Gabriela schoss es ihm durch den Kopf. …
Camil eilte nach draußen und sah die junge Russin in der Tür zum Partyraum stehen. Er rannte auf die junge Frau zu, die völlig außer Fassung wie angewurzelt da stand. Ihr Blick war starr auf die Leiche des Albaners gerichtet. Sie zitterte und stand völlig unter Schock. Er fasste sie an den Schultern an und schüttelte sie kurz. Sie schrie hysterisch weiter.
„Scht … Beruhige Dich! … Hör auf zu schreien, Mädchen!“, sprach er beruhigend auf sie ein, „Du kannst es nicht mehr ändern. Der Narr ist selbst schuld an seinem Schicksal!“
Es half nichts. Sie schrie einfach weiter und er verpasste ihr eine schallende Ohrfeige. Elena schluchzte und erstarrte … sie schluckte ihre Tränen hinunter und blickte ihn aus weit aufgerissenen Augen an.
„Egal was der Kerl dir versprochen hatte, es ist aus und vorbei. Verstanden! …. Er wird dich nicht mehr beschützen. … Verstanden! … Hast du mich verstanden!“ sprach er energisch auf sie ein, umfasste ihre Schultern und schüttelte sie. „Wenn du hier lebend rauskommen willst, dann reiß dich zusammen! … Gabriela ist unberechenbar, halte dich so gut es geht in den nächsten Stunden von ihr fern!“
Elena nickte eingeschüchtert. Sie verstand die deutsche Sprache besser, als sie diese sprach.
„Bringe mir Putzzeug!“, forderte er die Russin auf, „und dann verzieh dich in dein Zimmer!“
Angelockt vom Blutgeruch schwirrten etliche Schmeißfliegen, die ihren Weg durch die geöffnete Terrassentür in den Partyraum herum. Wenn es neben Ratten etwas gab, was Camil hasste, dann waren es diese Plagegeister. Wenn sich diese Viecher und anderes Ungeziefer nicht im Haus breit machen sollten, blieb ihm wohl nichts anderes übrig, als den Befehl der Kroatin auszuführen den Partyraum gründlich zu säubern. Er verzog angewidert das Gesicht bei dem Gedanken und stieß ein paar derbe Flüche in seiner Heimatsprache aus.
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Remzi traf nach dem Mord an den Attentäter alleine in der Villa ein. Sascha und die anderen Gehilfen aus der Bande von Stojkovicz hatten sich auf Gabrielas Anweisung hin, in eine Tarnwohnung im Kölner Zentrum zurückgezogen. Camil fing ihn bereits in der Eingangshalle ab und informierte seinen Freund über die Begebenheiten, die sich vor zwei Stunden im Keller abgespielt hatten. Der grauhaarige Söldner fluchte lauthals vor sich und bebte vor Wut. Dieser Rachefeldzug verlief alles andere als planmäßig.
„Wo ist sie?“, fragte der Ältere.
„Oben! … Sie tobt und ist völlig neben der Spur! Nimm dich in Acht, Remzi! Die Frau spinnt im höchsten Grad!“, knurrte Camil als Antwort zurück. Wie zur Bestätigung hallte das Zerbersten eines Spiegels durch die Eingangshalle.
„Ich kümmere mich darum!“, brummte Remzi.
Zwei Treppenstufen auf einmal nehmend, stürmte der Söldner die Freitreppe nach oben. Der Lärm, den ihre Zerstörungswut verursachte, zeigte ihm den Weg zu der Kroatin. Unter dem Türrahmen blieb er erst einmal stehen und betrachtete das Schlachtfeld und Gabriela. Ihr Gesicht hatte sich zu einer hässlichen Fratze verzerrt. Aus ihren Augen sprach der unverhohlene Wahnsinn.
Remzi fragte sich, was war aus der Frau geworden, die er ausgebildet hatte, mit der er in früheren Jahren Attentate geplant und etliche Überfälle durchgeführt hatte. Damals hatte er ihren messerscharfen Verstand und ihren gewissen Hang zur Genialität bewundert. Sie hatte weder Moral noch Skrupel beim Durchführen ihrer Pläne und Mordaufträge gekannt. Doch niemals hätte sie sich zu solch einer unkontrollierten Zerstörungsaktion hinreißen lassen. Die Ereignisse des letzten Jahres schienen sie komplett verändert zu haben.
„Sag mal geht’s noch!“, brüllte er die Kroatin in ihrer Muttersprache an. „Haben sich bei dir einige Schrauben gelockert?“
Er deutete dabei mit der flachen Rechten an seine Schläfe. In ihrem Wutausbruch hatte Gabriela vorher das Schlafzimmer des Albaners verwüstet und stand schweißgebadet und keuchend in Mitten des Raumes. Das Zimmer glich einer Trümmerlandschaft, über die ein Wirbelsturm hinweggefegt war und alles zerstört hatte, was auf seinem Weg lag.
Gabriela ließ das Fläschchen Eau de Toilette, welches sie in der Hand hielt, achtlos auf den Boden fallen und starrte ihren alten Weggefährten an. Der Geruch des Rasierwassers verbreitete sich im Raum. In diesem Moment war Remzi das nächste willkommene Ventil für sie, um sich abzureagieren. Sie überschüttete ihn mit Vorwürfen, weshalb der Anschlag auf Julia Jäger fehlgeschlagen war. Remzi und die Kroatin gerieten in eine heftige verbale Auseinandersetzung. Anfangs ließ der Söldner die Beschimpfungen schweigend über sich ergehen, in der Hoffnung Gabriela würde sich dadurch beruhigen. Doch das Gegenteil war der Fall. Sie steigerte sich gleich einem Rauschzustand immer mehr hinein und als sie nur noch geifernd, sabbernd und schäumend vor Wut vor ihm stand, platzte ihm der Kragen.
„Mensch beruhige dich doch endlich wieder Gabriela“, blaffte Remzi die Jüngere ziemlich lautstark und unbeherrscht an und trat einige Schritte auf sie zu. „Was ist los mit dir? Hat dir dein Wahn nach Rache sämtlichen Gehirnzellen frittiert oder kannst auch noch mal einen Moment klar denken?“
Er umfasste mit einem brutalen Griff ihre Schultern und schüttelte sie. Gabriela heulte schrill vor Schmerz auf. Ihr Körper vibrierte und in ihren Augen verlosch der irre Glanz. Sie atmete keuchend ein und aus und der Grauhaarige hatte das Gefühl, dass sie langsam wieder in der Wirklichkeit ankam. Mittlerweile wusste er, wer den Anschlag im Krankenhaus in letzter Sekunde vereitelt hatte. Ihm war klar, dass diese Nachricht der Kilic nicht gefallen würde. Doch ihre Reaktion darauf übertraf alles.
„Es konnte keiner voraussehen, dass ausgerechnet dieser kleine Giftzwerg Gerkhan im Krankenzimmer von Julia Jäger auftauchen würde!“
„Gerkhan!“ fauchte sie wie eine wildgewordene Raubkatze und fletschte dazu ihre Zähne. Ihre Augen fielen ihr fast aus den Augenhöhlen vor Wut. „Gerkhan … Gerkhan ist in Köln! … Ihr Idioten, ihr Taugenichtse, wer von euch hat behauptet der Autobahnbulle wäre in der Türkei? … Oh Gott, wenn ich den in meine Finger bekomme! …Schau her!“, geiferte sie und riss sich den Bolero vom rechten Oberarm. „Er ist dran schuld, dass ich wie Monstrum aussehe, vor dem sich Männer ekeln! Gerkhan ist an allem schuld!“
Sie holte mehrmals Luft, schnaubte vor sich hin, wie ein wild gewordener Stier und begann auf ein Neues den Älteren mit einer Ansammlung übelster kroatischer Schimpfwörter zu belegen. Mit ihrer Linken hämmerte sie auf die Brust des Mannes ein. Nun wurde es Remzi zu bunt. Er verpasste der jüngeren Frau links und rechts einige schallenden Ohrfeigen, was sie vor Schmerz aufheulen ließ und umfasste ihr Kinn. Den Kräften Remzis hatte sie nichts entgegenzusetzen. Mit einem eisernen Griff zwang er Gabriela ihm in die Augen zu schauen. Seine grünen Augen loderten sie an. Die Schärfe seines Tonfalls ließ sie verstummen.
„Vergiss nicht, mit wem du redest Gabriela! … Ich bin keines deiner Schoßhündchen, die du in den vergangenen Jahren um dich gescharrt hattest, wie diesen Nicholas Schneider oder deinen Cousin Mario!“ Er hob dabei drohend wie ein Lehrer den Zeigefinger. „Verstanden!“ Sie nickte andeutungsweise in seinen eisernen Griff hinein. „Gut! … Also überlege dir genau, was du mir vorwirfst! … Ich hatte dich von Anfang an gewarnt, diese Albaner mit ins Boot zu holen. Doch du wolltest wieder mal schlauer sein, als alle anderen und gleich für die Polizei den perfekten Bösewicht mitliefern. Das ist wohl gründlich in die Hose gegangen! Mit unseren eigenen Leuten wäre das nicht passiert!“
Er ließ ihr Kinn los, auf dem sich die Druckstellen seiner Fingerkuppen abzeichneten. Sie machte einen Schritt rückwärts. Ihre Wangen waren von seinen Schlägen gerötet.
„Ab jetzt gelten auch meine Spielregeln, sonst bin ich hier schneller weg, als du piep sagen kannst verstanden!“
Sie biss sich auf die Lippen und bewegte den Kopf auf und ab.