Beiträge von Mikel

    Elena putzte die Küche und bereitete das Essen für die Söldner und Gefangenen für den kommenden Tag vor. Die Kovac Brüder hatten sich in ihre Schlafräume über der Garage zurückgezogen. Camil saß im Wohnzimmer vor dem überdimensionierten Fernseher und lauschte den Lokalnachrichten, während er sie durch die geöffnete Tür beobachtete. Sobald sie mit ihrer Arbeit fertig war, würden sie sich in sein Zimmer zurückziehen.


    Ihre Finger griffen in die Hosentaschen ihrer Shorts und spielten mit dem Stückchen Papier, das sich darin befand. Sie musste sich etwas einfallen lassen. Auf dem Notizzettel hatte ihr Anna am Vormittag die Handynummer von Semir Gerkhan notiert und ihr klar gemacht, sie müsse nur diese Nummer anrufen und dem Türken erklären, dass sie wüsste wo Ben und Anna sich aufhalten. Den Rest, so war die Hoffnung der Ärztin, würde der Autobahnpolizist mittels Handyortung erledigen. Elenas Problem war, sie kam an kein Handy ran. Selbst als sie die vergangene Nacht bei Camil verbracht hatte, war ihr Versuch fehlgeschlagen. Das Display des kleinen Smartphones war durch Fingerabdruckscan abgesichert gewesen.


    Lautstarkes Gebrüll aus dem oberen Stockwerk riss Elena aus ihren Gedanken. Zwischen Gabriela und Remzi war ein heftiger Streit in Kroatisch entbrannt. Anfangs verstand sie nicht, um was es dabei genau ging. Einzelne Gesprächsfetzen drangen bis zu ihr in die Küche. Da waren die unverständlichen Worte des Grauhaarigen, die die Kroatin in einer schrillen sich überschlagenden Tonlage beantwortete. „Kein 5-Sterne Hotel …. Ich allein bestimme, was mit den Gefangenen geschehen soll! …. Keiner … Du spinnst wohl! … Hirnverbrannte Idee … !“ In der Lautstärke um einige Dezibel lauter, brüllte Remzi zurück „Unzählige Treppenstufen …. Krücken … Wie soll das funktionieren?“


    Mit einem donnernden Knall flog die Türe zu Remzis Schlafzimmer zu. Gedämpft und für die anderen Bewohner des Hauses nicht hörbar, ging der Streit zwischen Gabriela und Remzi in die nächste Runde.


    *****
    Es wurde eine Höllennacht für Anna. Das Fieber wütete in Bens Körper. Mit jeder Stunde schwand das Leben mehr und mehr aus seinem Körper. Ihr war klar, dass er dabei war auf die andere Seite abzudriften. Sie hatte ihm die maximale Dosis des Antibiotikums verabreicht.


    „Nimm es an Ben! Bitte nimm das Medikament an!“, appellierte sie verzweifelt und wusste doch, es blieb ihr nichts anderes übrig als abzuwarten.


    Löffelweise flößte sie ihm Flüssigkeit ein, Tee, Wasser, Brühe, immer in der Hoffnung, er möge sich nicht verschlucken. Zwischendrin kühlte sie seine Stirn, trocknete die Schweißperlen, legte ihm neue Wadenwinkel. Doch das Fieber sank nicht. In der einen Minute betete sie um das Leben ihres Liebsten, in der nächsten Minute begann sie haltlos zu fluchen und vor Hilflosigkeit vor sich hinzuschluchzen. Die Dunkelhaarige war nicht bereit aufzugeben, so lange noch ein Funken Leben in ihrem Geliebten war.
    Irgendwann war der Punkt erreicht, wo ihre Grenze der Belastbarkeit überschritten war. Sie konnte einfach nicht mehr, war am Ende ihrer Kräfte angelangt. Völlig erschöpft schmiegte sich an ihn heran. Sie wusste einfach nicht mehr weiter und wollte Ben so nahe wie möglich sein, wenn es zu Ende ging. Sein Herzschlag raste in ungeahnten Dimensionen, sie konnte es deutlich unter ihrer Hand spüren, die auf seinem Oberkörper ruhte. Sie hatte wie vor zwei Tagen, seinen Kopf auf ihren Arm und so nahe an ihrer Brust gebetet, dass er ihren Herzschlag hören konnte. Ihre Finger strichen durch das schweißnasse Haar, während sie, wie beschwörend auf ihn einsprach. Sie versuchte seinen Geist in die Realität zurückzuholen. Tränen rannen ihr unaufhaltsam über ihre Wangen. Zärtliche Küsse hauchte sie auf sein Gesicht.


    „Ich möchte dich nicht verlieren, hörst du? … Denk an unser Kind! … Denk an unsere gemeinsame Zukunft … unsere Pläne … du kannst mich doch nicht im Stich lassen!“


    Diese und andere Worte sprach sie in einem endlosen Monolog auf ihn ein. Es würde ihr das Herz brechen, wenn Ben hier und jetzt in ihren Armen starb.


    *****
    Bilder tauchten in seiner Erinnerung auf, diese Augenblicke der Qual und Pein in der Folterkammer, verbunden mit diesen unendlichen Schmerzen. Der Schmerz wütete in jeder Faser seines Körpers, einfach überall, ließ ihn nicht los. Es kam ihm vor, als würde sein Körper in einem wahren Höllenfeuer schmoren. Ben wollte dem ganzen entrinnen … fliehen … weg einfach nur weg … irgendwo hin.


    Doch da war noch etwas anderes. Diese STIMME! Ihre Stimme, die vertraute Stimme seiner Freundin ANNA, in der ein Zauber lag, der ihn magisch anzog … sie lockte ihn, vermittelte seiner Phantasie den Wunschtraum nach einer kleinen Familie … nach einem Kind … nach seinem Baby, das er in seinen Händen trug, sanft in seinen Armen wiegte, … nach einem kleinen Jungen, mit dem er am Strand Sandburgen baute … auf dem Spielplatz herumtollte, der Traum von seinem eigenen KIND.


    Bens Geist wanderte zwischen der düsteren Halbwelt voller Schmerz und Qual, seinem Wunschtraum nach einer eigenen Familie und dem hellen Punkt in der Ferne, der die Illusion von Freiheit und Erlösung von allem versprach, hin und her.

    Nachdem die Brünette den Raum verlassen hatte, widmete sich Gabriela Kilic wieder Anna und Ben. Genüsslich leckte sie sich mit ihrer Zungenspitze über die Lippen. Mit der Spitze ihrer Stiefel stupste sie den am Boden Liegenden an und schob die Zudecke zur Seite. Nachdenklich musterte sie den Verletzten, dessen Körper mit einem Schweißfilm überzogen war. Wieder trat sie Ben zielgerichtet mit der Spitze ihres Schuhes leicht in die linke Seite. Vom Verletzten kam keine Reaktion. Es schien, als wäre dieser schon in eine andere Welt ohne Schmerzen abgetaucht.


    „Ben … Ben ….!“, schrie Anna auf und brachte ihren Körper schützend zwischen ihm und Gabriela. „Wenn du Hexe es wagst, ihn noch einmal anzufassen, kratze ich dir die Augen aus!“, gab sie wütend fauchend von sich.
    „Oh, wow! … Das Löwenweibchen verteidigt ihr Junges!“, kam von der Kroatin amüsiert zurück. Wie Anna es erwartet hatte, zückte Gabriela ihre Pistole und zielte damit auf ihren Oberkörper.
    „Na los! Schieß doch!“, antwortete Anna herausfordernd und stellte sich furchtlos hin. Sie verschränkte ihre Arme vor der Brust. Ihr Herzschlag raste, ihre Handflächen schwitzten und ihre Nackenhärchen stellten sich vor Angst auf. Dennoch schaffte sie es, ihre Mimik im Griff zu behalten und die Kroatin konnte darin keine Spur von Angst erkennen. „Der grauhaarige Zombie im ersten Stock wird wohl wenig begeistert sein, wenn du mich einfach über den Haufen knallst, du Hexe!“
    Der Gesichtsausdruck von Gabriela verfinsterte sich. Mit dieser Reaktion der Ärztin hatte sie nicht gerechnet. Woher wusste dieses Miststück, dass sie Remzi als Beute versprochen war und sie an dieses Versprechen gebunden war. Entsprechend wütend brummte sie Anna an: „Treib es nicht zu weit Schätzchen sonst…!“
    „Was sonst?“, fragte diese herausfordernd.
    Gabrielas Kehle entwich ein undefinierbares Knurren. Sie trat einige Schritt zur Seite, weg von Ben, bückte sich und hob den Rettungsrucksack auf.
    „Keine Sorge, ich lass dir noch ein bisschen das Vergnügen ihn abkratzen zu sehen! Kümmere dich mal schön weiter um ihn!“ Sie hielt Anna den Rucksack entgegen. Als diese zugreifen wollte, zog sie ihn zurück. „Den Rucksack und das Zeug darin, wirst du wohl ab sofort nicht mehr brauchen, so wie der Kerl aussieht.“
    Daraufhin stapfte Gabriela in Richtung Tür. Bevor sie diese verschloss, wandte sie sich nochmals Anna zu, die wie angewurzelt neben Ben auf der Bodenmatte stand.
    „Angenehme Nachtruhe, Schätzchen!“, verspottete sie Bens Freundin und verschloss den Raum sorgfältig.


    Wieder allein im Zimmer ließ sich Anna neben Ben auf die Bodenmatte sinken. Sie war sich nicht sicher, wer diese Runde in dem merkwürdigen Spiel zwischen ihr und Gabriela gewonnen hatte. Ben hatte von alle dem nichts mitbekommen. Die Schattenwelt hielt ihn gefangen. Sorgsam deckte ihn die Dunkelhaarige ihn wieder zu und tastete nach dem Gegenstand, den die junge Russin ihr in den Hosenbund geschoben hatte. Anna glaubte zu träumen, als sie zwei Blister-Packungen eines Antibiotikums in der Hand hielt. Es war exakt jenes Medikament, das sie heute Morgen auf dem Rezept notiert hatte. Sie blickte sich suchend im Raum um. Der zerknüllte Zettel war verschwunden. Anna glaubte zu wissen, wofür die junge Frau die Prügel kassiert hatte. Es glich einem Geschenk des Himmels für das Elena scheinbar verdammt viel riskiert hatte, ihr Leben riskiert hatte. Anna versuchte dieses Wissen aus ihrem Verstand zu verdrängen. Fast die Hälfte der Tabletten fehlte, waren aus der Blister-Packung gedrückt worden. Sie zählte die verbliebene Stückzahl durch, achtzehn kleine Pillen um Bens Leben zu retten. Die Ärztin in ihr kam wieder zum Vorschein. Fast schon routiniert zerkleinerte sie zwei der gelben Pillen, löste sie in Flüssigkeit auf und zog sie in eine der Einwegspritzen, die ihr geblieben waren. Anschließend bettete sie Bens Kopf auf ihrem Schoß. Sanft legte sie ihren Zeigefinger und Ringfinger auf seinen Kehlkopf und fühlte wie sich sein Kehlkopf bewegte. Völlig unerwartet schlug er dabei seine Augen auf. Doch sein Blick ging ins Leere irgendwie an ihr vorbei.


    „Ben! … Ben!“, sprach sie ihn an. Sein Blick begann sie zu fixieren. „Du musst schlucken! Hörst du!“ Anna schüttelte die Einwegspritze und führte deren Spitze in den Mundwinkel ein. Langsam drückte sie ein wenig Flüssigkeit in seinen Mund, strich über den Kehlkopf und wartete bis er geschluckt hatte.
    „Sehr gut mein Schatz!“, lobte sie ihn „Komm … den Rest auch noch!“


    Geduldig flößte sie ihm das Medikament ein und noch ein wenig Flüssigkeit hinterher. Erschöpft fielen ihm wieder die Augen zu. Wie schon viele Male vorher tauchte sie das Gästehandtuch in eine Schüssel mit kaltem Wasser. Zärtlich tupfte sie den Schweiß von seiner Stirn, wusch seinen Körper damit ab und redete dabei in einem endlosen Monolog auf ihn ein.


    „Ich kenne jeden Zentimeter deiner Haut … habe jede deiner Wunden gesehen … weiß was man dir angetan hat … doch hörst du mich … du musst kämpfen. So lange du nur einen Atemzug noch machst, werde auch ich um dein Leben kämpfen … Du darfst nicht aufgeben.“

    Urlaub in Rumänien ... unsere Helden sind mit ihren Familien dort angekommen

    du hast es so schön beschrieben .... ich will auch hin und eine Auszeit genießen

    so wie Sarah und Andrea ... ein bisschen Wellness machen und sich verwöhnen lassen

    Ben und Semir gehen auf Expeditionstour in den Bergen ...

    die Spannung steigt

    wem begegnen sie zuerst ... den Bösen oder Jake

    bin gespannt

    Anna war wieder alleine mit Ben. Seinen Kopf hatte sie auf ihren Schoß gebetet. Mit dem Rücken an der Wand gelehnt, streichelte sie ihm zärtlich mit ihren Fingerkuppen über die Wangen, redete auf ihn ein. Er war erneut in einen koma-ähnlichen Zustand gefallen. Keine Reaktion! Kein Stöhnen … nichts. Regungslos lag er da. Anna hatte furchtbare Angst, dass er daraus nicht mehr erwachen würde, die Nacht nicht überleben würde. Sie kämpfte gegen ihre Erschöpfung und Müdigkeit an und versuchte alles in ihrer Macht stehende um das Fieber zu senken. In den Minuten, in denen sie sich ein wenig Ruhe gönnte, sackte ihr Kopf auf die Brust, fielen ihr die Augenlider zu. Draußen hatte die Abenddämmerung einsetzt und tauchte den Kellerraum in ein schummriges Licht. Ein weiterer Tag war verstrichen ohne das Semir aufgetaucht war. Ihre Hoffnung auf Rettung schwand mit jeder Stunde, die sie hier in diesem Verlies verbrachte. Ben musste dringend in ein Krankenhaus gebracht werden, wenn es noch eine Chance auf Rettung geben sollte.
    Da war es wieder, dieses verhasste Klick … klick, wenn die Zimmertür aufgeschlossen wurde und holte sie in die Wirklichkeit zurück. Die Deckenbeleuchtung flammte auf und Anna legte schützend ihren Unterarm vor die Augen. Vorsichtig krabbelte sie unter Ben hervor und richtete sich auf.


    Wie zuletzt, wurde Elena zuerst in den Raum geschickt, gefolgt von der Kilic. Ihr Hass und ihre Wut auf die grau-äugige Hexe und ihre Gehilfen verliehen Anna Kraft und eine innere Stärke. Furchtlos erwiderte sie den Blick von Gabriela. Der jungen Ärztin war klar, dass sich die Hexe nur an ihrem Leid und Bens Qualen amüsieren wollte. Doch diese Blöße würde sie sich nicht mehr geben, das hatte sie sich geschworen.
    Die junge Russin hatte ihren Blick nach unten gerichtet. Ihr weißes Top-Shirt und ihre Jeansshorts waren vorne mit Blutflecken übersät. Mit Essen und Getränken bepackt, schlich sie auf die Bodenmatte zu und stellte sie dort ab. Anna erschrak, als sie Elenas Gesicht näher betrachtete. Über deren linken Auge und auf der Wange waren ein Cut. Das linke Auge war blutunterlaufen und dick angeschwollen, ebenso wie die verletzte Wange und die Lippen. Jemand musste die junge Frau mit Schlägen fürchterlich verprügelt haben. Ohne auf Gabriela zu achten, nahm Anna die junge Frau mitfühlend in den Arm, die dabei schmerzverzerrt zusammenzuckte.


    „Oh mein Gott Elena, was haben die mit dir gemacht?“


    Anna spürte wie die Russin ihr, verdeckt durch ihren Körper, etwas in den Hosenbund schob. Ihre Miene wirkte dabei wie versteinert. Statt ihrer beantwortete Gabriela Annas Frage.
    „Die junge Dame war ungehorsam und wer nicht hören will, muss fühlen!“ Die Kilic trat näher heran und schaute Elena direkt in die Augen „Das nächste Mal stirbst du Miststück, verstanden!“ Die junge Russin nickte demütig und senkte ihren Blick schuldbewusst zu Boden. „Und jetzt schleich dich nach oben in die Küche! Die Männer haben Hunger!“
    Die Russin nahm wortlos die verschmutzte und durchschwitzte Wäsche sowie das gebrauchte Geschirr mit. Voll bepackt schlich sie an Gabriela vorbei aus dem Raum.


    Elena war regelrecht vor Gabriela zurück in ihre Küche geflüchtet. Sorgsam streifte ihr Blick im Raum umher, ob sie alle verräterischen Spuren beseitigt hatte. Aus dem Gefrierfach des Kühlschranks holte sie sich einen Kühl-Akku, wickelte ihn in ein Geschirrtuch, legte ihn auf die Schwellungen der linken Gesichtshälfte. Anschließend setzte sie sich auf einen der Barhocker, die vor der Anrichte standen. Der Braten schmorte im Ofen und verbreitete einen angenehmen Geruch. Mit geschlossenen Augen dachte sie über die vergangene Stunde nach.


    Im Nachhinein verfluchte die kleine Russin ihren bodenlosen Leichtsinn. Niemals hätte sie erwartet, dass Gabriela ihre Einkäufe kontrollieren würde. Als sie zwischen den Lebensmitteln die Faltpackung mit dem Antibiotikum entdeckt hatte, war die Kroatin regelrecht ausgerastet. Rücksichtslos hatte Gabriela auf die junge Frau eingeprügelt. Vor Schmerzen schreiend und wimmernd, war sie auf dem Fliesenboden in der Küche gelegen. Unaufhaltsam war ihr das Blut aus dem Mund und der Nase gelaufen. Wenn Camil nicht beherzt dazwischen gegangen wäre, da war sich Elena sicher, hätte die Kroatin sie in dem Moment totgeschlagen oder totgetreten. Der Schnauzbärtige hatte Gabriela an der Schulter gepackt und von ihrem Opfer weggerissen.
    „Verdammt es reicht jetzt. Ich denke Elena hat ihre Lektion gelernt!“, brüllte er die Kroatin an. Deren Augen loderten ihn hasserfüllt an. Doch diesmal ließ sich Camil nicht einschüchtern. Er hatte von seinem Freund Remzi einiges erfahren, wie die Kroatin tickte und wie man mit ihr umgehen musste. „Schon vergessen? … Wir haben einen Deal … Elena gehört mir!“


    Geifernd vor Wut hatte Gabriela von ihrem Opfer abgelassen. Camil blieb wie ein Schutzwall vor der jungen Russin stehen. Die Kroatin ließ ihren Blick auf den Boden umherschweifen und entdeckte die Tablettenschachtel. „Keine Tabletten für Jäger!“ Bei diesen Worten trat sie mit den Absätzen ihrer Stiefel auf die Tablettenschachtel ein, um sie anschließend in die Gästetoilette zu werfen und runterzuspülen. Danach kehrte sie in die Küche zurück, wo Camil im Begriff war der jungen Frau beim Aufstehen zu helfen.
    „Keiner hilft Jäger, wenn ich das nicht will! Noch mal so eine Einlage und du kannst deinem Schätzchen Rashid sofort folgen! Davor schützt dich nicht einmal mehr Camil!“, drohte ihr Gabriela, wobei sie sich zu ihr runterbückte und Elena brutal am Kinn anfasste. Diese hatte vor Schmerz aufgeschrien. Daraufhin war die Kroatin von der Küche aus auf die Terrasse zu den Kovac Brüdern gestürmt, die den Rest ihres Wutanfalls abbekamen.


    Camil war bei Elena in der Küche geblieben und hatte sich an den Türrahmen gelehnt. Er hatte sich eine Zigarette angezündet, an der er genussvoll sog. In seiner Hosentasche vibrierte sein Handy. Bereits am Klingenton erkannte die Russin, dass es sich um die Freundin des Serben handelte. Vertieft in sein Telefongespräch, achtete der Schnauzbärtige nicht mehr besonders auf Elena. Diese nutzte die Gunst der Stunde. Unter dem Vorwand sich das Blut aus dem Gesicht waschen zu wollen und ihre Verletzungen zu versorgen, war sie mit zwei Geschirrtüchern in der Hand in die Gästetoilette gehuscht. Die Tür ließ sie angelehnt. Während sie laut vor sich hin gestöhnt hatte, hatte sie beherzt in die Kloschüssel gegriffen. Ihre Hoffnung war nicht enttäuscht worden, die sperrige Tablettenpackung war in der Krümmung des Abflussrohres hängengeblieben. Misstrauisch über die Schulter blickend, holte sie die beschädigten Blister-Packungen aus dem aufgeweichten Karton und ließ die Pappschachtel wieder in der Toilette verschwinden. Die Blister-Packungen verschwanden in ihrem Hosenbund. Anschließend richtete sie sich auf, stellte sich vor den Spiegel und tupfte sich mit Toilettenpapier sich das Blut aus dem Gesicht. Die verwendeten Tücher warf sie achtlos in die Toilette und spülte sie hinunter. Als Camil die Tür aufstieß, um Elena zu kontrollieren, brummte er zufrieden. Die stand vor dem Spiegel und kühlte mit einem zusammengerollten Geschirrtuch die Verletzungen im Gesicht.


    Während der Zubereitung des Abendessens gelang es ihr, in unbeobachteten Momenten die Blister-Packungen nochmals abzuspülen, die Kunststoffverpackung zu trocknen und die beschädigten Tabletten über den Ausguss der Spüle verschwinden zu lassen.

    Anna war müde, einfach nur müde und wollte weiterschlafen. Unwillig brummte sie vor sich hin, als jemand ihre Schulter berührte und daran rüttelte. Irgendein Geflüster drang zu ihr durch.

    „Anna … Anna!“. Sie wollte nicht aufwachen, nicht zurück in die Wirklichkeit. „Anna … aufwachen! …. Ben!“ Mühselig öffnete die Ärztin die Augenlider und blickte in das aufgeregte Gesicht von Elena. „Ben … helfen!“
    In Sekundenbruchteilen war die junge Ärztin hellwach. Ihr Freund wimmerte lautstark vor sich hin. Seine Lippen bewegten sich … einzelne Wortfetzen … hallten im Raum. Elena wusste wie grausam man Ben gequält hatte. Seine Worte bestätigten jede Szene der Filmaufnahmen, die sie im Wohnzimmer unfreiwillig gesehen hatte. Anna eilte zu ihm und kniete vor ihm nieder. Unruhig wälzte er sich hin und her. Sein Oberkörper glänzte von einem dünnen Schweißfilm. Das Wimmern ging über in ein lautstarkes Stöhnen und endete in gequälten Schreien. Ben schrie ihren und Julias Namen, versuchte sich in seinem Fieberwahn aufzurichten, sich gegen ihre Berührungen zu wehren … schlug mit seinen Armen um sich und schrie in größter Not Annas Namen. Es zerriss ihr fast das Herz.


    *****


    Eine bizarre Finsternis hüllte Ben ein. Ein Dämon in der Gestalt des Grauhaarigen stand vor ihm. Das Gesicht war zu einer Fratze verzerrt, als er den Schockgeber immer und immer wieder auslöste. Bens Körper, er fühlte, wie er innerlich verbrannte, als wenn ein Strom glutheißer Lava durch ihn hindurchströmen würde. Sein Herz raste wie verrückt … Der Herzschlag hämmerte in seinen Schläfen. Der Schmerz in seinem Kopf brachte diesen fast zum Platzen. Dieses Druckgefühl machte ihn irre, er wollte all dem entfliehen. Rennen … Rennen … Er rannte durch einen dunklen Wald und stürzte in einen tiefen Abgrund.
    Er driftete ab und fand sich in einer anderen Realität wieder…. Auf einmal tauchten Anna und Julia auf, liefen Hand in Hand am Rheinufer spazieren … schoben beide einen Kinderwagen vor sich her … lachten miteinander … alberten ausgelassen wie zwei Teenager rum. Ein schwarzer Toyota raste über die Uferpromenade mit völlig überhöhter Geschwindigkeit heran. Sein Ziel waren die beiden jungen Frauen. Ben erkannte Gabriela Kilic hinter dem Lenkrad, sie grinste zu ihm hinüber, winkte ihm zu. Ihre Absicht war klar, sie wollte die beiden Frauen überfahren. … Er sah sich selbst, wie er an einem Eisstand, für sich und die beiden Mädels eine Portion Eis kaufen wollte. Er sah die Bedrohung auf die beiden Frauen zukommen, die ihm nach am wichtigsten in seinem Leben waren. Er schrie ihnen eine Warnung zu … Lauft weg … Lauft weg … sie hörten ihn nicht, waren in ihr Gespräch vertieft. Komm, lauf schneller Ben, renne! Rette die beiden, forderte seine innere Stimme ihn auf! In seiner Panik übersah er einen Treppenabsatz … er stolperte und stürzte unaufhaltsam die Treppe hinunter … auf einmal war da nur noch grenzenloser Schmerz, der sich über seine rechte Seite ausbreitete, jede Zelle seines Körpers durchdrang … Starr vor Entsetzen beobachtete er, wie unter dem Schreien der Menschen sowohl Annas, als auch Julias Körper durch die Luft gewirbelt wurden und vor ihm auf den Pflastersteinen blutüberströmt mit zerschmetterten Gliedern aufschlugen. Er schrie sein Entsetzen heraus, unfähig sich zu bewegen. …. Sein wirrer Geist gaukelte Ben Bilder vor, die so real waren und er befand sich mitten drinnen und konnte ihnen nicht entfliehen. Sie waren tot … tot … tot … Anna und Julia waren tot … er kroch mit gebrochenen Gliedern auf Anna zu … Sein Geist kannte kein Erbarmen mit ihm …


    Für einen Moment kam Ben aus seiner Schattenwelt zurück in die Wirklichkeit. Er bereute es augenblicklich. Der Schmerz, der in seinen Eingeweiden wütete, war übermächtig und schien auch in die letzte Zelle seines Körpers vorzudringen. Ihm war nicht bewusst, dass er laut vor sich hin stöhnte. Er versuchte seine Hände zu bewegen. Es ging nicht, sie wurden festgehalten. Der Schlachter war er wieder da, wollte er ihn schon wieder foltern? Er musste sich wehren, seine Augen öffnen, aber es ging nicht. Stimmen drangen wie durch dichte Nebelschwaden zu ihm durch. Für einen kurzen Augenblick war Ben richtig klar im Kopf und erkannte, dass Anna auf ihn einredete, ihn beruhigen wollte. Sie lebte, sie war bei ihm. Im nächsten Augenblick war sein Geist wieder in die Dunkelheit abgetaucht.


    In letzter Sekunde konnte Anna ihren Freund an den Schultern anfassen und zurück auf das Kissen drücken.

    „Schtt…. Scht … Ben beruhige dich! … Ich bin es Anna. …Alles wird gut! … Keiner tut dir was!“

    Sie ergriff seine Hand, hielt sie fest und streichelte ihm sanft über die Wangen. Ihre Stimme verfehlte nicht ihre beruhigende Wirkung auf ihm. Sein Körper entspannte sich. Sie trocknete mit einem Tuch seine Schweißperlen und umschlang mit der anderen Hand seine Hand.


    Fassungslos beobachtete Elena die beiden Verliebten. Welche Magie musste zwischen Ben und Anna herrschen, dass sie diesen Einfluss auf ihn haben konnte.


    Es gab noch weitere Beobachter der Szene: Gabriela und Camil, die unter der Tür standen.

    „Wie lange gibst du ihm noch?“, erkundigte sich die Kilic bei ihrem Begleiter.

    Der überlegte, schürzte kurz die Lippen und antwortete „Die Nacht noch … vielleicht noch den morgigen Tag, aber das war es dann! Ich kenne niemanden, der solch eine Schussverletzung ohne Krankenhaus länger überlebt hat.“ In Gedanken fügte er hinzu, der Kerl war ja schon halbtot durch die Folgen und Verletzungen der Folterungen.Mit einem selbstzufriedenen Grunzen nickte die Kroatin vor sich hin.

    „Gut! Dann sollte ich das Ableben von Ben Jäger ja noch live miterleben können. Du begleitest mich zum Treffen mit Hinrichsen und Brauer in Belgien und in Zürich.“

    Sie drehte sich um, um zurück ins Erdgeschoss zu gehen. Elena gab sie durch ein Fingerschnippen zu verstehen, ihr zu folgen. Der Schnauzbärtige, der ihr ebenfalls wortlos folgte, lauschte ihren weiteren Anweisungen.

    „Wir werden eventuell ein paar Tage weg sein. Sorge dafür, dass ausreichend Vorräte im Haus sind. Ich möchte nicht, dass die kleine Russin nochmals das Anwesen verlässt. Rede mit Remzi, der braucht noch einige Bauteile für die Bomben. Dragan soll sich darum kümmern, dass der Türke von ihm oder einen seiner Brüder beschattet wird. Die Zielobjekte müssen ausgekundschaftet werden.“

    Urplötzlich stoppte sie auf der obersten Treppenstufe. Ihr Blick war zuerst auf die Terrasse gerichtet, wo sich die Kovac Brüder mit Karten spielen, die Zeit vertrieben und wanderte zurück zu Camil.

    „Denkst du Remzi kommt mit den Kovac Brüdern klar und hält hier die Stellung?“

    „Ich denke, ich fahre selbst Elena nachher nochmals ins Einkaufszentrum, ich bin doch kein Hausmütterchen. Und nach Liste einkaufen, ist überhaupt nicht mein Ding. Vielleicht hat die Apotheke im Einkaufscenter auch Krücken oder wir fahren in ein Sanitätshaus. Wenn Remzi Krücken hat, sollte er mobil genug sein und dann sollte es funktionieren!“ – „Also gut! Meinetwegen nimm Elena mit, aber pass auf sie auf!“ – „Was sollen die Brüder mit Jägers Leiche machen? … Entsorgen!“


    In Gabrielas Augen blitzte es tückisch auf.


    „Entsorgen ist gut!“, sie kicherte wie irre vor sich hin, „legt die Leiche Gerkan vor die Haustüre oder in den Garten! Und weh, es gibt nicht ein paar gute Fotos oder ein Video von der Aktion!“

    Einige Zeit später fand Jenny ihren Kollegen in dieser regungslosen Haltung vor. Semir hatte nicht einmal gemerkt, dass sich seine Kollegin neben ihn niedergelassen hatte. Sie tippte ihn leicht an die Schulter und er blickte überrascht auf.
    „Komm! Wir sollen zurück zur Dienststelle kommen.“
    Mühsam erhob sich der Türke. Die Schmerzen der Prellungen kamen so langsam zurück. In seinem Schreibtisch lagen die Schmerztabletten, die ihm der Arzt heute Morgen verschrieben hatte und von denen er dringend eine nehmen sollte.


    *****
    Zurück in ihrem Verlies verbrachte Anna die nächsten Stunden neben Ben auf der Bodenmatte oder der Matratze. Mit einem feuchten Tuch tupfte sie die Schweißperlen von seiner Stirn. Krampfhaft überlegte sie, wie sie ihm noch helfen könnte. Ihr Freund war tief in seiner Bewusstlosigkeit versunken, reagiert kaum auf Schmerzreize und Anna befürchtete, dass sich sein Körper mit einer Art Koma selbst schützte. Seine Brust hob und senkte sich. Er atmete schwer und röchelnd. Auch ohne die Monitore, an die sonst Patienten im Krankenhaus auf der Intensivstation angeschlossen waren, erkannte sie, dass sich sein Zustand im Laufe des Tages zusehends verschlechterte. Trotz Wadenwickel ließ sich seine Körpertemperatur nicht senken. Mehrmals wusch Anna seinen fiebrigen Körper mit Wasser ab, in der Hoffnung das würde helfen, ihn ein wenig zu kühlen.


    Dem Stand der Sonne nach zu urteilen, war es mittlerweile Nachmittag geworden. Erschöpft ließ sich Anna auf dem Fußboden seitlich unterhalb des geöffneten Fensters nieder. Von dort aus beobachtete sie ihren schwerverletzten Freund. Sie hatte ihre Beine angezogen und mit ihren Armen umschlungen. Ihr Kinn ruhte auf ihren Knien. Es war das eines der wenigen Privilegien, welche ihr die Kilic zugestand, frische Luft. Im Laufe der vergangenen Stunden war die Kroatin mehrmals im Kellerraum aufgetaucht und überzeugte sich, ob Ben Jäger noch am Leben war. Die junge Ärztin ertrug dabei widerspruchslos deren Spott und gehässigen Bemerkungen.


    Anna lauschte den Geräuschen, die von draußen zu ihr durchdrangen. Die Vögel zwitscherten. Die Blätter der Bäume rauschten im leichten Sommerwind, der mit einer sanften Brise über ihr Gesicht strich. Die Hitzewelle der letzten Tage war vorbei. Die Temperaturen pendelten sich tagsüber auf angenehme 25 Grad im Schatten ein. Sie schloss die Augen und träumte von den gemeinsamen Ausflügen in die Eifel und die angrenzenden Mittelgebirge, die sie mit Ben im Frühjahr auf dem Motorrad unternommen hatte.


    Das Geknirsche des Kieses auf der Zufahrt zum Haus durchbrach die Harmonie ihrer Traumwelt und holte sie in die Wirklichkeit zurück. Von Neugierde angetrieben, richtete Anna sich auf und schob die Ruderbank näher ans Fenster heran. Sie kletterte hinauf, stellte sich auf die Zehenspitzen und lugte über die Fensterbank hinaus. Ein schwarzer Audi Q7 mit Kölner Kennzeichen rollte in Schrittgeschwindigkeit über den Kiesweg zum Haupteingang, wo das Fahrzeug stoppte und der Motor abgestellt wurde. Eine Autotür wurde geöffnet und zugeschlagen. Anna erkannte zwei Beine, die in einer Anzughose steckten. Wer läuft bei solchen Temperaturen freiwillig in einem Anzug durch die Gegend, fragte sie sich. Weitere Schritte erklangen. Das Klappern von Absätzen auf Steinen.

    „Schön dich zu sehen, Hans-Heinrich!“, begrüßte die Kilic höchstpersönlich den Besucher.
    „Grüß dich Gabriela! … Wie ich sehe, ist alles gut gegangen!“, stellte der Anwalt nüchtern bei seiner Begrüßung fest. „Ein schönes Fleckchen hast du dir da mitten in Köln mit dieser Villa ausgesucht!“


    Die Antwort verstand Anna schon nicht mehr, da sich die beiden Personen ins Haus begeben hatten. Die Stimme des Mannes war Anna bekannt vorgekommen. Auch diesen ungewöhnlichen Vornamen hatte sie schon einmal gehört. Nur wo, wo hatte sie den schon einmal getroffen, diesen Namen gehört. Sie kletterte vom Sportgerät runter und stellte es wieder in seine ursprüngliche Position, um keinen Verdacht zu erregen. An der freien Wandfläche daneben rutschte sie zurück auf den Fußboden und grübelte nach. Auch wenn sie dagegen ankämpfte, die Müdigkeit übermannte sie und die junge Frau döste ein.


    *****


    Zurück auf der Dienststelle hatte Frau Krüger keine guten Neuigkeiten. Die Durchsuchung von Zladan Stojkovicz Anwesen, von seinen Nachtclubs und sonstigen Liegenschaften waren erfolglos verlaufen. Nirgends gab es eine Spur von den Entführten, einen Hinweis über deren Aufenthaltsort. Nur die Kollegen der Abteilungen, die die organisierte Kriminalität und Prostitution bekämpften, konnten sich über ihre Fahndungserfolge freuen. Neben der jungen Eva Vincente wurden noch weitere Minderjährigen in einem der Edelschuppen gefunden und befreit. Darüber hinaus fanden die Ermittler noch unzählige junge Frauen aus Osteuropa und Asien, die man ähnlich wie Elena mit falschen Versprechungen nach Deutschland gelockt hatte und anschließend mit Gewalt oder unter dem Einsatz von Drogen zur Zwangsprostitution trieb. Die Ermittler hofften, dass Zladan Stojkovicz mit einigen seiner Handlanger für viele Jahre hinter Gefängnismauern verschwinden würde. Auch die Kollegen der Steuerfahndung rieben sich die Hände und standen schon bereit, um die beschlagnahmten Geschäftsunterlagen des Stojkovicz Clans zu sichten.
    Jenny steuerte ihren Schreibtisch an, stellte eine dampfende Tasse, in der ein Teebeutel hing, neben ihre Tastatur. Anschließend fuhr sie ihren Computer hoch und machte sich sogleich an die Arbeit. Von Hartmut hatte sie Unterlagen erhalten, mit deren Hilfe sie nochmals alle Gebäude durchging, die laut Grundbuchamt der Stadt Köln Zladan Stojkovicz oder einem seiner Komplizen gehörten. Akribisch hakte sie jede Anschrift ab, ob das Anwesen von den Kollegen durchsucht worden war oder nicht.


    Währenddessen saßen Kim Krüger und Semir in dessen Büro und sprachen über die Hausdurchsuchungen. Susanne kam nach einigen Minuten hinzu und präsentierte ihre Recherchen hinsichtlich der „Skorpione“. In ihrer Hand hielt sie die Fernbedienung mit deren Hilfe sie die Videowand steuern konnte. Zu ihren Ausführungen kamen Zeitungsberichte, Ermittlungsakten und Fahndungsfotos.


    „Ich habe mal ein paar Nachforschungen zu dieser Skorpion Einheit angestellt. Kennzeichen dieser Spezialeinheit ist dieses Tatoo auf der rechten Hand. Die Mitglieder dieser militärischen Einheit waren in der Regel Serben, die sich während des Kroatienkrieges zahlreicher Kriegsverbrechen schuldig gemacht hat.“
    Daraufhin zeigte sie Fotos von bekannten Mitgliedern dieser Gruppe. Darunter befand sich auch Remzi Berisha, dessen Lichtbild allerdings schon einige Jahre auf dem Buckel hatte. Ebenso war ein Foto von Camil Muszic dabei, welches ihn als jungen Mann ohne Schnurrbart zeigte.

    „Etliche Mitglieder dieser Einheit wurden vom Internationalen Gerichtshof angeklagt und wegen ihrer Gräueltaten zu langen Gefängnisstrafen verurteilt. Allerdings befand sich der Mann auf unser Fahndungsliste, dieser Remzi Berisha, nicht darunter. Auf die Akten des BKAs über diesen Serben habe ich leider keinen Zugriff. Vielleicht könntest du da nochmals intervenieren Kim? Fest steht, dass die Mitglieder dieser paramilitärischen Einheit seitdem diese Gruppe aufgelöst wurde, als Söldner weltweit unterwegs sind. Gegen entsprechende Geldzahlungen machen die alles. Die entsprechenden Unterlagen von Interpol liegen auf dem Server.“


    Diese nickte zustimmend. „Welche Ermittlungsansätze haben wir noch?“ Ihr Blick ging fragend in die Runde. „Herr Bonrath hat sich bei den Befragungen in diesem Hospiz, wo Boris Stojkovicz verstarb, sprichwörtlich die Zähne ausgebissen. Dort sollten Sie, Herr Gerkhan, auf jeden Fall nochmals nachbohren. Darüber hinaus haben wir zumindest eine ziemlich genaue Beschreibung des einen Täterfahrzeuges, das an ihrer beabsichtigen Entführung gestern beteiligt war. Die Zeugen sagten aus, dass es mit ziemlicher Sicherheit ein Kölner Kennzeichen war. Ihre beiden Chaos-Polizisten Turbo und Tacho sind sich sicher, dass das Kennzeichen K-00 7 war. Wenn dem so ist, ist es eine Fälschung. Laut Zulassungsstelle wurde dieses Kennzeichen nicht vergeben. Der Rest … !“ Sie zuckte die Schultern und machte eine wegwerfende Handbewegung. „reicht nicht aus um einen Halter oder was Ähnliches festzustellen. Herr Freund hat vorgeschlagen, nachdem der Überfall auf der A3 stattfand, alle Verkehrsüberwachungskameras im fraglichen Zeitraum im Umkreis zu überprüfen, ob irgendwo dieses Fahrzeug auftaucht. Denn davon können wir wohl ausgehen, die Täter hatten auf ihrer Flucht wohl kaum Zeit, dass gefälschte Kennzeichen zu tauschen.“


    „Frau Krüger!“, fiel ihr Semir fast schon entsetzt ins Wort, „wissen Sie, wie lange die Auswertung dieser Videoaufzeichnungen dauern wird?“
    „Haben Sie eine bessere Idee, Herr Gerkhan?“, gab sie zurück.
    Semir schüttelte den Kopf. „Nein! …“

    So gingen sie Punkt für Punkt alle Ermittlungsansätze durch. Der Türke musterte dabei eingehend die Magnetwand, auf denen Jenny die Kärtchen befestigt hatte. Er stand auf und las einen Namen nach dem anderen laut vor. Stück für Stück gingen die Drei alle Fakten zu genannten Personen durch und teilten die Arbeit unter sich auf. Mittlerweile war es später Nachmittag geworden und dem Türken war klar, es würde eine lange Nacht werden.

    Nach dem gestrigen Unfall war Semirs BMW ein Fall für die Schrottpresse. Deswegen übernahm Jenny den Part als Fahrerin mit ihrem Dienstwagen. Zu Beginn ihrer Fahrt war die junge Frau sehr redselig gewesen. Sie plapperte munter darauf los, stellte Thesen zum aktuellen Stand der Ermittlungen und der Beteiligung von Zladan Stojkovicz auf. Semir hörte ihr nur mit halbem Ohr zu, brummte hin und wieder mal eine Bemerkung. Mit geschlossenen Augen dachte er ebenfalls über die Entwicklung des Falles nach.
    Eine Frage beschäftigte ihn besonders: War Zladan Stojkovicz Auftraggeber seiner gestrigen Entführung gewesen oder in Form seiner Männer nur ein ausführendes Organ? In beiden Fällen war er ein Mitwisser, jemand der Angaben zum Verbleib von Ben und Anna machen konnte. Als Jenny mit ihrem Dienstwagen in die Bonner Landstraße einbog, trafen sie gleich auf die erste Polizeisperre. Dank ihrer Ausweise wurden die beiden Autobahnpolizisten von den Kollegen durchgelassen. Auf der Straße und der Zufahrt zur Villa wimmelte es von zivilen Einsatzfahrzeugen, zwischen denen etliche Streifenwagen parkten. Ein VW-Einsatzbus kam ihnen entgegen und Semir vermutete, dass darin die ersten Verdächtigen zum Verhör nach Düsseldorf abtransportiert wurden.


    Jenny parkte ihren Dienstwagen am Straßenrand und zusammen mit Semir schritt sie die lange Zufahrt zur Villa entlang. Der Türke hatte keinen Blick für den gepflegten Garten, in dem sich ein Landschaftsgärtner ausgetobt hatte. Zielstrebig schritt er auf die Eingangstür der Villa zu. Der Baustil des Anwesens wirkte auf den Betrachter ein wenig futuristisch. Der Türke fragte sich, wie man sich in solch einem eckigen Palast aus Glas und Beton nur wohl fühlen konnte. Drei Beamte in Zivilkleidung kamen ihnen auf der Treppe entgegen und trugen Kisten, die mit Aktenordnern vollgestopft waren, zu einem dunklen VW Bus. Bei ihnen erkundigte sich der Kommissar nach dem Einsatzleiter des LKAs, Jörg Bergman. Doch die Frage hätte er sich sparen können. Auf dem Podest angekommen, kam Semir Jörg Bergmann entgegen. Dicht gefolgt von Zladan Stojkovicz, dessen Hände mit Handschellen auf den Rücken gefesselt waren. Der Albaner kochte vor Zorn. Neben ihn lief sein Rechtsanwalt Dr. Hinrichsen her, der ihn mit Worten beschwichtigte.

    „Herr Stojkovicz, sie machen keine Aussage, außer ich bin dabei. Ich werde mich sofort mit dem Haftrichter in Verbindung setzen und Beschwerde gegen diese Behandlung einlegen. Außerdem werde ich mir Klarheit darüber verschaffen, welche Beweise gegen Sie vorliegen. Sie werden sehen, spätestens heute Abend sind sie wieder im Kreise ihrer Familie.“
    In einem Monolog redete der Anwalt auf seinen Mandanten ein, der währenddessen von zwei Kripo-Beamten zu einem Streifenwagen gebracht wurde. Sieh an, dachte Semir bei sich, selbst Dr. Hinrichsen war mit all seinen Beziehungen nicht mehr in der Lage gewesen, den Haftbefehl gegen seinen Mandanten aufzuhalten. Neben ihm in der Eingangstür tauchte eine Frau auf, deren Alter sich erst bei näheren hin schauen genau schätzen ließ. Die Mimik ihres Gesichtes wirkte Dank Botox-Behandlung maskenhaft starr. Über ihre Wangen liefen Tränen, die sich mit dem üppig aufgetragenen Make-up vermischten. Sie lamentierte und jammerte in einem Atemzug und klopfte dabei einem grauhaarigen Mann ständig auf die Schulter. Der drehte sich um und blaffte die Frau an:

    „Entweder ziehen Sie sich in ihr Schlafzimmer zurück Frau Stojkovicz oder mein Kollege wird sie wegen Behinderung der Justiz ebenfalls verhaften und sie können ihren Mann im Gefängnis Gesellschaft leisten!“
    Die Ansage hatte gesessen. Semir konnte sehen, wie die Laute buchstäblich auf den Lippen der Frau erstarben. Laut schniefend machte sie eine Kehrtwendung stakste auf ihren High-Heels und in Richtung der Treppe. Ihre keifende Stimme verstummte und der Beamte amtete hörbar aus. Semir stellte sich und Jenny bei dem Einsatzleiter vor.

    „Kriminalrat Jörg Bergmann!“, machte sich der drahtige Mann, der Semir um Haupteslänge überragte bekannt. „Ich leite die komplette Durchsuchungsaktion gegen Herrn Stojkovicz.“

    Ohne Aufforderung Jenny betrat die Villa, suchte nach Hartmut und dessen Team und unterstützte ihre Kollegen der Spurensicherung, die im Inneren der Villa systematisch alle Räume durchsuchten, bei ihrer Arbeit.


    Mit knappen Worten informierte währenddessen der Kriminalrat Semir über den aktuellen Stand der Durchsuchungsaktion in den anderen Objekten. Die beiden Beamten standen dabei auf dem Podest. Von dort hatte man einen relativ guten Überblick über den vorderen Bereich des Grundstücks. Jörg Bergmann rauchte dabei eine Zigarette und lauschte anschließend dem Autobahnpolizisten, der ihn in Stichpunkten über die Entführung von Anna und Ben erzählte und die daraus resultierenden Zusammenhänge. Als ein eingesetzter Suchhund, der auf das Aufspüren von Menschen abgerichtet war, in einer der Garagen anschlug, beschleunigte sich der Herzschlag des Türken. Sollte er sich getäuscht haben und Zladan Stojkovicz steckte hinter der Entführung? Achtlos warf der Kriminalrat seine halbgerauchte Zigarette zur Seite und eilte zusammen mit Semir zur fraglichen Garage. Der Hundeführer lobte seinen Schäferhund und trat ein wenig zur Seite. In der Garage befand sich unter einem Mercedes 500 SL eine Werkstattgrube. Im Laufschritt holte ein Streifenbeamter den Fahrzeugschlüssel aus dem Haus und fuhr das dunkelblaue Fahrzeug heraus. Semir brachte kein Wort hervor. Am liebsten hätte er selbst mit zugepackt, um die Holzbohlen, die die Grube bedeckten, zur Seite zu räumen. Das Poltern hallte in der großzügigen Garage wie ein Echo wieder. Einer der Streifenbeamten sprang in die Grube und rief nach oben:

    „Hier gibt es eine Holztür! – Einschlagen oder Schlüssel suchen Chef?“ Die Frage galt Jörg Bergmann. „Einschlagen!“, lautete dessen Befehl.

    Semir wollte ebenfalls in die Grube springen. Der Ältere hielt ihn am Oberarm fest. „Lassen Sie das Mal die Kollegen machen, Herr Gerkan. Für noch mehr Personen ist es da unten zu eng. Ich denke in den nächsten Minuten wissen wir, ob wir ihren Kollegen und dessen Freundin gefunden!“ Jörg Bergmann drehte sich um und wandte sich an einen der Streifenbeamten. „Sorgen Sie bitte dafür, dass die Sanitäter, die in Rufbereitschaft vor dem Anwesen parken hierher kommen.“


    Zuerst erwies sich die Holztür als stabiler als gedacht. Unter Ächzen und Knarzen gab sie schließlich den Axtschlägen nach und der Zugang zu dem unterirdischen Bau war möglich. „Hier ist sogar Licht!“, rief der Beamte, der den Gang als erster betrat. Ein Lichtschein fiel in die Grube. Semir stand am Rand und starrte hinunter. Innerlich zitterte er vor Anspannung und nur mit allergrößter Mühe gelang es ihm, sich zurückzuhalten. Unten wurde es unruhig. Eine Stimme murmelte monoton etwas Beruhigendes. Dann erschien im Blickfeld von Semir und den Umstehenden der junge Kommissar-Anwärter. Fassungslos beobachtete der Türke den jungen Mann, der auf seinen Armen eine zierliche schwarzhaarige Gestalt trug. Mit Hilfe seiner Kollegen entstieg er der Grube und Semir konnte die junge Frau und ihr Gesicht näher betrachten. Es verschlug ihm den Atem. Die Frau war ein Mädchen, offensichtlich südländischer Abstammung und bestimmt noch minderjährig, im Alter seiner ältesten Tochter Dana. Ihr Gesicht und ihr Körper waren, soweit es das kurze Sommerkleid einen Blick zuließ, gezeichnet von Spuren von Misshandlungen. Semir musste kein Prophet sein, um zu erahnen, was man dem Mädchen angetan hatte. In seiner Brust schlug das Herz eines Vaters und er bebte vor innerlich vor Wut. Unbewusst ballte er seine Faust.


    Als sich ein älterer Kollege näherte, um den jungen Mann die misshandelte Frau abzunehmen, schrie diese lauthals und hysterisch auf und klammerte sich noch mehr an den jungen Polizisten, der beruhigend auf die Unbekannte einredete. Mit gebührendem Abstand beobachteten die anwesenden Polizisten, wie eine Sanitäterin das Mädchen versorgte, die die Szene schon aus der Ferne beobachtet hatte. Ihr Kollege hielt sich wohlweislich im Hintergrund. Beruhigend sprach die Sanitäterin, die vom Alter her, locker die Mutter des Mädchens hätte sein können, auf ihre Patientin ein. Die Schwarzhaarige hielt dabei die Hand des Kommissar-Anwärters umklammert und dieser begleitete die junge Frau mit ins Krankenhaus.
    Nach der Abfahrt des Rettungswagens löste sich Semir von der Gruppe der Polizisten und ging in den Garten. Auf einer der Parkbänke ließ er sich nieder. Er brauchte einige Minuten für sich und das Gesehene zu verarbeiten und um nachzudenken. Wieder hatte sich eine Hoffnung zerschlagen. Für den Türken was er ein schwacher Trost, auch wenn sie das junge Mädchen retten konnten. Der Kommissar hörte auf seine innere Stimme und zückte sein Handy aus der Hosentasche. Entschlossen erhob er sich und wanderte im Garten umher. Sichernd blickte er sich um, damit er auch keine unerwünschten Zuhörer bei seinem kommenden Telefongespräch hatte. Als er dieses beendete, atmete er deutlich hörbar aus und ließ sich auf einer Steinbank nieder. Er lehnte sich mit dem Oberkörper nach vorne. Seine Ellbogen stützten sich auf seine Oberschenkel. Nachdenklich vergrub er sein Gesicht in seine Hände. Der Anblick des misshandelten Mädchens ging ihm einfach nicht aus dem Kopf. Immer wieder fragte er sich, wie würde er als Vater reagieren, wenn es seine Tochter gewesen wäre.


    Stunden später sollte sich an Hand der gefundenen DNA Spuren in dem Verlies herausstellen, dass nicht nur dieses Mädchen sondern noch einige andere im Laufe der Zeit dort unten eingesperrt gewesen waren. Dank des Vertrauens, dass das Mädchen namens Eva Vincente zu dem jungen Polizisten gefasst hatte, identifizierte sie Zladan Stojkovicz als Täter. Die Lawine, die nun auf den Albaner zurollte, konnte nicht einmal der Staranwalt Dr. Hinrichsen aufhalten.

    Camil nahm die junge Frau mit einem fragenden Blick im Erdgeschoss in Empfang. Als er Gabrielas diabolisches Grinsen sah, verkniff er sich die Nachfrage, was im Kellerraum geschehen war. Er packte die Ärztin am Oberarm und brachte sie zu seinem Freund ins Obergeschoss. Anna nutzte die Gelegenheit und scannte mit ihren Blicken eingehend die Eingangshalle und das Treppenhaus nach einer Fluchtmöglichkeit. Ihr entgingen weder die Überwachungskameras, noch die Alarmanlage an der Haustür von denen Elena ihr erzählt hatte. Mittlerweile erreichten sie die Galerie im ersten Stock, von der aus ein langer Gang abzweigte. Das Obergeschoss hielt was die Ausstattung mit Stuckarbeiten an Wand und Decke betraf durchaus mit dem Erdgeschoss mit. Der Erbauer des Hauses oder vielmehr dessen Innenarchitekt hatte auch hier keine Kosten gescheut.


    Das Schlafzimmer des Söldners war im Vergleich zu den anderen Räumen der Villa geradezu spartanisch eingerichtet. Neben einen einfachen Kleiderschrank stand eine Holzkiste mit Metallbeschlägen. Was Anna nicht ahnte, darin befand sich die Waffensammlung des Söldners. Der Fußboden war im Gegensatz zum Flur mit rustikalen Natursteinfließen ausgelegt. Nach dem Betreten des Raumes musterte Anna ihren zukünftigen Patienten eingehend. Das opulent gepolsterte Doppelbett bildete den Mittelpunkt des Raumes, in dessen Mitte der grauhaarige Söldner mehr saß als lag. Sein verletztes Bein ruhte leicht erhöht auf einer Lage Kissen. Ihr Blick blieb an den unzähligen Tatoos und Narben auf seinem entblößten Oberkörper haften. So wie es schien, hatte er kein Fieber und scheinbar auch keine Schmerzen. Der Rest seines Unterkörpers wurde durch eine leichte Sommerdecke verdeckt.


    Statt einer Nachtkonsole stand ein kleiner Beistelltisch neben seinem Bett. Darauf befanden sich neben einer Flasche Wodka, die zur Hälfte ausgetrunken war und mehrere aufgerissene Tablettenschachteln. Als Anna erkannte, dass es sich dabei um eine Sammlung der verschiedensten Schmerzmittel handelte, erklärte das den Zustand des Grauhaarigen. Gleichzeitig weckten die kleinen weißen Pillen ungeahnte Begehrlichkeiten in ihr. Was würde sie darum geben, wenn es ihr gelang heimlich eine Blister Packung einzustecken. Vielleicht … ja vielleicht gab es die Möglichkeit in den nächsten Minuten. Krampfhaft versuchte sie ihre Absicht hinter einer aufgesetzten Miene zu verbergen. Camil blieb am Fußende des Bettes stehen und beobachtete sorgfältig jeden Handgriff, den die Ärztin ausführte.


    „Los sieh nach seiner Wunde und wechsle den Verband!“, befahl Camil ihr barsch und schuppste sie in Richtung des Bettes. Danach warf er ihr einen Verbandskasten aus einem der Autos zu. Die Augen des Grauhaarigen, der bisher geschwiegen hatte, funkelten sie schon wieder begehrlich an. Anna fühlte sich dadurch förmlich ausgezogen. Remzi richtete sich etwas im Bett auf. Die Matratze und das Bettzeug raschelten unter seiner Gewichtsverlagerung. Seine Hände gingen auf Wanderschaft in Richtung ihres Gesäßes. Obwohl er Anna noch nicht berührt hatte, konnte sie deren Nähe spüren. Ihr Herzschlag beschleunigte sich und sie zwang sich ruhig zu bleiben. Anna legte das Verbandsmaterial am Fußende des Bettes ab und streifte sich ein Paar Einweghandschuhe aus dem Verbandskasten über. Sie wandte ihren Blick Remzi zu und zischte ihm leise für seinen Kumpel fast unhörbar zu:
    „Wenn du Schwein es wagst mich noch einmal anzufassen, bist du schneller tot, als du bis drei zählen kannst!“
    Sie hatte die Spitze der Schere an der Innenseite seines Oberschenkels angesetzt, um den Verband zu durchtrennen. Remzi verstand genau, was die Dunkelhaarige meinte und zog seine Hand zurück.
    „Sehr schön!“, kommentierte Anna seine Reaktion und begann den Verband zu durchtrennen. Die Wundauflage hatte sich mit den Wundrändern verklebt und ließ sich nicht einfach so lösen. Anna umrundete das Bett und griff nach der Wodkaflasche. Nur den Hauch eines Sekundenbruchteils zögerte sie und überlegte, wie sie in den Besitz einer dieser Blister-Verpackungen kommen könnte.


    „Wag es nicht Mädchen!“, ertönte im Hintergrund Gabrielas Stimme, die scheinbar ihre Absicht erahnte und von ihr unbemerkt den Raum betreten hatte.


    Anna warf einen kurzen Blick über ihre Schulter. Kaum hörbar atmete sie aus. Die Kroatin stand neben der Zimmertür an der Wand gelehnt und rauchte eine ihrer stinkenden Zigarillos. Annas Körper bebte, musste diese verdammte Bitch denn überall sein. Die Ärztin umrundete wieder das Bett und schraubte die Wodkaflasche auf. In Richtung Camil meinte sie so lapidar wie möglich:
    „Halt mal deinen Kumpel ein bisschen fest, das könnte ein wenig brennen und weh tun!“


    Rücksichtslos schüttete sie Wodka auf die verklebte Wundauflage. Remzi bäumte sich auf, schlug mit seinen Händen um sich und schrie gellend vor Wut und Schmerz auf. Nur Aufbieten seiner Kräfte gelang es Camil seinen Freund wieder runter auf die Matratze zu drücken. Der Schnauzbärtige belegte Anna mit einer Triade aus Schimpfworten, während sein Freund schreiend und jammernd unter ihm im Klammergriff lag.
    „Hast du oder dein Kumpel ein Problem? Ist ja schließlich nichts anderes da!“, bemerkte die Ärztin trocken, während sie an den Rändern zupfte. „Na wer sagt es denn!“, kommentierte Anna ihren Erfolg, als sich die Wundauflage löste und sie die Schussverletzung begutachtete, die überraschend gut aussah. Geschickt legte sie einen neuen Verband an und wurde von Camil aus dem Zimmer geführt, bevor sie nochmals Gelegenheit hatte, in die Nähe der Tablettenschachteln zu kommen.


    Remzis Gestöhne und Flüche verfolgten sie auf dem Weg ins Kellergeschoß. Auch wenn es Ben nicht half, ihr verschaffte es in diesem Moment ein wahnsinniges Gefühl der Genugtuung.

    Anna hatte jegliches Zeitgefühl verloren. Sie vermochte nicht zu sagen, wieviel Minuten oder gar Stunden nach dem neuerlichen Eingriff bei Ben verstrichen waren, als Elena, gefolgt von Gabriela, den Kellerraum betrat. Ihr war nicht klar, welchen Anblick des Elends sie bot. Mit angezogenen Beinen saß die Dunkelhaarige am Boden, den Rücken an die kalte Außenwand gelehnt. Ihre Arme hatten ihre Knie umschlungen und mit einem Ausdruck von Hilflosigkeit betrachtete sie ihren Freund. Auf dem Boden vor der grauen Matte lagen wild verteilt mit Blut überzogene Instrumente, blutdurchtränkte Wundauflagen und Verbandsmaterial. Ihre Kleidung war ebenfalls mit Blutspuren überzogen. In der Luft lag der Geruch von Blut. Anna hob leicht den Kopf an. Ihr Blick wanderte in Richtung der geöffneten Tür und ging ins Leere.
    Aus dem Augenwinkel sah sie den Schatten, als Gabriela neben sie trat. Jedoch erst die Worte der Entführerin holten sie in die Realität zurück.


    „Ts … ts … ts … Schätzchen? … Scheinbar habe ich dich gestern zu früh gelobt!“, spottete die Kroatin, als sie Bens Zustand erkannte.

    Die kleine Russin, die am Fußende der Bodenmatte stand, hätte Gabriela für diese Bemerkung am liebsten ihre Faust ins Gesicht gesetzt.
    Aus zusammengekniffenen Augen sah Anna zu der Kroatin auf und erwiderte nichts darauf. Auch wenn sie äußerlich sehr gefasst wirkte, tobte in ihren Inneren ein wahrer Sturm von Gefühlen, die ihren eigenen Kampf ausfochten. Stark Bleiben und der Kroatin die Stirn bieten oder sich überwinden und um Hilfe für Ben betteln. Es dauerte nur Sekundenbruchteile bis sie eine Entscheidung getroffen hatte. Auf allen Vieren krabbelte sie zur ihrer Arzttasche, die einen knappen Meter von ihr entfernt am Boden stand. Mit ihren Fingern fischte sie aus einer Seitentasche einen blauen Rezeptblock heraus und notierte etwas darauf. Sie erhob sich vom Boden und reichte den Zettel mit den flehenden Worten weiter:

    „Das könnte helfen, Bens Leben zu retten! … Bitte!“


    Gabriela verzog die Mundwinkel und fing lauthals zu lachen an, als hätte sie den lustigsten Spruch eines Comedians gehört.

    „Schätzchen …. Schätzchen!“, sie schnappte hörbar nach Luft, „Wer sagt dir denn dass ich dies überhaupt will? … Sehe ich aus wie Mutter Theresa?“

    Sie zerknüllte das Rezept und warf es achtlos auf den Boden. Anna sah den selbstzufriedenen Ausdruck in Gabrielas Miene, der durch ihre Worte noch unterstrichen wurde.

    „Hast du es noch immer nicht kapiert? … Oder bist du wirklich so naiv Schätzchen?“ Die Kroatin leckte sich genüsslich über die Lippen. „Der Kerl soll ganz langsam verrecken. Wie ein wildes Tier im Wald …. Und ich will ihm zuschauen, wie er anfängt innerlich zu verfaulen!“ Wieder verfiel Gabriela in ihr diabolisches Lachen. „Wie sich sein Gestank im Zimmer verbreitet. Jede Sekunde seines Sterbens, will ich genießen!“


    So sehr sich Anna auch bemühte, ihre Emotionen zu verbergen, ihr Gesicht war ein Spiegelbild ihrer Angst und Verzweiflung. In ihrer Kehle würgte etwas. Mühsam unterdrückte sie ihre Tränen und biss sich auf die Lippen. Ihr Magen verwandelte sich in einen eisernen Klumpen. Auch der Kroatin entging ihr innerer Kampf nicht. Anna sah das triumphierende Aufblitzen in den grauen Augen ihrer Gegnerin und dennoch, sie war nicht bereit klein bei zu geben. Sie sprach sich selbst Mut zu. Noch lebte Ben … noch war es nicht vorbei.


    „Verrecken! - Das hörte sich vorgestern aber noch völlig anders an.“, widersprach sie energisch.

    Der Körper der zierlichen Frau bebte vor Entrüstung. Die Ärztin hatte sich vor Gabriela aufgebaut und ihre Hände in die Hüften gestemmt. Tief holte sie Luft, das Spiel ging in die nächste Runde. Entsprechend wütend fauchte sie Gabriela an:

    „Für dich Miststück ist das doch alles nur ein perverses Spiel, bei dem Bens Leben der Einsatz ist. Wie kann man nur so abartig und verkommen sein!“
    Gabriela klatschte mit ihren Händen Beifall. „Herzlichen Glückwunsch! … Du lernst schnell Schätzchen! Den barmherzigen Samariter habe ich irgendwo da draußen vergessen!“ Sie deutete zum geöffneten Fenster und richtete ihren Blick wieder auf Ben. „Falls DU es noch nicht kapiert hast, die Lebensuhr deines Lovers ist so gut wie abgelaufen. Hörst DU es … tick … tack … tick … tack!“

    Anna blieb keine Zeit darüber weiter nachzudenken.

    „Und jetzt beweg dich! Remzi braucht deine Hilfe!“, befahl die Kroatin.


    Die junge Ärztin setzte ein trotziges Gesicht auf, verschränkte ihre Arme vor der Brust und blieb stocksteif stehen.

    „Pfffff! – Vergiss es!“, knurrte die junge Frau zurück. Sie sah doch gar nicht ein, diesem widerlichen Schwein nochmals zu helfen.
    „Ts, ts, ts! …. Was soll das? …..Aufmüpfig werden? Du solltest aber wirklich langsam kapiert haben, wer hier das Sagen hat!“

    Innerhalb von Sekundenbruchteilen zog die Kilic aus einem Holster am Rücken ihren kleinen Trommelrevolver und zielte auf Ben.

    „Was braucht er nicht mehr? Seine Hände? … Seine Füße? Los sag mir, worauf soll ich zielen?“, meinte sie mit einem süffisanten Unterton.

    Annas Augen weiteten sich vor Entsetzen, als sie die Absicht der Kroatin erkannte. Die Mündung der Waffe war auf Bens Herz gerichtet, wanderte hin und her und sie brauchte nur noch den Abzug durchziehen. Nein … nein … nein, wollte die junge Frau schreien. Doch etwas schnürte ihre Kehle zu und kein Wort kam über ihre Lippen, sie wollte sich in Bewegung setzen, dem Befehl Folge leisten, doch ihr Körper war wie gelähmt.


    Ein Schuss fiel.


    Das verrückte Lachen der Kroatin riss Anna aus ihrer Leichenstarre. Die eisgrauen Augen von Gabriela funkelten die junge Frau wie irre an

    „Das war gut! …. Das war richtig gut! …. Das hat mir gefallen!“, feixte sie vor sich hin, gefolgt von einem diabolischen Lachanfall.

    Sie klopfte sich vor Vergnügen auf die Schenkel. Es dauerte einige Minuten bis sie sich wieder beruhigt hatte. Die Mündung ihrer Waffe deutete in Richtung Ben. Die Dunkelhaarige wagte es, ihren Blick auf ihren Freund zu richten. Das Bleigeschoss war neben dem Fuß des Verletzten in die Matratze eingedrungen und hatte diese teilweise an der Einschussstelle zerfetzt. Grenzenlose Erleichterung machte sich in Bens Freundin breit und noch etwas, ihr Hass gegenüber Gabriela und deren Komplizen wuchs mit jeder Minute, den sie hier in Gefangenschaft verbrachte.


    „Und jetzt bewege Dich!“

    Ohnmächtig vor Wut und Zorn setzte sich Anna in Bewegung.

    „Na also, warum denn nicht gleich so!“, kommentierte Gabriela und genoss ihre Macht. Die Angst und der Angstschweiß ihres Opfers wirkten wie ein Schwall Endorphine auf sie.


    Auf dem langen Weg nach oben, fasste die Ärztin einen Vorsatz: Kämpfe gegen deine Angst an, auch im Angesicht des Todes! Zeige dieser Hexe nicht mehr, wie sie dich verletzen kann, dich erniedrigen kann. Gönne ihr nicht noch einmal diesen Triumpf. Du lässt DICH nicht besiegen! Nicht solange noch ein Hauch von Leben in dir und Ben ist. Durchhalten, Mädchen, du musst einfach durchhalten bis Semir euch findet!

    Zurück auf der PAST am gleichen Morgen


    Kim Krüger traf mit Semir erst am späten Vormittag auf der PAST ein, wo sie bereits von einem ungeduldigen Oberstaatsanwalt van den Bergh in ihrem Büro erwartet wurden.
    „Guten Morgen! Ich warte schon eine geschlagene Stunde auf dich und Herrn Gerkan. Du gehst nicht an dein Handy, nicht an deinen Funk. Ich hatte mir Sorgen gemacht, dass dir etwas passiert ist!“, begrüßte er Kim Krüger vorwurfsvoll.


    Semir, der seiner Chefin in ihr Büro gefolgt war, beachtete er nicht weiter. Der Türke blieb neben der Eingangstür stehen und zog es vor zu schweigen. Kim legte indessen ihre Schlüssel und ihre Handtasche auf den Schreibtisch und lehnte sich mit ihrem Gesäß gegen die Vorderkante ihres Schreibtisches. Demonstrativ verschränkte sie ihre Arme vor der Brust und auf ihrer Stirn bildeten sich kleine Zornesfalten.
    „Ich glaube nicht, dass ich dir Rechenschaft darüber ablegen muss, was ich in meiner Freizeit mache. Aber da es dich scheinbar so brennend interessiert, ich war heute Morgen mit Herrn Gerkan zur Nachuntersuchung im Krankenhaus. Da schaltet man normalerweise das Handy aus, wenn ich die Hinweisschilder am Eingang der Klinik richtig lesen kann. Mir war nicht bewusst, dass ich mich bei dir neuerdings an- oder abmelden muss, Hendrik.“, gab sie mit einem giftigen Tonfall zurück. „Was gibt es denn so dringendes?“


    Der Oberstaatsanwalt schluckte erst einmal seinen Zorn hinunter, bevor antwortete. Durch die Diskussionen der vergangenen Tage etwas schlauer geworden und wusste er, dass er gegen Kim den Kürzeren ziehen würde. In einem versöhnlichen Ton meinte er: „Wollen wir uns nicht setzen? … Ich glaube, ich habe gute Neuigkeiten.“


    Der Satz ließ nicht nur den Türken, sondern auch Frau Krüger hellhörig werden. Nachdem sich Hendrik van den Bergh und Semir sich auf einem der Stühle vor dem Schreibtisch und Kim wie üblich hinter ihrem Schreibtisch niedergelassen hatten, verlor der Staatsanwalt keine Sekunde mehr und überbrachte die Nachricht des Tages.


    „Einer der erschossenen Attentäter, der am Überfall auf Herrn Gerkan am gestrigen Tag beteiligt war, konnte erfolgreich identifiziert werden.“ Er machte eine Pause und räusperte sich. „Der Mann war ein führendes Mitglied in Zladan Stojkoviczs Organisation und hieß Roman Zlech. Den Zeugenaussagen nach könnte noch ein weiteres Mitglied dieser Bande,“ der Staatsanwalt zog einen kleinen Notizzettel aus der Anzugtasche und schaute drauf, „ein Sascha Keller, ebenfalls am Überfall beteiligt gewesen sein. Der Zeuge wäre zu einer Gegenüberstellung bereit.“ Der Hendrik van den Bergh lehnte sich selbstzufrieden in seinen Stuhl zurück und fuhr mit seinen Ausführungen fort. „Dem zuständigen Richter am Landgericht Köln reichte das als Beweis aus, um für alle Häuser, Wohnungen und sonstigen Immobilien, die sich in Besitz von Zladan Stojkovicz befinden, einen Durchsuchungsbefehl auszustellen. Momentan sind Kräfte des SEKs und der Bereitschaftspolizei unter Federführung des LKAs Düsseldorf dabei, im Großraum Köln und Düsseldorf zeitgleich die betroffenen Räumlichkeiten zu durchsuchen, Unterlagen zu beschlagnahmen, um einen Hinweis auf den Verbleib von Herrn Jäger und Frau Dr. Becker zu finden.“
    So richtig mit stolz geschwellter Brust saß der Staatsanwalt da, als würde er auf Beifall von seiner Geliebten warten. Er fischte sein Handy aus der Anzugtasche.

    „Sobald es einen Anhaltspunkt gibt, werde ich sofort verständigt. Du und Herr Gerkan selbstverständlich auch. Ich werde mich nach diesem Gespräch hier ins LKA Düsseldorf begeben. Von dort werden alle Einsätze koordiniert und laufen Daten zusammen.“


    Der Staatsanwalt verschwieg allerdings, dass Konrad Jäger im Hintergrund seinen kompletten politischen Einfluss im Justiz- und Wirtschaftsministerium geltend gemacht hatte, damit sich die Herren am Landgericht bewegten. Hauptsächlich Bens Vater und dem energischen Auftreten des Anwalts Leon Vogel war es zu verdanken, dass die Leiche des Attentäters als ein Indiz bewertet wurde, dass Zladan Stojkovicz an dem Komplott und der Entführung von Ben Jäger beteiligt war. Konrad Jäger saß im Büro des Präsidenten des Landgerichts Düsseldorf, Dr. Staib und wartete auf das Ende der Hausdurchsuchungen.


    „Wird auch Zeit, dass die hohen Herren endlich einmal ihren Job machen!“, kommentierte Semir die Aussage des Staatsanwalts.


    Seine wahren Gedanken sprach er nicht aus, da er befürchtete, dass es zu einem erneuten Eklat zwischen ihm den Staatsanwalt kommen würde. Der Türke war überzeugt, dass hinter allem, was sich die letzten Tage und Wochen in Bezug auf Ben und dessen Familie sich ereignet hatte, Gabriela Kilic steckte. Auf der anderen Seite war er bereit, jeden noch so kleinen Strohhalm zu ergreifen, der ihn zu Bens und Annas Aufenthaltsort brachte. Hendrik van den Bergh wertete das Schweigen von Kim als Zustimmung und Anerkennung für seine Vorgehensweise. Selbstzufrieden grinste er vor sich hin.


    „Ach ja, bevor ich es vergesse! Ich habe dafür gesorgt, Herr Gerkan, dass sie bis auf weiteres in einer sicheren Wohnung des LKAs untergebracht werden. Selbstverständlich erhalten sie ab sofort Polizeischutz! Das gilt selbstverständlich auch für ihre Familie, sofern sie uns deren Aufenthaltsort mitteilen.“
    Semir schnaubte mehrmals deutlich durch. Sein Gesicht rötete sich leicht und seine Augenbrauen zogen sich ärgerlich zusammen. Für den Staatsanwalt völlig unerwartet erhob sich der Türke aus seinem Besuchersessel, was angesichts der Dosis Schmerzmittel, die man ihm im Krankenhaus verabreicht hatte, recht geschmeidig ging. Er baute sich regelrecht vor dem Staatsanwalt auf. Sein Körper bebte vor Erregung. Kim Krüger, die vorausahnte, was kommen würde, konnte ihren Kommissar nicht mehr rechtzeitig stoppen.


    Der Türke packte den Staatsanwalt an seinen Jackenaufschlägen und zog ihn leicht aus seinem Sessel hoch. „Wissen Sie noch, was Sie mir vor gut einer Woche hier in diesem Büro geantwortet hatten, als ich sie um Schutz für meine Familie anbettelte?“ – „Ja!“ hauchte der Staatsanwalt geschockt zurück. - „Das kostet den Steuerzahler zu viel Geld! Wissen Sie was, meine Familie ist in Sicherheit und ich werde den Teufel tun und ihnen oder jemand anderen deren Aufenthaltsort verraten.“ Er ließ van den Bergh wieder los, der erleichtert in seinen Sessel zurückfiel. Semir trat einen Schritt zurück und fixierte mit seinem Blick weiter den Staatsanwalt. „Ihre Großzügigkeit können Sie sich sonst wohin stecken, Herr Oberstaatsanwalt. Sie werden doch nicht ernsthaft glauben, dass ich mich wie eine Maus ängstlich in irgendein Loch verkrieche, während mein Partner und dessen Freundin in Lebensgefahr schweben!“


    Ohne ein weiteres Wort stampfte Semir aus dem Büro, die Glastür erbebte in ihren Grundfesten, als der Kommissar sie zuknallte. Ohne nach links oder rechts zu blicken und steuerte er die Teeküche der PAST an.
    Zurück blieben im Büro der Chefin ein betreten drein blickender Oberstaatsanwalt, der sichtlich um seine Fassung rang und nach den richtigen Worte suchte. „Kim, rede mit deinem Kommissar! Der Mann schwebt in akuter Lebensgefahr! Der ist eine wandelnde Zielscheibe, bis Herr Stojkovicz sich in Untersuchungshaft befindet!“, beschwor Hendrik van den Bergh die Chefin. „Und wir wissen ja beide, welche Möglichkeiten diese kriminellen Elemente selbst aus dem Gefängnis heraus haben!“


    Lange betrachtete Kim den Mann, der ihr Herz erobert hatte und schüttelte andeutungsweise ihren Kopf. „Du verstehst es immer noch nicht Hendrik!“, antwortete sie mit einem traurigen Unterton und biss sich leicht auf die Unterlippe bevor sie fortfuhr, „Die Freundschaft, die meine beiden Kommissare verbindet. Nie würde sich Herr Gerkhan in Sicherheit bringen, während sein Freund irgendwo da draußen in Not ist, auf ihn angewiesen ist. Niemals! Dazu die Entführung von Bens Freundin. Herr Gerkan fühlt sich, so wie ich auch, schuldig. Wir haben es nicht verhindert, obwohl wir alle gewusst hatten, dass sie das nächste Opfer sein könnte. Auch du Hendrik, auch du, bist mit schuld daran.“


    Der Staatsanwalt erbleichte und schwieg betroffen. Für einige Minuten herrschte Stille im Zimmer, man hätte das Fallen einer Stecknadel hören können. Nachdem er sich von dem Schock der Anschuldigung ein bisschen erholt hatte, tauschte er mit Kim Krüger noch einige Ermittlungsergebnisse aus und verschwand in Richtung Düsseldorf.


    Semir ließ sich nicht länger von Kim Krüger nicht länger auf der Dienststelle zurückhalten. In Begleitung von Jenny wollte er sich vor Ort bei den Einsatzkräften überzeugen, dass wirklich die Räumlichkeiten des albanischen Patriarchen in Köln und im Umland sorgfältig durchsucht wurden. Sein erstes Ziel galt dem Hauptquartier und der Villa von Zladan Stojkovicz.


    Auf der PAST brachen die Stunden des Wartens an. Jede Minute, die verging, fühlte sich irgendwann doppelt so lange an. Nicht nur Kim Krüger und ihre Mitarbeiter warteten auf der Dienststelle auf den erlösenden Anruf, dass man die beiden Vermissten gefunden hatte oder eine Hinweis, wo sie versteckt wurden, sondern auch in seiner Villa Konrad Jäger zusammen mit seiner Tochter Julia, die am gestrigen Nachmittag aus dem Krankenhaus entlassen worden war.

    ich schließe mich mal Trauerkloß an ;)

    Zuerst dachte ich auch an Salzburg in Österreich. Aber dann kam mir, Moment ... in Rumänien haben deutsche Auswanderer Städte mit deutschen Namen gegründet.

    Unsere Nachbarn stammen aus Hermannstadt oder Sibiu;)

    Als Urlaubsort sehr zu empfehlen ... :thumbup:jedoch führen doch unsere beiden Helden was anderes im Schilde

    Verbrecherjagd oder ;)

    Jetzt bin ich gespannt, ob unsere Freunde auf Jake und dessen Familie treffen ... denn der weiß ja, wo die Bösen leben ... wir bestimmt spannend ... freue mich auf ein wenig Action :love:

    Zurück in der Villa – einige Zeit später


    Verwirrt schreckte Anna hoch und schaut sich blinzelnd um. Anscheinend war sie ungewollt eingeschlafen. Die beginnende Abenddämmerung hatte den Kellerraum in ein diffuses Licht getaucht. Die Sportgeräte und das Eisengitter vor dem Fenster warfen bizarre Bilder an die Wand. Dann hörte sie wie ein Schlüssel ins Schlüsselloch gesteckt und umgedreht wurde. Die Tür wurde aufgeschlagen, so dass sie mit einem lauten Knall gegen die Wand krachte. Selbst Ben zuckte in seinem Zustand zusammen. Die Halogenlampen flammten auf und leuchteten den Raum aus. Geblendet kniff Anna die Augenlider zusammen und es dauerte einige Sekunden, bis sie sich an die grellen Lichtverhältnisse gewöhnt hatte. Vorsichtig löste sie sich von Ben und kroch unter der Decke hervor.


    Elena stand unter dem Türrahmen und blickte fragend in ihre Richtung. Ihr Begleiter, einer der für Anna unbekannten Zwillinge stand mit gezogener Waffe neben der zierlichen Russin. Als wenn ich eine Bedrohung darstellen würde, dachte die Ärztin ironisch bei sich, angesichts der Pistole. Durch die geöffnete Tür drang das Schreien und Wehklagen eines weiteren Mannes, wenn auch gedämpft, zu ihr durch. Anna konnte den Anflug eines Grinsens nicht unterdrücken. Ihr war klar, dass Remzi schon längst aus der Betäubung erwacht war und unter furchtbaren Schmerzen litt. Sie empfand nicht mal die Spur von Mitleid für den Serben. Im Gegenteil, sie gönnte ihm die Schmerzen von Herzen.


    „Hallo!“, murmelte sie Elena zu, die einen Korb in den Händen hielt und sich langsam auf die Ärztin zu bewegte. Die Russin stellte den Weidenkorb auf den Boden und griff hinein. In ihren Händen befand sich ein kleiner Kochtopf, aus dem ein appetitlicher Geruch strömte.

    „Essen!“, zusätzlich ermunterte sie mit Gesten, Anna ihr den Topf abzunehmen und reichte ihr anschließend einen Löffel.
    Daraufhin holte sie Verbandsmaterial, Kompressen und Wundauflagen, zwei Flaschen mit isotonischer Kochsalzlösung und eine Tube mit einer pflanzlichen Heilsalbe aus der Apotheke aus dem Korb. Mit einer Spur des Bedauerns flüsterte sie Anna zu:

    „Keine Tabletten! … Gabriela alles nehmen! … Leid tun!“
    „Schon gut, Elena! … Schon gut! … Du hast es ja wenigstens probiert!“, die Ärztin konnte den resignierenden Tonfall nicht unterdrücken.

    Kein Antibiotikum, kein Schmerzmittel für Ben, sie hatte schon damit gerechnet. Es war ein Teil dieses grotesken Spieles, welches die Kilic mit ihr trieb. Ohne weitere Worte verließen die beiden das Gefängnis, verschlossen die Tür und Anna war wieder allein mit Ben. Neben ihm ließ sich auf der Bodenmatte nieder. Sie seufzte abgrundtief auf, hob den Deckel vom Topf. Darin befand sich ein Eintopf. Sie hatte nach wie vor keinen Appetit und musste sich förmlich zum Essen zwingen. Auf einmal fühlte sie sich beobachtet. Ein Paar dunkle Augen schauten ihr beim Essen zu. Vor einigen Wochen hätte sie behauptet, der Geruch des Essens hat Ben geweckt. Doch ein Blick in seine Augen verriet ihr etwas anderes: Schmerz. Achtlos stellte sie den halbgeleerten Topf zu Seite und kümmerte sich zuerst einmal um ihren Patienten und versorgte ihn unter diesen primitiven Umständen so gut es ging. Am Ende bedeckte sie ihn mit einer leichten Wolldecke. Zärtlich strich Anna ihn mit ihren Fingerkuppen über seine Wangen.
    „Versuch ein wenig zu schlafen!“, wisperte sie ihm zu.


    Die Augen fielen ihm zu und sie hielt seine Hand umschlungen. Ihr Blick wanderte dabei von Ben zu dem geöffneten Fenster. Wehmut überfiel sie. Sie wünschte sich nichts sehnlichster, als das hinter den Gittern, die ihr den Weg in die Freiheit versperrten, das Gesicht von Semir auftauchte.


    Doch stattdessen löste die Dunkelheit der hereinbrechenden Nacht endgültig das fahle Licht der Dämmerung ab. Das Zirpen der Grillen drang zu ihr herein. Das Laub der Bäume rauschte leise im Nachtwind. Selbst die stickige Luft im Zimmer kühlte etwas ab. Bens Fieber war nicht weiter gestiegen. So keimte in ihr ein winziger Hoffnungsfunke, dass die Ursache der erhöhten Temperatur vielleicht eine Folge der Operation war und keine sich ausbreitende Infektion.


    Anna lauschte der abgehackten Atmung von Ben. Nachdem sie das Licht im Raum gelöscht hatte, hatte sie sich hinter ihm auf die Matratze gelegt. Nach einigen Minuten kroch sie zu ihm unter die Decke und schmiegte sich so gut es ging an ihn heran. Liebevoll strich sie ihm immer wieder über die Wangen und seine Stirn. So sehr sie sich auch bemühte, ihre Augen offen zu halten, irgendwann konnte sie nicht mehr dagegen ankämpfen und ihr Körper nahm sich die Auszeit, die er dringend benötigte.


    *****
    Der nächste Morgen begann für Anna mit einem Schock. Ben glühte förmlich. Die Hitze seines Körpers versengte sie fast. Sie versuchte die Panik, die in ihr aufsteigen wollte, zu unterdrücken. Leise murmelte sie vor sich hin „Bleib ruhig, Mädchen! … Du musst stark bleiben, für Ben und das Baby!“


    Vorsichtig löste sie sich aus seiner Umarmung und erhob sich. Sein Gesicht war leichenblass. Im krassen Kontrast dazu standen die vom Fieber geröteten Wangen und sein dunkler Vollbart. Seine Stirn wurde von kleinen Schweißperlen überzogen. Besorgt kontrollierte sie seine Atmung und seinen Puls. In ihrer Arzttasche suchte sie nach dem Fieberthermometer. Seine Körpertemperatur lag mittlerweile bei 39,7 Grad. Sie zog die Zudecke weiter zurück und untersuchte seine Verletzungen. Mit ihren Fingern tastete sie über seine Bauchdecke. Der Alptraum war zur Wirklichkeit geworden, die Schussverletzung im Bauchraum hatte sich scheinbar entzündet. Die junge Frau biss sich auf die Lippen, um nicht in Tränen auszubrechen und ihren Emotionen freien Lauf zu lassen. Welche bescheidenen Möglichkeiten hatte sie denn noch um ihren Freund zu retten? Sollte sie die Einschussstelle nochmals öffnen, in der Hoffnung, dass die Infektion lokal begrenzt war und sie diese säubern könnte. Oder war doch der Schlimmste anzunehmende Fall eingetreten und der Darm war doch an einer anderen Stelle verletzt worden und sie hatte es bei den schlechten Lichtverhältnissen während der Operation einfach nicht erkannt. In Selbstgesprächen versuchte sie sich Mut zu machen, wog ihre Möglichkeiten ab.


    Anschließend schlich sie ins angrenzende Bad. Zum wiederholten Mal begann sie die verbliebenen Medikamente durchzuschauen, die sie heimlich zwischen den Badetüchern versteckt hatte. Eine letzte Ampulle blieb ihr, um zumindest den Kreislauf ihres Freundes weiter zu stabilisieren. Doch sehr sie auch suchte, es befand sich kein schmerzstillendes Mittel mehr darunter. Nachdem sie Ben das Medikament verabreicht hatte, strich sie ihm liebevoll über die Haare, tupfte mit einem feuchten Tuch den Schweiß von seiner Stirn. Ihr Blick ruhte dabei auf der Stelle, wo gestern noch der Notarztkoffer gelegen hatte. Sie grübelte nach und schob die Unterlippe etwas vor. Was wäre wenn?


    Anna ging auf die Knie. Sorgsam suchte sie den Boden, auch unter den Fitnessgeräten, nach Medikamentenampullen ab. In ihr keimte die Hoffnung vielleicht noch irgendwo ein lebensrettendes Glasfläschchen zu entdecken, das nicht der Zerstörungswut des Grauhaarigen am gestrigen Morgen zum Opfer gefallen war. Unter dem Laufband glitzerte es verdächtig. Anna legte sich flach auf den Boden, was mit ihrem kleinen Babybauch gar nicht so einfach war, streckte sich lang und versuchte mit ihren Fingern das kleine Fläschchen zu ertasten. Nach einigen Schwierigkeiten gelang es ihr den kleinen Glaskörper zu ergreifen und hervorzuholen. Überglücklich betrachte sie das Etikett auf der kleinen Ampulle. Es war ein Opiat. Zumindest ein bisschen konnte sie Bens Leiden lindern.


    „Wir schaffen das zusammen mein Schatz! … Halt einfach nur durch!“, beschwor sie ihn, während sie das Schmerzmittel spritzte. Anna war sich sicher, dass ihre Worte zu ihm durchdrangen.
    Nachdenklich durchsuchte sie den Inhalt ihrer Arzttasche, den sie auf die Bodenmatte geschüttet hatte und betrachtete ihre verbliebenen medizinischen Hilfsmittel. Ein Skalpell hatte sie noch, das steril verpackt war. Ihre letzte Option? … Inbrünstig wünschte sie sich, dass die Dosis des Opiats ausreichte und Ben so weit in seinem Dämmerzustand weggetreten war, um die notwendige Wundversorgung durchführen zu können. Sie löste vorsichtig den Verband der Schusswunde. Ben zuckte nicht einmal zusammen, als sie das Skalpell ansetzte, doch das änderte sich. . Mehr als einmal musste sie Ben mit ihren Händen fixieren und beruhigen, der sich bewusst oder unbewusst gegen die äußerst schmerzhafte Behandlung wehrte. Sie entfernte am Wundrand infektiöses Gewebe, säuberte die Wunde. Eine Flasche mit Kochsalzlösung opferte sie, um die Verletzung so gut es ging auszuspülen. Zum Schluss sorgte die Ärztin mit einer improvisierten Drainage dafür, dass das Wundsekret abfließen konnte.


    Anschließend widmete sie sich den Peitschenstriemen an der linken Schulter. Sorgsam reinigte sie auch hier die Wunden nochmals, versuchte das entzündete Gewebe zu entfernen. In ihrer Arzttasche hatte sie eine Packung Medizinischen Honigs gefunden, die ihr ein Pharma- Vertreter zu überlassen hatte. Der Typ hatte ihr und auch ihren anderen Arztkollegen das Produkt als wahres Wundermittel in der Heilung von infizierten Wunden angepriesen. „Dann beten wir mal um ein Wunder!“, flüsterte sie vor sich hin, als Anna auf den entzündeten Wunden im Rückenbereich auftrug. Die restlichen kleinen Verletzungen, die von Wundschorf bedeckt waren, bestrich sie mit der Heilsalbe.


    Sorgfältig deckte sie ihren Freund mit einem Bettlacken zu.

    „Das war es Ben! Mehr kann ich im Augenblick nicht mehr für dich tun!“, murmelte sie erschöpft und sank an der kühlen Betonwand in sich zusammen.

    Vor Erschöpfung fielen Ben die Augen zu. Eine bleierne Müdigkeit kroch durch seinen Körper. Die Dunkelheit, die sich wie ein Schleier über ihn legte, lockte ihn verführerisch an. Die Versuchung war greifbar nahe, sich einfach fallen zu lassen, hinweg zu dämmern auf die andere Seite. Keine Schmerzen mehr zu verspüren. … Aufgeben. Doch da waren die Worte seiner Freundin, die durch seinen Kopf geisterten und eine völlig andere Zukunft voraussagten. Die Aussicht auf eine eigene Familie, die Erfüllung seines größten Wunschtraumes. So groß die Versuchung auch war, er durfte den Kampf nicht aufgeben, egal wie stark die Schmerzen ihn peinigten. Er durfte Anna nicht einfach im Stich lassen. Die Feuchtigkeit ihrer Tränen sickerte in sein Haar. Seine rechte Wange ruhte an ihrer linken Brusthälfte. Er lauschte dem gleichmäßigen Pochen ihres Herzschlages. Unter seiner linken Hand verspürte er ihre samtweiche Haut. Sie hatte Recht. Selbst in seinem Dämmerzustand nahm er die deutliche Wölbung ihres Unterbauches wahr. Unbewusst zeichneten seine Finger die Kontur der vergrößerten Gebärmutter nach. Danach ließ er seine Hand einfach auf der Stelle ruhen und gab sich der Vorstellung hin, darunter schlug ein kleines Herz, wuchs ein neues Leben heran, sein Kind.


    Mit einem Mal fühlte sich alles seltsam ab. Hatte er noch bis vor wenigen Minuten gefroren, so verbreitete sich von innen heraus eine unbeschreibliche Wärme, ihm wurde auf einmal heiß. Sein Körper schien mit einem Schlag in Flammen zu stehen. Der Schmerz in seinem linken Unterbauch strahlte mit einer unglaublichen Intensität bis in seine linke Flanke hinein. Es pochte und stach unaufhörlich in den entzündeten Wunden. So sehr sich Ben auch bemühte, er war an seine körperliche Grenze gelangt. Er konnte es nicht länger ertragen. Vor Schmerz stöhnte und wimmerte er leise vor sich hin. Kalter Schweiß bildete sich auf seiner Stirn. Er schaffte es einfach nicht mehr länger wach zu bleiben. Seine innere Stimme verstummte und er driftete endgültig in eine Art Dämmerzustand ab.


    Anna hielt ihren Freund an sich gedrückt. Mit ihrer Handfläche bedeckte sie seine linke Hand, die auf ihrem Unterbauch ruhte. Nachdenklich lauschte sie seiner abgehackten Atmung. …. Seinem Stöhnen und seinem leisen Wimmern, das mehr und mehr verstummte. Der Schlaf, der mehr einer Ohnmacht glich, musste für Ben eine Erlösung sein. Auch ihr war nicht entgangen, dass das Fieber in den Körper ihres Freundes zurückgekehrt war. Gedankenverloren starrte Anna auf Ben. Nachdem sie innerlich ein wenig zur Ruhe kam, begriff ihr Verstand so nach und nach, was sie seit dem Zeitpunkt ihrer Entführung am gestrigen Tag erlebt hatte. Im Mittelpunkt ihrer Gedankengänge stand Gabriela Kilic. Sie versuchte deren Handlungen und Vorgehensweise zu analysieren und wie Schuppen fiel es ihr von den Augen, welches perverse Spiel diese Kroatin trieb. Es diente nur einem einzigen Zweck, aus purer Rache Bens Qualen und Leiden zu verlängern und Gabriela Vergnügen zu bereiten. Und sie, Anna, war unfreiwillig zu einer Hauptspielfigur geworden. Auch das Schicksal, welches Gabriela für sie vorherbestimmt hatte, war der jungen Ärztin sonnenklar. Einen kleinen Vorgeschmack hatte sie heute Morgen bekommen. Wenn es nach der Kroatin ging, würde sie dieses Anwesen nicht mehr lebend verlassen. Ein Schauer nach dem anderen rann über ihren Körper. Mehrmals atmete sie tief durch und unterdrückte die aufkommende Angst. Anna zerbrach sich ihren Kopf darüber, welchen Ausweg es gab, das drohende Unheil abzuwenden. Ihre Gedanken begannen sich im Kreis zu drehen. Zum einen, war da die Hoffnung auf Rettung, doch was wäre, wenn Semir und seine Kollegen zu spät kommen würden? Ihr Blick glitt über Bens misshandelten Körper. Wie lange würde der Schwerverletzte noch durchhalten? Und dann? Was kam danach? Immer mehr verstand sie, wie hoffnungslos die Lage für Ben am gestrigen Tag gewesen sein musste, dass er sich zu der Verzweiflungstat hat hinreißen lassen. War das der Ausweg, den auch sie als letzten Schritt gehen würde? Müde schloss sie die Augen. Voller Wehmut dachte sie an die gemeinsamen Träume und Pläne, die sie zusammen mit Ben im Urlaub geschmiedet hatte.


    Ein lautes Geräusch ließ sie zusammenzucken.


    *****


    Auf der Dienststelle – am gleichen Tag - abends
    Kim Krüger saß angespannt an ihrem Schreibtisch. Die Ellbogen auf der Tischplatte aufgestützt, die Handflächen gegeneinandergedrückt, fuhr sie sich mit den Handkanten nachdenklich über ihren Mund und ihre Nase auf und ab. Die Ereignisse der letzten vierundzwanzig Stunden hatten sie schwer gezeichnet. Sie zerging in Selbstvorwürfen. Hatte ihre Beziehung mit dem Staatsanwalt bewirkt, dass sie als Chefin versagt hatte? Wie hatte es nur so weit kommen können? Warum hatte sie nicht auf Semir Gerkan gehört? Warum? Sie quälte sich, versank in Grübeleien, aus denen sie ein leises Klopfen an der Glastür herausriss. Sie hob den Kopf und ein überraschtes,

    „Herr Gerkan! Was machen Sie denn hier?“, entfuhr ihr.
    „Guten Abend, Frau Krüger! Glauben Sie wirklich, dass mich in dieser Situation irgendetwas im Krankenhaus halten könnte?“, gab er ihr als Antwort zurück und sah wie sie leicht ihren Kopf zustimmend bewegte. „Und bitte keinen ihrer üblichen Vorträge, weil ich das Krankenhaus auf eigenen Wunsch verlassen habe! … Dazu ist die Situation wohl zu ernst!“


    Ohne dass ihn seine Chefin dazu aufforderte, schloss Semir die Bürotür und ließ sich in einem der Besucherstühle vor dem Schreibtisch nieder. So sehr er sich bemühte, die zischende Atmung ließ sich einfach nicht unterdrücken, als die zahlreichen Prellungen sich beim Hinsetzen bemerkbar machten.


    „Was hat die Ringfahndung ergeben?“
    „Nichts!“, Kim schüttelte dabei den Kopf um ihren Worten noch Nachdruck zu verleihen, „Alle Ausfallstraßen aus Köln heraus und Umgebung wurden binnen kürzester Zeit gesperrt und kontrolliert. Es ist mir ein Rätsel, wie die da durchschlüpfen konnten! Man kommt sich vor, als suche man die sprichwörtliche Stecknadel im Heuhaufen!“ Sie lehnte sich nach hinten in ihren Bürostuhl. Ihre Schultern fielen herab, sie sackte resignierend in sich zusammen. „Unsere letzte Hoffnung für eine Spur ist die Verkehrsüberwachung. Hartmut ist mit einigen Kollegen daran, die Bänder auszuwerten.“
    „Wir müssen reden Frau Krüger!“, meinte Semir bestimmend.


    Susanne stand am Fahndungscomputer und beobachtete die einlaufenden Ermittlungsergebnisse. Von ihrem Standort aus konnte die Sekretärin Kim Krüger und den Türken gut beobachten. Der Verlauf der Besprechung im Büro der Chefin war an deren Mimik und Gestik gut abzulesen. Anfangs war Kim sauer, aufgebracht … zum Ende hin saß sie ruhig an ihrem Schreibtisch und nickte ihrem Kommissar zustimmend zu. Nach einer guten Stunde, in der Kim Krüger mehrmals telefoniert hatte, öffnete sie die Tür zu ihrem Büro und bat Susanne und Jenny zu sich. Wenig später traf auch Dieter Bonrath ein, der für alle unterwegs auf einer Autobahnraststätte belegte Brötchen besorgt hatte. Es fand ein reger Gedankenaustausch unter den Mitarbeitern der PAST statt.


    Das enttäuschende Ergebnis blieb: Sie hatten keinen noch so winzigen Anhaltspunkt auf den aktuellen Aufenthaltsort von Ben und Anna, wussten nicht wohin die mutmaßlichen Entführer verschwunden waren, wo der Verletzte ärztlich versorgt worden war.


    Der Zeiger der Uhr rückte gen Mitternacht, als Kim die Runde auflöste und allen befahl nach Hause zu fahren. Die Chefin entschied, dass Semir aus Sicherheitsgründen bei ihr für die kommende Nacht im Gästezimmer zur Untermiete einziehen sollte.

    so viele Informationen in dem Kapitel:

    Ben und Semir auf dem Weg der Besserung ... na die kleine Party auf der Dienststelle kann ich mir gut vorstellen ... und gleich wird die Situation ausgenutzt und unsere beiden Helden besorgen sich Informationen über die Händler und den Tierarzt

    dazu das Gespräch mit der Gattin ...

    hmmm ... lass mich raten:

    Familie Gerkhan und Jäger verbringen einen wunderschönen Urlaub am Schwarzen Meer und unsere zwei Helden gehen ein wenig auf Verbrecherjagd

    Wobei :/meine Nachbarn stammen aus Hermannstadt oder Sibiu habe ich schon viele Urlaubsfotos aus der Gegend gesehen ... ein tolles Urlaubsziel

    und für die beiden Ponys hätte ich einen Rat für Sarah: Besorge dir einen Pferdeflüsterer;)

    Ben spürte, wie ihm kalter Schweiß auf der Stirn stand. Er hielt die Augen offen und fixierte die Mündung der Waffe. Fast wie Hartmut, begann er im Kopf mit einer mathematischen Formel seine Chancen abzuwägen. Würde der Abzugshahn auf diese einzige Patrone treffen oder eine leere Kammer? Sein Pulsschlag beschleunigte sich.


    Gabriela zog den Abzugshahn durch. Ben erwartete das Aufblitzen des Mündungsfeuers und den Einschlag der Kugel in seinem Körper. Es machte einfach nur klack. Leer! … Die Kammer war leer. Erleichtert atmete er auf, bis er erkannte, dass die Kroatin das perverse Spiel von neuem begann. Sie feixte vor Freude vor sich hin. Wieder ein Klack … Leer! … Sie befand sich wie in einem Rauschzustand. Völlig entrückt … weit weg …. und wiederholte es nochmals und nochmals. Als ihr Opfer keine Emotionen mehr zeigte, wurde sie dessen überdrüssig und es langweilte sie.


    „Du hast Glück Jägerlein, der Teufel will dich scheinbar noch nicht! … Genieß deine Schonfrist!“
    Auf dem Weg zur Treppe grinste Gabriela sadistisch vor sich hin. In den letzten Minuten hatte sie eine abgrundtiefe Befriedigung empfunden. Die Glückshormone, die ihre Adern durchströmten, hatten ihr den ultimativen Kick versetzt.


    Nachdem Gabriela den Raum verlassen hatte, ließ die Anspannung in Bens Körper nach. Der Adrenalinspiegel in seinem Blut sank und die Schmerzen kehrten zurück, weil auch die Wirkung des verabreichten Schmerzmittels nachließ. Gleich einer Horde wilder Tiere fielen die Schmerzen über ihn her, wüteten in seinen Eingeweiden. In seiner linken Schulter pochte es im Rhythmus seines Herzschlags und sein Rücken brannte wie ein kleines Höllenfeuer. Er veränderte seine Körperhaltung, dass zumindest der Schmerz ein wenig erträglich wurde. Nur nicht bewusstlos werden, nahm er sich vor und fixierte einen Punkt vor sich am Boden. Weil er sich einbildete, dass würde dem Toben in seinem Bauch Einhalt gebieten, verkrümmte er sich weiter, zog die Beine weiter an. Ben konzentrierte sich auf seinen Herzschlag und seine Atmung. Der Druck in seinem Kopf ließ nach. Es gelang ihm den Schmerz ein wenig aus seinem Bewusstsein zu verbannen. Angestrengt lauschte er auf die Geräusche, die bis zu ihm durchdrangen. Die Kilic hatte wie zum Hohn die Zugangstür offen gelassen. Der verletzte Polizist wusste, in seinem Zustand war er nicht fähig auch nur einen Zentimeter zu kriechen. So lag er da, von Schmerzen gepeinigt und wartete darauf, dass Anna zurückkehrte.


    Stimmen näherten sich, Schritte hallten im Gang vor dem Zimmer. Die Zugangstür wurde ins Schloss gezogen und versperrt. Jemand strich ihm sanft über die Wange.
    „Ben …. Ben? … Schau mich an!“, sprach Anna ihn liebevoll an.
    Ben riss sich zusammen und öffnete die Augenlider. Sein Blick suchte Kontakt zu ihren Augen und ohne Worte erkannte sie, welche Qualen er durchlitt.
    „Ich habe nichts mehr!“ meinte sie hilflos, „Ich kann dir nichts gegen die Schmerzen geben, Schatz!“
    „Ich …weiß!“, hauchte er. „Hat … ER … dir etwas …angetan?“
    Anna ergriff seine Hand und umschlang sie, küsste den Handrücken und fuhr damit über ihre Wange. „Nein, nein…. Das grauhaarige Schwein hat sich eine Kugel eingefangen. … Der kann dir und mir die nächste Zeit nichts mehr antun.“
    Erleichterung machte sich in Ben breit. „Das ist gut! …Das ist gut!“
    „Ich habe nicht genau verstanden was passiert ist. Es muss irgendetwas mit Semir zu tun haben. Sein Name ist mehrfach gefallen, als die miteinander stritten. Die Kilic war furchtbar sauer und aufgebracht. Ich dachte, die verliert die Kontrolle über sich und bringt alle anwesenden Personen im Esszimmer um!“
    Die hat sich bei mir abreagiert, dachte Ben bei sich. Mit einem Mal war ihm einfach nur kalt. „Kalt … es ist … so furchtbar kalt hier…Anna!“, gab er als Antwort zurück. „Bitte! … Halt mich … fest …. Halt mich einfach nur fest!“ flehte er sie an.

    Seine Hand ergriff ihren Arm und zog sie näher an sich ran.
    „Ich werde dir noch mehr Schmerzen bereiten Ben! Wie soll ich dich denn halten!“
    „Komm!“ hauchte er nur.


    Er brauchte sie … musste ihre Nähe spüren … ihre Wärme … er fror so entsetzlich. Seine Zähne klapperten aufeinander. Sie lupfte die Zudecke und schmiegte sich behutsam an ihn heran. Ihren Kopf legte sie auf ihren linken Unterarm ab, mit ihrem rechten Arm strich sie über seine Wangen, seine Haare und seinen Rücken, darauf bedacht, keine seiner Verletzungen zu berühren. Seine Kiefermuskeln arbeiteten vor Anspannung und Schmerz. In seinen Augen lagen so viel Zuneigung und Liebe für sie und gleichzeitig der Ausdruck von unendlicher Qual. Sie lagen sich von Angesicht zu Angesicht gegenüber. Mit seinem Daumen zeichnete er die Konturen ihrer Gesichtszüge nach.


    „Ich liebe dich, Anna! … Mehr als mein Leben, mehr als es diese drei Worte jemals ausdrücken können. … Ich möchte, dass du das weißt!“ Er biss sich vor Schmerz auf die Unterlippe und schloss für einen Augenblick die Augen. Leise stöhnte er vor sich hin und die junge Frau merkte, wie er sich vor Schmerz verspannte. Unvermittelt schlug er wieder seine Augen auf. Darin lag ein Ausdruck voller Melancholie und Schmerz, der Anna durch und durch ging, sie in dem Innersten ihrer Seele traf. „Jeder Tag mit dir war ein Geschenk des Himmels für mich. … Anna, ich habe … Angst! Furchtbare Angst, dass ich es nicht … schaffen werde … nicht überleben werde und dich hier … allein zurücklasse! … Es tut mir leid, … so unendlich leid mein Schatz, dass du … wegen mir in diese …. Situation geraten … bist! … Und ich dich …. nicht … beschützen kann!“


    Er sah die Panik in ihren Augen aufsteigen, den Tränenschleier und gleichzeitig diese zornige und trotzige Schnute, die er so an ihr liebte. Anna richtete sich etwas auf und umfasste mit ihren Händen vorsichtig seinen Kopf. Wütend schüttelte sie ihren Kopf und zischte ihn an: „Du gibst nicht auf Ben Jäger! …Hörst DU! So haben wir nicht gewettet. Es gibt da noch was, was du wissen solltest. Du wirst Vater …. Verstehst DU? …. Ich erwarte ein Kind von dir! …“


    „Ein Baby???“ Seine Augen leuchteten auf und in seinen Augenwinkeln schimmerte es feucht, „Ein Baby…!“ hauchte Ben. „Wirklich? … Ich … werde Vater?“ Eine einsame Träne rann an der Wange herab.
    „Ja, Du wirst Papa!“ wisperte sie zurück. „Wir werden bald zu dritt sein. Eine richtig kleine Familie!“ Mit ihren Lippen verschloss sie seinen Mund, legte all ihre Liebe und Zuneigung, die sie für Ben empfand, in ihren Kuss. Als sie sich voneinander lösten, bettete sie seinen Kopf auf ihren Oberarm und ihre linke Brustseite, so dass er ganz nah an ihrem Herzen lag. Seine Beine waren leicht angezogen und sie passte sich seiner Körperform an. Anna nahm seine linke Hand und führte sie unter ihr Shirt zu ihrem Unterbauch.
    „Spürst du es?“ Sie presste seine kalte Handfläche auf die Stelle, an der man die Gebärmutter ertasten konnte, „Genau hier! Hier wächst unser kleines Baby heran!“

    Das Leuchten in seinen Augen verstärkte sich, bekam einen liebevollen Glanz.
    „Ich kann es gar nicht glauben mein Schatz!“, flüsterte er leise.
    „Dieses kleine Krümelchen da drinnen möchte einen Vater haben. Ich möchte, dass wir gemeinsam erleben wie unser Kind groß wird. Verstehst du! Man sieht schon die leichte Wölbung meines Bauches. Du kannst mich nicht alleine lassen, nicht im Stich lassen, Ben. Nicht jetzt! … Nicht jetzt! … Wir haben doch noch so viel vor! … Du musst leben … durchhalten … kämpfen für MICH! … FÜR UNS … FÜR UNSERE KLEINE FAMILIE!“


    Tränen liefen Anna über die Wangen, tropften in sein Haar. Leise schluchzend flehte sie ihn an: „Bitte halt durch Ben! Du musst KÄMPFEN“, wisperte sie ihm zu „Du bist ein Krieger! Mein Ritter! Hörst du … nur noch ein bisschen durchhalten, verstehst du! Semir wird kommen!“

    Genau das was Ben sagte, dachte ich auch, als ich die Beschreibung der Stallung und des Auslaufes für die Ponys las: Luxusunterbringung für Equus:):thumbup:


    Puuh … das ist ja mal eine Ernüchterung :/… die kleinen Teufelchen haben es faustdick hinter den Ohren ... oder anders ausgedrückt, sie haben mit Menschen noch keine guten Erfahrungen gemacht … ich denke, bei allen Erfahrungen die Sarah mit Pferden hat, würde ich da mal einen Pferdeflüsterer anheuern ;)… Am schlimmsten ist die Situation für Tim und Mia-Sophie … die freuen sich auf ihre neuen tierischen Freunde … Aber ich bleibe optimistisch … Sarah wird eine Lösung finden:)


    Der kleine Josef tut mir furchtbar leid. Hat er Leukämie? … Und der Arzt will ihm eine entsprechende Behandlung verweigern???X(


    Sorry ich grinse mir einen ab: Dem Tierarzt fault im wahrsten Sinne des Wortes der Arm ab. Mich wundert nur, dass dieser Mann keine Sepsis hat. Na lange kann er nicht mehr warten, um ärztliche Hilfe aufzusuchen. Oder macht er es wie im Mittelalter … Hackbeil – Arm ab …


    Bitte um Fortsetzung

    Gabriela beendete das Telefongespräch mit dem Mann vom BKA. In ihren Augen war der Tag bisher richtig mies verlaufen. Ihr Grimm über die misslungene Entführung des Türken kannte keine Grenzen. Dazu kam die Schussverletzung von Remzi. Der Söldner war bisher ihr wertvollster Mitstreiter bei ihrem Rachefeldzug gewesen. Sein Ausfall in den nächsten Tagen traf sie hart. Remzi konnte Unternehmungen strategisch planen, Risiken einschätzen, Bomben bauen und sprach fließend deutsch. Solche Fähigkeiten brachten die vier anderen Söldner einfach nicht mit. Die Nachrichten, die der Kontaktmann ihr übermittelt hatte, steigerten ihre Wut ins Unermessliche. Seit heute Morgen stand Remzi Berisha auf der Fahndungsliste der Polizei in Nordrhein-Westfalen auf Platz eins. Man hatte ihn als Entführer von Anna Becker identifiziert. Darüber hinaus hatten die Ermittler am Tatort auf der Autobahn wertvolle Spuren sichern können. Brauer hatte sie eindringlich vor weiteren Aktivitäten gewarnt. Wie lautete sein letzter Satz:
    „Wenn Sie so weiter machen, kann ich Sie vor dem Zugriff der Justiz nicht mehr schützen!“


    ‚Was bildete sich dieser A.rsch ein?‘, schoss es ihr durch den Kopf. Schließlich zahlte sie ihm ein kleines Vermögen. Dafür konnte man entsprechende Gegenleistungen erwarten. So war das alles nicht geplant gewesen. Der Schuldige war in ihren Augen schnell gefunden: Semir Gerkan. In ihrem Kopf brannten im wahrsten Sinne des Wortes einige Sicherungen durch. Ihr Herzschlag hämmerte wie verrückt zwischen ihren Schläfen. Druck baute sich auf in ihren Kopf. Der Schmerz den sie dabei empfand trieb sie an den Rand des Wahnsinns. Sie drückte ihre Stirn gegen die Wand, bis sie das Gefühl hatte er würde platzten. Ihre linke Hand hatte sie zu einer Faust geballt und pochte wie verrückt dagegen. Sie musste irgendwo Dampf ablassen, der aufgestaute Frust brauchte ein Ventil und so stapfte sie in das Kellergeschoss.


    Die Kilic stand neben dem provisorischen Bett und betrachtete den jungen Polizisten. Vor ihr lag der Mörder ihres Bruders, der Mann, der ihre letzten Familienmitglieder ausgelöscht hatte. Gleich einer Monsterwelle aus dem Meer den Strand und das dahinterliegende Land überflutete, ergriff der Hass von ihr Besitz. Was hinderte sie daran den Schwerverletzten hier und jetzt zu töten. Ihre Gedanken schweiften ab zum Morgen. Gleich einem Film, der vor ihrem inneren Auge ablief, sah sie die Szenen vor sich, das letzte Aufbäumen von Jäger, um seine Freundin zu schützen. Sein und ihr Kampf ums Überleben. Ihr Körper zitterte und vibrierte dabei vor Erregung. Ihre Atmung wurde laut und hektisch. Das Gedankenkarussell drehte sich unaufhörlich weiter und kam zu ihrem anderen Erzfeind: Den türkischen Autobahnpolizisten. Sie schnaufte hörbar durch. Eine Lösung musste her, wie konnte sie diesen knoblauch-fressenden Türken in die Finger bekommen? Ihr fiel der alte Spruch ihrer Mutter ein, mit Speck fängt man Mäuse. Ja, genau! Das war es. Sie musste ihn in eine Falle locken, ihn anlocken und der beste Köder, war der junge Mann zu ihren Füßen oder dessen Freundin. Sie wiegte ihren Kopf von rechts nach links und begann ihr Gedankenspiel wieder von vorne. Brauchte sie ihn wirklich noch? Völlig unerwartet schlug er die Augen auf. Seine Pupillen weiteten sich vor Entsetzen, als er sie erkannte. Ein wohliger Schauer rann ihr vor Entzücken über den Rücken.


    „Eines muss ich dir lassen, mein Freund, du bist bemerkenswert zäh. Ich habe schon Kerle abkratzen sehen, die weniger schlimm verwundet waren.“ Eine Idee schoss ihr durch den Kopf. Schon allein bei der Vorstellung, leckte sie sich genüsslich über ihre Lippen.


    „Ich … bin nicht … dein … Freund!“, konterte er mit schwacher Stimme zurück.


    In ihren Augen blitzte dieses seltsame irre Leuchten auf. „Sehe schon, du hast Lust auf Spielchen! … Kannst du gerne haben!“


    Albern kicherte Gabriela vor sich hin. Aus einem Gürtelholster am Rücken zog sie einen kleinen Trommelrevolver. Sie öffnete das Magazin und entnahm ihm alle Patronen, bis auf eine. Sanft ließ sie die Trommel über ihren rechten Arm gleiten, auf und ab. „Kennst du dieses Spielchen? …. Ich liebe es. …. Es hat so einen gewissen Kick, wenn du verstehst, was ich meine!“ Ihre Stimme troff vor Sarkasmus. Sie weidete sich förmlich an seinem Entsetzen, als sie weiter sprach. „Weißt du mein Freund, ich brauche dich nicht mehr unbedingt. Um den kleinen Türken zu kriegen, habe ich ja noch ein viel besseres Lockmittel: deine süße Freundin! Und wir beide hatten ja in den letzten Tagen schon unseren Spaß miteinander!“ Ein wahrer Schwall von Glückshormonen überflutete ihren Körper.


    Ben konnte die Boshaftigkeit, die diese Frau ausstrahlte, fast körperlich spüren. In ihren Augen loderte der blanke Wahn. „Na los, bring … es zu … Ende!“, forderte er die Kroatin heraus.
    Die lachte zynisch auf „Gibst du langsam auf? … So kenne ich dich nicht! …Kein Kampfeswille mehr???? … Gestern warst du noch bereit dich zu opfern! …“ Sie feixte vor sich hin und verzog ihr Gesicht zu einer enthemmten Fratze. „Denk doch an deine süße Freundin! … Remzi wird sich freuen, wenn er ein neues Spielzeug im Bett hat!“, provozierte sie ihr Opfer. Sie umrundete dabei die Matratze, auf der Ben lag.


    „Du Miststück! …. Du elendes Miststück!“, keuchte Ben wutentbrannt hervor und versuchte sich in die Höhe zu stemmen. Schmerzwellen brandeten durch seinen Körper und ließen ihn aufstöhnend zurücksinken. Er drehte sich auf den Rücken und schrie vor Schmerz auf. Gabriela fing an wie irre vor sich hinzukichern.


    „Na wer sagt es denn! … So gefällst du mir schon viel besser! Der verwundete Held kämpft um seine Braut!“
    Sie gluckste vor sich hin und ließ erneut die Trommel über ihren Arm rotieren. Lachtränen liefen ihr über die Wangen, als sie auf Ben anlegte. Bereit den Abzugshahn durchzuziehen, zielte Gabriela auf den Kopf ihres Opfers.


    „Sag in Gedanken ciao, zu deiner süßen Freundin!“


    Sie bog den Zeigefinger endgültig durch.

    Ben war es einfach nur fürchterlich kalt. Das Zittern seines Körpers und die Kälte holten ihn mehr und mehr in das hier und jetzt zurück. Stück für Stück nahm er seinen Körper wahr. Selbst seine rechte Körperhälfte auf der er ruhte, fühlte sich nur kalt an. Mit seinen Fingern tastete er den Untergrund ab. Er glaubte zu träumen, als er bemerkte, dass er auf etwas Weichem lag. Mehr und mehr tauchte er aus dem Schattenreich auf. Er zwang sich die Augenlider zu öffnen und suchte mit seinen Blicken nach Anna. Er wendete den Kopf, versuchte den Rest des Raumes zu erfassen. Die Zugangstür stand offen. Für seine Entführer schien er kein ernst zu nehmender Gegner mehr zu sein. Geräusche drangen zu ihm durch, laute Stimmen, Stöhnen und auch Schmerzensschreie. Anna! Panik überfiel ihm, hatte sich die grauhaarige Bestie seine Freundin geholt. Tränen schossen ihm in die Augen, da war nur noch Angst in ihm, die den Schüttelfrost und seine körperliche Not in den Hintergrund drängten. Adrenalin schoss in seine Adern. Helfen! Er musste ihr helfen! Zitternd stemmte er sich auf seinen rechten Unterarm und versuchte sich weiter aufzurichten. Ein Sturm von Schmerzen entbrannte in seinen Körper. Er drohte wieder in sich zusammenzusacken. Auf seine linke Handfläche gestützt, versuchte er den Schwindel aus seinem Kopf zu vertreiben.


    „Nein! … Nein! … Nicht!“, rief eine aufgeregte Frauenstimme.


    Eine energische Frauenhand drückte ihn zurück auf das Kopfkissen. Eine hübsche brünette junge Frau blickte ihn besorgt an. In Bens Kopf tobte nur eine Gedanke, wo war seine Freundin. „Anna?“ flüsterte er.
    „Alles gut!“, beruhigte ihn Elena, „Anna gut! … alles gut, ja … Liegen bleiben Ben! … ja … ich Elena!“ Sie konnte das Zittern seines Körpers und seine Gänsehaut unter ihrer Handfläche fühlen. „Dir kalt? … Frieren?“, erkundigte sie sich fürsorglich.
    Die Anspannung ließ bei ihm nach und seine Zähne fingen an zu klappern und ersparten ihm eine Antwort. Elena blickte sich um und schnappte sich zwei Wolldecken, die sorgsam zusammengefaltet am Ende der Matratze lagen und warf sie über Ben.
    „Besser?“ – „Ja!“ – „Nichts Unsinn machen… ja … liegen bleiben! … Anna kommen!“, wies sie den Verletzten an. Ben nickte verstehend und schloss erschöpft die Augen. Eine gewisse Unsicherheit blieb und seine Gedanken drehten sich nur um seine Freundin.


    *****


    Anna versuchte damit ihre Nervosität zu überspielen, indem sie das Verbandsmaterial, die Kompressen und was sie sonst noch zur Wundversorgung benötigte, sich zu Recht legte. Ihr Patient lag mittlerweile relativ ruhig auf der Tischplatte und wurde nur noch an den Schultern leicht festgehalten. Der Alkohol hatte seine Sinne benebelt. Gabriela stand unter der geöffneten Terrassentür und inhalierte den Rauch ihrer Zigarillo. Schweigend hatte sie die Erstversorgung ihres Kumpels beobachtet.


    „Camil, Iwan ….!“, rief die Kroatin lautstark.


    Den Rest ihrer Worte verstand Anna nicht, da sie in einer fremden Sprache gesprochen wurden. Die beiden genannten Männer setzten sich in Bewegung und folgten Gabriela auf die Terrasse. Dort entbrannte ein hitziges Wortgefecht zwischen Camil und der Frau, während der Glatzkopf den stillen Zuhörer mimte. Auch ohne Sprachkenntnisse kapierte Anna recht schnell, dass die Kroatin blind vor Wut war. Die Lautstärke schwoll an und immer wieder fiel der Name Gerkhan. Innerlich triumphierte die Ärztin auf. Scheinbar hatte sich die Bande bei Semir eine blutige Abfuhr geholt.


    Fast schon unbemerkt war Elena ins Esszimmer geschlichen. Durch ein Handzeichen gab sie Anna zu verstehen, ihr in die Küche zu folgen. Die Zwillinge hinderten sie nicht daran, sondern standen wie Statuen an ihrem Platz und verfolgten angespannt die Diskussion auf der Terrasse.
    Das Wasser im Kochtopf hatte schon längst den Siedepunkt überschritten. Wasserdampf vernebelte ein wenig die Sicht in der Küche. Vor dem Elektroherd blieben die beiden Frauen stehen.


    Elena hielt Anna die geöffnete Arzttasche hin und wisperte ihr zu: „Ben wach! … Ihm waren kalt … Elena ihn zudecken …!“, während die Ärztin nach und nach die benötigten Instrumente in das kochende Wasser warf. Die Russin verstummte schlagartig und bevor Anna eine weitere Frage zu Bens Zustand stellen konnte, erschien im Türrahmen einer der Zwillinge und herrschte sie in einer fremden Sprache an. Die Geste der Waffe, die er in der Hand hielt, war unmissverständlich. Sie sollte Elena alleine lassen. Auf dem Weg zurück zum Esstisch wusste Anna nicht, ob die Worte der Russin wirklich beruhigend für sie waren. Sie hatte ihrem Freund vor einer Stunde sicherheitshalber eine Dosis Schmerzmittel verabreicht. Diese sollte noch ein paar Stunden vorhalten, weil sie ja geahnt hatte, dass er mit Stabilisierung seines Zustandes erwachen würde. Zumindest würde er momentan nicht leiden, im Gegensatz zu dem Grauhaarigen. Remzi stöhnte und wimmerte lauthals vor sich hin, als Anna rund um die Eintrittsstelle der Kugel das Bein sorgsam rasierte und mit einer Lösung desinfizierte. Fast schon genüsslich legte an die ausgekochten Instrumente auf einem sterilen Tuch bereit. Ihr entging Remzis schmerzverzerrter und angstvoller Blick nicht. Du sadistisches Schwein, andere leiden lassen und selbst keinen Schmerz ertragen können, dachte sie bei sich. Ich werde nicht besonders zärtlich sein, das verspreche ich dir.
    Sie wandte sich an Camil, der zwischenzeitlich mit dem Glatzkopf zurückgekehrt war. „Haltet ihn gut fest, wenn ich anfange!“


    Mit dem Skalpell vergrößerte sie ein bisschen die Eintrittswunde und holte mit einer Sonde die Kugel heraus. Remzi versuchte sich vor Schmerz aufzubäumen, um sich zu schlagen und zu treten. Dabei schrie er sich die Seele aus dem Leib. Selbst zu viert gelang es den Männern nicht, den Verletzten zu bändigen. Kurz entschlossen, setzte ihn Camil mit einem Kinnhacken außer Gefecht.


    „Die Kugel war im Oberschenkelknochen gesteckt!“, erläuterte die Ärztin dem Schnauzbärtigen, was sie gerade machte, weil dieser ihr Tun misstrauisch verfolgte. Dank der extrem guten Beleuchtung über dem Esstisch gelang es ihr sogar abgesplitterte Knochenfragmente aus der Wunde zu holen. Anschließend vernähte sie ein verletztes Gefäß. Sorgsam legte sie aus dem Verbandsmaterial einen Druckverband an. Sie löste die Staubinde oberhalb der Verletzung. Zufrieden streifte sie sich die Handschuhe ab, als kein Blut den Verband rot färbte.


    Abschließend meinte sie zu Camil: „Mehr kann ich nicht für ihn tun! Der Knochen ist wahrscheinlich angebrochen. …“, sie zuckte mit den Schultern, „genau kann ich es nicht sagen, dazu bräuchte man eine Röntgenaufnahme!“ Während sie sich mit einem Tuch ein wenig säuberte und ihre Instrumente zusammenpackte, meinte sie: „Er wird die nächsten Tage ziemlich starke Schmerzen haben und das Bein vermutlich nicht belasten können. Wenn möglich sollte er liegen bleiben und das Bein ruhig halten!“
    Nicht nur der Schnauzbärtige, sondern auch seine beiden Komplizen waren während der Operation recht blass geworden. Suchend blickte sich Anna im Raum um. Die Kilic war verschwunden. Nur am Rande hatte sie während der Operation mitbekommen, dass die Kroatin im Treppenhaus mit einem Herrn Brauer telefoniert hatte. Sie hatte nur einzelne Wortfetzen verstanden, da sie sich auf den Eingriff konzentrieren musste.

    Dank Hartmut ... so jetzt bin ich ein bisschen schlauer, was der Tierarzt und der Pferdehändler da abgezogen haben:thumbup:

    Familie Jäger bekommt Familienzuwachs ... irgendwie musste ich bei der Beschreibung an "Unsere kleine Farm" denken, frag nicht wieso ... :D

    das Geheimkapitel hebe ich mir für heute Abend auf :love: