Keller - 11:30 Uhr
War es noch morgens, war es schon mittags? Regnete es oder schien die Sonne? Jenny konnte es nicht sagen. Das vergitterte milchig dreckige Fenster ließ nur wenig Tageslicht in den modrigen dunklen Keller, wo sie auf der Matratze saß, manchmal lag. Manchmal ging sie unruhig hin und her. Jemand hatte ihr heute morgen etwas notdürftiges zu essen gebracht... Brot und eine Flasche Wasser. Dazu wurde sie von dem fremden Mann, der nicht der Gleiche war, der gestern mit ihr gesprochen hatte, losgebunden. Allerdings konnte sie genau die Waffe im Hosenbund sehen und der zweite Mann, diesmal stummer als gestern, lehnte dabei am Türrahmen. Gegen die sie bulligen Männer hatte selbst eine ausgebildete, aber unbewaffnete Polizistin keine Chance.
Deshalb beließ es Jenny bei einem wütenden Blick aus ihren funkelnden Augen. Sie war froh, endlich ein wenig durch den Mund atmen zu können, und hungrig war sie auch. Während der nächsten Stunden hatte sie kein Geräusch vernommen, sie saß, ging, lag. Es war der pure Horror, diese Hilflosigkeit eingesperrt zu sein, dieses Unwissen, was der Grund dafür war. Und dann schwirrte da immer ein Name in ihrem Kopf... ein Gesicht, ein Augenpaar, ein Lächeln. Seit der Kerl den Namen "Kevin" erwähnt hatte, war er in Jennys Kopf präsent.
Warum glaubte der Typ, Kevin würde noch leben? Warum war er so überzeugt davon? Und warum suchte er ihn? War das der Grund, warum sie entführt wurde? Hatte der Mann vielleicht vor, Kevin mit ihr zu erpressen? Aber welchen Sinn hatte das, wenn er doch tot war? Vor lauter Nachdenken wurde ihr schwindelig, vor lauter Nachdenken verzweifelte sie, weil sie keine Antwort erhielt. Sie konnte nur hoffen, dass Semir und Ben ihr Fehlen bei dem Lehrgang komisch vorkam, dass Timo und Gregor sie suchen würden. Zumindest bei ihren alten Kollegen konnte sie sich sicher sein, dass die nicht aufgeben würden, bis sie Jenny gefunden hatten.
Die junge Polizistin konnte nicht sagen, wieviel Zeit vergangen war, seit sie nichts mehr gehört hat, als plötzlich Geräusche zu vernehmen waren. Ganz schwach, als wäre es weit weg, wurde eine Tür zugeschlagen. Dass der Keller beinahe schalldicht war, konnte sie nicht wissen, dass die Tür ganz in ihrer Nähe war. Atemlos saß sie auf der Matratze und lauschte. War da ein Schlurfen? Ein Gehen? Ein Gespräch? Erst die Schritte auf der Kellertreppe wurden lauter, dass die Verbindungstür zwischen Wohnung und Keller geschlossen wurde, dass niemand rein konnte, hörte sie nicht. Aber Patrick sicherte sich ab. Er wusste zwar, dass Kevin mit den Bildern aus einem Album, das er aus den alten Tagen noch hatte, erstmal beschäftigt war... aber sicher ist sicher.
Bevor der Verbrecher allerdings zu Jenny ging, ging er in einen Nebenraum, wo er sein Handy zog und Carsten anrief. "Lief doch ganz gut, hmm? Er frisst uns aus der Hand.", sagte er nach der Begrüßung selbstsicher. "Mir gefällt das nicht, Patrick. Er ist wankelmütig. Du kannst nicht in seinen Kopf reinschauen, du kannst nie wissen, wie er auf ein bekanntes Gesicht reagiert.", klang die besorgte und misstrauische Stimme Carstens aus dem Hörer. "Darum geht es doch. Wir müssen dafür sorgen, dass er so reagiert, wie er reagieren muss. Ich weiß alles von seinem Leben seit Peters Tod. Und was davor war und er nicht mehr weiß, ist unwichtig. Wir können alle Karten, die wir gegen ihn haben, ausspielen. Wie die Sache mit dem Gefängnis... oder dass Jerry angeblich tot ist."
Patrick konnte seinen Freund deutlich am Telefon atmen hören. "Wovor hast du Angst? Wenn er sich erinnert, ist das Spiel vorbei. Und wenn nicht, wird er das Spiel beenden... irgendwann, Stück für Stück." "Was hast du jetzt als nächstes vor? Willst du ihn wieder auf die schiefe Bahn bringen?" Carsten hatte das Gespräch vor der Tür nicht mitbekommen. "Noch besser. Ich werde ihm die Mörder seiner Schwester präsentieren, die die Gang Stück für Stück auslöschen wollen. Die bei Jerry angefangen haben, und bei ihm enden wollen." Patrick grinste diabolisch. "Und die Mörder sind...", begann sein Freund langsam, denn er kannte die Antwort. "Genau richtig. Er wird sich sein Leben selbst zerstören... Stück für Stück... und dann sagen wir ihm die Wahrheit." Der Verbrecher grinste im Halbdunkeln: "Er sagt, seine Erinnerungsschubladen mit Namen und Gesichter sind durcheinander. Ich werde ihm die passenden Namen in die Schubladen legen..."
Als sie das Gespräch beendet hatten, stand Patrick für einen Moment vor der abgeschlossenen Tür, hinter der Jenny gefangen war. Sein Atem beschleunigte sich, ein Flashback überkam ihn. Hilflosigkeit auszunutzen... die Macht haben. Das erregte ihn, und es erregte ihn schon vor 12 Jahren als er, Timmy und Peter die kleine Schwester des damaligen Punk vergewaltigt hatten, während er hilflos und schwer verletzt im Dreck lag. Jetzt saß er zwar unverletzt am Küchentisch und bekam nichts mit... doch hilflos war er genauso wie Jenny im Kellerraum. Er leckte sich mit der Zunge über die Lippen und sperrte die Tür auf, die er danach sofort wieder sorgsam verschloß. Jenny saß auf der Matratze und blickte halb angstvoll, halb neugierig und wütend zu dem Mann auf.
"Na... gefällt es dir bei uns?", sagte er Mann und grinste, während er zum Rücken griff und seine Pistole in die Hand nahm. "Sagt mir endlich, was ihr von mir wollt.", spuckte Jenny ihm entgegen, doch Patrick ging auf die Frage gar nicht ein. "Dein Freund ist nicht gut in Form, Kleines... und ausserdem gar nicht gut auf dich zu sprechen." Der jungen Polizistin rutschte das Herz fast bis zur Fußsohle, und die harte Matratze unter ihr fühlte sich an wie eine Luftmatratze auf hoher See.
"Was sagst du da...?", flüsterte sie fassungslos mit großen Augen. "Mein Freund..." "Der Vater deines Kindes, das du verloren hast! Genau der!", wurde der Mann deutlicher und Jenny schüttelte fassungslos mit dem Kopf. "Er ist gar nicht damit einverstanden, dass du euer Kind umgebracht hast, weil du zu ihm wolltest. Und es könnte sein... dass er verdammt... verdammt böse auf dich ist." Während seine Stimme zwar leiser, aber deutlicher wurde, fuhr er sich mit der Waffe über die Kehle, eine eindeutige Geste. Jenny verlor vollständig die Fassung... so grausam konnte ein Mensch nicht sein, dass er sich das ausdachte. Der Bauch übernahm die Kontrolle und überstimmte den Kopf, der die Gefahr der Waffe sah und ließ sie aufspringen. "Du lügst, du Scheisskerl! Du lügst!", schrie sie und wurde von Patrick mit einem Hieb ins Gesicht sofort auf die Matratze gestreckt.
Wimmernd, eine Hand auf dem Gesicht, die sofort blutig rot wurde, weil das Blut aus der Nase schoß, während der Verbrecher grinste. "Ja... und ich hab ein bisschen das Gefühl, er hat etwas von seinem alten Charakter wieder entdeckt. Weißt du, wie sein alter Charakter war?", fragte er und packte Jenny brutal an den Haaren, bevor er mit der flachen Hand in ihr Gesicht schlug und sie erneut wimmernd auf die Matratze fiel. Sie erinnerte sich im Schmerz an Annies Worte... Kevins Hang zur Gewalt. Doch niemals gegen Frauen, das konnte sie sich nicht vorstellen, und das wusste auch Patrick. Er vermischte Wahrheit mit Lüge, um Jenny Angst zumachen, bevor er die Rolle Klebeband aus der Jeans nahm und Jenny auf den Bauch drehte.
Er griff die Handgelenke der wimmernden Frau und band sie auf dem Rücken zusammen, dann drehte er sie wieder um. Aus ihrer Nase lief Blut, eine Schramme an der Wange und ein Klebeband verschloß nun auch ihren Mund. Jenny geriet in Panik, denn dieses Grinsen kannte sie. Es war das typische Grinsen eines Mannes, der nur eins im Sinn hatte. Das gleiche Grinsen, was der Kommissarsanwärter damals in seiner Wohnung im Gesicht hatte, bevor er über die junge Polizistin hergefallen ist. "Aber einen guten Geschmack hat Kevin.", sagte Patrick und ließ den Lauf der Waffe über Jennys schlanken, zitternden Körper streifen, bevor er die Waffe mit seiner Hand ersetzte. "Seine kleine Schwester war zwar jünger..." Mit den Fingern öffnete er schnell Knopf und Reissverschluß von Jennys Jeans, die sich wild aufbäumte und unverständliche Laute hinter ihrem Klebeband von sich gab. "... aber ich bin ja auch keine 16 mehr."
Mit einem Ruck griff der Mann Jennys Hosenbund und zog Jeans und Unterhose ein Stück herunter, während die junge Frau quiekte und zu weinen begann. Zu schnell kamen die Erinnerungen an die damalige Horrornacht hoch. Doch plötzlich war eine Stimme, ganz fern zu vernehmen, als sei sie ganz weit weg. Während sie für Jenny unwirklich und wie in einem Traum erschien, war sie für Patrick bittere Realität. "Patrick? Wo bist du denn? Hier ist jemand an der Tür!" Mit einem bitteren Lächeln sah der Verbrecher dem verheult und verbluteten Bündel ins Gesicht. "Selbst ungewollt rettet er dich noch...", meinte er, bevor er laut genug zurückbrüllte, dass er sofort komme. Dann zeriss er Jennys Handfesseln und verließ den Raum, was die Frau aber nicht nutzen konnte, denn sie verblieb weinend wie ein zitterndes Bündel auf der Matratze, während ein Stockwerk höher der Mann war, den sie liebte, und der einfach geschehen ließ, was geschah...