Beiträge von Campino

    Dienststelle - 07:30 Uhr


    Natürlich war Semir wieder der Erste von den vier Polizisten, die in zwei Büros verteilt waren. Wie immer kochte er den Kaffee bei ihnen im Büro, goss er sich die erste Tasse ein und genoß für eine halbe Stunde die Ruhe im Büro, bevor Ben kam und sich auch das Großraumbüro mit den Tagesdienstlern füllte. Es wurde gestern abend noch ein arbeitsreicher Abend, sie mussten die Bergungsarbeiten koordinieren und das Chaos auf der Deutzer Brücke beseitigen. Semir beschäftigten in der Nacht viele Gedanken. Zum einen über den Fall, zum anderen über Kevins kurzes, beinahe desinteressiertes Abwinken, als er nach den beiden Entführern fragte. "Lass uns morgen darüber reden.", sagte er und ihm schien das Kümmern um Jenny in diesem Moment weitaus wichtiger zu sein, was Semir auch nachvollziehen konnte. Trotzdem klang das nicht nach Kevin, denn der erfahrene Polizist hatte erwartet, dass sein Partner sofort Feuer und Flamme dafür war, diese Typen zu fassen. "Aber die Fahndung..." "Die laufen uns schon nicht weg." Es hörte sich für Semir so an, als wisse der schweigsame Polizist schon wieder mehr als er.
    Die anderen Gedanken, die den Deutsch-Türken heute morgen nicht mehr schlafen ließen und deshalb schon früher als sonst im Büro erscheinen ließen, drehten sich um den Fall. Und zwar hatte er das untrügliche Gefühl, dass vielleicht doch Kevins Fall ein Schlüssel oder zumindest ein großer Hinweis auf ein Motiv für die vier Morde sein konnte. Der junge Kommissar hatte zwar seine Fälle nicht in die Tabelle miteinfließen lassen, aber die Akten waren natürlich unter dem Berg derer, auf die sie von Hartmut Zugriff bekommen hatten.


    Und so fand Ben seinen Partner konzentriert klickend und lesend an seinem Monitor vor, als dieser ins Büro kam und seine leichte Sommerjacke über den Stuhl hing, nachdem er "Guten Morgen" gewünscht hatte. Es war zwar schon recht angenehm draussen, um diese Uhrzeit ohne Jacke auf dem Motorrad aber doch recht kühl. Auf seinem Platz fand der Mann mit der Wuschelfrisur eine Bäckerstüte mit einem Schokocroissant, weil Semir mit Frühstück dran war. "Aaaah, so mag der Ben das.", murmelte er und griff sofort zu. Sein Partner schien das gar nicht zu hören, jedenfalls sah er nicht vom Monitor auf.
    "Konntest du gut schlafen heute Nacht?", fragte Ben irgendwann, weil er das Gefühl hatte, dass Semir vielleicht der Mord gestern, vor allem an dem jungen Mädchen, mehr mitnahm und er deswegen so schweigsam war. Natürlich hatte es auch Ben beschäftigt, aber er spürte selbst, wie sehr er mit der Zeit abstumpfte. Todesopfer, auch Kinder, auf der Autobahn sah er ja beinahe wöchentlich. "Ging so.", war Semirs kurz angebundene Antwort, die Ben die Augenbrauen hochziehen ließ. Entweder ging es seinem Partner gerade nicht so gut, oder er musste etwas furchtbar Interessantes lesen. Also stand er auf und tigerte mit der Kaffeetasse in der Hand um den Schreibtisch und stellte sich hinter seinen besten Freund. "Bevor du fragst: Das sind Akten von Kevins Fällen, die er nicht in der Tabelle erwähnt hat."


    Ben begann mit zu lesen, kam aber nicht richtig rein, weil er den Anfang verpasst hat. "Hoffentlich nimmt er dir das nicht krumm.", murmelte er irgendwann. "Ich bitte dich. Es sind Akten auf die wir Zugriff haben. Ich muss Kevin doch jetzt nicht um Erlaubnis bitten, mir diese Akten anzusehen.", sagte der erfahrene Polizist und Ben hebte sofort beschwichtigend die Hände. "Hey hey... das sehe ich ja auch so. Du kennst aber auch, wie er bei sowas reagiert.", bei dem Satz ging Ben wieder zurück zu seinem Platz und beschloß, die Akten sich auch mal anzuschauen. Zumindest wusste er jetzt, dass sein bester Freund tatsächlich in etwas vertieft war, und nicht irgendwie schlecht drauf.
    Semirs Konzentration richtete sich wieder auf die Akten. Es war der ein Mordfall an einer Polizistin einer anderen Abteilung, die bei einem Tankstellenüberfall erschossen wurde. Er las Befragungsprotokolle, Anmerkungen, Untersuchungsberichte. Immer wieder gab es Kommentare vom Vorgesetzten Frege, die sich in Semirs Augen sehr nachteilig gegenüber seinem Partner Kevin lasen. War das nun sein subjektives Empfinden, weil er wusste welches Standing der junge Polizist damals hatte? Interessant wurde es, als er ans Ende der Akte gelang. Man hatte einen klaren Verdächtigen, doch man bekam keinen Haftbefehl aus Mangel an Beweisen. Irgendwann wanderte der Fall zu den Akten, die Ermittlungen geschlossen. Im Hirn des erfahrenen Polizisten arbeitete es, als er nochmals die Namen der Ermittler las... er merkte es sofort.


    Sein Partner auch. Ben hatte eine Begabung, Texte nur zu überfliegen und trotzdem Wichtiges sofort zu erfassen, bevor er sich mit einigen Abschnitten näher beschäftigte. "Da waren ja alle drei unserer Opfer an den Ermittlungen beteiligt.", sagte er verwundert. "Ja, das fällt mir auch gerade auf. Und Kevin als Verfahrensführer.", bestätigte Semir und blickte vom Monitor auf. "Die Fälle, die nachgestellt wurden... die waren doch auch allesamt ungelöst, oder?" Ben dachte einen Moment nach und schüttelte den Kopf. "Nein... Plotz Vergiftungsfall wurde doch gelöst." Er klickte sich durch mehrere Dokumente und sah sich verschiedene Datumsangaben an. Dann kramte der junge Polizist auf seinem Schreibtisch und sah sich das Datum auf der Rückseite des Gruppenbildes der Mordkommission an. "Der Tankstellenmord fiel genau in die Zeit des Bildes. Und die nachgestellten Fälle drum herum.", schlussfolgerte er und setzte ein weiteres Puzzleteil ein.
    Semir lehnte sich in seinem Stuhl zurück und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. "Wie groß ist die Wahrscheinlichkeit, dass es sich hier um einen Zufall handelt, dass es ausgerechnet drei von vier Ermittler dieses Falles bisher getroffen hat?" Sein Partner kratzte sich kurz an der Stirn. "Dafür musste man mal überprüfen, wie oft zumindest genau diese drei Ermittler bisher zusammen an einem Fall gearbeitet haben. Das wäre doch eine schöne Fleißarbeit." Dabei grinste er. "Vielleicht hat es da jemand nicht verkraftet, dass der Mörder nicht verurteilt wurde...", setzte er noch hinzu, als er durch die Glasscheibe sah, wie Kevin und Jenny das Großraumbüro betraten. "Zumindest müssen wir ihn jetzt auf den Fall ansprechen." Semir blickte nachdenklich drein: "Eigentlich hätte ihm das doch auffallen müssen, oder?"


    Einige Minuten später hatten auch Kevin und Jenny einen guten Morgen gewünscht. Natürlich wurde sich von Semir und Ben nach dem Wohlbefinden ihrer Kollegin erkundigt, und eigentlich hatten sie damit gerechnet, dass Jenny sich einen Tag zur Erholung frei nimmt. Doch sie wollte unbedingt bei dem Mordfall auf dem Laufenden bleiben, vor allem da Ben heute Abend in den Urlaub fliegen würde, und sie vermutlich dann direkt an Semirs Seite weiterermitteln würde. "Wir müssen nachher noch zur Chefin, wegen eurer gestrigen Schwimmstunde.", sagte Semir. "Und wegen der Fahndung." Kevin wartete einen Moment, bis Jenny das Büro verlassen hatte, um ihre Tasche ins eigene Büro zu legen. "Ich glaube, das können wir uns sparen.", sagte der Polizist mit der oft monoton klingenden Stimme. "Was soll das heißen?" "Ich weiß, wer es war. Ich habe den Wagen erkannt... es war der Gleiche, wie vor der Lagerhalle gestanden hat, in die mich Torben und Bastian damals gelockt haben. Sie wollten Jenny Angst machen, und ich habe sie dabei überrascht. Deswegen ist die Sache aus dem Ruder gelaufen." Wortlos und mit offenen Mündern starrten Ben und Semir ihren Kollegen an. "Und warum sagst du uns das heute erst? Dann hätten wir die beiden doch gestern schon festnehmen können! Das war Freiheitsberaubung, Bedrohung, vielleicht sogar versuchter Mord. Dafür gehen die in den Knast.", sagte Ben lauter und ungehaltener, als er eigentlich wollte. Aber auch Semirs Blutdruck erhöhte sich, und Kevin erschien ihm seltsam sorglos und beinahe... ja, beinahe locker.


    "Ich glaube nicht, dass die beiden abhauen. Die werden die gleiche Show abziehen, wie damals.", sagte er in ruhigem Ton, ohne auf Bens Erregung anzuspringen. "Du glaubst?" "Ich weiß, wenn es dich beruhigt." Semir betrachtete das Worte-Pingpong ein wenig besorgt. Er konnte Bens Ärger verstehen... und Kevin sollte für seine Gelassenheit eine verdammt gute Erklärung haben. "Torben und Bastian werden sich gegenseitig ein Alibi geben. Mir wird man genauso wenig glauben wie damals, vor allem nachdem die beiden vorgestern hier waren und mich provozierten und ich Bastian auf die Fresse gehauen habe. Und Jenny kannte die beiden vorher nicht, konnte sie also nicht erkennen oder identifizieren." "Du hast vorgestern was?", fragte Semir ungläubig... vermutlich war es passiert, als Jenny mit Bonrath beim TÜV war und sie selbst in der KTU. Doch Kevin ging auf die Frage nicht direkt ein. "Höchstens, wenn sie einen Fehler bei den Nummernschildern des Autos gemacht haben. Aber davon gehe ich nicht aus. Glaubt mir, ich würde den beiden auch gern an den Karren fahren. Aber das ist sinnlos." Der erfahrene Polizist, gesegnet mit einer sehr guten Menschenkenntnis, schien so etwas wie Resignation aus Kevins Stimme zu hören. Scheinbar hatte er sich damals sehr aufgerieben, um gegen die beiden nach der Scheinexekution vorzugehen, und es musste ihn sehr verletzt haben, dass ihm nur wegen seiner Vergangenheit niemand glaubte. "Es ist ja zum Glück nicht viel passiert.", setzte er noch leise hinzu. Ben packte Kevin am Arm, als dieser sich schon zu Tür drehen wollte. "Nicht viel passiert? Jenny wäre beinahe draufgegangen, hättest du sie nicht gerettet! Es waren Unbeteiligte bei der Verfolgungsjagd gefährdet! Wie willst du ihr das eigentlich erklären, hä?", giftete er und sah Kevin in die Augen, bevor er von Semir mit einem beruhigenden "Hey hey..." ein wenig zurückgehalten wurde. "Jenny ist der gleichen Meinung. Wir haben schon darüber gesprochen", war Kevins kurze wahrheitsgemäße Antwort, bevor die junge Frau ins Büro zurückkehrte.

    Das hat nichts mit Fachmann zu tun, wenn ich es für äusserst unwahrscheinlich halte, dass ein Herr Richter, der mWn mit Drehbuchschreiberei gar nix zu tun hat, sich 2012 an einen Gag erinnert, den er 2008 bei einem Fantreffen gesteckt bekommen hat. Genauso unwahrscheinlich, dass einer hier eine FF liest und daraus eine Szene kopiert, oder einen Charakter oder sonst was.

    Ich will sagen, dass es eher wahrscheinlicher ist, dass er den Gag schon zwei Tage später wieder vergessen hat.

    Davon ab ist der Thread sicher unterhaltsam, aber für die Macher irrelevant. Die Abwechslung der Fälle ist mMn auch gar nicht unbedingt das momentane Problem der Serie.

    Jenny's Wohnung - 7:00 Uhr


    Es war eine eigenartige Situation, in der sich Kevin und Jenny in dieser Nacht befanden. Die junge Polizistin hatte ihren Kollegen darum gebeten, über Nacht zu bleiben. Sie wollte und konnte jetzt einfach nicht allein in ihrer Wohnung sein und erinnerte sich daran zurück, wie sehr Kevin ihr damals geholfen hatte, nachdem sie vergewaltigt worden war und sie ebenfalls mitten in der Nacht plötzlich Angst vorm Alleinsein bekommen hatte. Sie hatte ihn angerufen, er kam und war ein Schutzschild. Und um das Gleiche bat Jenny ihn auch jetzt... ohne Hintergedanke. Und genau jener Hintergedanke war es, der Kevin innerlich erst kurz zweifeln ließ, äusserlich stimmte er sofort zu. Er würde Jenny heute kein zweites Mal mehr alleine lassen, dachte er sich.
    Sie hatten noch lange miteinander geredet, gemeinsam auf der Couch gesessen, eng aneinander gedrückt. Körperkontakt, sich Trost spendend, sich Mut zu sprechend. Diesmal brauchte diesen Trost Jenny mehr als Kevin. Sie war geschockt von dem Ereignis am späten Nachmittag, die ganze Situation, die Todesangst, die sie bekam unter Wasser und als sie wieder in eine geladene Waffe geschaut hatte. Sie erzählte Kevin, ohne ihm ein schlechtes Gewissen machen zu wollen, dass sie noch oft an das Ereignis in Patricks Keller dachte.


    Aber auch Kevin war offen zu seiner Ex-Freundin. Er erzählte, dass er rausgefunden habe, dass Timmy der dritte Mann bei dem Anschlag auf ihn gewesen war. Und dass jener Timmy längst im Gefängnis bei einem "Unfall" ums Leben gekommen sei, allerdings hatte Jerry ihm damals gesagt, dass Timmy der Verräter gewesen wäre. "Dann kannst du das Kapitel ja endlich abhaken... oder?", fragte Jenny beinahe hoffnungsvoll und strich zärtlich über Kevins Unterarm, auf dem zwei Striche eintättowiert waren. Eine der vielen körperlichen Zärtlichkeiten, die die beiden an diesem Abend und in dieser Nacht austauschten. Zärtlichkeiten, die Trost spendeten und Nähe zeigten, aber nie über ein ganz enges freundschaftliches Verhältnis hinausgingen und in gewisse Intimssphären eindrangen. Es fühlte sich seltsam an...
    "Eigentlich ja. Aber es fühlt sich nicht so an.", sagte der junge Polizist. "Es ist, als hätte ich ein fertiges Puzzle vor mir liegen... ich kann genau erkennen, was das Bild ergibt, aber ein einziges Teil fehlt noch.", versuchte er seine Gedanken zu erklären, und Jenny sah ihm dabei in die hellblauen Augen, in denen sie am liebsten versinken wollte. "Du willst noch wissen, wer der Verräter ist? Wer den Mördern den Weg verraten hat, den nur du und Jerry kanntet?" Kevin nickte. "Ich weiß, dass Timmy damals bei der Gruppe dabei stand. Aber ich weiß nicht mehr, ob ich ein Detail dieser Abkürzung erwähnt hatte. Vielleicht hat der Typ mich auch angelogen, der mir die Info gegeben hat."


    Jenny ergriff Kevins Hand. "Und was, wenn du weißt, wer es war? Was wirst du tun?" Kevin wusste genau, welche Antwort Jenny befürchtete, oder was sie hören wollte. "Ihn umbringen, wie ich es mit zwei der drei Attentäter auch getan habe... oder hätte, wäre Peter Becker nicht in den Selbstmord gesprungen.", wäre wohl eben jene Antwort gewesen. "Nichts.", war die Antwort, die Kevin tatsächlich gab, und von der Jenny überrascht aufblickte. "Was soll ich tun? Ich will einfach nur wissen, wem ich besser nicht vertraut hätte." Der Blick der jungen Polizistin drückte mehr Skepsis aus, als sie eigentlich wollte. "Ich weiß was du denkst... was mit den anderen Attentätern passiert ist. Und ich weiß, wie ich gewirkt habe, wenn ich darüber gesprochen habe. Aber wenn du mich jetzt fragen würdest, ob ich die drei getötet hätte, wenn ich die Gelegenheit gehabt hätte bei klarem Verstand... ich könnte dir keine Antwort darauf geben.", sagte er ehrlich. Peter beging Selbstmord, Timmy hatte einen Unfall im Knast und Patrick... ja, Patrick hatte er erschossen. Allerdings dachte er da, dass er selbst Ben aufgrund Patricks Intrige umgebracht hatte, und kurz davor war, Jenny zu erschiessen. "Ich würde mir nichts sehnlicher wünschen, als dass du dieses Kapitel endlich beenden könntest, Kevin.", sagte Jenny mit leiser Stimme. "Du hast mit uns drei als Kollegen die besten Voraussetzungen in deinem Job endlich Fuß zu fassen. Du hast mit Jerry bald einen echten Freund ausserhalb der Arbeit. Du hast Kalle. Was dir passiert ist, damals und in den letzten anderthalb Jahren, das wird niemals weg zu streichen sein. Aber so geht es auch mir. So geht es Semir mit der Sache im Keller der Germania. So geht es Ben mit seiner Platzangst. Wir müssen alle weitermachen... und das musst du auch." Kevin wurde von Jennys Augen fixiert, als sie ihre Worte sprach, und den jungen Polizisten fast schon anflehte, bittet, als würde sie ihm einen Antrag machen, weil sie auch seine Hand fest hielt. "Lass endlich los." Und das langsame, zeitlupenähnliche und unsichere Nicken ihres Partners war fast genauso schön, wie ein Ja vor dem Standesamt.


    Die nassen Kleider hatte Jenny abends noch in den Trockner geschmissen, so dass Kevin sie am morgen nach einer Dusche wieder anziehen konnte. Er hatte die Nacht auf Jennys Couch verbringen wollen, doch nach nur einer halben Stunde war die junge Polizistin in Decken gehüllt wieder bei ihm aufgetaucht, hatte ihn wortlos bei der Hand genommen und quasi zu ihr ins Bett gepackt. Es war quasi ein langsames Annähren, noch langsamer als bei ihrem ersten Versuch, wo es einen Zwischenfall brauchte, um sie endlich miteinander zu verbinden. Jetzt wachte Kevin über Jenny, er war ihr Schlafmittel, so dass sie sicher einschlafen konnte, wusste sie doch um seine direkte Anwesenheit. Deswegen ging es ihr am Morgen, als sie kurz gemeinsam frühstückten, so gut.
    Ein wenig kam ihre gestrige Angst wieder zurück, als sie gemeinsam die Treppen vor der Haustür heruntergingen, und Jenny Kevins Blick auf einen dunklen Kombi gerichtet sah. Seine Miene vereiste, der Kombi parkte gegenüber ihres Hauses und ein Mann mit schwarzen Haaren und Bart saß darin. Er schien direkt auf ihren Eingang zu schauen. "Warte mal kurz.", sagte der junge Polizist zu seiner Partnerin, und die beobachtete mit einem Zwicken im Bauch, wie Kevin über die Straße lief und auf den Kombi zuhielt.


    Er war noch nicht auf Höhe der Fahrertür, da fuhr die elektronische Seitenscheibe bereits herunter und verschwand in der Tür. "Guten Morgen, Herr Kommissar. Stehe ich im Halteverbot?", kam eine Frage mit leichtem südländischem Akzent aus dem Inneren des Fahrerraums. Kevin legte eine Hand auf das Dach und beugte sich herunter, um mit dem Fahrer auf Augenhöhe zu kommunizieren. "Was willst du hier, Assad?", fragte er ohne Begrüßung einen der, ihm bekannten Handlanger seines speziellen Freundes Anis, der ihm nach dem letzten Fall bereits unmittelbare Folgen angedroht hatte, weil er mehrere seiner Mitarbeiter in eine Falle gelockt hatte und Anis einen riesigen, lukrativen Drogendeal durchkreuzt hatte. "Ich? Ich stehe hier... parke, beobachte die Menschen, beobachte die Au..."
    Weiter kam er nicht. Kevin griff in den Wagen, packte ihn am Kragen seines Hemdes und zog ihn ein Stück mit dem Kopf aus dem Auto heraus. Hätte er noch eine Hand frei gehabt, hätte er noch den Schalter betätigt, um die Scheibe wieder hochfahren zu lassen. "Pass mal auf, du Aushilfsmafiosi! Sag deinem Boss, dass ihr mir keine Angst macht und dass er sich von diesem Haus fernhalten soll... ansonsten fackel ich ihm seinen Club unterm Arsch weg!", drohte er mit zischender Stimme und stieß den Mann wieder zurück ins Auto. Doch genauso unbeeindruckt war der von Kevins Ansage: "Wenn ich mich von diesem Haus fernhalten soll, solltest du dich von diesem Haus fernhalten." Dabei lächelte er, während er Kevin ansah. Der verstand, dass Anis ihn beschatten ließ... und er wohl damit alle Menschen gefährdete, mit denen er zu tun hatte. Mit Eiseskälte in seinem Blick, schien Kevin zunächst an dem Wagen vorbei zu gehen, bevor er nach einem Schritt auf Höhe des Seitenspiegels stehenblieb, um diesen mit einem gezielten Tritt vom Auto zu trennen. Nur die Kabel der Wärme- und Blinkerelektronik verhinderten, dass das ganze Teil zu Boden fiel, das Glas jedoch war zersplittert. Assad entgleisten für einen Moment die Gesichtszüge, während Kevin eine "Hörer-am-Ohr" - Geste mit seiner Hand machte. "Ich werd' mal die Streifenkollegen anrufen, das Fahrzeug ist nicht verkehrssicher.", rief er ihm zu, bevor er zu Jenny zurückkehrte.

    Das zu glauben und wider besseren Wissens zu verbreiten, bleibt auch dir überlassen. Fantasie und Wahrheit von dir zu vermischen ist ja nicht unüblich.

    Wenn ich den Vorschlag mache, dass auf der Autobahn jemand verfolgt und umgebracht wird, und das Ganze aufgeklärt werden soll, dann kann ich auch sagen dass mein Vorschlag schon 261mal umgesetzt wurde, obwohl es nie ein Drehbuchautor gelesen hat.

    Genauso verhält es sich mit zufälligen ansatzweise vergleichbaren Storyideen aus FFs oder Abgängen von Dauer-Charakteren, die 0815 sind.

    Der Thread ist natürlich ne coole Idee von Robert, aber man sollte sich nicht der Illusion hingeben, dass sich jemals ein Drehbuchautor in einem Forum holt, in dem vielleicht ein Dutzend User online sind. Und als Mod sollte man auch nicht diesen Irrglaube verbreiten.

    In der Tat wäre es viel logischer und realistischer gewesen, wenn Ben und Semir erstmal Kevin geholfen hätten.

    Aber ich hab mich diesmal für die Dramatik um Kevin und Jenny entschieden, und gegen den Realismus :D

    Köln - 17:20 Uhr


    Ben und Semir waren, nachdem Kevin von der Brücke gesprungen war, sofort wieder in ihren Wagen zurück gerannt, um vor allem einen Rettungswagen für Jenny zu rufen. Sie hatten gesehen, welche Uferseite Torben und Bastian versuchten zu erreichen und ungünstigerweise war es jene, an der keine direkte Straße, sondern Grünflächen und ein Park vorbei führten. Ben fuhr quietschend um eine Abzweigung hinter der Brücke und bog in einen schmalen, staubigen Weg ab, der hinunter zu den Ufern führte. Staub stieg hinter dem Mercedes auf, der den Weg hinunterrumpelte, doch dann war ihnen naturgemäß der Weg mit einem Zaun, der den Park abgrenzte, versperrt, so dass der junge Polizist den Wagen rutschend zum Stoppen brachte. "Scheisse...", entfuhr es ihm, und er schlug mit beiden Händen aufs Lenkrad.
    Semir stieg sofort aus und schaute prüfend Richtung Rhein. Er konnte sehen, wie die beiden triefenden Männer gerade eine kurze Leiter hochkletterten und zwischen den Bäumen verschwanden. "Da hinten!", rief er und sein Partner machte sich sofort am Zaun zu schaffen. Doch der Maschendrahtzaun gab für die Füße keine Gelegenheit, überzusteigen. Ben sprang und hakte sich mit den Fingern zwischen den Maschen ein, mobilisierte alle Kräfte und wuchtete seinen, nicht gerade leichten Körper, über den Zaun. Dass er sich dabei das Shirt an der Seite zeriss, war ihm egal. "Na los, Opa!" "Der Opa wird dir gleich...", knurrte der wesentlich ältere, aber keineswegs unsportlichere Semir und sprang ebenfalls an den Zaun. Ohne Halt an den Füßen erreichte er aber die nötige Höhe nicht, um sich herüber zu wuchten, und nach einem missglückten Versuch, ließ er wieder los.


    "Ich hol mir die Zwei!", sagte Ben hektisch und wollte schon losrennen. "Warte! Werf mir den Schlüssel!!" Bevor Ben loslief, griff er den Schlüssel des Mercedes und warf ihn Semir über den Zaun. Der hastete zurück ins Auto und parkte den Dienstwagen mit zwei geschickten Wendemanövern so dicht am Zaun, dass man die Beifahrertür nicht mehr hätte öffnen können. Ben war noch keine halbe Minute gelaufen, da war sein Partner bereits dicht hinter ihm, nachdem er über die Motorhaube aufs Dach geklettert war, und so ganz leicht über den Zaun kam.
    Sie fanden schnell die Stelle, an der die beiden Männer scheinbar den Rhein verließen. Doch im Park selbst, der sich am Rhein vorbei erstreckte, konnten sie die Flüchtenden nicht mehr sehen. Sie liefen an Bäumen und Sträuchern vorbei und kamen irgendwann dann auf die Wege, wo sie auch immer mehr Leuten begegneten, die jedoch keine zwei triefend nassen Männer sehen konnten. "Verflucht!" knurrte Semir, während sein Partner sich durchs Haar fuhr. "Die sind weg. Schöne Scheisse..." "Komm, lass uns zurück zu Kevin.", sagte Ben und beide verfielen wieder in einen leichten Laufschritt. Am Zaun musste Ben per Räuberleiter Semir über den Zaun helfen, weil das helfende Auto fehlte. Dafür würde sich der kleine Polizist noch die ein oder andere Spitze seines Partners und besten Freundes in den nächsten Tagen gefallen lassen.


    Kevin war am Ende... er konnte nicht mehr. Er hatte alles versucht, hatte alle Kräfte mobilisiert um Jenny aus dem versinkenden Fahrzeug zu ziehen, sie unter größter Anstrengung der immer schwerer werdenden Kleidung an ihrem und seinem Leib an Land gebracht und sie versucht, wieder zu beleben. Doch nach mehreren Herzmassagen und Beatmungsversuchen konnte er nicht mehr. Er hatte schon wieder versagt... schon wieder versagt einer Frau, die er liebte, zu helfen. Kevin spürte, wie ihm die Luft wegblieb, wie seine Hände, die er um Jennys T-Shirt-Kragen geklammert hielt, nachdem er die letzten Versuche der Wiederbelebung abgebrochen hatte, zitterten. Er kniete neben ihr, hatte sich über sie gebeugt und vergrub sein Gesicht an ihrem Hals.
    In diesem Moment hatte er Bilder in seinem Kopf. Schöne Bilder, hässliche Bilder. Ihre erste Begegnung im Büro... Jenny damals noch in Uniform. Der erste Abend bei ihr, als sie auf der Couch beim Filmeschauen neben ihm eingeschlafen war. Als Kevin sie im Krankenhaus besuchte, als er nach einem Unfall bei ihr war, und sie sich küssten. Aber auch die hässlichen Momente fuhren ihm vor Augen... als sie ihn in der Dusche fand, vollgepumpt mit Drogen und einem Gedächtnisverlust. Als er die Waffe auf sie richtete, fest im Glauben, sie sei die Mörderin seiner Schwester. "Bitte nimm sie mir nicht...", schien er leise, mit tränenerstickender Stimme zu beten.


    Ein Zucken ging durch Jennys Körper, die Drücke auf ihr Herz und ihre Lungen bewirkten, dass sich ihr Organ gegen das Wasser wehrte. "Jenny?" Hätte der junge Polizist nur einige Sekunden weitergemacht, hätte er es auf seine Rettungsmaßnahmen zurückgeführt, so kam es ihm wie ein Wunder vor. Jenny begann zu husten, riss die Augen weit auf und ihre Lunge sog gierig die klare Luft an Land in sich ein, um das Wasser, das die junge Polizistin geschluckt hatte, zu verdrängen. Dabei rollte sie sich im ersten Affekt auf die Seite, Kevin war zurückgewichen und half ihr nun, das Wasser aus zu spucken.
    Es dauerte einen Moment, bis Jenny begriff, wo sie war. Sie hatte um Hilfe geschrien, und Panik bekommen als sie sich nicht aus dem Auto befreien konnte und sie begriff, dass die beiden Männer ihr nicht helfen würden. Das Auto versank, ihr Kopf geriet unter Wasser. Ihre Luft hielt nur für 2 oder 3 Minuten... wie oft hatte sie das als Kind im Schwimmbad geübt, wie lange sie unter Wasser den Atem anhalten würde können. Doch irgendwann ging es nicht mehr. Sie musste atmen, und sie atmete. Sie wollte husten, denn es kam nur Wasser, aber sie konnte nicht. Alles was in ihre Lungen kam, war Wasser. Die Sicht um sie wurde immer trüber, das Sonnenlicht konnte sie im Auto sowieso nicht sehen. Sie würde sterben, schoß ihr durch den Kopf... sterben. Sie würde bald bei ihrem Kind sein. Das Rucken an ihrer Schulter spürte sie noch, kurz bevor sie ohnmächtig wurde.


    Dann wurde Jenny wieder wach, die Sonne scheinte ihr auf die nassen Kleider und sie schnappte gierig nach Luft. Hände ruhten auf ihrer Schulter und ihrem Rücken, als sie neben sich hustete und Wasser spuckte. Es dauerte einige Momente, bis sie sich erschöpft zu der Person umdrehte und sie anblinzelte. So hatte sie ihren Ex-Freund noch nie gesehen. Er atmete unglaublich schwer, als hätte er gerade den Kampf seines Lebens hinter sich. Seine Haare tropften, sein Gesicht war nass, seine Augen feucht und rötlich. Es sah aus, als hätte er geweint... doch es war sicher das Rheinwasser, dachte Jenny. Er hatte sie gerettet... und jetzt nahm er sie in den Arm. Die junge Frau hatte die Hände und Füße immer noch zusammengezurrt, doch sie spürte es nicht. Sie spürte nur Erleichterung, von Kevin umarmt, festgehalten und beschützt zu werden. Und diese Erleichterung äusserte sich in einem Weinkrampf, den die junge Frau ergriff als sie an die letzten Minuten dachte. Erst die Todesangst in ihrer Wohnung, als dieser maskierte Mann die Waffe auf sie richtete, dann die Todesangst im Auto, als sie die Luft nicht mehr länger anhalten konnte. Hilflos, wehrlos. "Ganz ruhig... Jenny, alles okay. Ich bin bei dir.", hörte sie die so beruhigende, wenn auch rasselnde und schwer atmende Stimme von Kevin dicht bei sich. Ein größeres Gefühl an Sicherheit in diesem Moment konnte sie sich nicht vorstellen. Und sie wusste nicht, wie klein und zerbrechlich sich der junge Polizist gerade fühlte, auch wenn er nach aussen den Fels für Jenny gab, an dem sie sich festhielt.


    Für die beiden blieb die Zeit stehen. Sie konnten beide nicht sagen, wie lange es dauerte bis Semir und Ben bei ihnen ankamen, wo der älteste der Vier erst einmal sein scharfes Taschenmesser zückte und der jungen Frau die Fesseln aufschnitt. Kaum hatte sie die Arme frei, schlangen sich diese um Kevins Körper, um noch näher bei ihm zu sein. Kevins Blick, der für Ben eine stumme Frage war, beantwortete dieser mit einem Kopfschütteln. Sie sind entwischt. Verdammt. Der Atem der beiden hatte sich vollständig beruhigt, als der Krankenwagen kam. Jenny fühlte sich zwar wackelig, schwindelig und ein wenig übel von dem ganzen Rheinwasser, aber sie verzichtete darauf, ins Krankenhaus zu fahren. Sie wollte nur nach Hause... aber nicht allein. Ben und Semir fuhren die beiden nassen Kollegen zu Kevins Wagen, der noch auf der Brücke stand, nachdem die Kollegen eingetroffen waren und alle weiteren Bergungsmaßnahmen weiter veranlassten. Ben und Semir blieben dort, während Kevin Jenny nach Hause fuhr. So wie vor etwa einer Stunde. Die junge Frau hatte sich beruhigt, ihr Weinkrampf war abgeklungen, nur hin und wieder spürte sie noch die Klammer um ihre Brust, wenn sie daran dachte, was hätte passieren können. Oder wenn sie einen Seitenblick auf den Mann neben ihr warf, der mit scheinbar unerschütterlicher stoischer Ruhe den Wagen wieder zurück zu Jennys Wohnung steuerte. Vorhin hatte sie Kevins Angebot, dass er mit nach oben kam, aus falscher Ablehnung verneint. Jetzt war sie es, die fragte: "Willst... vielleicht noch mit nach oben kommen." Nicht nur weil er sie gerettet hatte... sie wollte jetzt einfach nicht alleine sein.


    Sie hatte Decken und Handtücher auf die Couch gelegt und sich selbst in Windeseile umgezogen. Kevin gab sie zumindest einen ihrer gemütlichen Feierabendpullis, die ihr drei Nummern zu groß waren, aber nur in Boxer-Shorts wollte er sich nicht hinsetzen. Danach ließ sie sich erschöpft zu Kevin auf die Couch fallen, zog ihre Beine an den Leib und lehnte sich an seinen Körper. Sie redeten für einige Minuten nichts... Jenny genoß einfach Kevins Schutz, seine Aura. Nochmal ließ sie alles Revue passieren, was eben gerade war. "Danke... dass du mich gerettet hast.", sagte sie dann irgendwann in einem leisen, müden Ton. Die Rettung war für Kevin so selbstverständlich, dass er kurz auflachen musste. "Dafür brauchst du mir doch nicht zu danken." "Ich... ich darf gar nicht drüber nachdenken... wenn dir dabei was passiert wäre." Dabei drehte sie den Kopf zu Kevin und ihr Blick traf seinen. Und dabei sah sie ein Lächeln auf dem Gesicht des Polizisten. "Ich hab gestern Juan getroffen. Als er verwundert war, dass ich noch lebe hatte ich spaßeshalber zu ihm gesagt, dass Helden unsterblich sind." Das brachte auch Jenny zum Lächeln und sie fühlte sich ein wenig wohler. "Und? Bist du denn dann ein Held?", fragte sie, ebenfalls ein wenig neckisch. "Zumindest das Springen und Fallen von Brücken in Flüssen scheint mich nicht umzubringen." Die junge Frau seufzte in den Armen des Mannes, mit dem sie schon soviel erlebt hatte. Den sie immer noch liebte, und der sie immer noch liebte. Aber irgendetwas Unsichtbares stand noch zwischen ihnen. Vielleicht würde es irgendwann verschwinden, dachte Jenny und fragte nach zwei Stunden, ob Kevin die Nacht bei ihr verbringen würde...

    Köln - 17:15 Uhr


    Jenny konnte sich während der Verfolgungsjagd nirgends festhalten. Sie rutschte auf der Rückbank hin und her, flog mit dem Kopf mehrmals gegen das Fenster und spürte, dass sie wohl nach dieser wilden Fahrt jede Menge blauer Flecken davontragen würde. Der Kabelbinder um ihre nackten Handgelenke schmerzte, der Typ der sie gefesselt hat war danach wieder auf den Beifahrersitz geklettert. Als die junge Frau immer wieder hin und her geschmissen wurde, fiel sie einmal halb in den Fußraum und konnte durch die Fenster nicht sehen, was passierte. Sie hörte Sirenengeheul, betete mit Furcht, dass es Kevin war, der sie verfolgte. Dann der Schrei des Fahrers... "SCHEISSE!!" Reifenquietschen, ein Krachen und auf einmal änderten sich die Verhältnisse der Schwerkraft. Wie in einer Waschmaschine drehte sich alles, sie fiel vom Sitz gegen die Scheiben und dann gegen das Dach des Autos. Jenny schloß die Augen und schrie ebenfalls.
    Der Schlag aufs Wasser ging ihr durch jeden Knochen. Beide im Vorderraum hatten sofort die Türen aufgedrückt, was das Auto sehr schnell mit Wasser voll laufen ließ. Bastian schaffte es sofort, sich ins Wasser zu ziehen, Torben folgte ihm. "Helft mir!! Bitte helft mir!!!", schrie Jenny in Panik, als ihr das Rheinwasser ins Gesicht spritzte. Sie lag wieder auf den Sitzen, als sie panisch sah, wie der Fußraum des Autos sich mit Wasser füllte. Je mehr hinein lief, desto schneller tauchte das Wasser ab, desto mehr lief hinein... ein Teufelskreis. Innerhalb von Sekunden stand ihr die Brühe durch die offenen Türen bis zum Hals... und verschloß dann ihren Mund und das Gesicht.


    Kevin hatte das Gefühl, dass der Boden unter ihm schwankte. Dass die Brücke plötzlich begann zu schwingen, als er nach unten ins Wasser blickte. Wie Torben und Bastian sich aus dem Auto schälten, das mit Wasser voll lief und bereits zur Hälfte unter die Wasserfläche gesunken war. Es kam ihm wie eine Ewigkeit vor, obwohl er nur Bruchteile von Sekunden heruntersah, bis er realisierte was gerade geschah. Semir und Ben kamen im Laufschritt zu ihm, als er gerade ansetzte um über das Geländer zu steigen. Ben packte ihn am T-Shirt und zog ihn weg vom Geländer. "Bist du bescheuert? Wir müssen runter ans Ufer! Wenn du darunterspringst wirst du sie im Wasser nicht kriegen." Der Polizist wusste nicht, dass ihre Kollegin im Wasser gerade dabei war zu ertrinken und wollte Kevin davon abhalten, unnötig den Helden zu spielen.
    Der junge Polizist allerdings griff Ben aggressiv am T-Shirt, so dass dieser davon völlig überrascht war, und stieß ihn zur Seite. "Lass mich los! Jenny ist da im Auto!!", rief er und ließ sich nicht davon abhalten, über das Geländer zu steigen. Von der Information war Ben und Semir völlig überrascht und erschrocken, so dass sie Kevin für einen Moment nur stumm zusahen, wie er mit einem Kopfsprung die neun Meter der Brücke überwand und dicht neben dem sinkenden Autowrack ins Wasser eintauchte. "Scheisse...", sagte der Polizist mit der Wuschelfrisur atemlos, und wurde erneut am Shirt gepackt, diesmal von Semir. "Los, wir müssen uns die Typen schnappen!" In Ben erwachte wieder das Leben, und beide rannten zurück zu ihrem Dienstwagen.


    Schon beim Sprung hatte Kevin tief Luft genommen und den Atem angehalten. Das Auto sank, und er wusste dass er es besser bereits beim ersten Mal schaffte, Jenny aus dem Wrack zu holen. Würde er einmal auftauchten müssen, um wieder Luft zu holen, könnte das Auto schon zu tief versunken sein. Ausserdem hätte er dann zweimal Luft geholt, in einer Zeit in der Jenny es nur mit einem Mal schaffen musste... sie würde es nicht schaffen. Der junge Polizist glitt durch den Sprung und seine starre Haltung wie ein Hai ins Wasser hinein und versuchte krampfhaft, im trüben Gewässer etwas zu erkennen. Er kniff die Augen zusammen und sah das Auto recht klar vor sich. Durch die Seitenscheibe erblickte Kevin seine Ex-Freundin, wie sie sich in Panik wie ein Aal hin und her wand, um irgendwie zu versuchen aus dem Gefängnis zu entkommen.
    Kevin ergriff den Türgriff der hinteren Tür, doch unter Wasser war es schwierig, eine Tür gegen die Massen des Wasser zu öffnen. Auch konnte sich der Polizist nicht abstützen, um wirklich Kraft auf den Griff ausüben zu können. Es würde ihn zuviel Kraft und zuviel Zeit kosten, das bemerkte er bereits nach zwei Versuchen. Dann erst sah er, dass die vordere Tür bereits offen war, aber gerade von den Wassermassen langsam zugedrückt wurde. Bevor sie ins Schloß fiel, ergriff er sie und drückte sie mit aller Gewalt auf. Hier konnte er zwischen Tür und Auto klemmen, und dadurch Druck ausüben in dem er sich am Auto abstützte.


    Er spürte ein Lähmungsgefühl in den Armen, soviel Kraft musste er aufbringen, und dass das Auto ihn immer wieder in die Tiefe zog. Ausserdem gierten seine Lungen nach Luft. Doch das Bild seiner zuckenden Partnerin verschaffte ihm ungeahnte Kräfte. Jenny konnte nicht mehr, Luftblasen glitten aus ihrem Mund - ein untrügliches Signal, dass sie zu atmen versuchte, und begann, Wasser zu schlucken. Ihre Bewegungen wurden schwächer... würde sie zu lange ohne Sauerstoff sein, würde sie sterben. Kevin griff durch den Innenraum, und bekam einen Arm unter ihre Schulter. Er hatte Glück, dass Jenny sowohl sehr leicht, als auch sehr schlank gebaut war. So konnte er sie, zwar unter großer Anstrengung, aber ohne Probleme zwischen den Kopfstützen der Vordersitze in den Vorraum ziehen.
    Erst, als er ihren Oberkörper schon aus der Tür hatte, und sich mit den Füßen am Rahmen abstieß, stieß er auf Widerstand. Jennys Fuß hing am Lenkrad fest. Für einen Moment wollte der junge Polizist aufgeben. Sollte er doch versinken... er wollte Jennys Körper fest umarmen und aufhören, die Luft anzuhalten. Sie würde nicht allein sein... doch diese Entscheidung hatte er nicht zu treffen. Er hielt ihren Körper mit einem Arm fest umschlungen und beugte sich mit größter Kraftanstrengung wieder in das Auto hinein, um ihren Fuß vom Lenkrad zu lösen. Kurz bevor er das Gefühl hatte, seine Lungen würden explodieren, schaffte er es.


    Der Polizist wusste nicht, wie tief ihn das Auto bereits gezogen hatte. Den Blick nach oben gerichtet, konnte er schwach das Sonnenlicht sehen. Im linken Arm hielt er die schlaffe Jenny umklammert, mit dem rechten Arm und beiden Füßen vollführte er mit allerletzter Kraft Schwimmbewegungen. Es machte ihm Mut, dass das Sonnenlicht stärker wurde... er kam nach oben. Wie lange war er schon hier unten? Wie lange hielt er bereits die Luft an? Und wie lange konnte ein Mensch eigentlich die Luft anhalten, bevor er selbst ohnmächtig wurde? Jenny bewegte sich nicht in seinem Arm, das machte ihm Angst. Gefühlt schwamm er mehrere Minuten, aber das hätte er nicht geschafft. Real war er schneller und doch knapp, bevor ihn Lungenvolumen und Kraft verließ, erreichte er die Wasseroberfläche, an der er gierig Luft in seine Lungen sog.
    Sofort hielt er Jenny im Rettungsschwimmergriff, so dass sie ebenfalls mit Nase und Mund an der Oberfläche war. "Jenny?", keuchte er, doch seine Ex-Freundin gab keinen Laut von sich. Jetzt geriet Kevin in Panik. Er mobilisierte nochmal jeden Muskel im Körper, als ginge es in die letzte Runde eines schweren Boxkampfes, in dem er unglaublich viele Schläge einstecken musste, und es wahnsinnig viel Kraft kostete, auf den Beinen zu bleiben. Und Jerry sagte ihm: "Jetzt hast du 11 Runden durchgehalten... jetzt hau ihn in der 12ten halt einfach K.o." Und Kevin wollte dem Mann in der Ecke sagen, dass er nicht ganz dicht sei. Seine Arme waren wie Wackelpudding, seine Beine wie Zuckerwatte... und trotzdem schlug er ihn auf die Bretter.


    Jetzt brannte Kevin jeder Muskel, seine Lungen keuchten und rasselten... und trotzdem schaffte er es, das Rheinufer mit Jenny zu erreichen. Er spürte unter den Füßen die Steine des langsam ansteigenden Ufers, er sattelte Jenny um, aus dem Rettungsschwimmergriff in seine Arme. Er trug sie wie eine Meerjungfrau, beide triefend nass, ans Ufer, wo er sie zärtlich wie einen gefundenen Schatz ins Gras legte. Sie sah aus, als würde sie friedlich schlafen, und Kevin sah aus, als würde er versuchen sie wachzuschütteln. Doch seine panische, vom Wasser kratzige Stimme, passte nicht zu einem friedlichen Aufwecken. "Jenny! Jenny!!" Er rüttelte an ihren Schultern, wie an einer Puppe, die keinen Laut von sich gab. Und als er ihr zwei Finger an den Hals legte, spürte er auch keinen Puls.
    Er konnte seiner Schwester damals nicht helfen... er lag bewegunslos am Boden, abgestochen wie ein Stück Vieh und musste zusehen, wie Janine starb. Jetzt konnte er etwas tun. Er legte beide Hände übereinander auf ihren Brustkorb... bei der Übung zählte er immer die 5 Drücke, die man abgab, wenn man alleine war. Dann den Mund auf die Nase gepresst, und er versuchte das letzte Volumen Luft aus seinen Lungen zu pressen, mit dem Unterschied zum Wasser, dass er jedesmal wieder tief einatmen konnte. Dann wieder das Herz massiert oder zumindest erreichen, dass Jenny atmete, dass sie das Wasser aus ihren Lungen ausspuckte. Kevin stiegen vor Panik, Angst und Verzweiflung Tränen in die Augen, als er spürte, dass seine Massage schwächer wurden und er nicht mehr soviel Luft in ihren Körper drücken konnte, als bei den ersten beiden Versuche. Er durfte nicht aufgeben, sie durfte nicht sterben... doch er konnte nicht mehr. Es ging nicht mehr. "Lass mich bitte nicht alleine, Jenny...", flüsterte er kraftlos, als er bei den letzten verzweifelten Drücken auf ihren Brustkorb über ihr zusammenbrach.

    Köln - 17:00 Uhr


    Kevin war vielleicht 50 Meter von Jennys Wohnung entfernt, stand an einer Ampel und kramte in seinem Gedächtnis, woher er diese Autonummer kannte. Der Doppelmord, Jennys Gefühle und ihr Gesichtsausdruck, als sie gerade sagte, dass sie lieber alleine sein wolle... alles war wie weggeblasen. Der junge Polizist warf einen Blick in den Rückspiegel, und er sah das Heck des silbernen BMWs, als er plötzlich den Geistesblitz hatte. Und mit dem Geistesblitz kam Panik in ihm auf, die blanke Panik.
    Ein kurzer Blick reichte, um sich zu vergewissern, dass er niemanden gefährden würde. Dann wendete er den Dienstwagen mit quietschenden Reifen, parkte direkt hinter dem silbernen BMW und dachte für eine Sekunde nach. Sollte er Verstärkung rufen? Was ist, wenn er sich irrte? Er hatte die Hand schon am Funkgerät und entscheidete sich dagegen. Mit einer schnellen Bewegung stieg Kevin aus dem BMW und lief die wenigen Schritte bis zur Haustür des Mehrparteienhauses, aus dem gerade eine ältere Frau trat. Gehetzt lächelte der Polizist der Frau kurz zu und quetschte sich dann an ihr vorbei durch die offene Tür. Jennys Wohnung lag im ersten Stock, und ihr Ex-Freund glitt nun beinahe lautlos die Treppe hinauf. Als er an Jennys Tür stand, wurde seine Panik real. Er hörte ein leises Wimmern...


    Mit gezückter Waffe nahm der Polizist Anlauf und gab der Tür einen Kick, der sie nicht standhielt. Der Vermummte, der Jenny die Waffe an den Kopf hielt, sah sofort erschrocken auf, und reagierte geistesgegenwärtig. Er packte die junge Frau, die erschrocken aufquiekte, und schlang seinen Arm um ihren Oberkörper. Kevin konnte gerade noch sehen, wie er die Waffe durchlud, und scheinbar erst jetzt eine Kugel in die Kammer glitt. Dann hielt er ihr die Waffe an den Kopf. Gleichzeitig wollte sich der zweite Vermummte auf Kevin stürzen, denn dieser stand näher an der Tür. Sein schneller Fausthieb ging ins Leere und er bekam eine mustergültig vorgeführt, wie man mit einem Schlag auf die Handkante und einem schnellen Tritt gegen die Kniescheibe erst entwaffnet und dann zu Fall gebracht wurde. Der junge Polizist kniete sich halb auf den Verbrecher und zielte auf das zitternde Bündel Jenny, das festgehalten wurde.
    "Lass die Waffe fallen!" Die Stimme des Vermummten klang fremd und gleichzeitig seltsam vertraut. "Nur über meine Leiche.", sagte Kevin mit kalter Stimme. "Kevin...", wimmerte Jenny und er konnte ihre Panik im Gesicht sehen. Es war nicht die Angst vor dem Mann, der sie festhielt. Die junge Frau hatte schon viele gefährliche Situationen er- und überlebt. Natürlich hatte sie dabei oft Angst... aber diese Panik in ihren Augen... war etwas anderes. Und Kevin bemerkte es als er selbst auf seine Waffe blickte.


    Er zielte auf sie... und Jennys Stimme klang so ängstlich, panisch und zerbrochen, wie in Patricks Keller. Als Kevin ihr die Waffe an die Stirn hielt... als Jenny glaubte, er würde sie jetzt erschiessen, weil er sie nicht erkannte. Aus dem Blick des jungen Mannes wich die Entschlossenheit. "Leg die Knarre weg, oder ich erschiesse deine Freundin jetzt und hier!", drohte der Mann hinter der Maske, und auch seine Stimme klang nicht sicher. Die Sache lief aus dem Ruder. "Steh auf!" Kevin ließ die Waffe sinken und stand langsam von dem zweiten Vermummten auf. Dieser revanchierte sich gleich, stand auf und schlug Kevin mit seiner Waffe ins Gesicht. Der Hieb kam so plötzlich und unerwartet, dass der Polizist blutend zu Boden ging.
    "Los komm, wir müssen weg.", rief er, ebenfalls nervös, und ging an dem stöhnenden Kevin vorbei. "Du kommst mit, damit dein Freund uns nicht folgt.", sagte der Kerl, der Jenny noch umklammert hielt, zu seiner Geisel. Beim Vorbeigehen trat er Kevin in den Rücken. Dann senkte er die Waffe von Jennys Kopf weg zu ihrem Rücken, damit es auf der Straße nicht sofort wie eine Geiselnahme aussah. Ersterer Vermummte hatte den BMW bereits aufgesperrt und war auf der Fahrerseite eingestiegen. Der zweite drückte erst Jenny auf die Rücksitze und stieg dann ein, bevor er Jennys Arme und Füße mit Kabelbinder fest zusammenband.


    Kevin hatte nach dem Schlag mit der Pistole Sterne gesehen. "Fuck... Jenny...", murmelte er, vor Schmerzen stöhnend und rappelte sich langsam auf. Er spuckte ein wenig Blut aus, das ihm von der Nase in den Mund gelaufen war und klaubte die Waffe auf. Als er auf die Straße gestolpert kam, fuhr der silberne BMW gerade mit quietschenden Reifen los. Im ersten Affekt wollte Kevin die Waffe nach oben reißen und schiessen, doch er erinnerte sich gerade noch daran, dass seine Partnerin im Auto saß. Deswegen riss er lieber die Fahrertür seines Dienstwagens auf und stieg ein, um die Verfolgung aufzunehmen. Jetzt griff er auch zum Funkgerät: "Cobra 11 2 an Cobra 11 1, seid ihr irgendwo?", rief er gehetzt in den kleinen Plastikapparat, als er den Motor aufschreien ließ. "Kevin, hier ist Semir? Wir sind noch in der Stadt unterwegs, was ist los?" "Ich verfolge einen alten silbernen BMW! Sie flüchten auf der Hohenzollernstraße in Richtung Rheinbrücken! Ich brauche Verstärkung!" "Wir sind ganz in der Nähe! Was ist denn los??", rief Semir und man konnte im Hintergrund bereits die Vollbremsung hören, die Ben scheinbar vollführte um die Richtung zu wechseln. "Erklär ich euch später! Beeilt euch, verdammt!!" Der silberne BMW missachtete Vorfahrtsregeln, rote Ampeln und überholte links, wie rechts. Kevin folgte ihm, musste mehrere Zusammenstöße vermeiden. Er war sich sicher, dass die beiden Typen Jenny nichts antun würden. Torben und Sebastian waren eigentlich schon weiter gegangen, als sie eigentlich wollten. Er war sich sicher, dass sie Jenny nur Angst machen wollten, so wie ihm damals. Warum, das war Kevin allerdings unklar.


    Ben hatte das Blaulicht angeschaltet und hatte die Richtung geändert. Über Funk gab Kevin immer wieder Position und Richtung durch, wenn sie mal irgendwo abbogen, und er den BMW im Schleudergang über eine Kreuzung trieb. "Wir fahren jetzt auf die Deutzer Brücke zu!", rief Kevin ins Funkgerät und spürte, wie der Wagen vor ihm Schwierigkeiten hatte, die Spur zu halten um dann nochmal zu beschleunigen. "Wir kommen euch entgegen und schneiden ihm den Weg ab!", hörte er Semirs gehetzte Stimme.
    Bastian am Steuer sah den Mercedes mit Blaulicht auf sich zu kommen. Er lenkte nach rechts um den Wagen, den sie gerade überholten zu rammen, um Chaos zu produzieren. Das gelang ihm... jedoch anders, als er es wollte. Kevins Augen wurden vor Schreck größer, wie der BMW durch den Kontakt mit dem anderen Auto ins Schlingern geriet, während Ben den Mercedes querstellte. Bastian bekam den schweren BMW nicht mehr in den Griff, schleuderte auf einen abgeflachten Betonpoller am Brückenrand zu und hob darüber ab. Er überflog das Metallgeländer der Deutzer Brücke und Kevin sah nur noch, wie das Auto hinter dem Geländer verschwand. Als er das brutale, krachende Aufplatschen im Rhein hörte, war er schon, genauso wie Ben und Semir, aus dem Auto gesprungen und rannte an das Brückengeländer. Wie in einer Trance, die nur wenige Zehntelsekunden anhielt, sah er, wie sich die zwei dunkel gekleideten Gestalten aus dem, langsam versinkenden Auto befreit hatten und Richtung Ufer schwammen. Von Jenny war nichts zu sehen.

    Köln


    Die vier Polizisten erlebten diesen Tag, wie durch einen unsichtbaren Schleier gedämpft. Alles, was nach dem Zeitpunkt, als Ben und Semir in das zweite Kinderzimmer gegangen waren und die schreckliche Entdeckung im Bett gemacht hatte, lief in ihrem Kopf wie ein Film ab. Sie mussten funktionieren, sie MUSSTEN funktionieren. Sie waren Polizisten. Semir, der vorgegangen war, brauchte an dem jungen Mädchen keinen Puls mehr fühlen oder Rettungsmaßnahmen einleiten... sie war tot. Er verließ mit Ben, der gar nicht erst bis zum Bett gegangen war, erschüttert das Zimmer und sagte noch leise zu Kevin, der mit Jenny ebenfalls völlig atemlos am anderen Ende der Leitung lauschten, dass er die Spurensicherung veständigen sollte. Sie würden so lange im Haus bleiben, falls jemand vorbeikam, schließlich fehlte noch ein Kind.
    Als Kevin den Hörer auflegte, ließ er die Hand für einige Sekunden auf dem Hörer liegen und starrte stumm den Monitor an. "Wenn er die Ermittler der Mordkommission für etwas bestrafen will, wird er keine Unbeteiligten reinziehen." hatte er eben gesagt, als er es für unwahrscheinlich bezeichnete, dass der Mörder sich ausgerechnet diesen Fall aussuchen würde. Er hatte unrecht... der Polizist spürte die Hand seiner Kollegin auf der Schulter, er spürte das Zittern und Beben und ihm wurde bewusst, dass Jenny gerade ebenfalls Halt brauchte. Er stand auf, um sich zu seiner Ex-Freundin zu drehen und sie in den Arm zu nehmen, nach diesem schrecklichen Hörspiel am Telefon. Dann verständigte er sofort Meisner und sein Team, und warnte ihn bereits vor.


    Die beiden besten Freunde, die im Haus beide auf der Treppe saßen um auf die Kollegen zu warten, schwiegen sich an. Sie bearbeiteten nicht alzu viele Mordfälle, und es war äusserst selten, dass ein Kind beteiligt war. Autounfälle, in denen Kinder beteiligt waren, waren schon belastend genug. Aber dieser Mord erschien ihnen so sinnlos, so brutal. Die Rache hätte der Täter auch genommen, wenn es um Rache ging, in dem er den ehemaligen Polizisten tötete. Das Mädchen zu töten war nicht nötig, es diente lediglich der Vollständigkeit, um den Tatort nachzustellen. Semir blieb auch noch auf der Treppe sitzen, als Ben nicht mehr still sitzen konnte und durch das Haus tigerte, ohne etwas anzufassen, ohne nochmal in den Bereich des Toten zu laufen, bis Semir grummelte: "Setz dich doch endlich mal hin."
    Es schien ewig zu dauern, bis Meisner und sein Team in weißen Schutzanzügen anrückte. Ohne selbst nochmal nach oben zu gehen zeigte Semir dem erfahrenen Gerichtsmediziner den Weg nach oben. Meisner selbst war abgehärtet... manche sagten auch böse, abgestumpft. Aber er hatte ein Gefühl für seine Mitmenschen, und es war nicht schwer zu erraten, dass beiden Polizisten die Entdeckung dieses Tatortes sehr an die Nieren ging, und so unterließ er seine makabaren Scherze und beließ es bei einem kurzen "Ziemliche Schweinerei... ich schick euch den Bericht so schnell wie möglich." Ben ging Richtung Ausgang, er wollte raus aus diesem Haus und zwar so schnell wie möglich. "Wir müssen die Frau verständigen... die will sicher... also, die will die beiden sicher sehen." "Ich denke, heute nachmittag ist das möglich."


    Am frühen Nachmittag, als Meisners Bericht bei der Autobahnpolizei per Fax und E-Mail eintrudelte, und die vier Polizisten die Bilder, nur unter größter Anstrengung mit der alten Tatort-Akte des Mordes verglichen, waren sie erneut verblüfft ob der Ähnlichkeit. "Soll der Täter gewusst haben, dass an diesem Tag nur das Mädchen bei ihm ist?", fragte Ben, als Jenny sich vom Tisch abstieß und auf ihren Platz setzte, damit sie die Fotos der beiden toten Kinder nicht mehr ansehen musste. Der Mordfall damals war die Frau, statt dem Mann... aber natürlich musste der Polizist das Opfer sein. Das Mädchen damals war Einzelkind, Hollinger dagegen hatte noch einen älteren Sohn, der sich aber gerade bei der Mutter aufhielt. Ein Seelsorger und zwei Beamte der Autobahnpolizei fuhren zu der Frau, um sie zu informieren.
    "Schaut mal... die Lage der Leiche ist wieder komplett identisch. Die Frau und Hollinger sind beide im Schlafanzug. Beide Mädchen sind genau gleich aufgedeckt.", sagte Semir. Ein Psychologe hätte bei der Erstellung eines Täterprofils wohl seine wahre Freude. Kevin war völlig stumm im Hintergrund. Er stand hinter Semir und Ben, die am Tisch saßen und über den Bildern brüteten, hatte die Arme verschränkt und man hätte meinen können, er schaue fokussiert auf die beiden diskutierenden Beamten. Aber mit den Gedanken war er weit weg, und Jenny spürte das. Als sie dann zu viert das Büro verließen, um zu Meisner zu fahren, weil die Mutter des Mädchens ihre Tochter, als auch ihren Mann sehen wollte, fasste die junge Frau ihn kurz am nackten Unterarm. "Du hattest keine Schuld, okay? Das konnten wir nicht nicht wissen.", sagte sie mit leiser, aber eindrücklicher Stimme und suchte in seinen Augen den gleichen Ausdruck, den er hatte, als das Mädchen damals verbrannte und er sich die Schuld gab. Sie konnte ihn nicht finden... "Selbst, wenn es Hinweise gegeben hätte, wären wir nicht rechtzeitig gekommen." "Ich weiß. Es ist alles okay, ich bin nur genauso geschockt wie die anderen." Und als er Jennys mahnenden Blick spürte, wiederholte er nochmal: "Wirklich!"


    Die Fahrt in die Gerichtsmedizin verlief in beiden Autos schweigend, und sie begleiteten eine Frau, die an diesem Tag mit ihren rötlich gefärbten Haaren und einer modischen Brille sicherlich älter aussah, als sie wirklich war. Sie zitterte, wurde von einem Mann, der sich später als Lebensgefährte herausstellen sollte, und ihrem 16jährigen Sohn, der gefasst, aber recht blass war, gestützt. Meisner hatte in der Schnelle die Untersuchungen der Leichname abgeschlossen, wobei es nicht viel zu untersuchen gab. Die Abdeckung hatte er bis dicht unters Kinn gezogen und die Wunden ein wenig verbunden, damit der Anblick nicht zu schlimm war. Jenny blieb aus dem Raum, in dem beiden Körper lagen, mit Ben zusammen draussen. Sie fühlte sich nicht wohl bei der Sache, und ihr Kollege blieb deswegen auch bei ihr.
    Die Frau weinte, der Mann war ihr Halt, zumindest so lange sie vor ihrem toten Mann stand. Als sie zur Tochter wechselten, begannen auch seine Lippen zu beben, scheinbar hatte er zu der Stieftochter ein gutes Verhältnis gehabt. Semir stand stumm und ehrlich betroffen da, warf einen kurzen Blick auf Kevin, der völlig entrückt schien. Er sah auf den Jungen, der stumm eine Träne über seiner Schwester vergoß, und ihre kalte tote Hand unter der Abdeckung erfasst hatte und hielt. Plötzlich begriff der erfahrene Polizist, dass sein Partner genauso da gestanden hatte... vor seiner toten Schwester, die bestialisch ermordet wurde. "Wir lassen sie noch einen Moment allein.", sagte er schnell und musste Kevin leicht am Arm fassen, um ihm durch sanftes Drücken zu signalisieren, den Raum zu verlassen.


    Weder Frau Hollinger noch ihr Sohn sahen sich im Stande, an diesem Tag noch Fragen zu beantworten. Es war bereits späterer Nachmittag, als die vier Polizisten von den kühlen Räumen der Gerichtsmedizin wieder an die heiße Sonne gingen. Alle waren fix und fertig, Semir sah auf die Uhr. "Vielleicht ist es besser, für heute Feierabend zu machen.", sagte er nachdenklich. "Wie bitte? Der Mörder läuft noch frei herum, und du willst Feierabend machen?", fragte Ben sofort in einem aggressiven Tonfall, der Jenny aufblicken ließ. "Ben... du merkst es doch gar selbst, wir sind mit den Nerven runter. Alle Ermittler, die jetzt noch in Frage kommen, wissen Bescheid. Solange niemand von denen ein Bild bekommt, wird nichts mehr passieren." Sein Blick fiel auf Kevin, der stumm nickte. "Morgen früh gehts weiter, ok?"
    Ben beruhigte sich schnell wieder und entschuldigte sich für das Anfahren. "Komm, ich fahr dich nach Hause.", sagte Kevin zu Jenny, und beide stiegen in den Dienstwagen von Kevin ein, nachdem sie sich verabschiedet hatten. Als der junge Polizist in die Straße einbog, fiel ihm ein älterer, silberner BMW auf, dessen Nummernschild ihm bekannt vorkam. Er dachte, die Buchstabenfolge mit den Zahlen hätte er schon einmal irgendwo gesehen. Durch den Vorfall heute morgen hatte Jenny völlig vergessen, mit Semir und Ben über die ominösen Nachrichten zu sprechen. Sie wollte aber jetzt, in der Situation, nicht Kevin darauf ansprechen.


    Die junge Frau wollte eigentlich gar nicht aussteigen, nicht weg von Kevin, der starken Schulter, die er heute auch ausstrahlte, auch wenn ihn die Situation in dem Raum mit den beiden Leichen und der Erinnerung an Janine sehr mitgenommen hatte. "Das war furchtbar heute.", sagte sie leise. "Das ist so schlimm... dieses Gefühl wenn du... wenn du hörst, dass ein Mensch, den du geliebt hast, tot ist." Sie redete für einen Moment, ohne nachzudenken, und Kevin blickte zu ihr. Er konnte sich denken worauf sie anspielte. "Ja. Und es tut mir immer noch unendlich leid, dass ich dir dieses Gefühl bereitet habe." Sie waren zusammen, und dann hatte sich Kevin entschieden, Annie zu suchen um im Kolumbien zu verschollen. Jenny hatte damals von Juan nur erzählt bekommen, er wäre tot.
    Jenny seufzte, rieb sich durch die Augen und sah den Mann neben ihr an. Sie konnte die Gefühle einfach nicht einordnen. In manchen Momenten wäre sie ihm am liebsten um den Hals gefallen und hätte ihn geküsst, weil sie noch soviel für ihn empfand. Und manchmal hatte sie immer noch Angst vor ihm... als er über einem Zelleninsasse gebeugt war, und diesem Prügel androhte. Dieser kalte Blick in seinen Augen, wenn er zu etwas entschlossen war, ließ ihr immer wieder die Bilder aus dem Keller hochkommen. Es hielt sie davon ab, einen neuen Versuch zu starten, und Kevins "Soll ich noch kurz mit raufkommen?", empfand sie als solchen Versuch, weswegen sie ihn auch ablehnte. "Ich... ich will lieber etwas alleine sein.", sagte sie und gab dem Polizisten einen Kuss auf die Wange, bevor sie ausstieg.


    Die ganz leichten Kratzspuren an ihrer Tür bemerkte sie nicht. Die Tür war ordnungsgemäß wieder verschlossen worden, und so schöpfte sie keinerlei Verdacht, dass etwas nicht stimmen würde. Doch die beiden Angreifer, mit schwarzen Masken verhüllt, versteckten sich im ersten Zimmer neben der Haustür und schlugen zu, als Jenny gerade bis ins Wohnzimmer kam, um dort eine Pistolenmündung im Nacken zu spüren. "Keinen Mucks!", sagte eine kalte Stimme hinter ihr, woraufhin sie erstarrte. Geübt öffnete der Mann den Holster an ihrer Hüfte und zog ihre Dienstwaffe heraus, während der zweite Angreifer sich vor sie stellte. "Los, auf die Knie!", hörte sie die Stimme von hinten. Ihr Herz wollte zerspringen, ihre Stimme wollte nach Kevin schreien. Ach, hätte sie nur mit "Ja" geantwortet.
    Was wollten die beiden? Ein Überfall? Eine Vergewaltigung? In Jennys Kopf tauchten 1000te Bilder auf, schlimme Bilder von Mark Schneider, der sie vor einem Jahr vergewaltigte, von Patrick und Carsten, die sie entführten... von Kevin, der eine Waffe auf sie gerichtet hatte. "LOS!", schrie die Stimme, weil Jenny nicht reagierte und riss sie nach unten auf die Knie. Als sie hochblickte, spürte sie den kalten Lauf einer Waffe direkt an der Schläfe und die einprägsamen Worte: "Wir haben dich gewarnt..."

    Wohnung in Köln - 10:00 Uhr


    Ben war nachdenklich und still auf dem Weg in einen Vorort von Köln, wo man von Großstadt nichts sehen konnte, wo die Langsamkeit regierte und man herrlich im Rheinland die Seele baumeln lassen konnte. Bäume säumten die Landstraße und trennten den Asphalt von Wiesen, Feldern und Pferdekoppeln. Ein Traktor zog eine Staubwolke hinter sich her, als er den lockeren, trockenen Boden aufbereitete, um bald neue Einpflanzungen vorzunehmen. Er würde viel Wasser benötigen, wenn die Pflänzchen das heiße Wetter überleben sollten. Ein gelbes Ortsschild kündigte an, das Tempo zu drosseln und die ersten Häuser waren am Straßenrand zu sehen.
    "Was ist los? Seit der Besprechung bist du so still?", fragte der Fahrer seinen jungen Partner. "Ich versuche mir krampfhaft auszureden, dass Kevin uns schon wieder etwas verheimlicht.", sagte Ben in einer Mischung aus Sarkasmus und ernsthafter Befürchtung. "Wegen seiner Fälle, die er nicht in die Übersicht mitgenommen hat?" Der junge Polizist nickte und rümpfte die Nase. Auf dem Feld neben ihm sprühte ein Landwirt gerade Gülle, und mach roch die frische Landluft bis ins Auto. Der Stadtmensch Ben zog es vor, das Fenster zu schließen. "Da ist doch wieder irgendwas im Busch. Warum will er nicht, dass wir davon wissen?" Semir spitzte ein wenig die Lippen. "Vielleicht ist es etwas unangenehmes." "Ach unangenehm. Mit wem will er denn darüber reden, wenn nicht mit uns." "Ben, er redet halt nicht gern über unangenehmes. Ja, er verheimlicht uns zuviel, aber wir können ja jetzt nicht verlangen dass er mit uns über jedes seiner Probleme redet, vom drückenden Schuh bis zur verrutschten Unterhose." Ben zog eine Schnute, als Semir den Witz riss. "Vielleicht hat es aber mit dem Fall zu tun. Ich spreche nachher mal mit Jenny." Der erfahrene Beamte nickte, das hatte er selbst ja auch noch vor.


    Semir hielt den BMW an einem hübschen kleinen Haus, dessen Vorgarten wie ein Wildgarten wirkte. Verwuchert, aber einigermaßen in Ordnung gehalten, scheinbar war der Wildwuchs so gewollt. Ein stählernder Bogen, der vollgewachsen war, lud als Eingang ein. Es war ganz still im Wohngebiet, als die beiden Polizisten langsam zur Haustür gingen, doch die lockere Miene der besten Freunde verschwand sofort. Die Tür war aufgebrochen und nur angelehnt. "Schau mal.", sagte Semir, doch Ben hatte bereits gesehen, dass hier etwas nicht stimmte. Für einen Moment waren sie sich unsicher, ob sie zu den Dienstwaffen greifen sollten, sie entschieden sich zunächst dagegen und drückten langsam die Tür auf. "Hallo? Ist jemand da?", rief er in das schweigende, aufgeräumte Haus.
    Der Flur, in dem rechts nur ein niedriger Schuhschrank stand und eine Garderobe hing, mündete rechts in die Küche, in die die beiden Polizisten kurz einen Blick reinwarfen und feststellten, dass sich niemand darin aufhielt. Ein beklemmendes Gefühl breitete sich in Semirs Bauch aus, nachdem sie heute morgen von dem Fall gelesen hatten, den Frederik Hollinger bearbeitet hatte, und von dem sie vermuteten, dass der Killer diesen Fall als Aufhänger nehmen könnte, um ihn nachzustellen. Dass ausgerechnet jetzt folgenlos und von einem beliebigen Einbrecher in das Haus des Ex-Polizisten eingebrochen wurde, wäre ein riesengroßer Zufall... und ein glücklicher.


    Doch das Bauchgefühl täuschte Semir nicht, als sie das Wohnzimmer betraten. "Oh, scheisse...", murmelte Semir, als er um das Sofa herum ging... er konnte schon vorher die Spitze der rotbraunen Blutlache auf dem Parkettboden sehen. Ben, der die Waffe kurz vorm Wohnzimmer doch gezogen hatte, steckte selbige nun wieder zurück und folgte Semir hinters Sofa, wo sie die ganze Bescherung betrachten konnten. Man hatte dem Mann die Kehle aufgeschlitzt, er lag in einer riesigen Blutlache auf der Seite, eine Hand noch krampfhaft um den Hals geklammert, als könne er noch irgendetwas verhindern. Der Ältere der beiden zog sein Handy. "Kevin, hier ist Semir. Wir sind scheinbar zu spät... informier bitte die Spurensicherung und schick mir die Tatort-Fotos aufs Handy."
    Ben atmete aus, es war ein Massaker... Blutspritzer klebten an der Couch, an der er vermutlich zusammengebrochen war und zu Boden ging. "Scheisse... was... habt ihr nur ihn gefunden?", fragte Kevin mit tonloser Stimme am Telefon. "Nur ihn... was... oh verdammt...", fuhr es aus Semir heraus, so dass Ben sofort aufsah. "In dem Fall wurde auch die Tochter der Frau getötet." Er hörte das schnelle Klicken der Tastatur, als Kevin die Akte aufrief, denn sie hatten immer noch den, von Hartmut organisierten Zugriff auf die Akten der Mordkommission. "Man hat... man hat sie im Kinderzimmer gefunden."


    Semir steckte das Handy in die Tasche ohne das Gespräch zu beenden, Jenny und Kevin saßen atemlos am Apparat, den der junge Polizist auf Freisprech gedrückt hatte. Sie hörten leise das: "Ben, lass uns oben nachschauen..." Und Semirs Stimme war nicht normal. So viel er schon gesehen und erlebt hatte... aber wenn Kinder ins Spiel kamen waren alle Polizisten mental am Limit. Egal, was sie schon mitgemacht hatten. Semir vor allem, weil er selbst zwei Töchter hatte. Und Kevin, weil er seine Schwester als Jugendliche verlor, sowie bei einem Brand in einem Haus einmal ein Kind nicht retten konnte. Er hielt sich krampfhaft an seiner Kaffeetasse fest, als er wie in einem Hörspiel, nur rauschen und leise Gesprächsfetzen mithörte. Auch Jennys Hand zitterte, als sie diese Kevin auf die Schulter legte.
    Ben wollte zuerst nicht mit nach oben, aber er sagte nichts und folgte seinem Partner die Treppe nach oben. Mehrere Türen waren im Flur zu sehen, und die beiden Polizisten schauten sich stumm an. Sie kommunizierten mit Blicken, mit Gesten. Semir deutete auf die erste Tür, Ben nickte und drückte langsam die Klinke nach unten, um hineinzusehen. Der Raum entpuppte sich als Badezimmer, und war absolut leer. Das nächste Zimmer war ein großes Schlafzimmer, ein Doppelbett... eine Seite hergerichtet, die andere unangetastet. Hollinger lebte getrennt.


    Kevin starrte auf das Telefon, als könne er es hypnotisieren. Als könne er damit irgendetwas beeinflussen. Semir und Ben gingen zur nächsten Tür, und blickten in den Raum. Es sah aus wie ein typisches Jugendzimmer, unordentlich, ein Computer war zu sehen, ein Fernseher... und ein Bett. Ein Bett, mit einer Decke, die eine Wölbung aufwies. Die beiden Männer sahen sich an. "Du gehst...", sagte Ben leise mit einem Hauch von Angst in der Stimme... Angst vor dem, was sie unter der Decke erwartete. Doch Semir griff das Handy zuerst: "Kevin... war das Mädchen, das gefunden wurde, mit einer Decke abgedeckt?" Es dauerte eine Sekunde bis die Antwort kam: "Nein... sie lag zwar im Bett, aber ohne Decke." Der Polizist nickte und ging dann langsam zum Bett... er fühlte sich beruhigt... minimal. Langsam zog er die Decke vom Bett. Es war leer und Kevin konnte das Aufatmen durchs Telefon hören.
    "Ein Zimmer bleibt noch.", konnte er die Stimme hören. Rauschen... es schien unendlich lange zu dauern, als würden die beiden Polizisten erst einmal die Adresse wechseln, bis sie im nächsten Zimmer ankamen, so erschien es Jenny und Kevin am anderen Ende der Leitung. Eine Tür knarrte... dann war Stille. Atemlose Stille. Die beiden sahen sich an. "Semir?" Keine Antwort "Semir, was ist da los?", fragte Kevin lauter und um Jennys Brust legte sich eine Klammer, die immer enger wurde bis sie die stockende Stimme von Semir hörten. "Oh Gott... oh nein..." Da wusste Kevin, dass er vor einer Stunde Unrecht hatte...

    Jenny steigt in einer Folge aus, in der Semir nicht dabei ist? Vermutlich fragt der nächste Woche nicht mal nach, wo ist eigentlich Jenny mit der ich nur, ähm, 7 Jahre zusammengearbeitet habe.

    Knaller, RTL und das gesamte Team um meine ehemalige Lieblingsserie blamiert sich, wo es nur kann und unterbietet das Niveau erfolgreich mit jedem Versuch.

    Dass sich die Schauspieler da selbst nicht drüber beschweren... sind die so unmündig, ist denen das einfach scheissegal, oder was ist da los?

    Wahnsinn... :cursing:

    Dienststelle - 9:00 Uhr


    Man sah es Kevin an diesem Morgen äusserlich an, dass er schlecht und wenig geschlafen hatte. Seine Augen waren müde und steuerte, noch mit seiner leichten Sommerjacke, Richtung Kaffeemaschine bevor er das kleine Büro betrat. Ben sah von seinem Bildschirm auf und legte die Stirn in Falten, denn normalerweise war Kevin pünktlicher als er selbst. Auch Jenny bemerkte die Veränderung, allerdings anders als die beiden männlichen Beamten. Als der junge Polizist das Büro betrat und seine Partnerin erblickte, die er vor einigen Stunden in seinem Traum noch tot in der Gerichtsmedizin liegen sah und beweinte, gab er ihr nicht wie üblich zur Begrüßung einen Kuss auf die Wange, sondern umarmte sie heute. Jenny war davon zunächst etwas überrascht, ließ es sich aber gerne gefallen und schloß ihre Arme um den Körper des Mannes, den sie innerlich immer noch liebte. Auch das leise "Schön, dich zu sehen.", passte irgendwie gar nicht zu Kevin am frühen Morgen.
    Als sie sich voneinander lösten, lächelte Kevin. Manchmal zweifelte er nach dem Aufstehen, ob es wirklich ein Traum war, oder doch Realität... und er irgendwann Drogen genommen hatte, und wieder einen Blackout hatte. Realität und Traumwelt verschmolzen dann, bis er an einen Punkt kam, wo sich das ganze auflöste. Heute war der Punkt, dass er Jenny sah... sie war nicht tot. Eine unheimliche Erleichterung befiel ihn. Als er damals in der Dusche Drogen genommen hatte und mit der Waffe rumhantierte, kam es ihm wie ein Traum vor, bis Jenny ihn vor die Tatsache stellte, dass er nicht geträumt hatte.


    Gegen 9 Uhr, eine Stunde später, kamen Semir und Ben nach der ersten Streife zu Kevin und Jenny ins Büro. Sie berichteten, was sie bei der Sitte herausgefunden hatten... was leider nicht viel war. Der Mitarbeiter Zavel hatte ungefähr das Gleiche berichtet, wie die Chefin der Sitte. Keine Probleme, Saskia als unnahbare aber starke Persönlichkeit, die sofort Verantwortung übernahm und ihren Job sehr ernst nahm. Jenny berichtete, dass sie gestern noch Frege angerufen hatte und mit nötigem Nachdruck verlangte, dass er seine Belegschaft aufkläre, sich zu melden falls jemand der Mordkommission das nächste Foto erhalten würde. Ausserdem gab sie kurz wieder, was sie und Kevin gestern noch besprochen hatte. Die Genauigkeit des zweiten Mordes im Vergleich zum Mord an Plotz. "Aber ich glaube, man kann trotzdem von einem Täter ausgehen, das wäre schon sehr großer Zufall.", sagte sie dann abschließend. Ben strich sich mit dem Finger über die Lippen. "Vielleicht hat er an Plotz nur geübt.", sagte er und meinte es halb lustig, halb ernsthaft.
    Kevin öffnete die Excel-Tabelle, die er gestern angefertigt hatte und einige Mordfälle der Ermittler rot angestrichen, die relativ einfach nachzustellen waren. Als die vier Polizisten die Liste durchsahen und von Kevin erklären ließen, fiel Semir als erstes etwas auf.


    "Wo sind deine Fälle?", fragte er, als er bemerkte dass die Ermittler nach Alphabet sortiert waren, und zwischen O und R kein Name zu sehen war. Semirs Blick war dabei zweifelnd auf Kevin gerichtet... misstrauisch. So empfand Kevin es zumindest, obwohl es von Semir gar nicht gewollt war. "Ich hab' ja kein Foto gefunden, insofern sind meine Fälle irrelevant... noch.", war die Erklärung des schweigsamen Polizisten. Heute morgen hatte er seinen Block wieder gelöscht, nachdem einer der Fälle ihm gestern diesen Horror-Traum beschert hatte. Bei Semir und Ben zwickte es bei der Erklärung im Magen. War da wieder diese Heimlichtuerei, die er abgelegt hatte? War da wieder etwas Privates, dass er vielleicht mit Jenny besprach, aber nicht mit ihnen? Sie wussten ja mittlerweile, dass es nichts brachte, ihn jetzt zu löchern, also nickte Semir und konzentrierte sich wieder auf die Liste. Er würde Jenny später mal drauf ansprechen. Wenn Kevin sich nicht selbst öffnete, musste sie eben das Schlüsselloch sein, durch das die beiden Polizisten zumindest hindurch sehen konnten.
    Am Ende hatten sie 8 mögliche Fälle zusammengetragen, die sich aus dieser Zeit leicht nachstellen ließen. Davon waren 2 Fälle letztendlich niemals aufgeklärt worden. Jenny nahm sich die Liste der aktuellen Mordermittler vor und legte sie neben die Liste der Ermittler, die zum damaligen Zeitpunkt auf der Dienststelle waren.


    Kevin lehnte sich am Schluß etwas in seinem Stuhl zurück. "Und wenn er sich doch einen Fall aussucht, der schwieriger nachzustellen ist, als wir uns das jetzt vorstellen?", fragte er und stellte damit die komplette Ermittlung in Frage. Sie schloßen Fälle aus Gutdünken aus. "Ja, das ist eine Gefahr.", gab Semir zu, der auch schon viel Erfahrung in Mordermittlungen hatte. "Aber wir müssen es irgendwie eingrenzen. Wenn der Täter tatsächlich bestimmte Mordfälle nachstellen will, dann wird er sich solche aussuchen, die er gut nachstellen kann. Vielleicht wusste er bei Plotz einfach nur über diesen einen Fall Bescheid." Der junge Polizist nickte und schaute auf die Liste der 8 Fälle.
    "5 der Ermittler sind noch bei der Mordkommission, die werden sich melden, wenn jemand das Bild bekommt.", sagte er. Ben saß mittlerweile auf dem zweiten Bürostuhl, der sonst hinter Kevin an der Wand stand. "Zwei haben mittlerweile die Dienststelle gewechselt und einer hat gekündigt. Frederik Hollinger.", ergänzte Kevin und sah zu Semir auf. "Wobei ich nicht glaube, dass er diesen Mord nachstellen wird." "Warum nicht?", fragte Jenny und sah ihren Ex-Freund an. "Frederik hat den Fall bearbeitet, dass eine Frau einen Einbrecher überrascht hat. Als sie mit ihrer Tochter flüchten wollte, hat der Einbrecher beide brutal ermordet. Das wurde damals als Affekthandlung eingestuft. Wenn er die Ermittler der Mordkommission für etwas bestrafen will, wird er keine Unbeteiligten reinziehen." Es war eine Vermutung von Kevin, doch überprüfen mussten sie es natürlich trotzdem.


    "Ben und ich fahren zu Frederik Hollinger und norden ihn ein, falls er ein solches Foto bekommen hat. Und ihr beide ruft bitte die Dienststelle der anderen beiden Kollegen an, und erkundigt euch, beziehungsweise informiert die beiden.", sagte Semir in seiner Ermittlungsführerrolle. "Jawohl, Sir.", meinte Kevin lächelnd und brachte auch Semir zum Lachen. Vielleicht täuschten sie sich auch nur, und es war gar nichts mit seinen Fällen, worüber sie sich Sorgen machen mussten. Trotzdem würde er Jenny später kurz darauf ansprechen, auch wenn ihm diese Art und Weise des Aushorchens gar nicht behagte.
    Semir und Ben hatten gerade das Büro verlassen, als Jennys Handy sich mit einem Piepton meldete. Als sie auf das Display sah, prangte dort erneut eine unbekannte Nummer, und ihre Augen wurden größer. Die Nummer war anders als gestern, der Inhalt der Nachricht ähnlich... und konkreter: "Er hat seine Schwester umgebracht." Das Herz der jungen Ermittlerin wollte zerspringen, und Wut erfasste sie. Sie schaute kurz zu Kevin auf, dem Mann der alles dafür geben würde den Mord an seiner Schwester zu rächen... wer konnte nur so boshaft sein, so etwas zu behaupten. Gleichzeitig aber erinnerte sie sich an den eiskalten Ausdruck in Kevins Augen... als er die Waffe auf die richtete, als er Patrick erschoss. Sie schüttelte den Gedanken innerlich schnell ab. Erst wollte sie die Nachricht erneut löschen, doch dann tippte sie eine Antwort. "Lass ihn in Ruhe!" Äusserlich ließ sie sich von ihrer Wut nichts anmerken und sie tippte weiter. Nur wenige Minuten danach erneut ein Piepsen und diesmal sah auch Kevin auf. "Belästigt dich jemand? Soll ich jemanden verhauen?", fragte er grinsend und Jenny lachte auf. "Nein, brauchst du nicht." Sie nahm das Handy erneut in die Hand, und der Inhalt ließ sie kurz schwindelig werden: "Es gibt Beweise. Und du wirst die Nächste sein."

    Gerichtsmedizin Köln - spätabends


    Er fühlte sich hundeelend, er wollte einfach hier weg. Doch der kalte, tote Körper auf dieser schrecklich metallisch-glatten Unterlage hielt ihn hier gefangen. Jenny sah aus, als würde sie schlafen... so wie sie immer aussah, als Kevin noch neben ihr eingeschlafen war, nachdem er sie eine Zeitlang wie ein Insekt beobachtet hatte. Kein Lächeln um ihren Mund, aber ein friedlicher, zufriedener Ausdruck. Ja, zufrieden sah sie aus. Als würde es ihr gut gehen. Aber sie war tot. Kevin hörte die Stimme von Roland Meisner ganz weit weg. "Zwei der drei Kugeln haben die Lunge getroffen. Der Abstand war ungefähr 2-3 Meter." Sie klang verzerrt, wie ein Echo und Kevin nahm sie nicht wahr. Seine Augen waren gerötet, er hatte nichts zurückgehalten, keine Gefühle versteckt.
    Sie standen in der Tankstelle. Kevin musste den Dienstwagen noch betanken auf dem Heimweg, er hatte Jenny mitgenommen. Sie waren gut gelaunt, sie arbeiteten zusammen, sie verstanden sich wieder... und Kevin war endlich im Team wieder angekommen. Sie schaffte es, seine düsteren Gedanken zu verdrängen, seine Gedanken an Verräter, seine Gedanken an die Vergangenheit. Jenny hatte ihm das Lachen zurückgeschenkt, und jetzt würde er ihr Lachen niemals wiedersehen. Das letzte, was sich in seinen Kopf einbrannte, war ihr nackter Körper auf einem Metalltisch, verunziert von drei Schusswunden.


    Kevin stand an der Kasse und wartete, bis Jenny sich eine Sorte Chips ausgesucht hatte. Sie hatte die Idee, einen gemütlichen DVD-Abend zu machen, und Kevin hatte zugestimmt. Der Mann, der in die Tankstelle kam, hatte er gar nicht wirklich bemerkt. Wie mechanisch bog er zu Jenny ab und hob seinen Arm. Der junge Polizist war wie gelähmt, als wären seine Füße am Boden festgewachsen, als Jenny sich umdrehte und mit drei knallenden Schüssen niedergeschossen wurde. Er wollte nachlaufen, er wollte zu Jenny laufen, er wollte Hilfe holen... er konnte nicht. Kevin konnte sich nicht bewegen und wie in Trance und einem stechenden Schmerz im Rücken nur zusehen. So war das Gefühl also... er kannte es doch. Warum hatte er nicht mehr getan?
    Sie sah so friedlich aus, auf diesem metallenen Tisch. Kevin war ganz dicht an sie heran getreten und streichelte Jenny zärtlich durch ihre braunen Haare, die um ihren Kopf aufgefächert waren. Dabei bemerkte er nicht, wie zwei, drei Tränen auf ihr Gesicht fielen. Die Stimmen im Hintergrund, er nahm sie nicht wahr. Die beiden Ermittler der Mordkommission, sie waren ihm egal. Er wollte am liebsten alleine sein, mit Jenny, ein letztes Mal. Sich verabschieden, obwohl es ihm das Herz brach. Er wollte nie mehr alleine sein. Warum hatte er nicht mehr getan?


    Erst als der jüngere der beiden Polizisten Kevin ansprach, drehte er sich um. Nur schemenhaft, undeutlich und verschleiert konnte er den Mann erkennen, der äusserlich nur entfernt wie ein Polizist aussah, mit seiner abgewetzten Jeans, dem silbernen Ohrring und den abstehenden Haaren. Seine Stimme klang monoton und gefühllos, als er mit ihm sprach. "Herr Peters, es tut mir wirklich sehr leid. Aber das Verfahren um den Mord an ihrer Kollegin wurde eingestellt." Es klang so herzlos, so gefühllos, als rede er über ein technisches Gerät, das einfach nicht mehr zu reparieren war. "Entschuldigen sie, Herr Peters. Aber an dem Fernseher ist nichts mehr zu machen." Seine hellblauen Augen wirkten kalt, während sein dicker Kollege im Hintergrund sich überhaupt nicht für ihn zu interessieren schien.
    "Wie kann das sein? Es gibt doch Hinweise, Indizien. Es gibt doch sogar ein Phantombild.", sagte Kevin mit verzweifelter Stimme. Ein schreckliches Gefühl, wenn diese Tat ungesühnt bliebe. "Wir haben in jede Richtung ermittelt, aber das einzig verwertbare Phantombild hat seit Monaten in der Fahndung keinen Erfolg. Alle anderen Ansätze sind Sackgassen und im Sande verlaufen. Es tut mir wirklich leid. Wir können keinen Menschen anklagen, wenn wir nicht genügend Beweise haben."


    Kevin drehte sich von diesem Mann weg. "Ich habe das verloren wofür es sich lohnte, zu leben.", sagte er mit zitternder Stimme bevor sich erneut zu dem jungen Mann umdrehte und ihn am Kragen packte. "Und sie sagen mir jetzt einfach so, dass sie den Mörder nicht finden? Wozu sind sie bei der Mordkommission?? Was sind sie nur für ein Polizist??", schrie er laut, drückte den überraschten Mann an die Wand und konnte von dem dicken Polizisten nicht gebändigt werden, bis er dem Beamten mit der stacheligen Frisur einen Fausthieb ins Gesicht versetzte, so dass dieser zu Boden ging. Schwer atmend blieb er vor ihm stehen, und sah herunter. In die blauen Augen, auf die abstehenden Haare, auf die abgewetzte Jeans. Er sah in sein Spiegelbild...
    Mit einem Mal war er wach. Er war nicht aufgeschreckt, seine Decke war nicht völlig durcheinander und er war auch nicht schweißüberströmt wie sonst, wenn er träumte. Kevin lag auf dem Rücken, zugedeckt war er bei der Hitze sowieso nicht... und er schlug mit einem Mal plötzlich die Augen auf. Dann atmete er tief durch, drehte den Kopf ein wenig, um auf die Uhr zu sehen. Sie zeigte 2:30 Uhr, im Zimmer war es dunkel und ein leises Donnergrollen war von draussen zu hören. Nur sein Herz spürte er... es schlug wild.


    Der junge Polizist schlug die Decke zurück und stieg aus dem Bett. Leise, um Kalle nicht zu wecken, tapste er nur in Boxer-Shorts bekleidet in die Küche, wo er sich aus dem Kühlschrank eine Flasche Wasser holte und einige kräftige Schlucke trank. Für einen Moment blieb er neben dem offenen Kühlschrank stehen, bevor er die Tür schloß, etwas aus dem Schrank nahm und mit der Flasche zum Küchentisch ging, um sich zu setzen. Was er in der Hand hatte, fühlte sich nach Plastik an, rund und länglich. Es klackerte, wenn er es schüttelte und die pinken Pillen fielen übereinander her. Er hatte lange keine Alpträume mehr, aber die ganzen Ermittlungen, die Erinnerungen an seine alten Fälle, hatten es wieder ausgelöst. Alpträume, dieser Druck.
    Seit der Sache mit Patrick hatte Kevin keine Drogen mehr genommen... abends mal einen Joint zu rauchen zählte er nicht dazu. Jetzt beobachtete er am dunklen Küchentisch die Ampulle mit den Pillen, als wolle er sie hypnotisieren. Statt eine herauszunehmen, nahm er noch einen Schluck aus der Flasche und drehte die Ampulle auf der runden Seite über den Tisch. Nach einer Viertelstunde, in der er sich nicht entscheiden konnte, ob ihm die Drogen jetzt wirklich helfen würden, oder alles nur noch schlimmer machten, stand er auf. Er warf die Ampulle wieder in den Küchenschrank, zog sich seine Sporthose, ein T-Shirt und Laufschuhe an, bevor er nach draussen ging, und loslief. Er lief einfach, bog hin und wieder mal ab, und vergaß vollkommen die Zeit. Zwei Stunden später kam er zurück zu Kalles Wohnung, triefend nass von dem Gewitter, durch das er gelaufen war und er hätte niemandem den Weg beschreiben können, den er gerade gelaufen war.

    Sitte - 14:00 Uhr


    Semir und Ben kannten den Weg zum Zentralrevier mittlerweile auswendig. Nicht nur, weil sie sich in der Stadt sowieso auskannten, sondern auch weil sie in den letzten Tagen jetzt schon mehrmals da waren. Die Sitte lag nämlich im gleichen großen Gebäude, wie zum Beispiel auch die Drogenfahndung um den Kollegen Thomas Bienert, als auch die Mordkommission. Um zur Abteilung der Sitte zu gelangen blieb immerhin Ben der Fahrstuhl erspart, sie lag im Erdgeschoss, wie alle Abteilungen hinter einer gesicherten Tür. Semir rief über ein Bedienfeld das Geschäftszimmer an, eine Beamten kam um ihnen die Tür zu öffnen, was sonst nur mit einem Transponder möglich gewesen wäre.
    Die Chefin der Sitte erwartete sie bereits in ihrem Büro. Erika Himbert war Anfang 60, vor 23 Jahren als eine der jüngsten Frauen, die jemals ein Dezernat geleitet hatten, noch kritisch beäugt. Doch sie hatte alle Kritiker Lügen gestraft. Die Abteilung der Sitte hatte in Kölner Polizeikreisen nicht nur eine hervorragende Aufklärungsquote sondern auch noch den Ruf, ein sehr gutes Arbeitsklima zu bieten. Und ein solches stand und fiel mit den jeweiligen Vorgesetzten. Erika suchte die Bewerber noch selbst aus und weigerte sich, sie von den Präsidien der Personalabteilung vorgesetzt zu bekommen, sie war gerecht, einfühlsam und gleichermaßen auch streng. Ausserdem versprühte sie durch ihre Art den gleichen Enthusiasmus wie ein Polizist, der frisch von der Polizeischule kam. Davon, dass sie in zwei Jahren in Rente ging und eine ruhige Kugel schieben würde, merkte man nichts.


    Mit festem Händedruck schüttelte sie den beiden Polizisten die Hand. Selbstverständlich wurde sie bereits vorher von dem Mord an ihrer Mitarbeiterin informiert. "Setzen sie sich. Das ist schrecklich, einfach nur schrecklich.", sagte sie betroffen und nahm selbst hinter ihrem Schreibtisch Platz. "Frau Himbert, wir müssen uns erst ein wenig ein Bild über Saskia Hofmann machen. Was können sie mir über sie sagen?", fragte Ben, der das Schnick-Schnack-Schnuck im Auto gegen Semir gewonnen hatte. Er fragte, Semir schrieb. "Saskia war eine Frau, die wusste was sie will. Manchmal sehr resolut, ich würde sogar sagen... fast dominant. Führungspersönlichkeit. Für diese Abteilung hier braucht man eine gesunde Psyche, sonst steht man das nicht lange durch."
    Ben und Semir konnten sich vorstellen, was Erika Himbert damit meinte... Kinderpornografie, Vergewaltigung, Misshandlung... das war hier an der Tagesordnung. Den psychischen Dampfhammer, den man bei der Autobahnpolizei mit schlimmen Unfalltoden hin und wieder bekam, kam plötzlich und gewaltig. Wenn man Glück hatte, vergaß man ihn einige Tage später wieder bis zum nächsten Unfall. Hier sah man das Grauen tagtäglich, im Extremfall wenn man sich mit der Internetkriminalität beschäftigte, 8 Stunden am Tag. Das war kein einmaliger Dampfhammer, das war wie das ständige Bearbeiten mit 1000 kleinen Hämmerchen.


    "Hatte sie mal erwähnt, warum sie von der Mordkommission zu ihnen wollte." "Der Wechsel ging nicht von ihr aus.", antwortete die ältere Frau und goss sich eine Tasse Tee aus ihrer Thermoskanne. Danach bot sie an, die beiden Polizisten lehnten dankend ab. "Wir arbeiteten vor einiger Zeit mit der Mordkommission zusammen. Dabei lernte ich sie und ihre Arbeitsweise kennen. Danach machte ich ihr ein Angebot für einen Wechsel zu uns, was sie auch recht schnell annahm." "Hatten sie dabei den Eindruck, dass sie sich bei der Mordkommission unwohl fühlte?", hakte Semir weiter nach und legte den Stift für einen kurzen Moment auf den Block, der auf seinem Knie ruhte. "Saskia hat ihre Gefühle nicht so sehr gezeigt. Deswegen kann ich Ihnen die Frage nicht beantworten. Aber sie hat... ich sage mal... sehr schnell zugesagt." Semir nickte nachdenklich, nahm wieder den Stift und schrieb.
    "Hier gab es dann keine Probleme?" Erika Himbert schüttelte entschieden den Kopf. "Nein. Darauf achte ich hier sehr dass es unter den Mitarbeitern keine Spannungen gibt. Nur in einem guten Klima kann man gut arbeiten." "Spannungen lassen sich aber manchmal nicht vermeiden, da spreche ich aus Erfahrung.", sagte Semir, der schon einige Erfahrung und viele Kollegen neben sich hatte. "Da haben sie wohl Recht, Herr Gerkhan. Hier soll auch niemand den anderen heiraten. Aber ich kann ihnen mit Sicherheit sagen, dass alle Mitarbeiter hier im Rahmen eines Reviers gut auskamen. Das können sie alle fragen."


    Ben dachte kurz nach, ob die Frage nach Drohungen sinnvoll war... er schätzte Erika Himbert als Polizistin ein, dass sie einen solchen Vorfall schon längst den beiden Polizisten gesagt hätte. "Wer hat denn am meisten in ihrer Abteilung zusammen gearbeitet?", fragte er dann stattdessen. "In der Zeit, in der sie bei uns war, hat sie vor allem mitt Mark Zavel zusammengearbeitet. Er hat sein Büro direkt zwei Türen weiter und ist im Dienst. Natürlich etwas mitgenommen, wen wundert es. Aber unsere Arbeit muss leider weitergehen." Die beiden Polizisten bedankten sich bei Erika Himbert, auch wenn sie bereits ahnten, dass die Befragung von Herrn Zavel ähnlich wenig hilfreich sein würde, wie diese hier.


    Dienststelle - gleiche Zeit


    So kannte sie den jungen Polizisten gar nicht. Jenny hob immer mal wieder den Kopf um über ihren Monitor zu Kevin zu schauen. Er blickte mit seinen blauen Augen konzentriert auf den Monitor und hatte seit über einer Stunde nichts geredet. Dass er schweigsam sein konnte, wusste sie. Aber ganz ohne Action, dass er mal raus musste, den Platz oder Einsatzort wechseln... das kannte sie von ihm nicht. Dabei wusste sie nicht, dass er zu Hause manchmal stundenlang am Fenster saß, und herausblickte oder hin und wieder sogar noch das Dach der alten Lagerhalle aufsuchte, wo er als Jugendlicher oft war. Jetzt aber war er damit beschäftigt, die Fälle aller Mordermittler zu der damaligen Zeit in eine übersichtliche Tabelle zu packen.
    Als er seinen eigenen Namen schrieb und dahinter die Fälle auflistete, wurde ihm unwohl. Er sah den Namen des letzten Falles, das Mordopfer, die angehängten Akten. Tatortfotos, Befragungen. Jetzt war der Moment, an dem sich die Stimmen im Kopf zurückmeldeten, die nach der Sucht schrien. Eine Zigarette würde sie immerhin abschwächen. Sie wurden auch leiser, als er so schnell wie möglich zu dem nächsten Ermittler, den nächsten Fällen und Verurteilungen kam, die er auflistete.


    Jenny hatte ihren Kopf über den Akten des damaligen Falles von Erwin Plotz, der aufgeklärte Mord an dem alten Mann mit Tabletten. "Bei diesem Fall hat unser Mörder sich aber wenig Mühe gegeben.", sagte sie nachdenklich, und ließ Kevin vom Monitor aufblicken. "Das Opfer wurde damals zu Hause gefunden. Nicht im Auto. Es gab keinen Unfall, nichts." "Ich denke mal, es lag daran, dass die Wirkung der Tabletten nicht überall gleich ist. Der Mörder konnte nicht wissen, wo Plotz sich befand, als die Tabletten wirklich wirkten.", gab der junge Polizist zur Antwort, ohne das Tippen zu unterbrechen. "Aber warum hat er sich dann nicht für einen anderen Mordfall entschieden? Einen, den man besser nachstellen konnte?" Darauf wusste Kevin keine Antwort.
    Für einen Moment blieb es stumm. Kevin tippte weiter, es blieben noch eine ganze Menge Fälle in die Excel-Tabelle einzutragen. Jenny las konzentriert, bis das Vibrieren ihres Handys und der Benachrichtigungston ihre Aufmerksamkeit verlangte. Es war eine Nachricht von einer unbekannten Nummer und die junge Polizistin zog die Stirn ein wenig in Falten. Ihre Augen wurden größer, sie sah auf ihr Handy, danach auf Kevin, dann wieder auf ihr Handy. Die Nachricht schnürte ihr kurz die Kehle zu und rief furchtbare Bilder zurück in ihren Kopf. "Du arbeitest mit einem Mörder!" stand auf dem Display.

    Mit zusammengepressten Lippen sah sie auf Kevin. Den Mann, dem es in letzter Zeit wieder so gut ging, und der sich wieder so sehr ins Team integriert hatte. Er hatte Vertrauen zu allen, er hatte nicht mehr von seinen alten Dämonen gesprochen. Sollte sie diese Wunden wieder aufreißen? Sollte sie alte Bilder wieder fördern? Oder wäre das Schweigen schon wieder ein Vertrauensbruch. Ihr Handy fühlte sich heiß an in ihrer Hand, als sie die Nachricht mit zwei Klicks löschte, den Bildschirm deaktivierte und das Handy wieder zur Seite legte... und schwieg.

    Köln - 10:45 Uhr


    Semir blickte mit einem Stirnrunzeln herüber zu Kevin, als dieser gerade einen sehr kryptischen Satz von sich gelassen hatte. "Es ist genau das gleiche Muster. Unglaublich...", hatte der junge Kommissar nachdenklich gemurmelt, während er auf die Leiche von Saskia Hofmann starrte. "Gleiches Muster? Wovon redest du?" Kevin biss sich kurz auf die Lippe, fasste sich mit zwei Fingern kurz an die Nase und bewegte sich einige Schritte hin und her, als könne er so besser nachdenken. "Saskia hatte gestern etwas erwähnt, woran ich erst vorhin gedacht habe. Und zwar hatte sie bemerkt, dass Plotz einen ähnlichen Fall auf dem Tisch hatte, ungefähr in der Zeit als das Foto gemacht wurde, in dem es auch um einen Mord mit einem falschen Medikament ging.", erklärte er und fügte hinzu: "Ich habe das heute Morgen überprüft." Die Begegnung mit Torben und Bastian erwähnte er indes nicht.
    "Und Saskia hatte so einen Fall zu dieser Zeit?", schlussfolgerte der erfahrene Autobahnpolizist. Sein junger Partner wog den Kopf ein wenig hin und her. "Nicht zum gleichen Zeitpunkt, vielleicht 1 oder 2 Monate früher. Ich erinnere mich auch nicht mehr an jedes Detail. Aber eine junge Frau, die in ihrer Wohnung stranguliert wurde." Die beiden Polizisten sahen sich für einen Moment schweigend an. "Das könnte auch nur Zufall sein.", beschlichen Zweifel Kevins eigene Gedanken, was Semir weder bestärken noch abschwächen wollte. "Könnte sein... muss aber auch nicht."


    Ben kam nach einigen Minuten zurück zu Semir und Kevin. "Der Hausmeister kann mir leider nicht viel sagen. Kam heute ins Haus, um etwas an den Wasserrohren im Keller zu richten. Dafür hat er das Wasser abstellen müssen, und wollte in jeder Wohnung Bescheid sagen. Saskias Wohnungstür stand offen, er sah rein, und hat sie gefunden. Und sofort die Polizei gerufen. Er hat nichts gesehen, gehört, gerochen.", gab er eine kurze Zusammenfassung des wenig ertragreichen Interviews. Sein junger Partner wiederholte die Info, die er gestern abend von Saskia bekam, und seinen Verdacht. Auch Bens Blick war zunächst skeptisch. "Das würde ja bedeuten, dass der Mörder einer aus unseren Reihen ist." "Nicht zwingend...", widersprach Semir. "Über Mord und Todschlag wird mittlerweile so detailliert berichtet, das kann auch ein Trittbrettfahrer sein." Ben entgegnete: "Aber in der Zeitung steht nicht, welcher Ermittler welchen Fall bearbeitet." Da musste der Deutsch-Türke seinem besten Freund allerdings Recht geben.
    "Auf jeden Fall brauchen wir Zugriff auf die alten Akten der Mordkommission. Wenn der Mörder wirklich dieses Muster verfolgt, dann können wir ihm Schritte voraus sein.", meinte Kevin und fuhr sich mit einer Hand durch die abstehenden Haare. "Bis wir dort die Berechtigung vergehen, das dauert Tage." "Für Hartmut dauert es nur ein paar Sekunden, da bin ich mir sicher.", meinte Ben augenzwinkernd, und zückte bereits sein Handy. Er wusste, mit einer kleinen Bestechung mit kalorienhaltigen Mahlzeiten war ihr rothaariger Freund zu jeder Schandtat zu kaufen.


    Als die drei Polizisten im Revier ankamen, hatten alle bereits Zugriff auf die Akten der Mordkommission. Ben, der mit Tastatur und Maus am schnellsten und geschicktesten umgehen konnte, hatte die Kontrolle über den Rechner übernommen. Semir saß in einem zweiten Stuhl neben ihm, Kevin halb auf der Tischplatte, um den Monitor zu sehen, Jenny stand hinter Semir und Ben. Sie wurde ebenfalls kurz von Kevin eingeweiht. Der Kommissar mit der Wuschelfrisur navigierte sich in den Ordner von Saskia Hofmann. "Das Foto war im Spätherbst. Ein paar Wochen später hatten wir in dem Mord von Timo ermittelt.", erklärte Kevin und riet Ben, ungefähr im Sommer davor nach dem Fall zu suchen, den Saskia bearbeitet hat. Es dauerte einige Minuten und einige falsch geöffnete virtuelle Ordner, bis man fündig wurde.
    Ben öffnete Ermittlungsakten, druckte Protokolle auf, Tatortfotos, Beweissicherung. Eine junge Frau, 19 Jahre alt, wurde erdrosselt in ihrer eigenen Wohnung aufgefunden. Kein Raubmord, keine Vergewaltigung. Der Täter allerdings, wurde nie gefasst. Als Semir die Tatortfotos aus dem Drucker nahm und an die Pinnwand heftete, hielten zumindest die drei Männer, die am Tatort waren, für einen Moment die Luft an. "Da war jemand verdammt gründlich.", nickte Kevin beinahe anerkennend, während Ben bemerkte: "Das ist doch völlig krank..."


    Der Mörder hatte alles versucht, die Szene exakt so nachzustellen, wie sie im damaligen Fall war. Die Leiche lag in exakter gleicher Pose, die Arme, die Beine, die Drehung des Kopfes. Das Outfit war das Gleiche, sogar das einzige Kleidungsstück der Leiche, der Slip, hatte annährend die gleiche Farbe. "Das kann kein Zufall sein, dass sie das Gleiche an hatte.", murmelte Ben und er sah dabei seinen besten Freund an. "Du meinst, er hat ihr postmortem noch den Slip getauscht? Vielleicht auch den Bademantel angezogen?" Der junge Kommissar zuckte mit den Schultern. "Kann doch sein... ich meine, wie groß wäre der Zufall, wenn sie zufällig etwas ähnliches an gehabt hätte? Wenn der Mörder wirklich die alten Fälle nachstellen will."
    Kevin nickte langsam und Jenny sah ein wenig blass um die Nasenspitze aus. "Will er definitiv. Die Ähnlichkeit ist frappierend. Schaut mal... sogar den Abknickwinkel ihres linken Fußgelenkes hat er nachgestellt. Ich würde mal behaupten, dass keine Leiche nach einer Strangulation exakt so liegen bleibt, wie eine andere." Während er das sagte, drehte er sich eine Zigarette und steckte sich das fertige Produkt hinters Ohr. Die junge Frau hinter Semir und Ben meinte dann: "Das würde aber bedeuten, dass er oder sie bei uns arbeitet... und vor allem Zugriff auf die Polizeifotos hat."


    Für einen Moment herrschte Stille im Büro, und alle vier Polizisten sahen beinahe ehrfürchtig auf die Gemeinsamkeiten der beiden Leichenfunde. Semir hatte beide Bilder nebeneinander geklebt. "Wir müssen rausfinden, worum es dem Täter geht. Warum tut er sowas?", begann Semir dann irgendwann aufzuzählen. "Weil er nicht mehr alle Tassen im Schrank hat.", sorgte Ben für einen kleinen Zwischenruf. "Wir müssen herausfinden, ob zu dieser Zeit irgendetwas bei der Mordkommission vorgefallen ist, was Saskia Hofmann und Erwin Plotz betraf. Momentan sind sie die einzigen Opfer. Und wir müssen unbedingt die Fälle in einem Zeitraum von 3-4 Monaten vor und hinter der Entstehung des Fotos uns genau ansehen. Welcher Mord wäre die beste Wahl, um ihn möglichst perfekt nach zu stellen." Dabei sah er Kevin an: "Da du ja eh nicht extern ermitteln darfst, wäre das ein super Job für dich." Ein wenig schnippisch zog der junge Polizist eine Schnute. "Ja... super wäre das."
    Ben lehnte sich in seinem Drehstuhl zurück und streckte die langen Beine aus. "Interessant wäre jetzt nur zu wissen... wer hat das nächste Foto bekommen?" Sein erfahrener Partner nickte sofort: "Richtig. Jenny, du rufst bei Claus Frege an. Der sooll seine Mitarbeiter instruieren, dass sie uns sofort kontaktieren sollen, wenn sie solch ein Foto bekommen. Wer weiß, ob es da nicht ein paar Idioten gibt, die das auf die leichte Schulter nehmen. Und wir beide fahren heute nachmittag zur Sitte. Vielleicht können die uns etwas über Saskia erzählen, was uns weiterhilft." "Aye aye, Sir.", sagte Ben und zwinkerte Semir zu.


    Kevin und Jenny verließen das Büro der beiden Polizisten. Eigentlich wollte Kevin seine selbstgedrehte Zigarette gleich konsumieren, doch er ging mit seiner jungen Kollegin noch kurz ins Büro, da sein Feuerzeug leer war und er sein Ersatz brauchte. Gerade als er sich herunterbeugte, um den Rollcontainer zu öffnen, fragte Jenny: "Was war eigentlich dein Fall, in der Zeit um das Foto herum?" Der junge Polizist verharrte kurz in der gebeugten Stellung am Rollcontainer und schien nachzudenken... zumindest wirkte es so. "Hmm... kurz danach gab es den Fall mit dem Mord auf dem Rastplatz, als ich Semir und Ben zum ersten Mal unterstützt hatte.", sagte er und richtete sich wieder auf. "Und davor?" Sein Lächeln erstarb ein wenig, und wurde von einem, etwas gequält wirkenden Blick verdrängt. "Ist es okay, wenn ich darüber nicht reden mag?" Auch Jennys Lächeln verschwand. Plötzlich spürte sie wieder etwas... Misstrauen? Eine unsichtbare Wand? Das Verschließen seiner Gefühle? Aber er hätte ja sagen können: "Ach, nichts besonderes." Oder einfach lügen. In gewisser Weise war Kevin ehrlich... dass er nicht drüber reden möchte. Jenny akzeptierte dies mit einem verständnisvollen Nicken. "Aber Kevin...", hielt sie ihn mit ihrer Stimme zurück, als er gerade den Raum verlassen wollte. "Auf eins bestehe ich. Bitte, sei du keiner der Idioten, die Semir angesprochen hat. Wenn du ein Bild bekommst, mit einem Pfeil über deinem Kopf... bitte sag es uns." Die junge Frau war ihrem Ex-Freund gegenüber getreten und fasste ihn an seinen Unterarmen. "Ich hab Angst um dich...", sagte sie leise. "Brauchst du nicht. Ich verspreche es dir, dass ich euch sofort Bescheid sage, und mich dann ganz viel von dir bewachen lasse." Er schaffte es, Jenny wieder etwas lächeln zu lassen... zwar mit ihren Sorgenfältchen um den Mund, aber ein Lächeln.

    KTU - 09:30 Uhr


    Hartmut Freund hatte die beiden Autobahnpolizisten wie üblich per Handschlag begrüßt. Seit Jahren waren das rothaarige Genie der Kriminal-Technischen Untersuchung und die Männer von Cobra 11 eng befreundet. Hartmut, der eigentlich nach Toms ersten Abgang zu Semirs Partner auserkoren wurde, fand seine wirkliche Stärke erst in allerlei Wissen über Physik und Chemie. Jetzt nahm er das Tablettenblister, was Ben und Semir in Plotz' Büro gefunden hatte, genau unter die Lupe. Erst überprüfte er das kleine Plastikteil auf Fingerabdrücke, aber die sehr vage Hoffnung der beiden Polizisten wurden schnell zerstört. "Wäre auch zu schön gewesen.", murmelte Ben enttäuscht. "Für die genaue Untersuchung der Tabletten muss ich gleich ins Zentrallabor fahren, das kann ich hier nicht machen. Ich sag euch Bescheid.", sagte Hartmut und verwahrte das Blister wieder in einem Plastikbeutel.
    "Da fällt mir ein... eigentlich müsstet ihr ein weiteres falsches Blister bei ihm in der Wohnung finden.", gab der rothaarige KTU-Mitarbeiter zu bedenken. "Wieso das?", fragte Ben ein wenig verwirrt und legte die Stirn in Falten, während die beiden Polizisten hinter Hartmut standen, der gedankenverloren auf seinen Monitor starrte. Jetzt drehte er sich mit seinem Drehstuhl um. "Die Tabletten wirken normalerweise innerhalb einer Stunde. Plotz hatte den Unfall doch am Morgen." "Ja, aber er war vorher bereits auf der Dienststelle, laut Einlog-Daten der Terminals. Wir wissen nicht genau, wo er hin wollte, aber scheinbar hat er die morgendliche Einnahme vom Büro aus gemacht.", gab Semir ein wichtiges Detail an Hartmut weiter, der nickte.


    Kurz bevor sie mit ihrer Unterhaltung fertig waren, klingelte Semirs Telefon. Er erkannte die Stimme von Roland Meisner. "Semir, hier ist Roland." "Roland, gut dich zu hören. Gibts was Neues?" Er konnte das kurze Schweigen im Hörer beinahe spüren, und in Semirs Magen breitete sich eine kurze Unruhe aus. "Das gibt es durchaus... aber nicht in dem Maße, den du dir jetzt erhoffst." Der erfahrene Polizist legte die Stirn kurz in Falten. Das Meisner ausserdem von seinem Handy aus anrief, war ungewöhnlich. "Lass hören, was ist los?" "Sagen wir mal so: Leichenfund in der Kronauer Straße in Köln." Auf dem Weg zum Dienstwagen auf dem, in voller Sonne stehenden Parkplatz der KTU, blieb Semir kurz stehen, als könne er sich dann besser konzentrieren.
    "Wir sind nicht die Mordkommission... oder stehst du gerade an einer Raststätte?" Doch das konnte er eigentlich ausschließen, nachdem Meisner ihm die Adresse nannte. Ausserdem hörte er im Hintergrund keinerlei Autogeräusche. "Das nicht. Aber es handelt sich bei dem Opfer wieder um eine Polizistin. Deshalb dachte ich, könnte euch das interessieren." "Um eine Polizistin?" Jetzt stellte Semir den Hörer auf laut, damit Ben mithören konnte, nachdem sie beiden ins Auto gestiegen waren. "Saskia Hofmann. Es wäre gut, wenn ihr euch das mal anschaut." Ben und Semir sahen sich geschockt an und ließen sich nicht zweimal bitten.


    Wohnung von Saskia Hofmann - 9:50 Uhr


    Von der KTU bis zur Wohnung im Altbauviertel von Kölns Innenstadt war es nicht alzu weit. Semir hatte ausserdem Kevin informiert, der sich sofort auf den Weg machte. Vor dem Haus standen Rettungswagen, einige Polizeiautos und mittlerweile auch ein schwarzer Mercedes eines Bestattungsunternehmens. "Verstehst du das?", fragte Ben nun schon das dritte Mal, seit sie von der KTU losgefahren waren. "Noch nicht. Aber es lenkt die Spur wieder auf das Foto.", sagte Semir. In ihm drin arbeitete es bereits auf der ganzen Fahrt. Gestern schwankte er zwischen einem Rachefeldzug an allen Polizisten der Mordkommission hin zu einem Ablenkungsmanöver von Saskia selbst, zumindest was das Foto anging. Doch in diese Theorie passte ihr tot ganz und gar nicht.
    Sie nahmen die Treppen bis ins 2.OG, wo die Wohnungstür von Saskia Hofmann weit offen stand. In der modern eingerichteten Wohnung herrschte reges Treiben. Einige uniformierte hielten die Nachbarn vor der Wohnung in Zaum und ließen Semir und Ben sofort durch. Drin liefen mehrere Männer und Frauen in weißen Schutzanzügen und sammelten Spuren, während Meisner gerade die letzten Worte über die gefundene Leiche in sein Diktiergerät sprach. Die beiden Polizisten kamen näher und Ben murmelte leise ein: "Schöne Scheisse..."


    Saskia Hofmann lag auf den sauberen Holzdielen in ihrem Wohnzimmer, zwischen Treppenaufgang und hinter der Couch. Ihre Augen starrten an die Decke, die Lippen waren blau angelaufen. Um ihren Hals herum waren dünne, scharf eingeschnittene Würgemerkmale. Ihr Körper lag auf dem Rücken, die Arme über dem Kopf, die Beine leicht gespreizt. Sie trug nur einen Bademantel, der ihre Intimzonen verdeckte, ein Slip hatte man ihr bis zu den Fußgelenken heruntergezogen. "Hey Meisner. War gut, dass du uns angerufen hast." "Hab ich mir nach gestern schon fast gedacht. Hier, die haben wir in ihrer Geldbörse gefunden.", sagte Meisner und gab Ben Saskias Dienstausweis. "Die Dame war gestern noch bei uns auf dem Revier.", seufzte Ben.
    Beide Polizisten starrten betroffen auf die junge Frauenleiche. Jeder Mordfall schlug auf die Psyche. Dies hier war eine Kollegin, mit der man gestern nachmittag noch gesprochen hatte... das machte es komisch. Egal welche abartige Rolle sie in Kevins Leben spielte. "Stranguliert mit etwas Dünnem, wie einem Faden, Draht, vielleicht auch ein Kabelbinder.", zählte Meisner auf. "Todeszeitpunkt?", fragte der erfahrenere Polizist, der sich neben die Leiche hockte und sich die Würgemale genauer ansah. "Höchstens 2 oder 3 Stunden. Muss also heute morgen passiert sein. Geld ist noch da, kein Raubmord und auch kein Einbruch, den es gab keine Spuren. Sie hat ihren Mörder hineingelassen."


    Es dauerte nur einige Minuten bis Kevin mit schnellen Schritten in das Haus kam. Sein Blick war ebenfalls betroffen, als er die ungeliebte Kollegin tot am Boden liegen sah. "Scheisse...", murmelte er für einen kurzen Moment und Semir stellte erleichtert fest, dass Kevin ein wenig Empathie übrig hatte für die Frau... wenn auch nur im Angesicht des Todes. Ben unterrichtete ihn kurz in den Infos, die sie von Meisner bezüglich Saskia Hofmann hatten, sowie von den Infos aus der KTU. "Dann war das Bild doch kein makabarer Scherz.", seufzte Kevin und verzichtete darauf, Handschuhe anzuziehen, da er hier nichts anfassen würde. "Und wenn, dann gehörte sie nicht zu denjenigen, die über diesen Scherz etwas zu lachen hatten.", stellte Ben mit einem Hauch von Sarkasmus fest.
    "Wer hat die Leiche eigentlich gefunden?", wandte sich Semir an den fast gleichaltrigen Meisner. "Der Hausmeister. Die Tür war nur angelehnt, und er wollte nach dem Rechten schauen. Dann hat er die Streife angerufen." "Ich werde mal mit dem Mann reden.", sagte Ben und ging in einen Nebenraum, wo der Hausmeister wartete. Semir trat dicht neben Kevin, der nachdenklich auf die Leiche sah. "Was grübelst du?", fragte der kleinere Polizist und sah ein kaum merkbares Nicken: "Es ist genau das gleiche Muster. Unglaublich..."

    Dienststelle - 09:15


    Kevin saß allein in seinem Büro, seine Stirn gegen zwei Finger gestützt, brütend über den Akten. Manchmal sah er auf, tippte etwas auf der Tastatur seines PCs, las den Inhalt an seinem Bildschirm ab. Krampfhaft versuchte er, die Gedanken alleine auf das zu lenken, was vor ihm lag, und sich nicht ablenken zu lassen von den Gedanken, die ihm seit Tagen im Kopf herumgingen und sich um seine Vergangenheit drehten. Er zwang sich, seinen Kopf dazu, es zu verdrängen. Die zweite Tasse Kaffee, die dritte Kippe, der er draussen vor der Tür rauchte, halfen dabei. Er hatte sich an einen Satz von Saskia erinnert, den sie ihm gestern abend entgegen geworfen hatte. "Kannst du dich erinnern, dass sowas ähnliches auch Plotz' Fall war, zu der Zeit als das Foto gemacht wurde?"
    Der junge Polizist hatte den Satz gar nicht richtig gehört, ihn wahrgenommen aber nicht gespeichert, weil er einfach nur wollte dass diese Person seine Wohnung verließ. Jetzt war der Satz auf einmal da, er war greifbar und real. Und der Satz war richtig. Kevin hatte zwar keinen Zugriff mehr auf die Akten der Mordkommission, aber er hatte von damals viele der Akten in seinem persönlichen Ordner gespeichert. Unter anderen zumindest den Abschlussbericht der Ermittlungen, die Plotz federführend geleitet hatte.


    Das Opfer war damals 72 Jahre alt. Der Mörder: Der Schwiegersohn, der es unter Geldnot auf das Erbe abgesehen hatte. Er vertauschte die Medikamente des, an Bluthochdruck erkrankten Mannes. Der Plan ging soweit auf, dass der Mann tatsächlich an einem Herzinfarkt starb und man zunächst einen natürlichen Tod vermutete, doch auch hier kam man dem eigentlichen Mord erst durch die Medikamente auf die Schliche. Per Fingerabdruck konnte der Schwiegersohn überführt werden, der sich die Medikamente auf dem Schwarzmarkt beschafft hatte. "Wäre ja zu schön, wenn das jetzt auch so leicht wäre.", murmelte Kevin für sich allein, denn Jenny war immer noch mit Bonrath unterwegs zum TÜV. Scheinbar waren sie irgendwo in den Stau gekommen.
    Dass zwei Männer die Dienststelle betraten, bekam der junge Polizistt gar nicht mit. Torben und Bastian, beides Ermittler der Mordkommission, standen kurz unentschlossen mitten im Großraumbüro. "Kann ich ihnen helfen?", fragte Andrea, die auf den unbekannten Besuch aufmerksam wurde. "Ja, wir würden gerne zu Frau Engelhardt.", übernahm der größere Mann mit den hellblonden Haaren die Gesprächsführung ein, während der etwas kleinere Mann, mit schwarzem Vollbart, stumm nickte. "Frau Engelhardt ist gerade ausserhalb, aber sie müsste jeden Moment zurückkommen. Wenn sie kurz warten wollen...", bot Andrea den beiden einen Platz an und kehrte dann an ihren Arbeitsplatz zurück.


    Aber die beiden Mordermittler setzten sich nicht. Torben, der den Blick durch das gesamte Büro gleiten ließ, sah durch die Glaswand ins Büro von Kevin. Mit der flachen Hand stieß er seinen Partner an. "Schau mal.", meinte er kurz grinsend und nickte in Richtung des Büros und des abgelenkten Kevin. Dann hielten die beiden auf das Büro zu und traten, ohne anzuklopfen ein. "Na, wen haben wir denn da? Wenn das nicht unser ehemaliger Kollege ist?", fragte Bastian, der zuerst ins Büro eintrat, gespielt gut gelaunt. Kevin hob den Kopf bereits, als die Tür aufschwung, und seine Augen wurden kalt. "Was wollt ihr zwei Tröten denn hier?", giftete er sofort. Erst tauchte Saskia hier und bei ihm zu Hause auf, und nun auch noch die beiden Vollidioten? Womit hatte er das verdient, dachte sich der junge Polizist.
    "Na, wer wird denn so unfreundlich sein?", fragte Bastian und Torben verschloss die Bürotür hinter sich... es musste ja nicht die gesamte Dienststelle der Autobahnpolizei mitbekommen, in welchem Verhältnis die drei zueinander standen. Dreist ging Bastian ein Stück um den Schreibtisch, und sah Kevin von hinten auf den Monitor. Er konnte gerade noch die Akte von Plotz erkennen, bevor Kevin das Fenster schloß. "Oh Shit. Du bearbeitest den Mordfall von Erwin?" Kevin verdrehte die Augen. "Was dagegen?" "Allerdings. Du dürftest kaum ein ehrliches Interesse daran haben, seinen Mörder zu finden. Im Gegensatz zu uns.", unterstellte der Vollbartträger.


    Kevin schüttelte den Kopf, sperrte seinen PC und stand von seinem Platz auf. Im ersten Affekt überlegte er, den beiden nicht nur auf verbale Art klar zu machen, dass sie von hier verschwinden sollten... sondern sie beide eigenhändig rauswerfen. Aber was würde es bringen? Er hatte sich gestern schon bei Saskia zurückgehalten, und um jedem Ärger mit der Chefin aus dem Weg zu gehen, brach er sein Vorhaben ab. Er wunderte sich einen Moment selbst darüber, das war eigentlich nicht seine Art. "Passt mal auf...", sagte er mit seiner gewohnt, gelangweilten Stimme. "Ich weiß zwar nicht, was ihr beide hier verloren habt... aber egal was es ist, sucht es ausserhalb meines Büros." Dabei stieß er beim Vorbeigehen dem größeren und breiteren Torben gegen die Schulter, öffnete die Tür des Büros um dann, wieder betont rempelnd, zurück an seinen Platz zu gehen. Dort blieb er aber zunächst erst am Stuhl stehen.
    Bastian und Torben grinsten überlegen, während sie keine Anstalten machten, den Ausgang in ihrem Rücken zu benutzen. "Ernsthaft? Ist das alles, was du uns zu sagen hast?", fragte Bastian gespielt empört und stieß Torben an: "Scheint doch nicht der harte Kerl zu sein, von dem man sich immer erzählt." Der lachte kurz auf und sagte dann boshaft: "Vielleicht sollten wir doch mal den ganzen Gerüchten nachgehen, die damals bei uns so im Umlauf waren, was meinst du?" Bastian sah direkt zu Kevin, der nun den Blick wieder zu den beiden Kollegen richtete. "Ja, das sollten wir vielleicht wirklich."


    Es war nur eine Finte, und Kevin wusste das. Aber sie war so boshaft, dass er sich nicht vorstellen konnte, was der kleinere Mann mit Vollbart jetzt sagte. Er hatte nicht gefragt, er wollte nur dass die Typen abhauen. Doch der Satz, der fiel, brachte seine Deeskalationsmethode zum Einsturz. "Zum Beispiel, warum bei dem Mord an der 15jährigen Janine Peters die Spermaspuren nicht richtig untersucht wurden. Vielleicht stammen sie ja von ihrem Bruder... ihrem Mörder." "Wäre ja nicht das erste Mal, dass jemand im Drogen- und Alkoholrausch durchdreht und die eigene Schwester nicht von einer Straßennutte unterscheiden kann.", setzte Torben noch hinzu.
    Weder die Chefin, die gerade in diesem Moment im Türrahmen auftauchte und von Kevin nicht gesehen wurde, noch Torben waren schnell genug, um eingreifen zu können. Kevin brauchte nur zwei Schritte. Bis Bastian die Bewegung regestrierte, war der Kickboxer schon da, und auch das Zucken mit dem Arm war für den Polizisten unwirklich schnell. Erst den stechenden Schmerz im Magen, die Wucht des Schlages und das Zurücktaumeln konnte er spüren. Dem Mann blieb die Luft weg. Bevor es durch das Eingreifen von Torben zu einer richtigen Prügelei kam, donnerte die Stimme der Chefin durch das kleine Büro. "Dürfte ich erfahren, was hier vor sich geht?" Torben sah sich um, Bastian, leicht nach vorne gekrümmt und keuchend ebenso. Kevin blickte nur fassungslos erst auf Bastian, dann auf die Chefin, die die Erregung ihres Mitarbeiters deutlich spürte. "Ihr... ihr Polizist hat meinen Partner einfach angegriffen. Wir wollten uns nur über den Stand der Ermittlungen beim Mordfall Erwin Plotz erkundigen.", sagte der blonde Mann schnell, und die Chefin sah zu Kevin, der sich kopfschüttelnd wieder hin setzte.


    "Ach so? Dann sollten sie sich bei den richtigen Kollegen erkundigen. Kommen sie in mein Büro, Herr Peters hat mit dem Fall nichts zu tun." Ohne ein Widerwort zu dulden gab sie den Weg frei nach draussen, durch das Großraumbüro in ihr eigenes. Kevin sah ihr einen Moment nach, bekam noch einen kurzen, tadelnden Blick der Chefin ab und beobachtete, wie sie mit den beiden Kommissaren in ihren Büro verschwand. Er fasste sich wieder mit den Fingern an die Stirn und pustete durch. Er zitterte innerlich vor Wut. "Was war das denn gerade?", holte ihn die Stimme von Andrea in die Wirklichkeit zurück, und er blickte auf. Sie hatte die laute Stimme der Chefin gehört, und sah wie der kleinere der beiden Polizisten sich nicht mehr ganz aufrecht fortbewegte. Kevin biss sich auf die Lippe, bevor er sprach: "Wie würdest du reagieren, wenn man dir vorwerfen würde, dass du Semir eigenhändig in die Gaskammer gesperrt hättest und ihm das Hakenkreuz in den Hals geritzt hättest? Oder wenn man dir den Vorwurf macht, du hättest selbst dein Kind ins Koma gespritzt?" Andrea blieb für einen Moment die Luft weg und sie bekam eine Gänsehaut. Sie musste sich sogar kurz am Türrahmen festhalten. "Tut mir leid...", entschuldigte Kevin sich für den brutalen Vergleich und erklärte kurz, was Bastian und Torben gesagt hatten. Plötzlich hatte die Sekretärin, die Gewalt eigentlich ablehnte, sehr viel Verständnis für Kevins Reaktion.


    Es dauerte vielleicht 20 Minuten, bis die beiden Männer wieder aus Anna Engelhardts Büro rauskamen. Sie verabschiedeten sich nicht mit Händedruck, aber die Gesichter drückten gegen die Chefin keine Feindseligkeit aus. Der Blick, den Bastian in Richtung Kevin warf, als sie zum Ausgang gingen, sprach dagegen Bände. Hinter ihnen folgte sofort die Chefin und nahm Kurs auf Kevins Büro, wo sie im Türrahmen stehen blieb, sich gegen den Türpfosten lehnte und die Arme verschränkte. "Sie scheinen ja bleibende Eindrücke bei der Mordkommission hinterlassen zu haben, wenn man sie dort noch so gut leiden kann, Peters.", sagte sie mit einem sarkastischen Unterton, ohne dem jungen Polizisten direkt einen Vorwurf zu machen. "Was haben die beiden ihnen erzählt?", fragte er sofort und befürchtete, vor allem der intrigante Bastian könnte Lügen erzählt haben. "Unwichtig... und zwar deshalb, weil ich nichts davon glaube.", wiegelte sie sofort ab. Die Antwort war für den jungen Mann nur schwer zu ertragen, aber er musste sich damit zufrieden geben. "Davon abgesehen, dass ich zwar den Grund für ihren Ausraster gehört habe... den Ausraster aber dummerweise nicht gesehen, finde ich es dennoch besser für uns alle, wenn sie sich aus den Ermittlungen im Falle Erwin Plotz raushalten. Haben wir uns verstanden?" Sie wartete die Antwort gar nicht ab, weil es für sie eh nur eine Antwort gab und drehte sich wieder um, um das Büro zu verlassen. Dieser Teil des Satzes war aber nicht wichtig für Kevin. Er war plötzlich froh, Anna Engelhardt zur Chefin zu haben... sie hatte die ungeheuerlichen Vorwürfe gehört... und natürlich auch den Schlag gesehen. Aber sie schien Verständnis zu haben, genau wie Andrea.