jetzt?", fragte sie, denn sie empfand Semir als ziemlich angeschlagen, ob der sehr geringen Chance, dass Kevin noch leben könnte. "Beschissen...", war seine kurze Antwort, denn seine Hoffnung war weg. Er hatte keine Chance in Kolumbien Kevin zu suchen, die Behörden dort würden sich nicht in das Gebiet trauen... und alles vor dem Hintergrund der eh recht geringen Überlebenschance. "Das letzte was wir miteinander getan haben, war zu streiten... das macht mich fertig.", gab er zu.
    Dann sah der Polizist von seinem Schreibtisch zu seiner Chefin auf. "Chefin... es ist wieder passiert.", sagte er mit trauriger Stimme. "Wir haben schon wieder jemanden aus unserer Familie verloren. Irgendwie... spüre ich es." Er wollte das Gefühl nicht wahrhaben, aber es wurde immer präsenter. Die Sorge wandelte sich in Trauer, und die einzige Hoffnung war die kolumbianische Botschaft. Hoffnung auf Gewissheit. Anna Engelhardt nickte nur stumm. Sie wusste, wie eng Semir und Ben zu Kevin standen. Ihr Verhältnis zu ihm war eher distanziert, doch sie wollte nicht herzlos sein und sagen, dass Kevin für sie mehr wie ein Bekannter, als ein Familienmitglied war. Doch Frau Engelhardt dachte es nur und sagte leise: "Es tut mir so leid, Semir..." Und das tat es ihr wirklich, schließlich war Kevin, nichtsdestotrotz, einer ihrer Männer...