Beiträge von Campino

    Lieber Campino,

    ja, natürlich dauert eine Trauer recht lange, aber muss man sie nicht in jedem Kapitel, wo die Kommissare auftauchen, erwähnen. Du dehnst es hier aus, als wenn es nichts anderes mehr gibt. In der Serie wurde natürlich auch getrauert, aber dennoch wurde nicht immer nur getrauert. Bei deinen Kapiteln ließt es sich so, als wenn du es hinausstrecken willst.

    Und außerdem schreibe ich hier nur meine persönliche Meinung, um die es ja nun in einem Feed Bereich auch geht. Nun gut, ich könnte hier auch, wie viele andere, nur das Kapitel in meinen eigenen Worten wiedergeben und am Ende schreiben, ob es gut war oder nicht. Aber dafür finde ich, ist der Feed Bereich nicht da.

    Und drittens, darf hier jeder seine freie Meinung schreiben. Das hatte ich auch schon in einer anderen Geschichte geschrieben. Und ich finde es schade, das einem sofort widersprochen wird, wenn einem ein Kapitel nicht gefällt, oder man eine andere Meinung hat, wie andere Leser.

    Wie ich gelesen habe, feedest du auch gerade in einer Story und schreibst dort deine eigene Meinung. Und ich finde es Ok, wenn man es tut. Nicht jeder ist perfekt und auch nicht jedem Gefällt hier alles, was man so ließt. Doch warum wird man hier sofort von vielen angegangen?


    Liebe Micci,

    Niemand hat dir deine Meinung verboten oder dieser widersprochen. Ich habe sie lediglich hinterfragt, da sie mir in den Einzeiler-Posts nicht klar erschien.

    Dein letzter Post unterscheidet sich von den Einzeiler-Posts von gestern abend im Schreibstil zu 200%. Vielleicht hast du dir heute einfach mehr Zeit genommen. ;) Und diese Kritik kann ich dann auch nachvollziehen, ich kann sie greifen und ich weiss was du meinst als wenn du schreibst "Die Trauerist kindsch."

    Niemand, absolut niemand hat dich für deine Meinung hier angegangen. Nicht hier und nicht in einem anderen Feed-Thread. Wenn man aber feedet, dann muss man manchmal damit rechnen, dass Autor und auch Mitfeeder hin und wieder diese Meinung hinterfragen, was nichts damit zu tun hat, dass sie diese Meinung nicht akzeptieren.

    Dieses Beharren auf absolute Meinungsfreiheit und den Vorwurf der Einschränkung dieser wenn jemand mit der eigenen Meinung nicht konform geht, ist leider (auch hier von anderen benutzt) ein sehr sehr propates Mittel, Diskussionen im Keim zu erstickrn.

    Also: Wenn du feedest und ich deine Feeds in Zukunft ebenfalls nicht nachvollziehen kann, werde ich sie sachlich, wie gestern abend, hinterfragen. Denn negative Kritik bringt mir nur etwas, wenn ich den Kritikkern erkennen kann, ansonsten ist sie wertlos. Und genauso habe ich auch in Melli's Story gefeedet, die du vermutlich zufälligerweise ansprichst.

    Liebe Grüße

    Hmm, irgendwie haben mich die nächsten Kapitel gar nicht gepackt.

    Semir nimmt mir Alex Todesnachricht sehr "unemotional" hin. Da ist wenig von Trauer zu spüren, obwohl die beiden Partner waren. Auch die Erzählung, was passiert ist, ist eine bloße Aneinanderreihung von Handlungen, die Semir beschreibt. Wie er sich dabei fühlt, als er das erzählt, bleibt komplett unerwähnt, und so liest es sich wie eine Bedienungsanleitung.

    Auch dass Andrea so schnell die Segel streicht, passte wieder gar nicht zu dem Charakter Andrea, ihren Mann so schnell "in Ruhe" zu lassen. Später, als die Kinder dabei sind, ist Alex, bis auf die Erwähnung der Beerdigung, überhaupt kein Thema. :(

    Bei der Beerdigung bis zum Anschlag kam bei mir irgendwie auch keine Trauerstimmung auf. Das wirkte alles so steril. Ich fand es vor allem auch komisch, den Anschlag erst aus Sicht des Attentäters passieren zu lassen, und dann aus Semirs Sicht... die Spannung war da irgendwie schon weg. Ein wenig Lachen musste ich sogar, als der eiskalte Killer darauf achtete, keine Unschuldigen zu treffen, während er einen "eiskalten" Mord begeht. Das passte ebenfalls nicht....

    Jenny's Wohnung - 13:00 Uhr


    Ein bisschen dösen... nur ein ganz klein wenig schlafen. Jenny hatte es sich, nachdem sie mit Juan telefoniert hatte, auf der Couch bequem gemacht, hatte sich eine Decke um den Körper geschlungen und den Kopf auf ein Kissen gelegt. Schützend hielt sie beide Arme vor ihren, noch flachen Bauch, unbewusst wie sie später, als sie aufwachte, feststellen musste. Als sie langsam ein wenig zur Ruhe kam, wurden auch die Schmerzen schwächer, die sie seit einigen Tagen spürte. Sie redete sich selbst ein, ruhiger zu werden... kürzer zu treten. Den Streß nicht an sich herankommen zu lassen. Doch je mehr Jenny darüber nachdachte, desto unruhiger wurde sie wieder, desto schneller begann ihr Herz in der Brust zu schlagen.
    Als sie schließlich auf ihrer Couch lag, erschöpft die Augen schloß und eigentlich nur ein paar Minuten dösen wollte, wurde sie ruhiger. Das weiche Kissen an der Wange, die warme Decke um ihren Körper und die leisen vertrauten Geräusche ihrer Wohnung um sie herum. Ob das leise Rauschen des Kühlschrankes, das Ticken der Küchenuhr oder das Schaben an der Decke, wenn Herr Hansen über ihr mal wieder den Esszimmerstuhl übers Parkett schob. Alles klang vertraut und friedlich in Jennys Ohren.


    Irgendwann kam dann auch diese ihr so vertraute Person ins Zimmer. Er legte seine Lederjacke ab, den Schlüssel auf den Küchentisch und trat langsam und leise ins Wohnzimmer. Seine hellblauen Augen schauten wie immer etwas melanchonisch, seine Haare standen wie immer wild vom Kopf ab und seine Kiefer mahlten einen Kaugummi. Jenny blinzelte, sie erkennte die Schemen nur verschwommen und obwohl sie nicht mit seinem Auftauchen rechnete, erschrak sie nicht. Sie spürte eine tiefe Ruhe in sich aufsteigen, als der Mann in schwarzer verwaschener Jeans und Shirt dicht an die Couch herantrat, vor ihr in die Hocke ging und seine Lippen die von Jenny sanft berührten. Zärtlich und schützend streichelte er dabei auch ihren Bauch über der Decke.
    Plötzlich war Jenny glücklich... einfach nur glücklich. Sie spürte die Anwesenheit des Mannes, sie spürte seine tiefe Liebe. Nichts von dem bösen dunklen Traum war mehr übrig, als sie dieses Gefühl der Ablehnung, der Verachtung gespürt hatte. Er war zurück, er war dicht bei ihr und ihrem Kind und es würde jetzt alles gut werden. Nur eins schmerzte sie: Sie wusste, dass sie träumte. Sie träumte einen herrlichen Traum, dass Kevin zur Tür reingekommen war, und sie auf der Couch umarmte. Dass er sagte, dass alles gut sei. Dass er sagte, sie niemals allein zu lassen.


    Als Jenny durch ein Klopfen an der Wohnungstür geweckt wurde, spürte sie ihre feuchten Wangen und einen kleinen dunklen Fleck auf dem Kissen neben ihrem Kopf. Es dauerte einen Moment, bis sie Traum und Realität wieder unterscheiden konnte, blinzelte etwas und richtete sich auf. "Wer ist da?" "Hier ist Andrea... störe ich?", erklang die so vertraute Stimme von hinter der Tür. "Ähm nein... warte kurz.", sagte Jenny, rappelte sich endgültig von der Couch auf und wischte sich die letzte Feuchtigkeit aus den Augenwinkeln. Mit einigen schnellen Schritten ging sie zur Küchenspüle und warf sich zwei Hände voll Wasser ins Gesicht, um etwagige Tränenspuren komplett zu entfernen. Ihr Bauch verhielt sich still... kein Schmerz, kein Ziehen.
    Dann öffnete die junge Polizistin die Tür und versuchte zu lächeln, als sie Andrea erblickte. "Hey. Ich wollte mal sehen, wie es dir geht.", sagte Andrea zur Begrüßung und die beiden Frauen umarmten sich gegenseitig. Jenny bat Semirs Frau herein und die nahm das Angebot gerne an. "Willst du etwas trinken? Einen Kaffee oder irgendwas?" "Nein danke... ich wollte nur mal kurz vorbeischauen, ich war in der Stadt etwas erledigen zu Mittag." Die Sekretärin der Dienststelle setzte sich auf Jennys Couch, die junge Polizistin nahm daneben Platz.


    "Wie geht es dir denn so?", fragte Andrea dann. Sie waren mittlerweile sehr gut befreundet, nachdem Andrea der jungen Kollegin nach einer Vergewaltigung und Kevins Verhaftung sehr beigestanden hatte. Jenny nickte tapfer: "Es ist alles okay. Ich versuch mich mit allem Möglichen ein bisschen abzulenken.", war ihre Antwort. Vor allem versuchte sie sich mit Hausarbeit abzulenken, sie ging spazieren, was aber eher wieder ihre Gedankenmaschine und somit die Erinnerungen anlaufen ließ. "Am liebsten würde ich wieder arbeiten..." "Das kann ich mir vorstellen. Aber die Chefin bleibt hart. Eine Woche sollst du noch zu Hause bleiben, meint sie." Die Polizistin seufzte. Auf der Dienststelle hätte sie zumindest eine sinnvolle Ablenkungsbeschäftigung, während sie hier nur auf die Idee kam, unbedingt alle Küchenschränke mal auszuräumen und zu reinigen, was allerdings überhaupt nicht notwendig gewesen wäre.
    "Und, wie gehts dem kleinen Menschen?", war Andrea's nächste Frage, wobei ihre Miene bei dieser Frage deutlich aufgehellter schien, als vorher. Auch Jennys Lächeln fiel natürlicher und sofort freundlicher aus, als sie kurz im Sitzen auf ihren Bauch blickte. "Alles gut. Die Morgenübelkeit ist fast komplett weg." "Ja, das hat bei mir auch nur die ersten zwei Monate angehalten. Jetzt wird er... oder sie... langsam anfangen zu wachsen." Es war eigentlich etwas, wovor Jenny ein wenig Angst hatte. Sie war nicht eitel, aber sie achtete auf ihr Aussehen und ihre Figur... und auf die war sie eigentlich immer sehr stolz. Sie hatte viel gelesen von Schwangerschaftsstreifen, Rückenbeschwerden und ähnliches. Trotzdem war sie so stolz auf ihr Kind, dass sie es andererseits kaum erwarten konnte, dass man ihr es auch von aussen ansah, dass sie schwanger war.


    "Wie gehts bei euch auf der Dienststelle?", fragte nun wiederrum Jenny. "Auch alles gut. Die Jungs haben einen neuen Fall und Hotte wollte bereits seine Pensionierung aufschieben, damit du ohne Probleme in Mutterschutz gehen kannst." Dabei lachte Andrea auf, und auch Jenny kicherte leise. Hotte Herzberger hatte eigentlich vor im Herbst in die wohlverdiente Rente zu gehen, was genau mit der Geburt von Jennys Kind zusammenfallen würde. Er hatte tatsächlich, mehr im Scherz als ernsthaft angekündigt, die Rente deswegen um zwei Jahre zu verschieben. Andrea wurde aber auch ein wenig ernster: "Es ist natürlich alles ein wenig komisch. Ich glaube, vor allem Semir und Ben wissen nicht, ob sie noch hoffen oder trauern sollen."
    Jenny seufzte, und alle Freude verschwand wieder aus ihrem Blick. "Das weiß ich selbst nicht, Andrea." Für einen Moment schwiegen die Frauen. "Aber würde er nicht alles dransetzen, sich zumindest bei mir zu melden, wenn er noch leben würde?" Es klang, als nehme Jenny sich selbst ein wenig die Hoffnung, und Andrea wollte, auch wenn ihr danach war, nicht zustimmend nicken. Sie selbst fühlte sich der jungen Polizistin gegenüber auch nicht angenehm, hatte sie doch Semir gegenüber Bedenken geäussert, nach Kolumbien zu fahren. Doch Jenny kam ihr diesem schlechten Gefühl zuvor. "Ich habe aber beiden gesagt, dass sie sich hüten sollen, nach Kolumbien zu fliegen. Das hätte Kevin nie gewollt."


    Diesmal nickte die Sekretärin zustimmend und nahm ihre Freundin tröstend und liebevoll in den Arm. Sie war froh, dass Jenny doch eine mental recht starke Frau war, die die Vergewaltigung damals recht schnell und gut, wenn auch mit etwas Hilfe, weggesteckt hatte und nun tapfer mit Kevins Tod umging. "Es tut vor allem Semir sehr leid, wie er und Kevin auseinander gegangen sind." "Das konnte doch keiner ahnen... und ich war zwar damals sehr erschrocken, was Semir getan hatte... aber auch darüber, was Kevin gesagt hatte.", gab die werdende Mutter zu. "Ja... trotzdem tut es ihm sehr leid." Die beiden Frauen sahen sich für einen Moment stumm an, die Geräusche um Jenny waren wieder so vertraut, wie eben, als sie auf dem Kissen lag. "Ach, Jenny...", seufzte Andrea und wieder hielten sich die Freundinnen Arm in Arm fest...

    Tolles Kapitel. Alles genau bis aufs kleinste Detail beschrieben.

    Aber die Hauptkommissare sollten sich mal wie immer auf ihren Fall konzentrieren und nicht diesem Kevin hinterher jammern.

    Hi Nicci,

    danke für dein Lob.

    Ich weiss ja nicht genau, ob du die Zusammenfassung gelesen hast. Nur zur Erklärung (wie auch in der Story beschrieben): Kevin war ein Partner von Semir und Ben und sehr enger Freund. Deswegen machen sich die beiden Sorgen bzw "trauern" über seinen Tod.

    Es wäre sehr unrealistisch, wenn sie das einfach abhaken würden :)

    Raststätte - 12:15 Uhr


    Semir hielt seinen guten Vorsatz ein... er wollte abnehmen. Weniger Süßigkeiten, weniger Fleisch, mehr Salat und Gemüse. Dafür war ihm regelmäßiger Spott seines Partners Ben sicher, der essen konnte, was er wollte aber einfach nicht zunahm, trotz seines eher geringen Sportantrieb. Einmal, vielleicht zweimal in der Woche ging er ins Fitnessstudio... meinst nur, wenn Kevin ihm so lange auf die Nerven gegangen ist, bis er sich endlich bequemt hatte. Doch im Prinzip hatte es der junge Polizist nicht nötig, er ass und ass, doch kein überschüssiges Gramm Fett blieb an seinem Körper haften. Bei Semir war das anders. Er kam jetzt langsam in ein Alter, in dem das Essen schlimmer ansetzte, als zuvor. Und weil er dem Kraftsport seit einigen Jahren sehr zugetan war, musste er darauf achten, nicht zu schwer zu werden.
    Als die beiden jetzt auf einer Raststätte hielten, auf dem Weg zu den Eltern der beiden Kinder die von dem Mordopfer missbraucht wurden, um Mittag zu essen, fiel das Mahl bei beiden sehr unterschiedlich aus. Während Semir sich den Teller zwar üppig vollpackte, allerdings ausschließlich mit Salat und Gemüse, setzte sich Ben mit einer Portion Pommes und einer Currywurst neben sich. "Hmm, Mittagessen für Hasen.", bemerkte er lächelnd. "Du weißt schon, dass du meinem Essen das Essen wegisst."


    Sie setzten sich in der Raststätte an einen freien Tisch und begannen zu essen. "Gut dass uns sowas wie heute morgen den Appetit nicht verderben kann." "Ben, DIR kann nichts den Appetit verderben.", merkte sein Partner an. Es war unruhig, wie in einer Kantine, von allen Seiten summten Gespräche, Geschirrgeklapper und Kindergekreisch. Es war sicher nicht der optimale Ort zum ruhigen Mittagessen, aber Ben und Semir bekamen hier Sonderpreise, es lag direkt an der Autobahn... und es schmeckte. Das war die Hauptsache, weswegen sie die unruhige Kulisse zum Essen auch in Kauf nahmen.
    "Also die Frau des Mannes scheidet wohl aus, oder?", stellte Ben eine eher rhetorische Frage, und sein Partner nickte zustimmend. "Das macht wirklich keinen Sinn. Auch wenn ihr Alibi natürlich eher schwach ist." "Ja, aber wenn du alleine lebst liegst du nun mal alleine im Bett. Ich hätte nachts momentan auch kein Alibi.", sagte Ben und zog zwei Pommes an der Gabel durch die Currysauce. "Wie gehts eigentlich Carina?", fragte sein bester Freund interessiert. Er wusste, dass sich Ben mit der Schwester des Mordopfers aus ihrem letzten Fall angefreundet hatte. Der Polizist hatte die junge Frau unterstützt, nachdem auch ihre Mutter kurz nach dem Fall an einem Herzinfarkt verstorben war. Als Antwort blickte Ben etwas arggewöhnisch. "Ihr gehts ganz gut... aber sie schläft nicht bei mir." "Hey, darauf hat die Frage doch gar nicht abgezielt..."


    Für einen Moment aßen sie stumm weiter, bis der junge Polizist bei seinem älteren Partner auf den Teller sah. "Wie kann man das nur jeden Tag essen? Du musst doch auch mal wieder ein Stück Fleisch auf den Teller bekommen." "Mann Ben, es ist gesund!", antwortete Semir, wobei er das u in "gesund" besonders lang zog. "Salat schaltet zum Beispiel freie Radikale aus." Ben zuckte mit den Schultern und meinte: "Das tut ein Schlagstock auch." Als Ergebnis auf Semirs Lacher mit halbvollen Mund erreichte die Salatsoße fast Bens Pommes, und auch der Verursacher des Witzes musste lachen. In dieser Zeit, in der sie mit dem Tod von Kevin bzw seinem Verschollensein klar kommen mussten, tat es unglaublich gut, einander zu haben.
    "Ach Ben... wenn ich daran denke, wie sehr ich mich alleine kaputt gemacht habe, als damals Tom und Chris ums Leben gekommen sind... oder André scheinbar...", sagte er, nachdem das Lachen verklungen war und er kurz inne hielt: "Dann tut es so gut, dass jetzt jemand da ist, der ähnlich fühlt wie ich." Die beiden Männer blickten sich an. "Ich meine, klar war damals Andrea da, die Chefin, Bonrath und Hotte... aber es war was anderes. Die drei waren meine Partner, meine Freunde. Und plötzlich standest du alleine da, hast allein im Büro gesessen... du hast dich einsam gefühlt, obwohl du es nicht warst."


    Ben nickte, er konnte seinen Partner verstehen. Er hatte selbst mitbekommen, wie es Semir in dieser Einsamkeit ging, weil er direkt auf Chris Ritters Tod zur Autobahnpolizei gekommen ist. Damals jagte er mit Semir zusammen Chris' Mörder Sander Kalvus und bekam in dieser Ausnahmesituation zu Beginn die ganze Ablehnung des Polizisten zu spüren. Toms Tod zu verarbeiten war für Semir noch schwerer, da Tom ein noch engerer Freund war als Chris, und er mit dem verschlossenen Polizisten damals ein schwieriges Verhältnis hatte, war der ehemalige Undercover-Kommissar sogar höchst verdächtig, Toms Mörder zu sein.
    Jetzt litten Ben und Semir, sowieso unzertrennliche Freunde, gleichermaßen unter Kevins Tod. Sie hatten beide ein ähnliches Verhältnis zueinander, Ben vielleicht freundschaftlich etwas enger aufgrund des ähnlichen Alters und der gleichen Vorlieben trotz des unterschiedlichen Charakters. Aber das Verhältnis zwischen Semir und Kevin war ein Besonderes. Kevin hatte den erfahrenen Polizisten mal als "großen Bruder" bezeichnet, weil er durch seine Art Zugang zu dem schweigsamen Mann gefunden hatte, und ihn beeinflusst hat. Dieser Zugang wurde mit der Zeit zwar schwieriger und schwieriger, dieser Satz hatte Semir aber sehr berührt. Damals hatte Kevin leichtsinnig sein Leben für den Familienvater aufs Spiel gesetzt. Aber weil sie bitte gleichermaßen am Tod von Kevin zu knabbern hatten, so waren sie beide füreinander da. Ob sie sich gegenseitig trösten mussten, wenn einer von Erinnerungen überfallen wurde, sie sich gegenseitig mit Scherzen aufzogen, um mal wieder zu lachen, oder beide die Waage hielten zwischen ganz kleiner Hoffnung auf ein Happy-End und dem Akzeptieren der Realität.


    "Wie gehts jetzt eigentlich weiter?", fragte Ben, als er sich mit der Serviette den Rest der Currysauce von den Lippen wischte. "Na, jetzt fahren wir trotzdem noch beide die Eltern der Kinder. Alibi prüfen... und dann hoffen, dass Meisner vielleicht doch noch ne bahnbrechende Spur an der Leiche findet, oder seine Mitarbeiter vielleicht im Umkreis der Leiche noch Spuren findet.", antwortete sein Partner und legte die Gabel in die Salatschüssel zurück. "Nein, ich meine... mit der Botschaft. Meldet die sich nochmal, was machen die jetzt noch?" Semir seufzte und fuhr sich mit der Hand kurz über die Stirn. "Normalerweise wird die Botschaft in solchen Fällen noch Zeugen befragen wollen. Das wären also Juan und Annie. Die ermitteln dann im Auftrag der deutschen Regierung, was mit einem verschollenen Landsmann passiert ist.", erklärte er, denn er hatte sich die Tage mal über die Vorgehensweise erkundigt. "Ähnlich, wenn zum Beispiel in Österreich jemand verunglückt... da findet man die Leiche ja meist in den Gletschern auch nicht. Oder bei einem Flugzeugabsturz. Wenn es genügend Indizien gibt, wird die Person offiziell für tot erklärt." Ben amtete tief durch und lehnte sich im Stuhl zurück. Es werden also Fakten gegeneinander aufgewogen, wie bei einem ihrer Kriminalfälle... und dann entschieden. Schuldig oder unschuldig, tot oder lebendig. Vielleicht nur aufgrund von Indizien, ohne eindeutige Beweise. Eine Gewissheit würden sie niemals haben. "Das kann halt gut sein aufgrund der Beschreibung der Leiche, Juans Aussage über den Fluss... und je nachdem, ob das Handy aus dem Fluss wirklich von Kevin ist." Semir deutete damit schon ein wenig an, dass dies ausreichen könnte, um ihren Freund und Parnter für tot zu erklären.


    "Du bist immer noch nicht weg von dem Gedanken, dorthin zu fahren?", fragte Semir nach einer kurzen Weile. Ben nickte wahrheitsgemäß. "Es fühlt sich so an, als würden wir ihn im Stich lassen. Als würden wir ihn einfach seinem Schicksal überlassen." "Ich weiß. Das Gefühl überkommt mich auch hin und wieder.", gab sein Partner zu. Wieder schwiegen sie für einen Moment, als müssten sie sich selbst einreden, dass es Unsinn, Wahnsinn, Leichtsinn war nach Kolumbien zu fliegen. Sollte man die Toten schon ruhen lassen, bevor man sich wirklich sicher war, dass sie tot waren? "Jenny hat mir gestern abend quasi verboten, überhaupt darüber nach zu denken.", sagte Ben irgendwann beinahe kleinlaut, was Semir aufschauen ließ. "Sie will also auch nicht, dass wir nach ihm suchen?" Sein bester Freund schüttelte den Kopf. "Sie würde es nicht ertragen, wenn uns deswegen etwas passiert. Wegen deiner Familie... wegen Carina... und natürlich auch wegen ihr selbst." Wieder kurzes betretenes Schweigen, und es fühlte sich für die beiden Männer so an, als schweige die komplette Raststätte mit ihnen, obwohl es immer noch so laut war wie vorher. "Ausserdem...", sagte Ben noch dazu "... meinte sie, dass es Kevin selbst niemals verlangt hätte, dass wir uns in eine so große Gefahr begeben würden." "Tja... da hat sie wohl vollkommen Recht.", sagte Semir leise...

    Gabriel's Haus - 11:00 Uhr


    Eigentlich war es nicht Gabriels Zeit, wach zu sein. Er war ein Nachtschwärmer, dem die Helligkeit ein Graus war und fühlte sich nur wohl, wenn er die Sonne weder sah noch spürte. Sein Haut war blass, seine Lippen schmal und um seine Augen lag immer ein leichter Schatten. Seine langen, wasserstoffblond gefärbten Haare hatte er zu einem Zopf zusammengebunden, und es gab an seinem Aussehen keinerlei Kontrast, da er immer helle Kleidung trug. Aufgrund seiner hellen Haut bekam er in nur kurzer Zeit einen Sonnenbrand... ein Grund mehr, das feindliche Licht zu meiden. Die Rolläden seiner Wohnung waren deshalb immer geschlossen, als Lichtquelle dienten oftmals nur Kerzen oder einzelne Glühbirnen, die den Raum allerdings nur notdürftig erhellten.
    Warum er jetzt wach war, lag eigentlich nur daran, dass er mehrere Telefonate führen musste. Es war ihm ein Graus, diese elektronischen Hilfsmittel zu nutzen, doch in der heutigen Zeit konnte man sich nicht ständig, Auge in Auge, treffen um Dinge zu verabreden, um zu reden. Es kostete zuviel Zeit, mehrere hundert oder sogar tausende Kilometer zu überwinden. Seine Gruppe der Engel, Gottes Diener und Richter, hatten heute Nacht zum ersten Mal zugeschlagen. Das wollte er dem Anführer einer weiteren Engelsgruppe aus der Schweiz, berichten.


    "Ich bin sehr gespannt auf die Reaktionen darauf, Gabriel. Möge Gott über euch wachen, wenn ihr seine Arbeit erledigt.", sagte der junge Mann, der sich selbst Seraphim nannte. "Das kannst du. Es wird ein großes Echo geben... und nach und nach wird die Menschheit merken, dass die Zeit der Strafe gekommen ist." Mit dem Hörer in der Hand schritt Gabriel von der Küche zum Sofa und zurück, ohne still zu stehen. Immernoch flossen Glückshormone durch seinen Körper, wenn er daran dachte, den Mann in Gottes Namen bestraft zu haben. Der Mann, der schlimmes Leid über die unschuldigsten der Menschen, ein Kind, gebracht hatte. "Die Menschen werden merken, dass die Zeit ihrer Sünden nun zu Ende ist. Wir sind bereit für den Krieg." Seraphim, am anderen Ende der Leitung, nickte stumm.
    "Es ist schön zu hören, dass eure Engelsscharen soweit sind. Bei uns gibt es leider noch einige Zweifler, und wir wissen nicht, wann wir den ersten Schlag gegen die Menschheit landen können.", gab er zu und klang dabei nicht glücklich. "Die Gottes Gesandten müssen an dich als ihr Hirte glauben. Du musst die Position Gottes einnehmen, damit sie dir folgen.", riet Gabriel ihm. Der blonde Mann wusste, dass Seraphim noch recht jung war, und von Gabriel persönlich ausgewählt, gläubige Gottesgesandte um sich zu scharen, um den Kampf gegen die Menschheit von der Schweiz aus heranzutreiben.


    "Bei wem habt ihr begonnen, Gabriel?", war dann die Frage Seraphims, der die Neugier nicht in sich behalten konnte. "Ein kranker Mann von schrecklicher Sünde. Ein Mann, der die schrecklichste aller Sünden begangen hat, einem unschuldigen Menschen, unbefleckt und rein in der Seele, ein Brandmal aufzudrücken." Die Stimme, mit der Gabriel sprach, war ruhig und in sich gekehrt, ohne Wut oder Erregung aber einer tiefen Genugtuung. "Wir haben ihm die schwarze Seele aus seinen leiblichen Hüllen entfernt und in die Scheol verbannt. Er musste leiden, wie auch die gelitten haben, denen er Sünde angetan. Mein Freund, morgen wirst du es erfahren." Die Genugtuung, die Aufgabe Gottes heute Nacht gut ausgeführt zu haben, ließ ihn leise aufseufzen, als er den Kopf in den Nacken legte, und die Augen schloß.
    "Ich werde euch unterrichten, wenn es hier weitere Schwierigkeiten gibt. Aber bitte, gebt mir noch etwas Zeit.", sagte Seraphim zu Gabriel, der am Telefon nickte. "Engelsbruder, du wirst Zeit haben, die deinigen auf diese große Aufgabe vorzubereiten. Sei ihnen ein guter Hirte, der auf seine Schaafe wacht und sie lehrt, gegen den Feind Mensch erbarmungslose Wölfe zu sein. Unser Kampf hat jetzt erst begonnen, und er wird nicht eher enden, bis dass der letzte Sünder dieser Erde ausgerottet wurde, und wir das Paradies zurückbekommen, aus dem wir wegen des Menschen verbannt wurden."


    Jenny's Wohnung - 11:15 Uhr


    Jenny fühlte sich erschöpft, müde... ja beinahe ausgelaugt, als sie von Annie zurückgekommen war. Ihr war übel und sie hatte heute noch nichts gegessen, jetzt musste sie erstmal ein wenig Flüssigkeit zu sich nehmen, sonst würde ihr Kreislauf wohl gleich komplett in den Keller sacken. Das Gespräch mit Annie hatte ihr auf der einen Seite gut getan, auf der anderen Seite spürte sie eine tiefe Traurigkeit. Traurigkeit nicht nur über den Verlust von Kevin, sondern vor allem bei der Vorstellung, seines früheren Lebens. Dass er ein so lebensfroher Kerl war, und was der Tod seiner Schwester aus ihm gemacht hatte. Seine Melancholie, sein Schwermut... alles was er tat, sagte und fühlte war überschattet von seinem Dämon. Es gab nur wenige Momente in denen Jenny fühlte, dass er glücklich war, frei von Janines Schatten, frei von dem Zwang. Es waren meist Momente, wenn sie beide alleine miteinander waren. Wenn Jenny in seinen Armen lag, langsam auf der Couch einschlief, wenn sie zusammen im Bett waren und ihre innige Zweisamkeit genossen. Oder wenn es stressig wurde auf der Arbeit, wenn er die Kontrolle behalten konnte und der starke Fels in der Brandung war. In diesen Momenten war er frei von allen dunklen Schatten, die sich sonst bei ihm aufhielten. Die junge Polizistin hätte gerne den jungen Kevin ebenfalls kennengelernt, während sie selbst jung war, das lebensfrohe Energiebündel, das nicht stillstehen konnte... auch wenn es die, von Annie beschriebenen Schattenseiten ebenfalls gab. Die Gewalt, seine Aggression, sein verpfuschtes Elternhaus. Beinahe war es ein Wunder, dass Kevin es trotz allem zu einer solch seriösen Anstellung, wie der eines Polizisten geschafft hatte, auch wenn dies eine Rolle war, die er eher akzeptierte, als dass er sie lebte.


    Das leichte Ziehen und Stechen in ihrem Bauch hörte langsam auf, je mehr sie zur Ruhe kam. Dann nahm sie die Handynummer, die Annie ihr gegeben hatte, und wählte sie auf dem Smartphone mit zitternden Fingern. Das monotone Tonsignal, das Jenny nun hörte, kam ihr mechanisch und ganz weit weg vor, bis sich die Stimme mit dem Akzent meldete, die ihr vor zwei Wochen die schlimme Nachricht überbracht hatte. "Sí?" "Juan... hier ist... hier ist Jenny. Kevins Freundin." Es herrschte für einen Moment Stille im Apparat und die junge Polizistin lauschte atemlos, ob der Kolumbianer nun sofort auflegte, oder doch antwortete. "Jenny? Was... was kann ich für sie tun?", fragte er höflich und sein spanischer Akzent war unüberhörbar.
    Jenny fuhr sich mit der Zunge über die Lipppen, bevor sie weitersprach. Natürlich hatte sie ein bestimmtes Anliegen, aber das wollte sie nicht am Telefon klären. "Also zuerst... wollte ich mich bei ihnen bedanken, dass sie... dass sie Kevin geholfen hatten. Ich habe das vor zwei Wochen nicht getan... mich bedankt." Ihre Stimme wurde erst nach einigen Sätzen langsam sicherer, und diese Sicherheit gab ihr vor allem die klare und unaufgeregte Stimme von Juan. "Das ist doch völlig normal. Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen oder zu bedanken." "Ich wollte fragen, ob wir uns vielleicht zu einem Kaffee treffen könnten... heute Nachmittag. Ich habe da noch ein paar Fragen, was im Dschungel genau passiert ist." Wieder ein kurzes Schweigen, denn Juan, der von Natur aus skeptisch war, war sich nicht sicher, welche Absichten Jenny wirklich verfolgte. Denn der Kolumbianer wusste nun, dass Jenny eine Polizistin war... dass Kevin scheinbar ein Polizist war... und dass er ein Verbrecher war. Doch sollte die Freundin eines Mannes, der vor zwei Wochen ums Leben gekommen ist, und den Juan nur aus einem puren Zufall heraus kannte, jetzt plötzlich gegen ihn ermitteln? Nachdem er versucht hatte, ihrem Freund zu helfen?


    "Sehr gerne, Jenny. Wo... wo wollen sie sich treffen? Ich kenne mich ja hier nicht so gut aus." Jenny nannte ihm eine Adresse in der Kölner Innenstadt, ein neutraler Ort im Einakufsviertel, wo man ruhig und nett in einem Cafe sitzen konnte. "So gegen 15 Uhr?" "Okay, sehr gerne. Bis dann, Jenny.", verabschiedete Juan sich höflich. Das Herz der Polizistin schlug fest gegen den Brustkorb, als sie das Telefonat beendete, und auch das kurze Ziehen im Bauch, machte sich wieder bemerkbar...

    Hi Melli,

    Ich lese momentan etwas quer im Story-Archiv und wollte diese Story mal etwas verfolgen, weil sie nicht besonders lang im Gesamten ist, und deshalb für mich ganz gut zu schaffen ist. Wie ich vorankomme weiß ich nicht, habe auch die anderen Feeds hier nicht gelesen um nicht gespoilert zu werden.

    Der Beginn im Krankenhaus ist schon mal recht rätselhaft, wirft Fragen auf und ist als Einstieg sicher gelungen. Allerdings wird man direkt zu Beginn mit einigen Rechtschreibfehlern und merkwürdigen Kommasetzungen konfrontiert. Word leistet da ganz gute Abhilfe ;).

    Ganz klar war mir nicht, warum Semir antwortet, dass er sich an alle Einzelheiten erinnern konnte, aber dennoch alles vom Arzt erklären ließ. Nicht nur die Verletzung, sondern auch den Hergang. Und was mit Alex war, weiß er auch nicht, insofern kann er sich scheinbar doch nicht erinnern. Sollte die Aussage allerdings ironisch gewesen sein, würde es logisch passen, nur bekommt der Leser es nicht mit, das hätte man dann erwähnen müssen.

    Im zweiten Kapitel erfahren wir dann von Alex' Tod. Einen Hauptchara sterben zu lassen ist immer etwas Besonderes, nur finde ich es hier im Nachgang irgendwie etwas... weiß nicht... hingeklatscht. Ja, Alex ist tot. Hmm. Da fehlt mir die Dramatik irgendwie, aber vermutlich wird der komplette Fall um Alex Tod aufgebaut. Da lasse ich mich dann gerne überraschen. Nela ist natürlich emotional betroffen, und schön wie ihr Erinnerungen in den Kopf kommen. Aufgefallen sind mir da nur zwei Wiederholungen innerhalb dreier Sätze, die zweimal mit "Zu groß..." beginnen. Das stolpert etwas.

    Die Atmosphäre auf der PAST war recht gut eingefangen, wenn mir auch nicht ganz klar war, warum Andrea unbedingt dorthin musste. Ihr Mann schwer verletzt noch in Narkose wäre Andrea keinen Millimeter von ihm gewichen. Die Chefin informieren hätte sie auch mit einem kurzen Telefonat können. Da waren mir die Prioritäten nicht gut verteilt, hinsichtlich der Serie und dem Handeln der Charaktere.

    Was mir allgemein in den zwei Kapiteln noch aufgefallen ist, sind hin und wieder eine Aneinanderreihung von Kurzsätzen. Da könnte man variabler schreiben, bin da aber selbst eher ein Freund von Schachtelsätzen, das gefällt auch nicht jedem ^^ Was schön war ist, dass du oft in die Charaktere hineinblickst, und die Gefühle beschreibst statt einfach nur stumpf die Abfolge der Handlungen aufzuschreiben.

    Puh, etwas lang geworden. Werde die Story die Tage noch weiter nachlesen.

    Neubaugebiet - 10:00 Uhr


    Es war wie ein Stimmungswechsel, was die beiden Kommissare erlebten. Von der grausamen Realität der entstellten Leiche an der Autobahnbrücke weg zu einem sonnigen Neubaugebiet, wo die Welt einfach eine Bessere zu sein schien. Hübsche saubere Häuserfronten, gemachte Vorgärten und ein paar grüne winterharte Blumen, die der Kulisse Farbtupfer verliehen, da die restlichen Bäume noch kahl waren. Weil die Sonne in diesen kalten Vormittag schien, kam es den Polizisten wahrlich paradiesisch vor, als sie mit Tempo 30 durch die verkehrsberuhigten Straßen fuhren, auf dem Weg zum ehemaligen Wohnhaus von Heribert Greuler. Das Haus war eins der größten und ältesten in der neuen Siedlung, vielleicht 15 Jahre alt und sah noch immer aus, als wäre es gestern erst gebaut worden.
    Es lag am Ende einer Sackgasse und Semir hielt den silbernen BMW auf dem Bordstein. Als die beiden ausstiegen traf sie sofort die kalte Luft, denn im Inneren des Autos war es angenehm warm. "Nette Gegend hier, hmm...", meinte sein Partner Ben und sah sich um. "Bilderbuch-Siedlung. Hier würde niemand vermuten, dass ein Kinderschänder direkt neben ihm wohnt.", bestätigte Semir und die beiden gingen den kleine gepflasterten Weg zur Haustür. Der Name "Greuler" war an der Klingel nirgends zu sehen, stattdessen stand dort "Minninger".


    Es dauerte nach dem Klingeln nur wenige Minuten, bis geöffnet wurde. Eine schlanke Frau mit scheinbar blondierten Haaren und Brille öffnete die Tür. Trotz ihrer leichten Grübchen um den Mund sah sie noch recht jung aus, und war zwar wohnlich, aber dennoch recht teuer gekleidet. "Ja?", fragte sie höflich, als sie die beiden fremden Gesichter erblickte. "Guten Tag, Kripo Autobahn, mein Name ist Gerkhan, das ist mein Kollege Jäger.", ratterte Semir seinen Standardspruch herunter, den er in seiner Polizeilaufbahn schon so oft gesagt hatte... nur manchmal mit einem anderen Namen hinsichtlich seiner Partner. "Und was kann ich für sie tun?" "Sind sie die Ehefrau von Heribert Greuler?", fragte Ben und hatte ebenfalls kurz seinen Dienstausweis in der Hand. Das Gesicht der Frau, die gerade noch lächelte, schien einzufrieren. "Exfrau, wenn ich bitten darf.", sagte sie verkniffen. "Wieso?" "Können wir kurz hereinkommen? Wir möchten das nicht im Vorgarten besprechen.", bat der erfahrene Kommissar, und Frau Minninger ließ die beiden Polizisten eintreten.
    Das Innere des Hauses war mit den teuersten und modernsten Materialien ausgestattet. Ben kannte sich damit ein wenig aus, seine Penthouse-Wohnung war preislich in der gleichen Kategorie, während Semir sich eher mit gehobenem Standard, dafür aber auch einem ordentlichen Kredit bei der Bank begnügen musste. Beide nahmen auf einer Ledercouch im Wohnzimmer Platz, Frau Minninger bot Tee und Kaffee an, doch die beiden Kommissare lehnten dankend ab.


    "Also... wenn sie was von meinem Ex-Mann möchten, dann müssen sie nach Chorweiler fahren. Dort wohnt er zur Zeit.", sagte sie wobei sie das Wort "wohnt" sehr süffisant betonte. Semir schüttelte den Kopf. "Nein, Frau Minninger, dort wohnt er nicht mehr." "Wie meinen sie das?" Ben bedachte seinen Partner mit einem kurzen kritischen Blick. "Frau Minninger, ihr Ex-Mann wurde heute Nacht umgebracht." Für einen Moment war im Wohnzimmer nur das Ticken der Wanduhr, die gar nicht in das moderne Ambiente passen wollte, zu hören. Abwechselnd sah die blonde Frau Semir und Ben an, als wartete sie darauf, dass einer von ihnen den Scherz auflösen würden. Ihre Reaktion war gefasst, bis auf ein kurzes, hörbares Ausatmen beinahe emotionslos. "So... und... wie, also... wer ist dafür verantwortlich?", fragte sie und Semir wertete es als Schutzfrage, weil ihr ihre eigene Reaktion vermutlich unangenehm war. "Das wissen wir noch nicht, wir haben ihn erst heute morgen gefunden.", sagte Ben und setzte dazu: "Aufgrund ihrer Reaktion gehe ich davon aus, dass sie nicht mehr viel Kontakt zu ihrem Ex-Mann hatten?"
    Hanna Minninger schluckte kurz, fuhr sich mit der Hand über den Mund und brach den Augenkontakt für einen Moment ab, bevor sie antwortete. "Ich nehme an, sie wissen dass mein Mann im Gefängnis saß... und weswegen?" Die beiden Polizisten nickten einig. "Dann können sie sich sicher vorstellen, welche Auswirkungen so etwas auf ein Familienleben hat... auf das eigene Berufsleben und das Leben unserer Kinder."


    Der erfahrene Polizist ließ sofort die Augen im Zimmer umher gehen, als Hanna ihre Kinder ansprach. Er sah einige Bilder auf einem Ecktisch stehen, die ausschließlich die blonde Frau, sowie zwei Mädchen sah, die auf den Bildern vielleicht 10 und 13 Jahre alt waren, zum Zeitpunkt der Verhaftung ihres Vaters also vielleicht 5 und 8. "Ich habe mich sofort nach der Verurteilung von meinem Mann getrennt, und hatte keinerlei Kontakt zu ihm. Dass er vor einem halben Jahr aus dem Gefängnis entlassen wurde, habe ich nur über unseren Anwalt erfahren. Ich hätte mich melden sollen, falls Heribert versuchen sollte, Kontakt zu mir oder den Kindern aufzunehmen. Hat er aber nicht." "Woher wussten sie dann, wo er wohnt?", fragte Semir interessiert. "Ebenfalls durch unseren Anwalt."
    "Frau Minninger, ich muss sie das fragen. Aber hat sich ihr Ex-Mann auch... also... ging es bei dem damaligen Verbrechen auch im die eigenen Kinder?" "Nein!", antwortete die Frau sofort. "Die Kinder wurden damals von Psychologen betreut und befragt. Sie hatten glaubhaft angegeben, dass Heribert sie nie angerührt hatte." Ben und Semir tauschten Blicke aus. Es war für sie unvorstellbar, wie eine Frau, die einen Mann liebte, mit so einer schlimmen Situation umging. Hanna Minninger schien zumindest jetzt eine psychisch sehr stabile Frau zu sein, die ihre persönlichen Konsequenzen gezogen hatte. "Sie haben ihren Mann doch sicher geliebt. Was haben sie empfunden, als sie erfuhren, was geschehen ist?", hakte Ben trotzdem nach, um zumindest die Gefühle der Frau zu erkunden... und ob diese Gefühle auch in Hass umschlagen konnten. "Was würden sie empfinden, wenn sie erfahren dass ihr Mann ein Kind vergewaltigt hat?" "Das weiß ich nicht, deswegen frage ich sie ja?"


    Hanna Minninger schaute Ben mit funkelnden Augen an, sie hatte die Hände in den Schoß gelegt und bließ äusserlich ganz ruhig. "Abscheu. Ekel. Hass. Ich war fassungslos und geschockt. Und gleichzeitig erleichtert, als ich erfuhr, dass meine Kinder unversehrt waren." "Wo waren sie denn heute Nacht zwischen 2 und 5 Uhr?", fragte Semir nun. "Ist das ihr Ernst? Heribert ist seit einem halben Jahr draussen, und ich war Gott froh, dass er nie Anstalten gemacht hatte, sich bei mir zu melden oder die Kinder zu sehen. Warum sollte ich ihn denn plötzlich umbringen?", fragte die Blondine nun, und ihr Stimmlage war nun zum ersten Mal ein wenig erregt. "Bitte, das ist nur Routine." "Ich war in meinem Bett. Alleine und ohne Zeugen." Semir nickte... es war natürlich ein schwaches Alibi, aber der erfahrene Kommissar fand bei der Frau kein Motiv. Sie hatte Recht, warum sollte sie nach einem halben Jahr Funkstille zum Mörder werden... wenn es denn wirklich bei der Funkstille blieb. "Was hat er Mann denn gearbeitet, wenn ich fragen darf?" "Mein Mann war Buchhalter in einer Elektrikfirma." Fast zeitgleich sahen sich die beiden Polizisten, ohne Absprache, verblüfft im Raum um, als könnten sie es nicht glauben, dass man mit diesem Beruf sich so ein luxuriöses Haus leisten konnte. Doch Frau Minninger kam ihnen zuvor: "Und bevor sie sich ihre Köpfe zerbrechen... ich arbeite in führender Position in einer der größten europäischen Banken. Deswegen wohnte mein Mann auch nach seiner Haftstrafe in Chorweiler, und nicht ich." Es klang ein wenig überheblich, war aber doch eine Erklärung für die Kommissare, denen ihre optische Auffälligkeit beinahe ein wenig peinlich war.


    Semir und Ben bedankten sich für die Informationen, drückten förmlich auch ihr Beileid aus, obwohl sie wussten, dass die Frau darauf scheinbar keinen Wert legte, denn allzu geschockt schien sie vom Tod ihres Mannes nicht zu sein. Auf dem Weg zur Haustür fiel Ben aber noch eine Frage ein: "Frau Minninger... war ihr Ex-Mann sehr reinlich?" Semir schaute kurz verwirrt, erinnerte sich dann aber sofort an die penibel gesäuberte Wohnung. "Wie meinen sie das?" "Naja... hat er sehr darauf geachtet, dass es überall sauber war? In seiner Wohnung schien es beinahe klinisch rein zu sein." Die blonde Frau nickte zögerlich: "Ja, das passt zu ihm. Klinisch kann ich zwar nicht behaupten, aber er hat sich immer sehr an Staub oder Krümel gestört, hat jeden Tag sein Büro im Keller gestaubsaugt und sauber gemacht. Einen kleinen Putzfimmel hatte er schon." "Danke, Frau Minninger... schönen Tag noch."
    Als die Haustür geschlossen wurde und die beiden Polizisten in Richtung ihres Dienstwagens gingen, fuhr Ben sich, laut ausatmend, durch die langen Haare. "Puuuh... ich weiß gar nicht, was ich davon halten soll." "Wieso? Ich finde ihre Reaktion ziemlich nachvollziehbar.", sagte Semir sofort und betätigte mit einem Druck auf den Schlüssel die Zentralverriegelung des BMWs. "Ja schon. Irgendwie... aber geht das, von einem auf den anderen Moment, von Liebe auf Hass umzuschalten?" "Bei sowas schon..." Semir hatte selbst Kinder, Ben nicht. Vielleicht konnte er eher nachfühlen, was in einem vorging. "Jedenfalls war es gut, dass du nach den eigenen Kindern gefragt hast. Ein wirkliches Motiv scheint sie ja nicht zu haben.", meinte der Polizist mit dem Wuschelkopf, und die beiden Polizisten setzten sich wieder ins Auto.

    Die Serie bietet momentan einfach für niemanden einen Anreiz. Für Comedy-Fans nicht, dafür sind die Folgen zu "ernst" bzw der Humor zu niveauvoll. Für Thriller-Fans nichts, dafür sind die Folgen zu locker und ohne Zug, ohne Düsterheit. Für Action-Fans nur bedingt, den viel Action ist unterm Strich auch nicht, und wenn, dann schlecht eingesetzt. Bis jetzt war jede Explosion dieser Staffel ohne Wert und nur, als ob man eine Liste von Dingen abarbeiten müsste, die in einer Cobra 11-Folge vorkommen müssen. Und für Fans von tiefen Charakteren ist sie zur Zeit auch nichts, da der neue Paul Renner einfach "nur" ein Partner ist, und momentan nicht mehr. Der fehlende rote Faden dito.

    Man hat bei RTL einen Fehler gemacht: Die Zeit zurückgedreht und ich muss zugeben, dass ich da selbst falsch lag. Ich dachte, wenn man das Niveau der Tom-Kranich-Ära nochmal herholt, läufts. Bodenständige Fälle, gut portionierter Humor. Hat man jetzt wieder, aber es lockt nicht mehr, weil man bei RTL in den letzten Jahren andere Erwartungen geweckt hat. Nämlich Erwartungen geweckt an moderne Serien-Elemente: Interessante Hauptcharaktere, horizontale Erzählung, roter Faden, Thriller-Atmosphäre. Alles weg... man ist irgendwie komplett auf den Stand von 2003 zurückgefahren.

    Lagerhalle - 9:20 Uhr


    Jennys Kleinwagen hielt auf dem Seitenstreifen vor dem Industriegebiet, und ein wenig mulmig war ihr schon. Kevin hatte ihr von diesem Ort erzählt, sein Rückzugsort seiner Jugend. Hier kam er mit Annie zusammen, hier feierte er mit seinen Freunden die wildesten Parties und von hier zog er damals mit seiner Schwester los bevor die Katastrophe passierte, die sein ganzes Leben verändern sollte. Die junge Polizistin hatte lange darüber nachgedacht, ob sie das tun sollte, was sie gerade vor hatte... doch es gab keinen Weg zurück. Es brannte ihr auf der Seele, und sie wollte damit aufräumen. Mit einem Ruck stieg sie aus dem Wagen und stiefelte durch den morgendlichen Sonnenschein auf das Eingangstor der Halle zu.
    Innen war es kalt und zugig, ihr Kommen blieb nicht unbemerkt. Noch bevor sie die ersten Meter der Halle durchschritten hatte, kamen zwei Jugendliche mit bunt gefärbten Haaren auf sie zu und nahmen eine bedrohliche Haltung an. "Hey... was wird denn das hier?", fragte einer und sie stellten sich der jungen Frau in den Weg. "Ich will zu Annie.", antwortete Jenny mit sicherer Stimme. Sie war Polizistin, und ließ sich sicherlich nicht von zwei Jugendlichen einschüchtern, auch wenn sie sich gerade nicht in allerbester Form fühlte.


    "Was ist hier los?" Hinter den beiden Jungs tauchte der lange schlaksige Ole auf, der Jenny vom Sehen her kannte, schließlich hatte er sie mit Kevin zusammen gesehen, als er ihn bat, nach Annie zu suchen. "Du bist doch Kevins Freundin, oder?" Jenny nickte und Ole schickte die beiden Jungs mit einer Handbewegung weg. "Was willst du hier?" "Ich will zu Annie. Ich muss mit ihr reden." Oles Haltung hatte nichts feindseeliges, sie war abwartend, ein wenig verwirrt. "Reden? Ich kann mir vorstellen, dass du auf Annie nicht gut zu sprechen bist, nachdem was passiert ist. Und auf mich auch nicht." Er sagte es nicht schnippisch sondern seine Stimme war seltsam belegt. "Ich habe Kevin dorthin geschickt." Es war beinahe wie ein Geständnis, das Jenny aufblicken ließ. "Sein Dämon hat ihn dorthin geschickt...", antwortete sie leise. "Wo ist Annie?"
    "Annie ist nicht mehr hier. Sie lebt momentan in einer betreuten Wohngemeinschaft für Drogensüchtige. Sie hat mir erzählt was passiert ist, und dass sie Kevins Wunsch erfüllen wollte.", erklärte der großgewachsene Punk. "Was willst du von ihr?", fragte er und klang immer noch ein wenig skeptisch. Er konnte nicht ausschließen, dass Jenny sich vielleicht doch an Annie rächen wollte. Wie Trauernde auf den Tod eines geliebten Menschen reagierten, konnte man ja nie vorhersehen. "Ich will nur mit ihr reden... ehrlich." Ole schien nachzudenken, doch das leicht flehende "Bitte" aus Jennys Mund ließ ihn umfallen. Er gab der Polizistin die Adresse der WG.


    Wohngemeinschaft - 9:35 Uhr


    Eine WG für Drogenabhängige war meist die letzte Chance für Leute, die an Stoff oder an der Nadel hingen. Hier konnten sie leben, untereinander Erfahrungen austauschen und wurden von Therapeuten betreut. Es war kein Gefängnis, keine Klinik und leider immer auch Umschlagplatz für Dealer, weil sie hier an leichte Kundschaft kommen. Jenny brauchte, nachdem sie den Wagen auf einem nahegelegten Parkplatz abgestellt hatte, gar nicht lange suchen. Annie saß auf einer niedrigen Mauer vor dem großen Anwesen am Bürgersteig. Sie hatte gerade mit einem anderen Mädchen geredet, das jetzt die Straße weiterging. Mit ihrer roten auffälligen Kurzhaarfrisur blickte die Frau auf und erkannte die Polizistin. Eine Mischung aus Erstaunen und sogar ein wenig Ängstlichkeit legte sie auf ihr Gesicht, als Jenny näher kam.
    "Hi..." "Hey... was machst du denn hier?" Annies Stimme klang unsicher. Würde Jenny ihr Vorwürfe machen? Sie hatten sich zuletzt gesehen, als sie und Juan Jenny die schlimme Nachricht überbracht hatten. Damals war sie völlig fertig, und wusste scheinbar nicht, auf wen sie mehr wütend sein sollte. Jetzt erschien sie Annie gefasst, zwar mit müden Augen aber festem Blick... gefasster, als die Rothaarige selbst war. "Ich wollte mit dir reden...", sagte Jenny und hatte ihre frierenden Hände in die Manteltasche gesteckt, während sie auf Kevins Ex-Freundin heruntersah.


    Annie rutschte ein wenig und gab ein Stück ihres Kissens frei, auf dem sie saß damit sie auf der kalten Steinmauer nicht zu sehr fror und die Polizistin nahm dieses stumme Angebot an. Ein kurzer Blick zu der dunkelhaarigen Frau, und ein wenig fragte sie sich: Was wollte sie mit ihr reden? Warum war sie hier? Aber Jenny kam sofort zur Sache. "Ich habe Kevin jetzt ein Dreivierteljahr gekannt... und ein halbes Jahr waren wir zusammen.", begann sie mit ruhiger Stimme, ohne Annie anzusehen. "Ich habe viel über ihn erfahren... von ihm und von anderen. Manchmal hatte ich den Eindruck, ich würde ihn ganz genau kennen, und manchmal glaubte ich, er sei ein fremder Mensch." Dann glitt ihr Kopf zu Annie herüber, die stumm zuhörte. "Was war er für ein Typ? Ich meine früher, bevor Janine umgebracht wurde?"
    Diese Frage stellte sich Jenny schon so lange. Sie hatte Kevin als geheimnisvollen, schweigsamen Polizisten kennen gelernt. Jemand, der nicht gerne von sich erzählte, der sich in manchen Momenten einen Schutzwall um seine Seele aufbaute und der nur wenige Menschen dort hinein ließ. Jenny war eine davon. Er erzählte ihr von der Mordnacht, dass er Drogen genommen hatte danach, und warum er dann zur Polizei ging. Er erzählte, dass er auch noch während seines ersten Falls mit Semir abhängig war. Und von seiner Zeit in der Gang hatte er erzählt, was für Dinger er gedreht hatte, von den wilden Konzerten und den tollen Erlebnissen. Nur was für ein Typ er war... das hatte er nie gesagt.


    Annies Lippen zitterten ein wenig, ob von der Kälte oder wieder aufkommender Trauer wusste Jenny nicht. "Kevin war früher ganz anders. Ich war gerade von einer älteren Freundin mit zur Gang genommen worden, als ein Boxkampf dort stattfand." Ein wenig musste sie, ob der Erinnerung nun lächeln, doch es wurde zu einem bitteren Lächeln. "Er stand mit seinen grün gefärbten Haaren dort im Ring, und boxte gegen einen 18jährigen, der einen halben Kopf größer und 15 Kilo schwerer war als er. Ich glaube, er hat die Prügel seines Lebens kassiert. Zwei Stunden später hab ich ihn angesprochen, warum er so blöd sei gegen so einen Koloss in den Ring zu steigen. Da hat er gesagt, dass der Kerl seine kleine Schwester damals auf dem Schulhof angemacht hatte, obwohl sie ein Kind war. Das war Kevin."
    Es entstand eine kurze Pause, bevor Annie weiter redete: "Er war früher viel offener. Er hatte soviel von sich erzählt, er war immer gut drauf, wollte im Mittelpunkt stehen. Wo er auftauchte war sofort gute Laune, denn Kevin hat andere mit seiner Energie und seinem Witz sofort angesteckt. Jerry hatte ihn mal als hyperaktives Kind bezeichnet." Wieder ein kurzes Auflachen, und diesmal lächelte auch Jenny. Das war es, was sie erfahren wollte... hatte wirklich nur Janines Tod das aus dem jungen Mann gemacht, was er am Ende war. Ein schweigsamer verschlossener Mann, der gegen sich selbst kämpfte, immer wieder Rückschläge erlebte. Angst vorm Versagen, Angst davor Menschen zu verlieren, die ihm nahe standen?


    "Als wir... als wir zusammen kamen wurde er ein kleines bisschen ruhiger. Da habe ich neue Seiten an ihm kennengelernt. Er konnte romantisch sein, eigentlich etwas, was ich nie von ihm erwartet habe. Er hatte bei mir manchmal seine Wildheit, in die ich mich verliebt habe, komplett abgelegt. Und ich habe noch etwas von ihm kennengelernt..." Jenny blickte auf. "Was denn?" "Unbeherrschtheit. Kevin neigte zur Gewalt. Niemals gegen mich, auch wenn wir uns manchmal lauthals stritten. Aber gegen andere. Ich denke, dass er das seinem Vater zu verdanken hat." Die junge Polizistin nickte: "Sein Verhältnis zu seinem Vater kenne ich." Annie fuhr sich mit der Zunge kurz über die Lippe. "Wenn wir auf Demos waren, hat er sich mit anderen mit den Faschos oder den Bullen..." für einen Moment verharrte sie "Sorry... mit den Polizisten angelegt. Wenn mich ein Typ nur schräg angesehen hat, ist er ausgeflippt. Auch im Bezug auf seine Schwester war er nicht zimperlich."
    Jenny wurde es mulmig, aber sie hatte etwas ähnliches geahnt. Kevin hatte ihr ja erzählt, dass er damals viel Wut im Bauch hatte, was er versuchte, in seinem Liedtexten zu verarbeiten. Offenbar bestand sein Ventil auch noch aus Gewalt. "Im Boxring hatte er einen Jungen mal zu Tode geprügelt. Der Junge ist zwar letztendlich, soweit ich weiß, an einer Überdosis gestorben, aber wenn Kevin rechtzeitig aufgehört hätte..." Ein wenig wippte sie mit dem Kopf zur Seite. "Der Junge war der Bruder von Janines späterem Mörder... und wahrscheinlich der Grund. Und als ich Schluss gemacht hatte, hat er aus Eifersucht meinen späteren Freund ins Krankenhaus geprügelt. Das war damals, das letzte Mal, dass ich mit ihm geredet habe. Einige Monate später ist Janine gestorben, und Kevin war fort. Als ich ihn jetzt wieder gesehen habe... war er komplett verändert."


    Jenny konnte nicht sagen, wie lange sie zusammen auf der Bank saßen, und sie einfach nur an Annies Lippen hing, was sie von dem Mann erzählte, der der Vater ihres Kindes war. Sie stellte Fragen, Annie erzählte, und es war keinerlei böses Blut zwischen den beiden Frauen. Die junge Polizistin spürte, dass Annie unter Kevins Tod ebenso litt, und sie wusste, dass nicht Annie Schuld daran war, dass er nach Kolumbien gefahren ist. Als die junge Punkerin noch einmal auf den Moment, als Kevin abstürzte ansprach, traten ihr Tränen in die Augen, und Jenny legte einen Arm um sie. Sie waren im Schmerz um einen Mann vereint.
    "Ich... ich wollte nochmal mit Juan sprechen. Weißt du, ob er noch hier ist?", fragte sie dann nach einem kurzen Moment der Stille. "Ich will ihm nur nochmal danken, dass er versucht hat, Kevin zu helfen." "Wo er ist, weiß ich nicht... aber er hat mir seine Handynummer gegeben.", sagte Annie und nannte der jungen Frau die Nummer. Dann griff Jenny in ihre Manteltasche und nahm ein Bild heraus. "Das wollte ich dir geben. Kevin hatte es zusammen mit einem Liedtext, den er offenbar nach eurem Beziehungsaus geschrieben hatte, aufbewahrt." Annie musste sich eine Faust vor die Lippen halten, als könne sie ihre Emotionen damit unterdrücken, als sie auf das Bild schaute, was sie und Kevin in einem kleinen Fotohäuschen zusammen gemacht hatten. Zwei Jugendliche, die befreit und verliebt in die Kamera lachten, Wange an Wange. Kevins ärmelloses kariertes Hemd, und ihr Top mit den Wassermalfarben und dem rutschenden Träger. Seine Zeilen darüber, dass ihre Zeiten vorbei waren, und nie mehr wieder kommen würden und dass ihm nur die wunderschöne Erinnerung bliebe. Jenny war stolz auf sich, über diesen riesengroßen Schatten gesprungen zu sein, und sie fühlte, dass es ihr gut tat, die Stärkere zu sein, als sie nochmals den Arm um Annie legte, die den Weinkrampf nicht mehr zurückhalten konnte. Danach bedankte sie sich mehrfach bei der jungen Polizistin...

    Bis jetzt ist die Folge wirklich die Beste der bisherigen Staffel, da sie nicht nur sehr bodenständig ist, sondern auch ein wenig treibende Spannung enthält.

    Die Explosion mit dem Ballon war aber wieder unlogisch und völlig aufgesetzt... Wahnsinn, wie man da abgebaut hat.

    Mal sehen, was noch passiert.

    EDIT: Hat am Schluß doch etwas abgebaut, die Folge. Endlich mal wieder ein Stunt von Semir auf einem Auto, das gabs schon lange nicht mehr. Paul ist mir nach wie vor zu farblos, zu wenig Charakter im Gegensatz zu seinem Vorgänger.

    Hi nicci77,

    Erstmal schön, dass du meine Story weiter verfolgst, und ich danke dir für deine Kritik :). Was meinst du mit "zu kurz"? Meinst du das Kapitel an sich in Form seiner Textgröße, oder in der Handlung selbst, dass mehr Handlung innerhalb des vorliegenden Textes "passieren" soll?

    Danke schon mal im Voraus für deine Erläuterung.

    Dienstauto - 9:00 Uhr


    Ben hatte sich den Appetit vom Anblick der grausam zugerichteten Leiche nicht nehmen lassen und begann im Dienstauto sofort wieder mit dem Verzehr seines Brötchens. Semir maulte konstant und zuverlässig darüber, dass sein Partner ihm ständig den ganzen Wagen vollkrümelte, doch heute schwieg er. Nicht der Mord hatte ihn nachdenklich gemacht, sondern sein Freund Kevin spukte ihm immer noch im Kopf herum und die Frage, ob man nicht doch sollte nach Bogota fliegen und ihn suchen. Doch sofort hatte er auch wieder die Stimme von Andrea im Hinterkopf, die Gefahr vor Augen und die Hoffnungslosigkeit im Kopf meldete sich und zeigte nochmal die Sinnlosigkeit des Unterfangens auf. Es schien, als sei genau diese Hoffnungslosigkeit der Schutz davor, dass sich die beiden Polizisten in ein lebensgefährliches Abenteuer stürzten, aus dem sie nichts gewinnen konnten.
    Eben jene Stimme von Andrea meldete sich dann über Funk. "Euer Toter, Heribert Greuler, ist 44 und wohnt in Chorweiler." Chorweiler war ein Brennpunkt von Köln, ein sozial schwaches Viertel. "Sehr interessant... der war erst ein halbes Jahr aus dem Knast raus." "Achja? Weswegen saß der denn ein?", fragte Ben interessiert, nach dem er den letzten Bissen heruntergeschluckt hatte. "5 Jahre wegen Kindesmissbrauch in 2 Fällen." Eins der Verbrechen, die in dem hartgesottesten Polizisten immer noch Wut und Ekel heraufbeschworen, so auch in den beiden Autobahnpolizisten. "Find mal heraus, welche Mutter da Grund hatte, sauer auf den Typ zu sein, mein Schatz.", sagte Semir zu Ben herüber, der ihm das Funkgerät an diese Nase hielt. "Ich melde mich nochmal."


    Hier zwischen den Wohnsilos in Chorweiler regierten keine Grünanlagen, Parks und Bäume, sondern Graffitis, Stadtstreicher und Müll. Selbst das sonnige Wetter, das aus den Wiesen vor der Stadt den Tau aufsteigen ließ und die Kälte nochmal schärfer machte, konnte die triste Umgebung nicht aufhellen. Die Betonklötze waren hier noch aus den 70ern, und immer wenn sie an solchen Orten waren, erinnerte Ben sich daran, als er bei Kevin in der Wohnung war, der auch in solch einer Absteige gehaust hatte. Eine Gruppe Jugendlicher, die mit Zigaretten und bereits der ersten Bierdose des Tages auf einer Bank saßen, blickten die beiden Männer arggewöhnisch an, die nun auf das Hochhaus mit der Nummer 12 zusteuerten. "Ey, was wollt ihr hier? Eeeey, ich rede mit euch! Lutscher!" Wären Semir und Ben bei besserer Laune gewesen, hätten sie sicher einen lustigen Spruch zum Kontern gebracht, und den vorlauten Kindern danach den Dienstausweis unter die Nase gehalten. Doch die Stimmung war immer noch betrübt, und selbst wenn die Leiche ein Kinderschäner war, so hatte sich das Bild doch ein wenig in ihren Köpfen manifestiert. So ignorierten sie die Jugendlichen, die auch keinerlei Anstalten machten, den beiden Polizisten zu folgen. Die Haustür der Nummer 12 ließ sich schwer aufdrücken, und im kalten Flur hinterließ der Atem immer noch Rauchschwaden. Semir wollte auf den Knopf des 70er-Jahre-Aufzugs drücken, um in den 8ten Stock zu kommen, wo Greuler wohnte. Sie hatten es über die unübersichtliche Klingelübersicht herausgefunden. "Ähm... Semir.", meinte sein Partner ein wenig gehemmt und tippte dem kleinen Polizisten auf die Schulter. "Och nö, Ben. Ich hab keinen Bock zu laufen." "Ja, dann lauf ich halt alleine."


    Ben hatte Platzangst und vermied sowohl große Menschenansammlungen als auch kleine Aufzüge. Vor einigen Wochen war er in einem großen, modernen Bürogebäude, ein Aufzug für 25 Personen, wo er ein wenig seine Angst abtrainieren wollte. Aber in diesem wackeligen Ding... no way. Also orientierte der Mann mit der Wuschelfrisur sich langsam in Richtung Treppenhaus, und Semir hatte bereits den Fuß in den Aufzug gesetzt. Ein penetranter, beißender Geruch schlug ihm entgegen und er sah in der hinteren Ecke des Aufzuges, dass jemand dort beiderseits seine Notdurft verrichtet hatte, und dazu scheinbar etwas schlechtes gegessen hatte. Selbst wenn es ein Tier gewesen wäre, wäre der Gestank im wahrsten Sinne des Wortes "atemberaubend" gewesen. Semir verharrte kurz und verzog den Mund. "Nagut... dann eben doch Treppen...", knurrte er und folgte mit schnellen Schritten seinem Partner, der bereits ein Stockwerk Vorsprung hatte.
    Im 8. Stock angekommen hatte sich der Atem der beiden Polizisten dann doch etwas beschleunigt. Spätestens jetzt wäre ein Frozzelei von Ben fällig gewesen, doch der großgewachsene Polizist schwieg. Sie suchten nach einem Türschild, einer kleinen Klingel, bis der Name "Greuler" zu lesen war. Sie hatten von Andrea die Info bekommen, dass seine Frau sich nach der Verhaftung von ihm getrennt hatte, und er keinerlei soziale Kontakte mehr hatte, so hatte er es bei seinem Bewährungshelfer öfters durchklingen lassen. Dass Semir auf die Klingel drückte, hatte da eher Symbolcharakter.


    Wie erwartet öffnete niemand die Tür. "Von hier bis zur Brücke... das sind gute 30 Kilometer. Die wird er ja wohl kaum zu Fuß gelaufen sein.", meinte Ben während sie einen Moment nach dem Klingeln warteten. "Ein Auto war aber nirgends... Taxi? Oder hatte ihn der oder die Mörder mitgenommen?" Sie zuckten mit den Schultern und Semir nahm seinen Dienstausweis heraus. Er kniete sich vor die alte und vermutlich nicht besonders widerstandsfähige Tür und begann den Bolzen mit der Karte reinzuschieben. "Haben wir denn einen Durchsuchungsbeschluss?", meinte Ben sarkastisch und Semir war beinahe schon froh darüber, dass sein Partner endlich mal versuchte, lustig zu sein, gerade als die Tür mit einem Knacken nachgab. "Stand schon offen.", war sein kurzer Kommentar, stand wieder auf und grinste seinen Partner kurz an.
    Viel zu finden gab es in der Wohnung nicht, aber es war vermutlich die sauberste Wohnung im ganzen Hochhaus. Kein schmutziges Geschirr, keine angebrochenen Bierflaschen, kein Müll irgendwo. Obwohl die Wohnung sehr klein und karg eingerichtet war, konnten die Beamten nicht mal Staub entdecken, was sie zeitgleich aber auch ein wenig verwunderten. "Sieht fast so aus, als hätte hier jemand aufgeräumt... oder war der so reinlich?", meinte Ben, der auch einen Blick ins blitzende Badezimmer warf.


    Mit Einmalhandschuhen durchsuchten Ben und Semir Ordner und Unterlagen, doch bis auf Schreiben von Bewährungshelfer, Vermieter, Jobcenter und Sparkasse konnten sie nichts interessantes finden. Eine Hausdurchsuchung eines Mordopfers war sowieso meist unkoordiniert. Man wusste nicht wonach man suchte, hoffte aber irgendetwas zu finden, was einem half. In diesem Fall ein Drohschreiben, dass der Kerl sich doch bitte nicht so oft an Kindergarten oder Spielplatz aufhalten solle. Nur den Laptop nahmen die beiden Ermittler mit, darum durfte sich Hartmut kümmern.
    Ein Bild auf dem Regal erregte Semirs Aufmerksamkeit. Da war Heribert Greuler zu sehen, vermutlich 6 oder 7 Jahre jünger als er heute gestorben war, mit einer Frau im Arm und einem lachenden Kind vor den beiden stehend. Offenbar ein Foto aus früheren, glücklicheren Zeiten, bis Greulers geheimes Verlangen aufgeflogen war. Würde eine Frau ihren Mann so sehr hassen können, dass sie zu solch einer Tat fähig wäre? Oder hatte die Familie des damaligen Opfers nur darauf gewartet, dass der Kerl endlich aus dem Gefängnis kam, um sich an ihm zu rächen? "Fahren wir als nächstes zur Ehefrau?", fragte Ben, als sie gerade die Wohnung wieder verließen, und sein Partner nickte.

    Autobahn - 6:00 Uhr


    Bonrath und Herzberger, die beiden dienstältesten Streifenbeamten der Autobahnpolizei, waren gerade auf der ersten Streife ihrer Schicht. Beide sind Frühaufsteher und meist viel früher im Dienst, als sie bei Wechselschicht eigentlich müssten, doch sie mochten es beide auf der Straße zu sein, wenn langsam hell wurde, wie auch heute, auch wenn es zur Zeit gerade noch stockfinster war und der Tag sich sicher noch über eine Stunde geduldete. Draussen war es trocken und immer noch bitterkalt, denn der Winter hielt sich hartnäckig, krallte sich mit seinen Eisklauen unerbittlich in Deutschland fest. Beide Polizisten waren dick eingepackt in Pullover und Lederjacke, Bonrath war am Steuer während Hotte sich an der heißen Thermoskanne die Hände warm hielt. Zu ihrem Glück waren die modernen Streifenwagen von heute auch schon mit Sitzheizung ausgestattet.
    Natürlich hatten sich beide über Kevins Schicksal unterhalten, natürlich waren auch beide bestürzt. Doch dank ihrer Routine schafften sie es, schnell zum Alltag überzugehen und die schlimmen Ereignisse zumindest auszublenden... und der Alltag bestand darin, dass der beleibte Hotte sich beschwerte, dass sein Partner und bester Freund an diesem Morgen ungefüllte Croissants mitgebracht hatte. "Ach Hotte, dann steig du das nächste Mal doch einfach selber aus, hmm?", meinte sein, manchmal zu Trägheit neigender Nebenmann.


    "Zentrale an alle... wer ist denn in der Nähe der Brücke hinter der Raststätte Frechen Nord auf der A4?", klang es irgendwann aus dem Funkgerät, und Hotte nahm das Anliegen an. "Wir sind nur wenige Kilometer weg... was gibts denn?" "Da liegt irgendwas auf der Straße, da haben uns jetzt schon zwei Autofahrer angerufen, aber sie konnten nicht erkennen was es war. Irgendwelche Kleinteile, vielleicht auch ein totes Tier... schaut ihr euch das mal an?" "Sind schon unterwegs." Der beleibte Polizist schaltete das Blaulicht an und sein Partner trat aufs Gaspedal. Als sie sich der Brücke näherten, fuhren sie langsam auf den Seitenstreifen, bis sie die undefinierbare Masse im Scheinwerferlicht sahen, an der ein Fuchs schnupperte, aber sofort weglief, als sich das Auto näherte. "Park am besten auf der rechten Spur, und wir sperren ab... das sieht mir irgendwie nicht nach einem Tier aus.", sagte Hotte.
    In Warnwesten und mit viel Routine stellten sie einige Pylonen bis zu dem Zeug auf, was auf der rechten Spur lag. Es war problemlos, denn es kam so gut wie kein Auto um diese frühe Uhrzeit vorbei. Dann gingen beide zu der Stelle und leuchteten mit starken Taschenlampen drauf. Bonraths Magen zog sich zusammen, und auch Herzberger verlor ein wenig die Farbe im Gesicht. Sie hatten beide schon vieles gesehen, doch das, was sich umrahmt einer großen Blutlache vor ihnen bot, war schwer verdaulich. Wie ein tropfendes Rinnsaal wurde die kleine Ansammlung von, für die beiden undefenierbaren glänzenden Glibber genährt, als Bonrath langsam die Taschenlampe nach oben hielt. "Hotte... guck mal..." "Jesus..."


    Brücke über der A4 - 7:30 Uhr


    Es dauerte nicht lange, und die beiden Streifenbeamten hatten in Windeseile eine komplette Vollsperrung angeordnet, und sofort Verstärkung angefordert. Vor allem kamen die Tatortermittler in ihren weißen Anzügen, die bei Morgengrauen bereits emsig dabei waren, Spuren zu sichern. Als die Sonne langsam sich am Horizont zeigte, rollte auch Semirs silberner BMW unter die Brücke durch die Absperrung, wo die beiden Autobahnpolizisten, von der Chefin sofort bei Ankunft im Büro auf die Autobahn geschickt, ausstiegen. Bonrath und Hotte standen hinter der Brücke und blickten hinauf, als sie die beiden Kollegen bemerkten. "Ich hoffe, ihr habt noch nicht gefrühstückt...", meinte Hotte beinahe schon unheilvoll und blickte gerade auf Ben, der aus einer Bäckerstüte ein belegtes Brötchen zog. "Ne... NOCH nicht... warum?", meinte er nach dem ersten Bissen mit halbvollem Mund. Mit dem Zeigefinger blickte Hotte erst zu Boden auf den Haufen Innereien, und dann langsam nach oben. Semir und sein Partner folgtem mit den Augen stumm den Blick, und das Kauen von Bens Kiefer verlangsamte sich. "Na Mahlzeit...", meinte Semir nur.
    Beide Polizisten waren nicht zimperlich beim Anblick von toten Menschen. Wenn auf der Autobahn übermotivierte Motorradfahrer mit LKWs zusammenstießen, konnten dabei Bilder entstehen, die einen den Magen umdrehten. Irgendwann stumpfte man ab, wenn man älter wurde. Der Kollege im weißen Anzug, der sich im Gras gerade übergeben musste, war scheinbar noch nicht so lange dabei. Semir und Ben gingen gerade, als sie neben der Autobahn die Böschung hinaufstiegen und oben an dem Feldweg, der über die Autobahn führte, an dem Mann vorbei. "Alles klar bei dir?", fragte Semir fast schon väterlich fürsorglich den tatsächlich noch sehr jungen Kerl. "Das ist mein erster Tag hier, und ich hab schon die Schnauze voll." Und beim Blick auf den kauenden Ben setzte er hinzu: "Dir wird es auch gleich so gehen."


    Am Brückengeländer, das in Fahrtrichtung der Autobahn lag, stand Roland Meisner, Leiter der Tatortermittler und Chef-Rechtsmediziner, bereits bei der Arbeit. Den genau hier war die Ursache für die Schweinerei auf der Autobahn zu finden. "Morgen Meisner... alter Leichenschnippler.", begrüßte Ben den grau melierten Mann... der Zusatz war spaßig gemeint und fast schon ein Running-Gag zwischen den beiden. "Hallo ihr beiden... da war jemand verdammt sauer auf den armen Kerl.", sagte der erfahrene Rechtsmediziner und trat einen Schritt vom Geländer weg, um den beiden volle Sicht auf den Tatort zu geben.
    Der "arme Kerl", den Meisner angesprochen hatte, stand ausserhalb von der Brücke, mit ausgestreckten Armen auf der Kante, als wolle er von der Brücke abheben. Arme und die zusammenstehenden Beine waren mit Kabelbinder fest an das Geländer fixiert. Die Leiche war komplett nackt, der Absatz der Brücke, auf dem er stand, voll Blut. Wo der Lebenssaft herkam war ebenfalls deutlich zu sehen, ein langer Schnitt vom Schritt beginnend bis knapp unter die Kehle klaffte deutlich auf, und die Organe, die durch Nerven und Muskeln noch im Körper hielten und nicht auf die Fahrbahn darunter gefallen sind, hingen aus dem offenen Körper. Ein strammes Seil, das quer durch seinen Mund geführt und ebenfalls mit dem Geländer der Brücke verbunden war, hielt seinen Kopf aufrecht, so dass er quasi in den Sonnenaufgang blickte.


    Semir und Ben waren beinahe sprachlos, ob solch einer Brutalität und beinahe schon Perversität. Sie empfanden Ekel, ein flaues Gefühl im Magen, aber keinerlei Würgereiz. "Ziemlich sauer, sagst du? Ich würde sagen, ziemlich krank.", meinte Semir und ging um die Leiche herum, bis zum Brückengeländer, wo er herunter auf die Sauerei blickte, die ebenfalls von einigen Beamten untersucht wurde. "Tatwaffe konnten wir nicht finden, aber ich gehe nicht von einem Skalpell aus, eher von einem großen, mittelscharfen Messer, da die Ränder der geöffneten Bauchdecke bis hoch zum Brustbein, ziemlich ausgefranst sind. Da musste sich jemand ziemlich anstrengen.", erklärte der Rechtsmediziner und schaute seine Notizen durch. "Da es so kalt war heute Nacht ist der Todeszeitpunkt schwer zu bestimmen, aber definitiv heute Nacht. Da der Verkehr hier sich erst gegen Mitternacht beruhigt, nehme ich an, dass der Mörder ungestört sein wollte... also so ab 2 Uhr abwärts bis maximal 5 Uhr." "Und wenn er woanders umgebracht wurde, und danach erst hier festgebunden?", fragte Ben und hatte die Tüte mit dem Brötchen nun doch zusammengeknüllt und in die Jackentasche gezwängt. "Er hat an den Armen und Beinen umfassende Spuren der Kabelbinder. Er muss sich also noch eine Zeitlang dagegen gewehrt haben. Ausserdem ist die Blutlache so groß da unten, dass wir davon ausgehen können, dass der Mord in dieser Lage stattfand." "Sieht mir fast nach nem Ritualmord aus, oder?", meinte Semir nachdenklich. "Oder ne verdammt wütende Ehefrau...", war Bens Antwort beim Betrachten der Leiche.


    "Verdammt wütend ist ein gutes Stichwort.", bemerkte der "Leichenschnippler" noch ein wenig zynisch und wies mit seinem Kugelschreiber in Richtung des offenen Torsos: "Die Innereien fallen nicht einfach so aus einem Körper. Natürlich kann mal ein Muskel oder eine Sehne reissen, aber im Allgemeinen ist da nichts so schwer, dass es nicht gehalten wird." "Das heißt was? Es wurde herausgeschnitten und dann von der Brücke geworfen?" Semir sah mit hochgezogener Augenbraue. "Wenn ich das eben, aus dieser Position richtig gesehen habe... wurde es nicht geschnitten, sondern gerissen." Die Vorstellung ließ die beiden Polizisten nun doch ein wenig blass um die Nase werden. "Wie soll ich mir das vorstellen... der Mörder packt den Lungenflügel des Opfers, und reisst so lange daran herum, bis er ihn in der Hand hat?", fragte Ben und Meisner nickte. "Exakt so."
    Semir stellte sich rechts von der Leiche ans Geländer und versuchte, ohne den Mann zu berühren, herumzugreifen. "Mit ein bisschen längeren Armen geht das... er kann ihm seitlich hinter dem Geländer stehend sowohl aufgeschlitzt, als auch etwas herausgerissen haben. Habt ihr schon festgestellt, ob was fehlt?" Der Rechtsmediziner schüttelte den Kopf. "Leider sind schon ein paar unvorsichtige Autofahrer drüber gefahren, ein Tier lief laut euren Kollegen gerade weg, und ein bisschen was ist noch drin. Schwer zu sagen, ob der oder die Täter etwas mitgenommen haben. Hier..." Er reichte den beiden ein verschlossenes Klarsichtpäkchen. "Der Personalausweis war das einzige, was direkt bei dem Toten lag. Als wolle der Mörder, dass wir genau wissen, wer das ist." Semir nahm den Ausweis mit der Folie in die Hand und las den Namen...