Grüße aus St. Petersburg

  • Semirs Blick wanderte zwischen Decke und Veikko hin und her. Das Loch über ihnen wurde zwar immer größer, doch der Preis dafür schien dem erfahrenen Polizisten zu hoch. Veikko war am Ende seiner Kräfte. Der Schweiß durchnässte seine Kleidung und der ganze Körper zitterte vor Anstrengung. Veikkos verletztes Bein gab immer häufiger nach und der jüngere Kollege landete jedes Mal unsanft auf dem Boden, ehe er sich nach einigen Minuten wieder mit zittrigen Armen erhob und weitermachte. Seine Hände waren inzwischen von Dreck und blutigen Hautabschürfungen überzogen. „Veikko, bitte mach eine Pause!“, forderte Jenny. Sie hatte sich vor Veikko hingekniet, als dieser erneut zu Boden gegangen war und seinen Kopf in ihre Hände genommen. Sie konnte das Fieber unter ihren Fingerkuppen spüren. „Ich kann mich später ausruhen. Wir müssen das schaffen!“, gab der Schwarzhaarige mit zittriger Stimme Widerworte und wollte sich wieder erheben. Doch dieses Mal tat ihm sein Körper den Gefallen nicht. Veikko blieb schwer atmend auf der Erde hocken und pumpte wie ein Maikäfer Luft in seine Lungen. „Du wirst dich jetzt an die Seite setzen, ich mache alleine weiter!“, entschied Jenny mit fester Stimme.
    Veikko hatte zunächst protestiert, doch nach einem Wortgefecht zwischen dem Paar lenkte er ein und setzte sich neben Semir an die Wand. Der junge Finne hustete hohl und leckte sich über die trockenen Lippen. „Sag Bescheid, wenn du fertig bist und ich dich hochhieven soll.“ Jenny nickte. „Ja, mache ich. Versuch zu schlafen.“ Veikko nickte müde und schloss die Augen, während sich Jenny der Decke zuwandte.


    Es vergingen Stunden damit, dass Semir Jenny dabei beobachtete, wie sie das Loch an der Decke Schritt für Schritt vergrößerte. Noch war es nicht so groß, dass die Beamtin auch hindurchschlüpfen konnte, doch Semir war sich sicher, dass es nicht mehr lange dauern würde. Der Blick nach links bestätigte ihn, dass es auch langsam Zeit wurde. Veikko war in eine Art Delirium gerutscht und nahm alles um sich herum nur noch am Rande wahr. Und urplötzlich fragte Semir sich, ob Veikko überhaupt im Stande war, Jenny hoch genug zu heben, dass sie es auch bis nach oben schaffen würde. „Er kann dich niemals so hoch heben“, äußerte er seinen Gedanken laut. Jenny sah zu Semir und dann Veikko. „Er wird es nicht müssen, ich werde einfach so viele Steine häufen, bis ich es ohne Räuberleiter schaffe!“, sagte sie und warf einen weiteren Stein zur Seite. „Das diese verdammten Steine auch so doof ineinander verkeilt sind. Ich dachte, es würden sich einige mehr lösen, aber Nein!“
    Semir lächelte. „Ich würde dir ja gerne helfen, aber ich glaube, ich bin noch weniger eine Hilfe, als Veikko es war mit seinem kaputten Bein und Arm.“
    „Untersteh dich! Mir reicht einer von euch am Rande seiner Kräfte.“ Unbewusst fiel ihr Blick wieder auf Veikko. „Wir müssen uns beeilen, Semir“, sagte sie dann nur und ging still ihrer einzigen Aufgabe nach. Jenny war selbst am Ende und würde sich zu gerne fallen lassen und schlafen, doch ihre Sorge um den Mann, den sie liebte, hielt sie davon ab. Veikko verließ sich darauf, dass sie es schaffen würde. Sie hatte ihm versprochen, dass sie es hinbekamen.



    *




    Ben lag auf den Rücksitz seines Mercedes und spürte die strengen und wachsamen Augen von Antti selbst ohne das er nach draußen sah. Es war nur wenige Minuten her, da hatte sein Kreislauf sich verabschiedet. Antti hatte ihn zu seinem Auto befördert und ließ ihm nun kein Entkommen aus seinen fürsorglichen Pranken.
    „Willst du mich jetzt dazu zwingen zu schlafen?“, fragte er zynisch durch die offene Tür. „Ich bin mit Mikael fertig geworden, da kann ich dich schon lange händeln!“
    „Ich habe aber keine Zeit hier herumzuliegen!“ Ben wollte sich wieder erheben, doch Anttis kräftige Hand drückte ihn sofort wieder in den Wagen. „Du hast Zeit, denn du machst doch ohnehin nichts, als zu warten!“
    „Antti! Lass mich sof …“ Ben verstummte. Nicht wegen Anttis ernstem Gesichtsausdruck, sondern wegen der Person, die nun hinter Antti stand. Antti löste den Blick von ihm und drehte sich in die Richtung, wohin Ben starrte.
    „Mikael, was machst du denn hier?“, entkam es ihm überrascht.
    Der Angesprochene hatte seine Hände in den Taschen seines Kapuzenpullovers vergraben und kniff die Augen zusammen. „Was denkt ihr? Dass ich es nicht schaffe?!“, begann Mikael mit bedrohlichem Unterton. „Das ich hier vor euren Augen zusammenklappe! Ihr tut immer so, als müsstet ihr mich vor allem beschützen. Was denkst du Antti? Dass ich es nicht merke? Dass mir, gerade MIR nicht auffällt, dass ihr euch alle so komisch benehmt.“
    Mikaels rechte Hand löste sich aus der Tasche seines Pullovers und tippte nun auf Anttis Brust. „Hier ist eine Information für dich. Ich bin keine Porzellanpuppe! Ich werde schon nicht zerbrechen, weil es hier um das Leben eines Freundes geht.“
    „Mikael, Antti meinte es doch nur gut“, setzte Ben vorsichtig an.
    Die eisblauen Augen seines Freundes lösten sich von Antti und schienen nun ihn zu durchbohren. „Misch dich nicht ein, du bist nicht viel besser!“
    „Wirklich, wir wollten nur nicht, dass du …“, versuchte es Ben abermals, doch Mikaels Blick ließ ihn sofort verstummen.
    „Es sollte euch nicht entgangen sein, dass es mir inzwischen wieder ganz gut geht, oder? Ihr habt kein Recht für mich Entscheidungen zu treffen!“
    Antti wollte seine Hand auf Mikaels Schulter legen, doch dieser schlug sie weg. „Lass mich einfach, okay!“, zeterte er und löste sich dann von ihnen. Er ging mit schnellen Schritten in Richtung des Fahrzeuges der Einsatzleitung. „Was hast du vor?“, rief Ben ihm hinterher und war inzwischen wieder aus seinem Auto geklettert. Ein Fehler, denn sofort begann sich die Welt um ihn herum zu drehen und er spürte, wie seine Beine unter ihm nachgaben.
    Antti griff beherzt zu, doch dennoch schien es auch Mikael nicht entgangen zu sein. Der Schwarzhaarige stand inzwischen wieder vor ihnen. Seiner Wut war Sorge gewichen. „Was ist? Was ist mit dir?“
    Ben winkte ab und setzte sich wieder auf die Polster. „Nichts … es ist okay.“
    „Okay sieht anders aus“, erwiderte Mikael und verschränkte die Arme vor seinem Oberkörper.
    Ben lächelte. „Gerade du solltest doch wissen, wie es ist, wenn sich die Welt dreht, nur weil man es übertreibt.“
    „Der Herr Hauptkommissar dachte, er könnte das alles durchstehen ohne Essen, Trinken und vor allem Schlaf“, wies Antti den Braunhaarigen zurecht.
    „Kannst du dich mal bei Frau Salminen erkundigen, was es Neues gibt? Und ich will eine Karte von der Höhle“, sprach Mikael in Richtung Antti. Der Blonde zögerte kurz, setzte sich dann aber doch in Bewegung.
    Mikael lehnte sich neben die offene Fahrertür an das Auto. „Du solltest versuchen zumindest ein paar Stunden zu schlafen“, begann er nach einer Weile.
    „Ich kann nicht. Ich finde einfach keine Ruhe.“
    „Wir können derzeit ohnehin nichts tun, also versuche es noch einmal.“
    Ben lehnte sich etwas aus dem Auto heraus und beobachtete Mikaels Gesichtszüge. „Sicher, du bist nach Deutschland gekommen, weil du ohnehin nichts tun kannst? Dafür bist du nicht der Typ.“
    „Menschen ändern sich.“
    „Menschen, aber nicht Mikael Häkkinen.“
    Der Finne begann zu lächeln und spielte mit seinem Armband. „Ich habe nichts vor Ben. Ich versuche mir nur einen Überblick zu verschaffen, deshalb bin ich hier. Weil ich ein Kontroll-Freak bin.“
    „Das soll ich dir glauben?“
    Mikael zuckte mit den Schultern. „Es ist mir egal, was du glaubst.“


    Ben wollte etwas erwidern, doch dann sah er, wie Antti wieder auf sie zukam. Er reichte Mikael eine Karte. „Du warst schon bei Lone“, sagte er nur und Mikael lächelte. „Ja, ich wollte nur kurz mit Ben alleine reden. Er wird sich jetzt hinlegen. Ich passe auf. Du solltest nämlich auch schlafen, Antti.“
    „Ich denke, das kann ich selbst entscheiden.“
    Mikael verschränkte die Arme hinter dem Kopf. „Ben auch und dennoch hast du ihm bei dieser Entscheidung geholfen.“ Der ältere Kollege stöhnte. „Gut, ich lege mich für ein paar Stunden hin. Du hast ja nicht ganz Unrecht. Aber sobald sich etwas tut, wirst du mir Bescheid geben.“ Mikael nickte. „Jepp, werde ich tun.“ Danach sah er zu, wie sich Antti zurückzog und in einen der kleinen Container verschwand.
    Der Schwarzhaarige setzte sich auf den Fahrersitz von Bens Mercedes und breitete die Karte vor sich aus, während er über sich das Licht einschaltete. „Wozu brauchst du die Karte?“, kam es von hinten und Ben schielte über seine Schulter. „Ich will nur etwas nachsehen, geh schlafen“, murmelte Mikael genervt und senkte seinen Blick wieder auf das Papierstück.
    „Nachsehen?“
    „Nachsehen! Geh schlafen Ben.“
    „Warum nur glaube ich dir das nicht?“, erwiderte Ben nach einiger Zeit.
    „Weil du ein Vertrauensproblem hast, vielleicht?“
    Auch wenn Ben sich auf Grund des doch eher freundlichen Tons bewusst war, dass Mikael nicht auf die letzten Monate ansprach, verstummte er augenblicklich. Er hatte Mikael damals nicht vertraut und damit ihre ganze Freundschaft in Frage gestellt.
    „Du hast Recht, ich sollte schlafen“, sagte er mit dünner Stimme und legte sich auf die Rückbank, wobei er sich von Mikael wegdrehte, damit dieser sein Gesicht nicht im Rückspiegel sehen konnte.


    Ein paar Stunden später, es war noch völlig dunkel, fuhr Ben nach einem kurzen aber sehr tiefen Schlaf hoch. Sein Blick fiel nach vorne. Mikael war verschwunden. Er sah sich auf dem großen Gelände um, konnte seinen Freund aber nirgends sehen. Langsam erhob sich Ben und merkte, wie die paar Stunden Schlaf ihm tatsächlich gut getan hatten. Er fühlte sich deutlich sicherer auf seinen Beinen. Er sah zunächst im Container der Einsatzleitung nach, als er dort Mikael aber nicht fand, streifte er weiter über das Gelände. Nach etwas zehn Minuten entdeckte er Mikaels Wuschelkopf am Rande des Waldes. Er sah immer wieder auf die Karte und dann zwischen die Bäume, als würde er dort eine Antwort auf die Frage finden, die ihn gerade beschäftigte.
    „Was machst du?“, fragte Ben und Mikael drehte sich zu ihm herum.
    „Es gibt einige Abzweigungen, von denen Teile dicht unter der Erde liegen“, antwortete Mikael ihm und sah dabei wieder auf die Karte.
    Ben begann zu lächeln und in ihm breitete sich Hoffnung aus. „Du bist ein Genie! Vielleicht ist das unsere Chance sie zu finden!“ Ben wollte in den Wald stürmen, doch Mikael hielt ihn zurück. „Ist dir klar, was das bedeutet?“
    „Wie? Natürlich, dass wir eine Chance haben sie zu finden! Also warum stehst du hier noch so rum!“
    Mikael atmete tief ein und fuhr sich mit dem Daumen und Zeigefinger über den Nasenrücken. „Ben. Die Tatsache, dass die Stollen nicht tief liegen, bedeutet auch, dass sie instabil sind. Sie könnten einstürzen, wenn wir drübergehen! Nicht umsonst hat dich Antti so dermaßen im Auge und passt auf, dass du nicht blind darein rennst!“
    „Es ist dennoch unsere einzige Möglichkeit!“, widersprach Ben sofort.
    „Ich will nicht schuld sein, dass du wieder im Krankenhaus landest“, äußerte Mikael jetzt.
    Der deutsche Kommissar sah seinen Freund verständnislos an. „Du machst dir darum Gedanken, wo Semir, Veikko und Jenny auf ihre Rettung warten!“
    Mikaels Hände ballten sich zu Fäusten. „Ja verdammt! Darüber mache ich mir Gedanken! Ich kann es nicht einfach so ausschalten! Denkst du, ich hätte es dann nicht schon lange getan! Ich hätte nicht so lange zögern sollen und alleine in den Wald!“
    „Mikael, ich … sorry, ich wollte dich nicht so anfahren.“
    Sein Freund atmete einige Male hektisch ein und aus. „Lass mich einfach für einen Augenblick, okay?“ Ben nickte und verfolgte, wie Mikael für ein paar Sekunden die Augen schloss und seine Atmung beruhigte. Als er sie wieder öffnete, sah er wieder in den Wald hinein.
    „Du hast Recht, es ist unsere einzige Möglichkeit“, sagte er. Ben nickte und setzte sich in Bewegung. Nur wenige Meter hinter ihm folgte Mikael.

  • Der von Tannennadeln bedeckte Waldboden war weich und gab unter ihren Schuhen nach. In der Luft lag dieser typische Geruch eines Tannenwaldes, ähnlich wie der eines Komposthaufens. Es war 04:00 Uhr am Morgen und so spendete ihnen bisher nur die Taschenlampe etwas Licht. Es war ein seltsames Gefühl, fand Ben, wenn alles plötzlich so dunkel war, nachdem er die letzten Nächte überhaupt nicht wahrgenommen hatte unter den hell erleuchtet Flutlichtmasten. Ein Ast knackte unter seinem Fuß und Mikael sah sich zu ihm um. „Es war nur ein Ast“, sagte Ben leise. „Ich weiß“, antwortete sein Freund ihm deutlich lauter, als würde er ihm dadurch zu verstehen geben wollen, dass es keinen Grund gab zu flüstern. Er hatte Recht, es gab keinen Grund dafür. Sie waren ja nicht auf Verbrecherjagd, sondern suchten nur ihre Freunde.
    „Wie lange noch, bis wir diese Stellen erreicht haben, die dichter unter der Erde liegen?“, wollte Ben wissen. Sie liefen schon eine Stunde und langsam glaubte er, dass Mikael die Orientierung verloren hatte in diesem elenden, dunklen Wald.


    Das Licht der Taschenlampe fuhr in Bens Gesicht und er kniff die Augen zusammen, als es ihn blendete. „Vielleicht 30 Minuten, aber das sind dann nur die Gänge, die nach Norden gehen.“ Mikael leuchtete in eine andere Richtung. „Dort im Westen liegen auch noch welche und im Osten auch.“ Ben nickte. Es würde also die berühmte Suche im Heuhaufen werden. Aber immerhin hatte er endlich etwas zu tun. Er fühle sich deutlich ruhiger, als in den letzten Tagen, wo seine Aufgabe nur darin lag zu warten und man ihn in keine Entscheidung mit einbezog.
    „Hast du eigentlich Antti über deinen Plan informiert?“, erkundigte er sich.
    „Er ist nicht mein Vater, ich muss mich bei ihm nicht abmelden.“
    „Also nein.“
    „Natürlich nicht. Was wir hier machen, ist nicht mit der Einsatzleitung abgesprochen. Im Gegenteil, die waren strikt dagegen, dass wir den Wald betreten, wegen der Einsturzgefahr.“
    Ben nickte leicht und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. „Ich hoffe, wir finden sie und das, ehe wir selbst in so einem Stollen enden.“
    „Ich bin in Alaska in keinen durch Schneewehen bedeckten Felssprung gerutscht, da falle ich sicherlich nicht in einen Stollen“, sagte Mikael bestimmt.
    Ben nickte und sie setzten sich wieder in Bewegung.
    „Und dir, dir geht es wieder gut?“, fragte Ben nach einer Weile.
    Mikael zuckte vor ihm mit den Schultern. „Gut ist ein dehnbarer Begriff. Was bezeichnest du als gut, was verstehe ich darunter? Aber ja, ich denke, ich bekomme mein Leben langsam wieder in den Griff, wenn es das ist, was du meinst.“
    „In etwa.“
    „Und bist du hier, weil du wieder als Polizist arbeiten willst?“
    „Wird das jetzt ein Frage-Antwort-Spiel?“
    „Vielleicht. Willst du die ganze Zeit still durch den Wald spazieren. Mich erdrückt das.“
    „Nein, ich bin hier, weil ich meine Freunde finden will. Nur deshalb.“
    „Du hast dich also noch nicht entschieden?“
    Mikael stöhnte laut und drehte sich zu ihm um. „Ich würde lieber weitersuchen, ohne dass du Fragen stellst!“
    Ben nickte und schluckte die nächsten Fragen, die ihm auf der Zunge lagen, runter. Stattdessen lief er nun Mikael still hinterher. Er hatte versucht einige Male selbst das Tempo vorzugeben, aber Mikael hatte ihn jedes Mal wieder überholt. Ben vermutete, dass es daran lag, dass Mikael dachte, dass er ihn durch seine Rolle als Führender nicht in Gefahr brachte. Falls ein Stollen unter ihnen einbrach, hoffte sein Freund, dass er derjenige war, der einstürzte. Unauffällig musterte Ben Mikael ganz genau. Er sah besser aus, als er ihn das letzte Mal gesehen hatte. Sein Gesicht hatte deutlich mehr Farbe, war nicht mehr blass. Die dunklen Ringe unter seinen Augen waren verschwunden. Er schien also wieder durchzuschlafen, ohne dass ihn Albträume heimsuchten.



    *


    Ben sah nach oben. Die Sonne stand inzwischen hoch am Himmel und auch ohne auf seine Uhr zu sehen, wusste er, dass es bereits kurz vor Mittag sein musste. Er war müde und erschöpft von dem langen Fußmarsch und setzte die Plastikflasche an seine Lippen. Er nahm einige Schlucke Wasser. Mikael, der einige Meter von ihm stand und die Karte studierte, schien hingegen überhaupt nicht müde. Seine Atmung war gleichmäßig und es sah so aus, als könnte er noch den ganzen Tag weiter laufen.
    „Wir sollten erst die im Westen versuchen. Ich denke, dass sie dort eher hineingelaufen sind“, mutmaßte der Finne. Sie hatten die Strecke im Norden schon abgesucht, ohne etwas gefunden zu haben. Sie hatten gerufen, aber keine Antwort erhalten. Sie hatten den Waldboden genau untersucht, aber nichts Verdächtiges festgestellt.
    „Wie du meinst“, keuchte er hervor.
    „Du bist müde?“
    „Wir sind immerhin Stunden gelaufen.“
    Mikael nickte, antwortete jedoch nicht auf seinen Kommentar. „Du bist also nicht müde?“, schlussfolgerte Ben daraus.
    „Nicht wirklich. Aber ich bin in Alaska auch deutlich mehr gelaufen“, sagte Mikael nun und zog die Mundwinkel etwas nach oben. Der Schwarzhaarige setzte sich nun aber dennoch auf den Stamm eines umgeknickten Stammes. „Aber wenn du eine Pause brauchst, werden wir jetzt eine machen.“
    Erleichtert ließ sich Ben neben Mikael fallen und nahm einen weiteren Schluck aus seiner Wasserflasche.
    „Denkst du wirklich, dass wir sie finden, Mikael?“
    Der Angesprochene zuckte mit den Achseln. „Soll ich dir sagen, wie groß die Wahrscheinlichkeit ist?“
    „Nein, wohl besser nicht“, antwortete Ben trocken. Wahrscheinlich war sie niedrig, vielleicht ging sie sogar gen null. „Und dennoch hat dich das nicht abgehalten“, stellte er fest.
    „Es ist besser als überhaupt Nichts zu tun, oder?“
    Der Schwarzhaarige zog sein Smartphone aus der Tasche und warf einen kurzen Blick darauf, ehe er es wieder einsteckte.
    „Schaust du nach, wie viele Anrufe du schon von Antti hast?“, fragte Ben und lächelte dabei breit. Antti war in Bezug auf Mikael mit einer Glucke zu vergleichen, die ihr Küken nicht weit aus ihrem Sichtfeld ließ. Nach der Hintergrundgeschichte, die er nun von dem älteren Kollegen kannte, vermutete Ben, dass es auch daran lag, dass er Mikael als eine Art Ersatz für sein eigenes Kind sah. Und Mikael. Mikael schien das Spiel mitzuspielen, auch wenn er es nicht mochte, als Einzelgänger jemanden zu haben, der eine solche väterliche Sorge für ihn hatte.
    „Das sind schon einige, aber darum geht es nicht. Ich will einfach wissen, wo wir genug Empfang haben, falls wir sie finden und Hilfe verständigen müssen.“
    Ben erhob sich. „Lass uns weiter und bitte schreib Antti zumindest eine SMS, damit er weiß, dass du wenigstens noch lebst und nicht im Erdboden versunken bist.“ Mikael lächelte und zog sein Handy wieder raus. „Okay, okay“, murmelte er, während er eine Nachricht in sein Smartphone tippte.
    Ben steckte seine Hände in die Hosentasche und ging los, wurde jedoch zugleich wieder von Mikael überholt, der von seinem Grundsatz wohl noch nicht abgerückt war, ihn vor den bösen Stollen zu beschützen.
    „Sag mal, Mikael. Die Sache mit Antti, wusstest du davon?“
    „Welche Sache mit Antti?“, stellte Mikael in monotoner Stimmlage die Gegenfrage. „Die Sache mit Antti. Das kann nun so wirklich alles bedeuten. Du musst schon präzise werden.“
    „Na das mit seiner Frau und seinem Kind.“
    Mikael hielt urplötzlich an und fast wäre Ben seinem Freund in den Rücken gelaufen. Der Finne hielt einen Augenblick inne. „Ja, ich wusste davon. Der Fahrer des anderen Wagens, er hat Fahrerflucht begangen.“
    „Wie alt wäre sein Kind jetzt, weißt du das?“
    „Niilo wäre vor vier Tagen 20 geworden, glaube ich“, antworte Mikael mit dünner Stimme. Ben nickte und lief dann stumm weiter. Langsam begann er zu verstehen, was sein Freund damals gesagt hatte, als er meinte, dass Antti diese Wut, die in ihm herrschte, besser verstehen würde. Antti wusste, wie man mit Verlusten umgeht.
    „Ich werde nicht zulassen, dass er auch noch Veikko verliert“, holte ihn Mikaels Stimme wieder aus seinen Gedanken. „Ich werde ihn für Antti finden.“
    Ben nickte nur. Er wusste nichts mehr darauf zu erwidern.

  • Zur gleichen Zeit in Finnland:
    Kasper Kramsu wurde nach seiner Ankunft im Gefängnis sofort in einen kleinen Verhörraum geführt, in dem Kuznetsov bereits auf ihn wartete. Er zog seine Mundwinkel zu einem zynischen Lächeln hoch, als er ihn erblickte. „Der Herr von der Mordkommission. Was kann ich für Sie tun?“, fragte er mit einem hämischen Unterton.
    Kasper setzte sich dem Russen gegenüber und holte seinen Notizblock hervor.
    „Eelis Mäkelä“, begann er schließlich und wartete auf die Reaktion seines Gegenübers. Im Gesicht von Kuznetsov zeigte sich keinerlei Regung. Er sah ihn mit seinen blauen Augen an, zuckte dann jedoch mit den Schultern. „Was ist mit Mäkelä?“
    „Ich frage ganz direkt. Haben Sie ihn ermorden lassen, weil er die Polizei mit Informationen versorgt hat?“
    Der Russe lachte laut. „Ich soll Mäkelä umgebracht haben? Hören Sie, ich habe diesen kleinen Wicht nicht einmal in die Nähe meiner Geschäfte gelassen. Er war schwach und verfiel leicht der Konkurrenz, wenn sie ihm viel Geld bot. Ich bin doch nicht dumm.“
    Kasper sah auf sein Notizbuch. Er war sich nicht sicher, ob Kuznetsov mit ihm spielte oder womöglich jedes Wort ernst meinte. Es war wahr. Mäkelä tat viel für Geld. Gerade deshalb war er der perfekte Informant gewesen. Er hatte für ein paar Scheine bereitwillig viel erzählt.
    „Worüber denken Sie nach Kommissar?“
    Kasper sah auf. Kuznetsov blickte ihn amüsiert an. „Sie sind wohl auf ihn reingefallen? Ist er verschwunden ihr Informant. Machen Sie sich etwa Sorgen?“
    „Sie haben also keine Geschäfte mit ihm gemacht? Sie wissen, dass die Wahrheit sich auf ihr Strafmaß auswirken könnte?“ Der stämmige Russe lehnte sich desinteressiert in seinem Stuhl zurück. „Mir geht es hier ganz gut“, antwortete er ihm nach einer gefühlten Ewigkeit.
    Natürlich ging es ihm gut, dachte Kasper. Es war bekannt, dass die Russen-Mafia die finnischen Gefängnisse mit Drogen versorgte und nun, nun hatte es Kuznetsov vielleicht sogar etwas leichter sich diesen Geschäften intensiver zu widmen. Sie versuchten alles, um dem Mann das Leben schwerer zu machen, ordneten alle paar Tage Durchsuchungen der Zelle an, doch gleichzeitig war sich der junge Kommissar sicher, dass sie Kuznetsovs Geschäfte wohl dennoch nie vollkommen zerstörten. Vermutlich hatte er sogar unter den Schließern einige nützliche Schafe gefunden, die für Geld alles machen würden.
    „Mit wem hat Mäkelä Geschäfte gemacht?“, fragte er jetzt.
    „Mit mir nicht.“
    „Aber Sie wissen doch sicherlich mit wem. Ich könnte dafür sorgen, dass Sie einen Fernseher auf ihr Zimmer bekommen oder etwas anderes.“
    „Sie müssen wirklich verzweifelt sein Kommissar. Weiß Hansen, dass Sie mir das alles anbieten.“
    „Herr Häkkinen führt diese Ermittlungen nicht, sondern ich“, erwiderte er und versuchte dabei, so ruhig wie möglich zu klingen.
    „Und wenn ich nur mit ihrem Kollegen reden will?“ Kuznetsov verschränkte die Arme vor seinem Körper und lächelte. „Ich sage nichts mehr, bis ich nicht mit ihrem Kollegen geredet habe.“
    „Herr Häkkinen ist außer Landes.“
    „Und? Dann warten wir halt, bis er wieder innerhalb des Landes ist.“


    Sie schwiegen sich einige Zeit an, dann holte Kasper tief Luft. „Petrov. Könnte Mäkelä für Petrov gearbeitet haben?“
    Kuznetsov lehnte sich nach vorne und stützte die Ellenbogen auf den Tisch, um anschließend seinen Kopf auf seinen Fäusten zu lagern. „Sie haben Ihre Hausarbeiten gemacht, dass muss ich Ihnen lassen. Dass Sie Petrov kennen, beeindruckt mich jetzt doch ein bisschen. Aber wie gesagt, ich will nur mit Herrn Häkkinen reden.“
    „Und ich sagte, dass er im Ausland ist. Sie werden mit mir vorlieb nehmen müssen.“
    „Sie verstehen es aber doch überhaupt nicht. Sie sind doch ein Richtersohn oder irre ich mich?“
    Kasper notiere sich etwas auf seinem Notizzettel und sah dann nach oben. „Ich sehe, auch Sie haben Ihre Hausaufgaben gemacht.“
    „Ich fand es etwas unfair, dass Sie alles über mich wissen, aber ich nichts über Sie“, berichtete Kuznetsov.
    „Herr Häkkinen wird nicht mit Ihnen reden“, wiederholte Kasper ein weiteres Mal und stand dann auf. Er würde hier keine Informationen bekommen. Er klopfte gegen die Tür, die daraufhin von der anderen Seite von einem Vollzugsbeamten geöffnet wurde. „Wir sehen uns Kuznetsov“, sagte er zum Abschied.


    Als er die Gefängnismauern verlassen hatte, holte er ein paar Mal tief Luft. Kuznetsov schien eine Sackgasse zu sein, wenn es um das Verschwinden von Mäkelä ging, allerdings könnte ihn dieser Typ auch an der Nase herumführen. Kasper setzte sich in sein Auto und dachte einen Augenblick über sein weiteres Vorgehen nach. Er könnte Mikael mit Kuznetsov reden lassen, vielleicht würde er dann ja wirklich ein paar Infos rausrücken. Andererseits wollte er Mikael nicht wieder in diesen Fall hineinziehen. Er war beurlaubt und das aus gutem Grund. Er war psychisch noch nicht stabil genug, als dass er ihn zu diesem Mann schicken könnte. Er würde seinen Freund diesem Mann nicht zum Fraß vorwerfen, nur damit er Antworten bekam.


    Frustriert startete er den Motor und machte sich auf dem Weg zurück ins Präsidium. Das Verschwinden von Mäkelä wollte ihm einfach nicht aus dem Kopf gehen. Er konnte einfach nicht glauben, dass er seine Familie alleine zurückließ und sich ins Ausland abgesetzt hatte. „Scheiße“, fluchte er laut und drückte den nächsten Gang etwas gröber rein, als es nötig gewesen wäre.
    Als Kasper wieder in sein Büro trat, wurde er bereits von Rautianen empfangen, der es sich auf seinem Bürostuhl bequem gemacht hatte. Der Gesichtsausdruck seines Chefs war ernst. „Gibt es etwas Neues von Veikko?“, fragte er leise.
    „Es geht nicht um Veikko“, gab ihm Rautianen zu verstehen, „es geht um dich.“
    Er zog die rechte Augenbraue ein Stück nach oben. „Um mich? Wie soll ich das verstehen?“
    Sein Chef deutete auf dem Stuhl gegenüber von ihm und er setzte sich. „Du gehst noch der Mäkelä-Sache nach?“
    „Nun, natürlich. Es gibt einige Ungereimtheiten, was sein Verschwinden angeht, da muss ich doch nachforschen, oder nicht?“
    Rautianen nickte und fuhr sich mit seiner Hand über das Kinn. Dann legte er seine Hand auf eine Akte, die auf seinem Schreibtisch lag. Kasper war sich sicher, dass sie keine von ihm war. Er hatte vor seinem Verlassen alles fein säuberlich gestapelt. Er drehte die Mappe und öffnete sie, als sie vor ihm lag.
    Kasper sah herunter und konnte seinen Augen für einen Augenblick nicht trauen. Das war Eelis Mäkelä. „Ein Radarfoto aus Italien. Ich habe es heute von einem Kollegen von der KRP zugeschickt bekommen.“
    Der blonde Kommissar griff nach der Mappe und sah sich das Dokument von ganz nahem an. Tatsächlich. Es handelte sich um Mäkelä und auch das Datum und die Uhrzeit ließen keine Zweifel offen, dass der Mann keinem Gewaltverbrechen zum Opfer gefallen war.
    „Ich denke, damit dürfte deine Suche beendet sein?“, wollte Rautianen wissen.
    Er sah auf und nickte. „Ja, ich denke schon. Er ist wohl tatsächlich ins Ausland geflüchtet.“


    Sein Chef lächelte und erhob sich dann von seinem Platz. „Ich habe dir Arbeit dagelassen. Nichts Großes. Eine Schlägerei mit Todesfolge. Eigentlich nur Aktenarbeit, denn der Täter ist geständig und wurde von vielen Zeugen gesehen.“ Kasper nickte abermals und verfolgte, wie Rautianen nun wieder in sein eigenes Büro ging. Als sich die Tür geschlossen hatte, griff er abermals nach der Akte über Mäkelä. Er sah das Foto vor sich Minuten lang an. Seine Gedanken kreisten um die Information des KRP. Ins Ausland abgesetzt. Um der Russen-Mafia zu entkommen, oder um ohne seine Frau und seine Kinder neu anzufangen? Je länger er darüber nachdachte, desto weniger Sinn ergab das ganze für ihn. Mäkelä hatte ihm gegenüber nie geäußert, dass er sich bedroht fühlte.
    Er stöhnte laut auf. Natürlich hatte er das nicht. Er war Polizist und nicht Mäkeläs bester Freund gewesen. „Das bringt doch alles nichts“, schimpfte er leise zu sich selbst und klappte die Akte auf der der Name Eelis Mäkelä stand zu.


    Als er die Akte mit dem neuen Fall öffnete und sich einlas, musste er feststellen, dass es wirklich so leicht war, wie Rautianen angedeutet hatte. Der Täter war geständig und alles, was er noch machen brauchte, war die Aussagen aller Beteiligten zu sammeln und das Ganze komplett der Staatsanwaltschaft zu übergeben. Vermutlich war es eine Beschäftigungstherapie. Dachte Rautianen, dass er nicht vernünftig arbeitete, wegen der Sache mit Veikko? Sein Blick blieb auf dem Gruppenbild hängen, welches auf seinem Schreibtisch stand. Eigenartigerweise machte sich Kasper keine Sorgen um Veikko. Er war sich ganz einfach tief in seinem Inneren sicher, dass es seinem Kollegen gut ging. Anders als Mikael war Veikko ein Glückskind. Er hatte immer Glück. Zumindest meistens, korrigierte er sich. Als die Sache mit dieser Sektenentführung war, da hatte er vielleicht weniger Glück. Obwohl, am Ende war er dem Tod von der Schippe gesprungen und das mehr als knapp. Er seufzte und griff nach der Mappe auf seinem Schreibtisch. Es brachte nichts, sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Veikko und die deutschen Kollegen würden diese Sache überstehen.
    Kasper sah zu seinem uniformierten Kollegen und gab ihm ein Zeichen. „Komm, auf uns wartet eine Vernehmung.“


    Der finnische Kommissar absolvierte die Vernehmung des geständigen Totschlägers mit wenig Euphorie. Es gab weitaus nützlichere Dinge, mit denen er sich beschäftigen konnte. Diese Sache hier hätte ohne Zweifel einer der Frischlinge übernehmen können, um sich Selbstbewusstsein zu holen. Der braunhaarige Mann gegenüber von ihm, dessen Gesicht mit einem Veilchen auf dem rechten Auge verziert war, erzählte ihm ausführlich, wie es zu dem Streit und der Schlägerei gekommen war. Der Tote hatte seine Freundin vor einem Club angebaggert, er hatte ihn mehrmals zurechtgewiesen, doch dieser wollte nicht hören. Danach hätte er dann Fäuste sprechen lassen. Kasper machte ein paar Nachfragen, doch viel gab es da auch nicht mehr zu klären, also entließ er den Mann nach knapp einer halben Stunde wieder in Richtung Untersuchungshaft.


    Als er den Verhörraum verließ, staunte er nicht schlecht. Eva saß auf einem der Stühle im Flur und schien auf ihn zu warten. „Eva, wie kann ich dir helfen?“ Sie sah auf und lächelte. „Rautianen hat mir gesagt, dass du hier bist“, erklärte sie und stand nun auf. „Ich dachte, vielleicht hättest du Lust auf einen Kaffee? Nach so einem Verhör, will man doch meistens auf andere Gedanken kommen.“ Er nickte, obwohl ihm bewusst war, dass sie vielmehr diejenige war, die auf andere Gedanken kommen wollte. „Und ist es eine spannende Sache?“, fragte die blonde Frau nachdem sie eine Weile schweigend nebeneinander hergelaufen waren.
    „Es ist nur ein Samstagsmord. Nur Papierkram, nichts weiter“, antwortete er ihr und hielt die Tür der Dienststelle offen.
    „Na dann. Aber irgendwer muss sich ja auch darum kümmern.“
    „Ja vermutlich. Auch wenn es nur kleine Sachen sind, können sie natürlich nicht liegen bleiben.“
    „Nein“, bestätigte sie.
    Kasper schob seine Hände in seine Jeanstaschen. „Aber deshalb bist du doch nicht hier? Um mit mir über die Arbeit zu sprechen?“, hakte er jetzt nach.
    „Nein, nicht wirklich. Du hast Recht“, gab Eva nun zu. „Eigentlich geht es um Mikael.“
    Kasper kaufte zwei Pappbecher Kaffee mit Sahne und sie setzten sich auf eine Betonmauer in einem kleinen Park. „Weil er in Köln ist? Machst du dir Sorgen deshalb?“
    „Auch, aber das ist nicht der Hauptgrund.“ Eva klammerte sich regelrecht an ihren Becher. Der Blonde wartete darauf, dass sie von alleine weiter erzählte, doch als das nicht passierte, fragte er, was der Hauptgrund sei. Sie sah auf. „Ich weiß nicht, ob unsere Ehe noch zu retten ist“, brachte sie es schließlich auf den Punkt und sah dann sofort wieder herunter.
    Für einen Augenblick war Kasper überrascht. Damit hätte er nicht gerechnet. Eigentlich hatte Mikael in den letzten Wochen Optimismus versprüht. Er hatte immer ein Lächeln auf den Lippen gehabt und war sich sicher, dass das zwischen ihm und Eva wieder in Ordnung kommen würde.
    „Wie?“, brachte er leise hervor. Er räusperte sich. „Ich meine. Wieso glaubst du das?“, stellte er die Frage etwas lauter.
    „Er ist so schwierig … in sich gekehrt. Ich bin mir einfach nicht sicher, ob Mikael wirklich das hat, um mich und die Kinder glücklich zu machen. Natürlich liebe ich ihn, aber wenn ich immerzu Angst haben muss, dass er abstürzt, wo ist da noch Platz für Liebe und Familie?“
    Kasper atmete tief durch. „Du hast also vor aufzugeben?“
    „Vielleicht“, antwortete sie leise und sah wieder zu Boden.
    „Nein Eva, nicht vielleicht!“ Er stellte seinen Pappbecher neben sich ab. „Sieh mich an!“, forderte er.
    Sie sah wieder nach oben. „Was willst du hören? Dass ich ihn verlasse, weil es mir zu viel wird?“
    „Du machst es dir zu einfach“, sagte er nun.
    „Was? Jetzt bin ich auf einmal Schuld oder wie?“ Ihre Stimme klang schrill und hatte diesen bedrohlichen Unterton. Sie stellte ihren Kaffeebecher mit einer solchen Wucht auf die Mauer, dass ein bisschen von dem warmen Getränk über den Rand schwappte.
    „Ich sage nur, dass du nicht nur Mikael die Schuld an eurer momentanen Situation geben kannst. Ich sage nicht, dass du alleine Schuld bist“, versuchte er sie zu beruhigen.
    „Nein. Ich kann nichts dafür, dass er sich von dieser Schuld vollkommen zerfressen lässt. Das kannst du mir nicht zuschreiben, Kasper!“
    „Aber du versuchst ja nicht einmal ihn zu verstehen! Das kannst du dir zuschreiben. Was denkst du? Dass er nur zwei Mal zu diesem Arzt geht und schon ist alles so wie früher? So einfach ist das doch nicht, es wird lange dauern, bis Mikael damit leben kann, was vor ein paar Monaten war.“
    „Es ging ihm gut, als er aus Alaska zurückgekommen ist!“
    „ … Nein! Er hat es vielleicht verdrängt, aber es ging ihm nicht gut. Es war eine Frage der Zeit, bis die Wunde aufbricht und er wieder abstürzt.“ Kasper erhob sich und sah Eva eindringlich an. „Wenn du Mikael jetzt fallen lässt, ohne es zumindest versucht zu haben. Wirklich, dann kann ich das nicht verstehen. Ich kann dir nur eins sagen, Eva, diese guten Momente in den letzten Wochen, die waren nicht gespielt. Sie waren echt! Er ist glücklich und er liebt dich und die Kinder. Gib ihn noch ein paar Monate, und wenn du es dann immer noch denkst, Himmel, dann stürz ihn halt in den Abgrund! Aber ich kann dir nur sagen. Er kämpft jeden verdammten Tag, um sich Meter um Meter aus diesem Loch rauszuziehen, das unendlich tief zu sein scheint, nur für euch. Für dich und für Oskari und Viivi. Wenn er davor war aufzugeben, hat er an euch gedacht. Und das willst du so einfach wegwerfen? Er ist der perfekte Mann an deiner Seite. Die Liebe, die er dir entgegenbringt, die hätte ich dir nie geben können.“
    Ihr Kopf senkte sich. „Stimmt das wirklich? Hat er das so zu dir gesagt?“
    „Ja, so hat er es mir gesagt“, bestätigte er. Mikael hatte es ihm gegenüber zwar nicht in diesen Worten gesagt, aber im Grunde war er sicher, dass er genau das gemeint hatte. Sie nickte. „Danke Kasper. Du hast sicherlich Recht.“ Er lächelte. Wie kompliziert die Liebe doch war, dachte er sich. Hier war sie, die einzige Frau, die er bisher wirklich vom ganzen Herzen geliebt hatte. Er brauchte nur zugreifen und doch tat er es nicht, weil da diese Freundschaft war, die noch mehr wog. Irgendwann, dann würde er Eva vergessen und irgendwann, dann würde auch er die richtige Frau für sich finden.

  • Jenny nahm Veikkos Kopf zwischen die Hände und fuhr mit den Daumen sanft über seine Wangen. Der Schweiß sorgte dafür, dass der Staub unter ihren Daumen verschwamm und eine Spur zog. „Hey Veikko … komm wach auf. Ich habe es geschafft. Bald sind wir draußen! Ich hole Hilfe. Hörst du, ich hole Hilfe!“ Seine Augen öffneten sich einen Spalt. „Jenny“, nuschelte er kaum hörbar und sie lächelte. „Ich hole Hilfe“, wiederholte sie. Sie beugte sich vor und küsste ihn. Danach sah sie zu Semir. „Ich verlasse mich auf dich, dass du auf ihn Acht gibst.“ „Ich werde dafür sorgen, dass keine Ratte, die sich hierher verirrt deinen Traumprinzen anknabbert“, antwortete er ihr mit einem Augenzwinkern und sah zu, wie Jenny sich aus dem Loch an der Oberfläche kämpfte.
    Jenny sah noch einmal herunter und lächelte Semir zu. „Bald haben wir es geschafft!“ Sie stemmte sich mit ihren Armen vom Boden ab und stand schließlich mit zittrigen Beinen auf dem weichen Waldboden. Ihre Muskeln brannten wie Feuer und die Erschöpfung übermannte sie mit einem Mal, aber deshalb würde sie nicht aufgeben. Semir und Veikko verließen sich auf sie. Sie versuchte, sich zu orientieren. Doch mehr als Grün und Braun konnte sie nicht erkennen. Welche Richtung sollte sie wählen? Wo musste sie lang, um Hilfe zu finden? Jenny schüttelte den Kopf. Es half nichts. Sie musste sich entscheiden und so wählte sie die Richtung, die ihr als Erstes in den Sinn gekommen war.
    Nur Wald, soweit das Auge reicht. Nach einem Fußmarsch von gefühlten Stunden war Jenny erschöpft und ließ sich auf den Waldboden fallen. Sie spürte, wie sich sofort die Feuchtigkeit des Waldbodens in ihre Jeans sog. Verzweifelt sah sie abermals umher, konnte aber auch jetzt nichts und niemanden erkennen. „Scheiße“, fluchte sie leise. Tränen standen ihr in den Augen, doch sie schluckte sie runter. Wie groß konnte das Gebiet sein? Irgendwann, da war sie sich sicher, würde sie auf Leute stoßen. Sie sah sich um und urplötzlich bahnte sich eine neue Angst den Weg durch ihren zierlichen Körper. Was wenn sie zwar Hilfe finden würde, aber den Weg zurück zu Semir und Veikko nicht fand? Sie war nur geradeaus gelaufen, hatte versucht nicht nach links oder rechts abzukommen, aber fand sie trotzdem den Stollen wieder? Sie hatte ab und an mit Kleidungsfetzen von ihrem T-Shirt kleine Markierungen an den Bäumen und Sträuchern gemacht, aber reichte das aus? Reichte das, um am Ende wieder zurückzufinden zu den Menschen, die wirklich Hilfe brauchten. Semir hatte versucht es vor ihr zu verheimlichen, aber auch der erfahrene Polizist hatte große Schmerzen und wurde zunehmend erschöpfter.
    Jenny schüttelte den Kopf, um die dunklen Gedanken zu vertreiben. Sie legte ihre Handflächen auf das weiche und feuchte Moos und stemmte ihren zittrigen Körper in die stehende Position. Die junge Polizistin setzte sich wieder in Bewegung. Sie wollte Hilfe finden und sie würde sie finden und dann, dann würde sie auch wieder zurück zu ihren Kollegen finden. Ja das würde sie!




    Schritt um Schritt bewegten sich Ben und Mikael über den Waldboden. Ben sah auf seine Armbanduhr. Es war bereits 15:00 Uhr und sie hatten immer noch nichts gefunden. Mit jedem Schritt fühlte er sich müder, doch die Tatsache, dass sich bei Mikael immer noch keine Müdigkeit bemerkbar machte, ließ auch ihn immer weiter laufen.
    Sie horchten auf, als es unter ihren Füßen plötzlich knackte. Noch ehe sie reagieren konnten, gab der Boden unter ihnen nach. Mit ohrenbetäubendem Getöse rauschten sie in die Tiefe. Der Aufprall war hart und im nächsten Moment waren sie umhüllt von einer Wolke aus Staub.


    „Bist du okay?“, hörte Ben Mikael fragen und drehte den Kopf zur Seite. Mikael kniete einige Zentimeter neben ihm und hustete, um den Staub aus den Lungen zu bekommen.
    Er nickte und richtete sich nun ebenfalls langsam auf, wobei sich ein stechender Schmerz den Weg durch seinen Körper bahnte. Er biss die Zähne zusammen, doch er konnte einen leisen Aufschrei dennoch nicht verhindern. „Fuck, meine Rippen“, murmelte er leise. Als Ben wieder aufsah, blickten Mikaels Augen ihn an und er glaubte, etwas wie Angst darin zu erkennen. „Es ist nichts Schlimmes, nur eine Prellung oder so was“, fügte Ben schnell hinzu. Er war natürlich kein Arzt. Es konnte auch etwas anderes sein, aber seine Erfahrung mit blauen Flecken und Frakturen ließ ihn diese Diagnose treffen. Mikael nickte unsicher. Die Erlebnisse, wo er verzweifelt um Bens Leben gekämpft hatte, als dieser vor ein paar Monaten angeschossen wurde, steckten ihm noch immer in den Knochen.
    Ben sah nach oben. Über ihren Köpfen klaffte ein Loch, durch das das Sonnenlicht in den zusammengestürzten Stollen fiel. Es sollte kein Problem sein, aus dem Loch wieder herauszukommen. Sie waren nicht besonders tief gefallen.
    Mikael stellte sich als Erster wieder auf seine Füße. Er sprang einige Zentimeter hoch und griff mit seiner rechten Hand nach einer Wurzel, um sich anschließend daran hochzuziehen. Dann hockte er sich hin und hielt Ben seine Hand hin. Der Braunhaarige zögerte einen Moment und seine Augen fixierten das Blut, das von Mikaels Hand Richtung Boden tropfte. „Du bist verletzt“, sagte er leise.
    „Es ist nicht schlimm. Nur eine kleine Wunde am Handgelenk“, bekam er von oben Antwort und sah, wie Mikael die Mundwinkel zu einem seichten Lächeln hochzog. „Und nun mach, es sei denn, du möchtest mit einer Rippenprellung versuchen zu springen“, forderte er.
    „Jaja, ist ja gut!“, schimpfte Ben grimmig. Dann ergriff Mikaels Hand am Gelenk, und sein Freund zog ihn herauf. Eine erneute Schmerzwelle durchzuckte seinen Körper, als von Mikael ein kräftiger Ruck ausging, doch diesmal schrie Ben nicht auf.
    Sofort entfernten sie sich ein Stück von dem eingestürzten Stollen, um nicht gleich wieder unten zu landen. Dann ließen sie sich auf den Rücken fallen und schnappten nach frischer Luft.
    „Du fällst also nicht in einen Stollen. Respekt, der Plan hat super geklappt“, brachte Ben nach einer Weile mit kratziger Stimme hervor.
    „Nobody is perfect!“, antwortete Mikael, „Ich hatte einfach vergessen, dein Gewicht mit einzuberechnen.“
    Bens Arm schlug nach links und ein leises Stöhnen ließ erkennen, dass er Mikael auch getroffen hatte. „Idiot!“, lachte er und zog sich langsam in die sitzende Position. Sein Blick blieb auf einem Busch hängen. Ein Kleidungsfetzen hing in den Dornen. Etwas weiter entfernt das Gleiche, doch da schien der Stoff sogar an den Zweig geknotet zu sein. Und dann plötzlich fiel es ihm wie Schuppen von den Augen. „Jenny hatte ein grünes T-Shirt an!“, schrie er laut auf und war aufgesprungen.
    „Wie?“ Mikael sah ihm irritiert hinterher, während Ben den Fetzen am Dornenbusch genau inspizierte. Der Braunhaarige nahm den Stoff in die Hand und hielt ihn in Mikaels Richtung. „Jenny! Sie hatte etwas genau in dieser Farbe an!“
    Ben drehte sich im Kreis und rief den Namen seiner jungen Kollegin. Mikael stand inzwischen hinter ihm und nahm Ben den Kleidungsfetzen ab. „Bist du dir sicher?“, fragte er misstrauisch, wohl in der Annahme, dass er sich in etwas verrennen würde. „Ich kann mit zwar nicht fünf Dinge gleichzeitig merken, aber das habe ich mir gemerkt. Jenny hatte so etwas an!“
    Mikaels Blick wechselte zwischen dem Loch, aus dem sie sich soeben befreit hatten, und dem Kleidungsstück hin und her. „Vielleicht konnte sie sich befreien. Wenn die Gänge wirklich so dich unter der Erde sind, könnte es möglich gewesen sein“, murmelte er in Gedanken.
    Das Lächeln in Bens Gesicht wurde breiter und der Schmerz war vergessen. „Jenny! Jenny, bist du hier irgendwo!“, rief er abermals in den stillen Wald hinein, doch auch diesmal bekam er keine Antwort.


    Mikael hingegen war seinerseits ganz in die Rolle des Profilers geschlüpft und lief langsam und bedacht die Strecke zwischen den beiden Kleidungsfetzen ab. Fast überall war der Boden mit dichtem Moos und Tannennadeln bedeckt, die es schwierig machten, etwas Brauchbares zu finden, doch dann fand er, wonach er gesucht hatte. Er entdeckte einen einzelnen Fußabdruck auf einem Stück, wo kein Moos gewachsen war. Er richtete sich wieder auf. „Sie ist aus dieser Richtung gekommen und geht da entlang“, sagte er zu Ben, während er mit dem Finger in Richtung Osten zeigte.
    Der Braunhaarige nickte eifrig und war bereits dabei sich in Bewegung zu setzen, um Jenny’s Spur zu folgen. „Was wenn sie bei Semir und Veikko war?“ Ben erstarrte in seiner Bewegung und sah sich wieder zu Mikael um.
    „Einer von beiden oder beide könnten verletzt sein, was wenn sie los ist, um Hilfe zu holen?“, führte er seinen Gedanken nun fort.
    „Du denkst, wir sollten in die entgegengesetzte Richtung gehen?“, schlussfolgerte Ben daraus.
    „Ich weiß es nicht. Auf jeden Fall erscheint es mir eine Option zu sein, oder nicht?“
    Ben sah unentschlossen von einer Richtung in die Andere. Was sollten sie nur machen? Was wenn Jenny alleine gewesen war und ihre Hilfe brauchte? Was aber, wenn Mikael Recht hatte und in Wirklichkeit Veikko und Semir ihre Hilfe benötigten?
    „Wir sollten uns trennen! Einer folgt Jenny, einer geht in die andere Richtung“, schoss die Lösung des Problems aus Ben heraus. Mikael zog skeptisch die Augenbraue hoch. „Achja? Und dann. Kannst du die Karte lesen? Was wenn du dich verläufst oder wieder in so einen Stollen fällst?“
    „Was wenn Jenny es tut!“, konterte Ben und verschränkte die Arme vor seinem Oberkörper.
    „Wir sollten uns nicht trennen! Wir sollten uns für eine Option entscheiden!“
    Ben legte seine Hände auf Mikaels Schultern und sah seinen Freund mit ernster Miene an. „Hör zu, ich weiß, dass du Angst hast, dass mir etwas passiert. Es ist vielleicht normal nach dieser Sache vor ein paar Monaten. Aber Mikael, es ist unsere einzige Wahl!“
    Mikaels blauen Augen sahen lange in seine, ohne dass er auf seinen Appell antwortete. Irgendwann folgte ein seichtes Nicken. Der Finne legte die Karte auf den Boden und machte mit seinem Handy ein Foto davon. Danach gab er das Papierstück Ben in die Hand. „Du wirst Jenny folgen, ich gehe in die andere Richtung.“
    Ben nickte. „Gut.“
    „Pass auf dich auf.“
    Der Braunhaarige lächelte. „Mir wird nichts passieren. Unkraut vergeht nicht, oder wie heißt es so schön?“

  • Semir hatte seinen Körper in den letzten Stunden einige Meter vorwärts gequält und saß jetzt direkt neben Veikko. Er sah nach oben. Die Sonnenstrahlen wurden bereits wieder weniger und der Tag schien sich abermals seinem Ende zu zuneigen.
    „Ich warne dich, wenn du aufgibst“, murmelte Semir in Richtung von Veikko.
    „Ich … habe Fieber … nicht sterbenskrank“, kam es von seiner rechten und er musste über seinen jungen Kollegen lächeln.
    „Du bist wach“, sagte er.
    „Wenn … man es so nennen … kann.“ Veikkos Augen öffneten sich ein Stück und der Finne lächelte. „Wie geht es … deinem Bein?“ Semir sah herunter. „Es gibt angenehmere Umstände“, antwortete er.
    Veikko nickte und schloss wieder seine Augen. „Wohl wahr“, nuschelte der Schwarzhaarige, und als Semir ihn fragte, wie es ihm ging, antworte dieser bereits nicht mehr. Der Deutschtürke legte seine Hand auf Veikkos Stirn. Er war weiterhin kochend heiß, doch Semir glaubte, dass es zumindest nicht mehr gestiegen war. Das konnte man angesichts dieser Situation sicherlich in der Spalte Positives verbuchen. Er lehne sich an die Wand und sah wieder in den Himmel. Einige Wolken zogen vorbei und waren für einen winzigen Augenblick in dem dünnen Loch zu sehen, das den Ausweg nach draußen bedeute. Verrückt, wir sitzen hier unten fest, obwohl wir nur durch dieses Loch kriechen müssten, dachte er bei sich. Aber es hatte keinen Zweck. Sie waren zum Nichtstun verdammt und konnten nur auf Jenny hoffen.


    Semir wurde urplötzlich aus seinen Gedanken gerissen. Hatte da jemand ihre Namen geschrien? Da war es wieder und jetzt noch deutlicher. Der Deutschtürke meinte, sein Glück kaum fassen zu können. Gerettet! Sie waren gerettet. „Hier, hier sind wir!“, rief er. Mit Erleichterung stellte er fest, dass die Stimme immer näher kam und wenig später sah er in das staubige Gesicht von Mikael, der sich über den Rand des Loches beugte und sich dann vorsichtig durch die schmale Öffnung gleiten ließ. Der erste Blick des Schwarzhaarigen galt Veikko, der inzwischen wieder eingeschlafen war. Er hatte seine Hand auf dessen Stirn gelegt und zog ein ernstes Gesicht.
    „Veikko hat hohes Fieber. Der ganze Staub hat seine Wunden entzünden lassen“, erklärte Semir. Der Deutschtürke wunderte sich zwar, ausgerechnet Mikael hier zu sehen, da er ihn im hohen Norden vermutet hatte, aber im Grunde war das im Augenblick auch nicht von großer Bedeutung und so sprach er diese Tatsache auch nicht an. Mikael sah auf und nickte dann. „Und du?“
    „Nur ein gestauchtes oder gebrochenes Bein. Nichts Ernstes“, winkte er ab. Der Finne nicke und sah nach oben, schüttelte dann jedoch den Kopf. Vielleicht hatte er kurz im Sinn gehabt, sie irgendwie herauszuziehen, diesen Gedanken wohl aber sofort wieder verworfen.
    „War Jenny bei euch?“, wollte Mikael stattdessen wissen.
    „Ja, sie ist vor einigen Stunden los, Hilfe holen. Du hast sie also nicht gesehen?“
    Er bekam ein Kopfschütteln als Antwort. „Ich war mit Ben unterwegs, wir haben Kleidungsfetzen an den Sträuchern gefunden – wohl zur Orientierung. Er ist der Spur in die andere Richtung gefolgt. Er findet sie sicherlich.“
    Mikael sah wieder nach oben. „Ich habe schon seit einigen Kilometern überhaupt keinen Handyempfang mehr“, sagte er mehr zu sich selbst, als das er wirklich mit Semir redete. „Ich werde euch wieder alleine lassen müssen, um Hilfe anzufordern.“
    Dann fielen seine Augen wieder auf Semir. „Ich beeile mich und komme wieder, ehe es dunkel wird, ja?“ Der deutsche Kommissar nickte. „Die paar Stunden werden wir schon noch schaffen … irgendwie.“ Mikael nickte und hielt ihm nun eine kleine Plastikflasche Wasser entgegen. „Ich habe nur ein paar Schlucke genommen. Ihr müsst durstig sein.“
    Semir nahm die Flasche dankbar an. Danach zog Mikael seinen Kapuzenpullover aus und legte ihn sanft über Veikko, der wie Espenlaub zitterte. „Halte durch Kumpel. Ich habe alles im Griff!“


    Semir sah zu, wie Mikael sich aus dem Loch heraus manövrierte und sich mit schnellen Fußschritten entfernte. Er selbst schraubte den Plastikverschluss von der Flasche und nahm gierig einige Schlucke. Am liebsten hätte er in einem Zug die ganze Flasche geleert, doch sein Verstand hatte Gott sei Dank die Reißleine gezogen, ehe es passieren konnte.
    Sanft tätschelte er Veikkos Wangen, bis der junge Finne seine Augen einen Spalt öffnete. „Hilfe kommt bald. Mikael war hier, er holt jetzt Hilfe, ja? Er hat uns was zu trinken hiergelassen.“ Semir hob die Flasche an Veikkos spröde Lippen. Er trank vorsichtig ein paar kleine Schlucke, ehe der Ältere die Flasche wieder löste. „Du hältst doch bis dahin durch?“, fragte er und meinte etwas, wie ein Lächeln auf Veikkos Lippen zu sehen. „Sicher“, murmelte der Schwarzhaarige leise, ehe sich seinen Augen wieder vor Erschöpfung schlossen.





    Mikael rannte durch den Wald, so schnell er konnte. Die Luft war schwül und stickig. Äste und Zweige zerkratzen seine Arme, Dornen bohrten sich in seine Haut und doch galt seine ganze Aufmerksamkeit nur seinem Smartphone. Empfang. Er brauchte Empfang. Nur einen winzigen Balken. Nur für einen kurzen Augenblick!
    Er sprang über einen Baumstamm, der sich ihm in den Weg stellte, und landete kurz auf dem Boden, als seine Beine bei der Landung ihren Dienst versagten. Seine Beine protestierten schon lange, doch er hatte diesen Umstand bereits in Alaska gelernt auszublenden. Er rappelte sich wieder hoch und rannte weiter, als wäre nie etwas passiert. Die Sonne stand inzwischen so tief, dass sie ihn in den Augen blendete. Er zwang sich, gegen sie anzulaufen, wie gegen einen starken Schneesturm. Mikael hatte ein Ziel und dieses würde er nicht aus den Augen verlieren. Das war im Augenblick das Einzige, was zählte, nichts anderes. Seine einzige Aufgabe. Ein Ast streifte Mikaels Wange und hierließ einen blutigen Kratzer in seinem Gesicht. Blut rann seine Wange und dann seinen Hals herunter. Er sah wieder auf sein Handy, ohne eine Veränderung festzustellen. Schwer atmend rannte er weiter. Seine Lungen brannten vor Anstrengung und jeder Atemzug begann fürchterlich zu schmerzen. Mikael duckte sich und wich einem dicken Ast aus, der etwa auf Kopfhöhe über seinem Weg hing. Er sah abermals auf das Gerät in seiner Hand. Das Display war an einigen Stellen mit Blut verschmiert. Die Wunde an seinem rechten Handgelenk war vor einigen Minuten wieder aufgerissen. Mit dem Daumen seiner anderen Hand fuhr er über den Fleck rechts oben über den Bildrand, um zumindest die Anzeige, die ihm den Netzempfang anzeigte, erkennen zu können. Alles andere, was auf dem Smartphone abgebildet war, hatte für den Moment ohnehin keine Relevanz.
    Abgelenkt von seinem Handy stolperte er über eine Wurzel und schlug hart auf den Waldboden auf. Sein Oberkörper landete auf einem dicken Stock und für einen Augenblick blieb ihm die Luft weg. Das Handy fiel ihm aus der Hand und rutschte noch einige Meter weiter. Er rappelte sich wieder auf und griff nach seinem Smartphone. Ein Riss zierte nun das Display, aber immerhin war das Gerät sonst noch heile. Er braucht es nur um einen Anruf zu machen. Er spürte einen stechenden Schmerz in seinem linken Knie, doch das hatte jetzt keine Bedeutung für ihn. Er setzte seinen Weg fort und senkte seinen Blick auf das kleine Gerät in seiner Hand. Empfang. Er brauchte Empfang!
    Stille umgab ihn, das leise Knarren der Stämme und Äste hoch über ihm war das einzige Geräusch neben seinen hektischen Atemschüben. Er wich einem Baum aus, sprang über einen kleinen, halb im Boden versteckten Felsblock, und rannte immer weiter. Er würde erst anhalten, wenn er sein Ziel erreicht hatte. Als er abermals hinfiel, zwang er sich sofort wieder aufzustehen und weiterzurennen. Er setzte seinen Zickzackkurs durch den Wald fort, als wäre nichts gewesen. Er blendete die Schmerzen aus.
    Er hatte Empfang! Mikael blieb stehen und pumpte hektisch Luft in seine Lungen. Er wählte die Nummer von Antti. Sein Kollege nahm ab und er schilderte in schnellen Worten, was zu tun war. Zu groß war seine Angst, dass der Empfang wieder nachließ. „Bitte beeilt euch, Antti!“, schloss er das Gespräch ab, nachdem er noch mehrere Male die Koordinaten wiederholt hatte, wo Veikko und Semir zu finden waren. Er hatte versucht die Umstände so genau wie möglich zu schildern, über die Verletzungen Auskunft zu geben. Das alles konnte helfen, sie schneller zu retten, ohne noch mehr Zeit zu verlieren. Er ließ das Handy wieder in die Tasche gleiten und rannte dann in die Richtung, aus der er vor wenigen Minuten gekommen war.

  • Ben folgte weiter den kleinen Hinweisen, die Jenny an den Büschen und Bäumen hinterließ. Immer wieder rief er ihren Namen, ohne Antwort zu erhalten. Sein Herz pochte. Adrenalin rauschte durch seine Adern. „Jenny! Bist du hier irgendwo?“ Wieder antwortete ihm der Wald mit Stille. Ob Mikael die anderen wohl bereits gefunden hatte oder ob es eine falsche Annahme war, dass Jenny mit Veikko und Semir zusammen gewesen war oder zumindest mit einem der beiden. Ben versuchte bedacht nicht zu hektisch zu agieren und wie ein Wilder durch den Wald zu rennen. Der Zwischenfall vorhin hatte ihm gereicht und seine Seite schmerzte weiterhin höllisch. Es würde einen wirklich großen blauen Fleck geben. „Jenny!“, schrie er erneut, aber auch jetzt antwortete die junge Polizistin nicht. Oder doch? Ben blieb stehen und horchte in den Wald hinein. War da was gewesen?
    Ein Lächeln breitete sich in seinem Gesicht aus, als er hörte, wie jemand seinen Namen rief. „Bleib wo du bist, Jenny! Ich folge deiner Spur!“, rief er und nun hatte er all seine Vorsicht vergessen. Mit schnellen Schritten rannte Ben weiter und konnte sein Glück nicht fassen, als er endlich das Gesicht seiner Kollegin vor sich sah. „Oh Gott! Endlich habe ich dich gefunden!“ Er drückte sie an sich, hielt sie lange in seinen starken Armen, um sie dann ein Stück von sich zu halten und zu betrachten. Ihr Gesicht war verdreckt und Erschöpfung zeichnete sich darin ab. Die Jacke von ihrer Uniform trug sie nicht mehr. Nur einen grauen Kapuzenpullover. Das T-Shirt war zerrissen, damit die Stofffetzen ihr den Weg weisen konnten. Ihre Hände waren von dicken Schrammen überzogen, genauso wie ihre Arme.
    „Semir und Veikko, habt ihr sie gefunden? Ist jemand bei ihnen?“, wollte sie sofort wissen.
    „Mikael und ich, wir sind gemeinsam in den Wald. Er ist der Spur in die andere Richtung gefolgt, also hat er sie sicherlich gefunden“, beruhigte Ben sie und Jenny nickte. „Vermutlich.“
    „Wie geht es ihnen? Ist einer von ihnen verletzt?“ Ben war bewusst, dass einer verletzt sein musste, ansonsten wären sie alle hier und nicht nur Jenny.
    „Semirs Bein … ich denke, dass es gebrochen ist“, die Stimme der Polizistin wurde leiser, „und Veikko, er hat zwei Fleischwunden, die sich entzündet haben. Er hat ziemlich hohes Fieber.“
    Ben nickte. „Ich verstehe. Aber ich bin mir sicher, Mikael ist bei ihnen und er hat sicher schon Hilfe geholt. Es wird in Ordnung kommen. Sie werden bald versorgt.“
    Er drückte Jennys Schultern und lächelte. „Sollen wir wieder zurückgehen?“ Er hielt die Karte hoch, die Mikael ihm gegeben hatte und zog die Stirn in Falten. Sein Freund hatte vollkommen Recht gehabt, denn er konnte damit eigentlich nicht viel anfangen. Das alles war ja fast nur Wald. Er hatte keine Ahnung woran er sich orientieren konnte. „Um ehrlich zu sein, bin ich sogar froh über deine Spur, denn ich kann diese Karte leider überhaupt nicht lesen. Mikael ist mir wohl auch in diesem Bereich überlegen.“
    Jenny musste lachen, so dumm es ihr in dieser Situation auch vorkommen mag.
    „Ja. Lass uns wieder zurückgehen“, bestätigte sie.
    Ben gab Jenny eine Flasche Wasser. „Ich habe noch eine. Trink also ruhig aus, du musst durstig sein.“
    „Danke.“ Sorgfältig drehte sie den Verschluss auf und nahm gierig ein paar Schlucke, bis sie leer war. Danach setzten sich die beiden Beamten der Autobahnpolizei langsam in Bewegung.


    „Mikael ist also extra nach Deutschland gekommen“, durchbrach Jenny nach einer Weile die Stille. Ben sah zur Seite. „Ja. Eigentlich wollten Antti und ich es vor ihm verheimlichen, du weißt schon wegen der Sache vor ein paar Monaten.“ Der Braunhaarige war sich nicht sicher, wie genau Jenny wirklich über diese ganze Sache Bescheid wusste. Im Grunde hatte sie mit Mikael nicht besonders viel zu tun und die beiden kannten sich auch nicht näher. Vielleicht hatte Veikko es ihr aber erzählt. Das war vielleicht nicht einmal so abwegig, denn immerhin war Mikael einer von Veikkos engsten Freunden.
    Jenny nickte neben ihm und bestätigte seinen Gedanken. „Ja, Veikko hat mir davon mal erzählt. Es muss schrecklich sein, wenn einen die Schuld erdrückt und man nichts dagegen machen kann.“
    „Naja, auf jeden Fall hat er es wohl rausbekommen und ist hergekommen. Eigentlich solle ich ihm dafür danken. Es war seine Idee in den Wald zu gehen, um nach euch zu suchen. Der Einsatzleiter hat das verworfen, wegen der Einsturzgefahr in vielen Bereichen.“
    „So wie du aussiehst, scheint er damit Recht gehabt zu haben … also der Einsturzgefahr.“
    Ben lächelte. „Ja, wir sind eingestürzt, aber es war nichts Großes. Wir waren für einen Augenblick unaufmerksam und schon war es passiert.“
    Jenny legte die Arme um ihren Oberkörper. „Ich hoffe, Veikko geht es gut. Er hat fast nur noch geschlafen.“
    „Keine Sorge, er ist zäher als er aussieht. Es geht ihm sicherlich gut und es ist nichts Ernstes“, beruhigte Ben sie.
    „Ich hoffe es.“
    „Du liebst ihn wohl sehr.“
    „Ja“, sagte sie nur und Ben konnte aus dem Augenwinkel sehen, wie sie sich eine Träne von der Wange wischte.
    Ben sah in den Himmel. Es begann, langsam dunkel zu werden. Er hatte zwar eine Taschenlampe bei sich, aber wirklich vereinfachen würde es das Ganze nicht, zumal er die Himmelsrichtungen nicht von den Sternen ablesen konnte. Sie mussten sich einzig und alleine auf Jennys Spur verlassen, um wieder zurückzufinden zu Veikko und Semir.
    „Wir sollen uns beeilen. Es wird bald dunkel“, sagte er leise und beschleunigte auch schon sein Tempo, ehe er ein Ja von Jenny gehört hatte.





    Als Mikael Veikko und Semir wieder erreichte, waren die Rettungskräfte bereits eingetroffen und die Umgebung war hellerleuchtet. Er war ein Stück gerannt, doch schließlich hatten ihn seine Kräfte verlassen. Vermutlich weil er sich in den letzten Tagen nicht die Ruhe gegönnt hatte, die er vielleicht nötig gehabt hätte. Nicht nur Antti hatte sich komisch benommen, sondern auch Eva. Er stellte sich etwas abseits an einen Baum gelehnt und sah den Rettungskräften zu, wie sie Semir und Veikko bargen und versorgten. Es herrschte hektische Anspannung, aber dennoch Professionalität. Die Handgriffe aller beteiligten Personen saßen und er wusste, dass seine Freunde in guten Händen waren.
    Er drückte die Arme um seinen Oberkörper. Würde er Eva verlieren? Nach allem, was sie gemeinsam durchgestanden hatten? Ein mulmiges Gefühl überkam ihn und er dachte an die Worte von Kasper vor einigen Wochen im Garten. Er hatte seine eigene Frau zerstört, so dass sie nicht mehr die Kraft aufbrachte, die er von ihr kannte. Sie war es gewesen, weshalb er nach seiner Schädelverletzung nicht aufgegeben hatte. Eva war es, die immer gesagt hatte, dass er es wieder zurück zur Kriminalpolizei schaffen würde. Und sie war es gewesen, die dafür gesorgt hatte, dass er in den Monaten nach dem Wiedereinstieg nicht aufgegeben hatte, als ihm schon mittags schwindelig war.
    Ein Mann kam auf ihn zu. „Hallo. Ich bin einer der Ärzte. Geht es Ihnen gut?“ Mikael sah ihn verwirrt an. Er nickte. „Natürlich geht es mir gut“, antwortete er mit einem leicht störrischen Unterton. „Warum sollte es mir nicht gut gehen?“
    „Sie haben ziemlich viele Schrammen und Verletzungen.“ Mikael blickte an sich runter. Seine Arme waren von den Ästen zerkratzt, sein Knie aufgeschlagen und seine rechte Hand blutig von der Wunde am Handgelenk.
    „Es geht mir gut“, wiederholte er abermals und wich dem Blick des Mannes vor ihm aus. „Was ist mit meinen Freunden?“
    Der Arzt folgte seinen Blick. „Sie werden gerade erstversorgt und dann mit Helikopter und Seilwinde abtransportiert. Das Gelände ist sehr unwegsam und so geht es am Besten … die Einsatzfahrzeuge stehen knapp einen Kilometer von hier, wo der Boden etwas stabiler ist.“
    „Die Verletzungen. Sind sie schlimm?“
    „Nein. Es besteht bei keinem ihrer Kollegen Lebensgefahr. Sie hatten Glück, wenn man die Umstände betrachtet.“ Mikael nickte.
    „Und es geht Ihnen wirklich gut? Ich kann mir die größeren Wunden gerne ansehen.“
    „Das ist nicht nötig. Ich fahre gleich ins Krankenhaus hinterher“, beteuerte Mikael und versuchte gegenüber dem überfürsorglichen Mann nicht die Nerven zu verlieren. Der Arzt betrachtete ihn ein letztes Mal und ließ ihn dann wieder alleine, um sich um Veikko und Semir zu kümmern und den Abtransport vorzubereiten. Er hingegen drehte sich um und sah in den Wald und war dann mehr als erfreut darüber, dass er sich zumindest um zwei Personen heute keine Gedanken mehr machen musste.


    Ben lächelte, als er die Silhouette von Mikael sah. Sein Freund schien sie ebenfalls bereits zu sehen und hob die Hand ein kleines Stück. Hinter Mikael herrschte noch reges Treiben, aber Veikko und Semir konnte er in dem Wirrwarr dennoch nicht erkennen. „Sie wurden gerade abtransportiert und sind auf dem Weg ins Krankenhaus. Der Arzt sagt, dass es schon wieder wird“, brachte der Schwarzhaarige Ben und Jenny auf den neusten Stand, als sie die Stelle erreicht hatten.
    Mikael machte eine Kopfbewegung zu den Rettungskräften der Feuerwehr und des THW. „Sie räumen noch zusammen. Einige Kilometer von hier stehen die Einsatzfahrzeuge. Von der Zentrale können wir dann deinen Mercedes nehmen.“
    Ben nickte. „Geht es ihnen gut?“
    „Semir hat wohl ein gebrochenes Bein, bei Veikko haben sich die Verletzungen entzündet und er hat hohes Fieber. Aber der Arzt meinte, es wäre nichts, was man nicht in den Griff bekäme.“ Ben nickte abermals. „Und du? Hast du mit einem Dornenbusch gekämpft?“
    „Mhm?“
    „Die ganzen Kratzer an deinen Armen und in deinem Gesicht.“
    Mikael lächelte sanft. „Ich hatte keinen Empfang, ich musste ein Stück rennen. Also ja, Kampf mit einem Dornenbusch.“
    „Ich bin froh, dass wir sie gefunden haben.“
    „Ja, ich auch“, antwortete Mikael ihm und sah dabei auf Jenny. „Du solltest dich untersuchen lassen, wenn wir wieder am Eingang des Stollens sind.“
    „Mir geht es gut, ich will jetzt einfach so schnell wie möglich zu Veikko“, widersprach die junge Polizistin leise, drückte aber gleichzeitig ihre Jacke enger um den Körper, da sie fror.
    Der Finne legte seine Hand sanft auf ihre Schulter und lächelte, als sie ihm in seine eisblauen Augen sah. „Sie müssen sich ja erst um seine Wunden kümmern und das dauert ja auch seine Zeit. Du solltest dich wirklich durchchecken lassen. Wenn du zusammenklappst, gibt Veikko nämlich mir die Schuld.“
    Jenny stimmte schließlich zu, unter der Bedingung, dass es wirklich nur ein schneller Check werden würde und sie dann zum Krankenhaus fuhren.


    Jenny ließ die Untersuchung still über sich entgehen, während Ben und Mikael etwas abseits standen. Die anschließende Fahrt zum Krankenhaus erschien Ben unendlich lang. Weder Jenny noch Mikael sprachen viel und er hatte das Gefühl einen regelrechten Monolog zu führen. Am Krankenhaus angekommen, informierte man sie darüber, dass Semir bereits im OP war, sie aber zu Veikko konnten. Er sei seit einigen Minuten auf seinem Zimmer. Ben, der das Gespräch geführt hatte, bedankte sich bei der jungen Dame hinter dem Tresen und gemeinsam setzte man sich in Bewegung.
    „Ich werde erst einmal auf die Toilette und mich waschen“, äußerte Mikael, nachdem sie den Schalter im Eingangsbereich verlassen hatten. „Wegen Antti meine ich. Er ist sicher schon bei Veikko und ich will nicht, dass er sich Sorgen macht, wenn er das Blut sieht.“
    Ben nickte. „Ich werde kurz sehen, wie es ihm geht und dann schaue ich auch mal, wo ich den Dreck abbekomme.“
    Als Mikael abgebogen war, entschieden Jenny und er, dass sie den Aufzug nach oben nehmen würden. Es war zwar der dritte Stock, aber nach dem Marathon in Wald war keiner wirklich gewillt mehr Schritte als nötig zu machen. „Er sah müde aus“, sprach Jenny neben ihm nach einer Weile, „müde und am Ende. Was habt ihr getrieben, als ihr uns gesucht habt?“
    „Du meinst Mikael?“
    „Ja. Ich kenne ihn nicht gut genug, um das beurteilen zu können. Aber seit wir das Krankenhaus betreten haben, hat er gezittert.“
    Ben hielt inne. Hatte Mikael wirklich gezittert? Er musste sich eingestehen, dass er darauf überhaupt nicht geachtet hatte. „Ich … hat er wirklich gezittert?“, brachte er stockend heraus und war stehen geblieben. Jenny lief noch einige Meter, bis sie bemerkte, dass Ben ihr nicht folgte, und sah sich dann um. „Ja, ein bisschen. Minimal. Es wäre mir nicht aufgefallen, wenn ich nicht auf seine verletzte Hand gesehen hätte.“
    Der braunhaarige Kommissar nickte. „Du Jenny, kannst du erst einmal alleine zu Veikko? Ich denke, es ist besser, wenn ich mal nach Mikael sehe. Sag Antti, dass wir noch was erledigen müssen. Vielleicht kommen wir später oder erst morgen früh … es ist ja auch schon später Abend.“
    Jenny stimmte Ben zu und die beiden trennten sich voneinander.



    *


    Mikael stand vor dem Waschbecken und betrachtete sich im Spiegel. Sein Gesicht war blass und seine zerzausten schwarzen Haare standen in alle Richtungen. Ein dünner Staubfilm lag auf seiner Haut, der den Kontrast zu seiner Blässe bildete. Ein dicker blutiger Kratzer zog sich über seine linke Wange. Seine Hand hob sich und er betastete mit dem Zeige- und Mittelfinger den roten Striemen, der sich von der Lippe bis zum Ohr zog. Bei der Berührung durchzog ihn für einen Augenblick ein leichtes Schmerzgefühl. Als er die Finger wieder von seinem Gesicht nahm, klebte frisches Blut daran.
    Er atmete tief durch.
    Mit einem Mal wich die ganze Anspannung der letzten Stunden von ihm. Sein Gehirn zerbröselte, er verlor die Kontrolle. Urplötzlich und ohne Grund geriet er in Panik. Er begann leicht zu zittern.
    „Du hast sie gefunden“, sprach er immer wieder leise zu sich selbst. „Du hast sie gefunden!“ Er hatte nicht schon wieder Menschen verloren, die ihm wichtig waren. Semir und Veikko ging es gut. Sie hatten sich keine schweren Verletzungen zugezogen und würden schon bald wieder auf dem Damm sein. Mikael sah wieder auf sein Spiegelbild. „Verdammt! Beruhig dich endlich!“ Er drehte den Wasserhahn auf und hielt seine zittrigen Hände unter das kühle Wasser. Er wusch sich gründlich das Blut und den Dreck von seinem Gesicht und den Armen. Das weiße Waschbecken färbte sich rot. Schließlich floss der Blutstrom nur noch langsam und wurde immer heller, bis er schließlich ganz versiegte. Er drehte der Hahn wieder ab und ließ sich für einen Augenblick gegen die gegenüberliegende Wand sinken. Er schloss die Augen und versuchte den Gedanken Herr zu werden, die wild durch seinen Kopf tanzten. Mit einem Mal wurde ihm bewusst, was hätte alles schief laufen können. Was wenn Ben sich mehr verletzt hätte, als der Stollen eingebrochen war? Hatte er sich vielleicht sogar verletzt, aber nur nichts gesagt? Was wenn sie Jenny nicht gefunden hätten? Er sah die Leiche des Polizisten vor sich, den man geborgen hatte, als er in der Nacht vor ihrem Aufbruch in den Wald mit Lone Salminen gesprochen hatte. Er hatte Ben niemals davon erzählt. Er hatte seinem Freund ganz einfach verschwiegen, dass es inzwischen drei Tote gab. Vielleicht gab es bereits mehrere? Er hatte nie gefragt, wie die Bergungsarbeiten liefen, nachdem er Ben und Veikko gefunden hatte.
    Atme gleichmäßig ein und aus. Alles ist gut, alles ist in Ordnung, sagte seine innere Stimme immer wieder und er merkte, wie das Chaos in seinem Körper sich langsam wieder beruhigte. Der Orkan schwächte ab zu einem Sturm.
    „Mikael?“ Er sah hoch. Ben stand in der Tür und schaute ihn an.
    „Ist alles Okay?“, wollte der braunhaarige Kommissar wissen.
    „Ja, alles gut“, bestätigte er und stand auf.
    Ben musterte ihn kritisch. „Wirklich?“
    Mikael setzte ein Lächeln auf. „Mach dir keine Gedanken. Mir geht es gut, ich hatte nur für einen Augenblick Kopfschmerzen. Ich habe schon eine Tablette genommen“, log er und verließ, dicht gefolgt von Ben, die Toilette. „Was gibt es Neues? Warst du schon bei Veikko?“
    „Nein. Ich dachte, dass Veikko vielleicht mit Jenny und Antti vorerst genug Besuch hat.“
    Mikael nickte. „Das stimmt wohl. Ich denke, ich werde für ein paar Minuten vor das Krankenhaus gehen. Ich brauche frische Luft. Willst du mit?“
    „Warum nicht.“


    Die beiden Freunde saßen lange stumm nebeneinander und blickten in die Nacht. Ben zappelte unsicher mit seinem rechten Fuß. Es war schon lange her, dass sie das letzte Mal nur für sich waren. Er hatte das Gefühl, irgendetwas Schlaues Aufbauendes sagen zu müssen, doch nichts wollte ihm einfallen. „Ich weiß nicht so richtig, worüber wir reden sollen.“ Mikael zuckte neben ihm mit den Schultern. „Man kann auch schweigend nebeneinandersitzen. Es ist nicht verboten.“
    Ben nickte. Diese Antwort war irgendwie typisch. Mikael war niemand, der große Gespräche führen musste. Veikko hatte ihm einmal erzählt, dass es Antti und Mikael zu Stande brachten, über Stunden kein Wort zu wechseln, wenn sie gemeinsam angeln gingen. „Du stirbst vor Langeweile“, hallte es in seinem Kopf wieder.
    „Wie geht es deinen Rippen?“, kam es nun von Mikael.
    Bens Hand fuhr für einen Augenblick an seine rechte Seite, worauf ihn eine Schmerzwelle durchzuckte. „Ganz gut. Es ist nichts Wildes, wie gesagt.“
    „Hast du es denn untersuchen lassen?“
    „Es ist doch nur eine Prellung. Es wird einen dicken blauen Fleck geben, mehr nicht.“
    Mikael nickte, doch Ben konnte sehen, dass sein Freund nicht ganz überzeugt war. Vermutlich machte er sich Sorgen. Seit dieser Sache vor einigen Monaten hatte sich Mikael in Bezug auf ihn verändert. Er hatte regelrechte Panik, dass er sich in seiner Nähe verletzen könnte. Sicherlich, Mikael hatte schon immer diesen Beschützerinstinkt gehabt, aber nicht in solcher Heftigkeit. Früher wäre er nicht ins Zweifeln geraten, nur weil er sich einige kleine Verletzungen zugezogen hatte.
    „Danke, dass du gekommen bist. Ich weiß, dass es schwer gewesen sein muss nach den letzten Monaten“, sagte Ben nun.
    Mikael schluckte. „Das schwierigste war in das Flugzeug zu steigen, danach ging es“. Er hatte am ganzen Körper gezittert, als er in das Flugzeug mit dem Landeflughafen Düsseldorf gestiegen war. Die Bilder von vor einigen Monaten hatten sich mit aller Härte zurück in sein Gehirn gekämpft und er hatte Ben immer und immer wieder sterbend vor sich gesehen. Erst kurz vor dem Landeanflug waren sie verblasst und er hatte es geschafft das beklemmende Gefühl für einen Augenblick in den Hintergrund zu stellen, wenn es auch jetzt wieder zurück war. Es würde wohl noch lange dauern, bis die Stunden bei dem Psychologen größere Erfolge zeigten.


    Sie verfielen wieder in Schweigen, jeder hing seinen eigenen Gedanken nach. Während Mikael versuchte das panische Chaos in seinem Kopf zu sortieren, beherrschte Ben der Gedanke an seinen Freund, der direkt neben ihm saß. Mikael machte einen ziemlich angeschlagenen Eindruck und wirkte anders als noch vor wenigen Stunden im Wald mit der Situation, die er hier vorfand, überfordert. Sicherlich hatte Mikael all seine Probleme in der Sorge um Veikko zurückgestellt und nun schlugen sie mit doppelter Kraft zu. Ben hatte das Gefühl, als hätte Mikael die Grenze, die er seinem Körper zumuten konnte, überschritten.
    „Wollen wir zu mir fahren? Du siehst müde aus“, setzte Ben an, doch Mikael schüttelte bereits den Kopf, ehe er seine Frage vollständig ausgesprochen hatte.
    „Ich werde noch warten, bis die Operation von Semir vorbei ist und bei Veikko vorbeischauen, dann will ich zurück nach Finnland.“
    „Aber vor morgen früh geht doch eh kein Flieger mehr. Du bist wirklich blass und du weißt, wenn du …“
    „ … Lass es Ben. Es geht mir gut!“, wiederholte Mikael mit etwas mehr Nachdruck.
    Ben nickte. Stumm verfolgte der Braunhaarige, wie Mikael seinen Kopf in seine Hände bettete und sich die Schläfen massierte. „Es gibt hier in der Nähe ein kleines Hotel, das 24 Stunden geöffnet hat. Vielleicht sollten wir dort ein Zimmer mieten, einige Stunden schlafen“, setzte er nun wieder an.
    Mikael sah auf. „Seh ich wirklich so scheiße aus?“
    „Eigentlich schon, ja“, gab ihm Ben zu verstehen. „Also? Komm. Ein paar Stunden Schlaf werden uns beiden gut tun.“
    Mikael fuhr sich mit den Händen ein letztes Mal durch seine Haare, seufzte und stand auf. „Du hast sicherlich Recht“, sagte er dann.

  • Veikko lächelte, als Jenny das Zimmer betrat. Sie gab ihm einen Kuss auf den Mund und strich einige störrische Strähnen aus seinem Gesicht. Er war immer noch ganz heiß, aber er berichtete ihr, dass die Ärztin ihm vor wenigen Minuten gesagt hatte, dass das Fieber bereits runter ging. „Was ist mit Semir?“, wollte Veikko nach einer Weile wissen.
    „Es war tatsächlich ein Bruch. Seine Operation wird in ein paar Minuten beginnen.“
    Sie setzte sich auf den Stuhl und lächelte. „Ich bin so froh, dass wir es alle so gut überstanden haben.“
    „Ich auch.“ Veikko schloss die Augen. „Wo sind eigentlich Ben und Mikael?“, murmelte er leise.
    „Ich glaube, Mikael ging es gesundheitlich nicht so gut.“
    „Mhm … okay“, kam es verschlafen aus dem Bett.
    „Und Antti? Ist er nicht bei dir?“
    „Er war kurz da, aber er ist wieder gefahren, um Lone Salminen vor Ort zu unterstützen. Sie kennen sich von früher.“
    Jenny kicherte. „Ach ja?“
    „Doch nicht wie du denkst. Sie waren in der Ausbildung Kollegen und danach gute Freunde.“
    „Nichts weiter?“
    Veikko öffnete die Augen wieder und lächelte. „Nichts weiter.“ Er streckte seine Hand aus und zog Jenny heran. „Anders als bei uns“, sagte er und gab ihr einen Kuss.



    *



    Ben saß auf einem alten unbequemen Holzstuhl, den einen Ellenbogen auf die Tischplatte neben sich gesetzt und den Kopf darauf gebettet. Er sah in Richtung Bett. Mikael war vor knapp einer halben Stunde eingeschlafen und nun wälzte er sich unruhig hin und her. Ben biss sich nervös auf die Unterlippe. Sollte er ihn wecken? Vielleicht hatte er ja einen Albtraum, vielleicht schlief er aber auch nur unruhig. Dann wäre es sicherlich nicht von Vorteil, denn Mikael war wirklich erschöpft gewesen und hatte Schlaf nötig.
    Bens Augen lösten sich von Mikael und er sah aus dem Fenster in Richtung des Krankenhauses. Semirs Operation war inzwischen vorbei und Andrea hatte ihm eine SMS geschrieben, dass alles gut verlaufen war. Er wollte seinem Partner noch einige Stunden Ruhe gönnen. Es würde sicherlich reichen, wenn er morgen früh gemeinsam mit Mikael bei ihm aufschlagen würde. Das Gleiche galt für Veikko. Wie Mikael erzählt hatte, war das Fieber ziemlich hoch und da brauchte er sicherlich gerade vor allem Ruhe. Vermutlich würde sie zu dieser Zeit eh keine Schwester mehr in das Zimmer lassen. Es war immerhin schon kurz nach 23:00 Uhr.
    „Nein … Nein!“ Ben richtete seinen Blick sofort auf das Bett. Mikaels rechte Hand krallte sich in die Bettdecke und sein Atem ging schnell und abgehakt. „Nein, Großvater … nein, bitte nicht.“
    „Mikael!“
    „Stirb nicht, bitte Ben!“
    Ben war zum Bett gestürmt und hatte abermals Mikaels Namen gerufen. Ohne Erfolg.
    „Mikael, wach auf! Es ist nur ein Traum!“ Sanft rüttelte er an der Schulter des Schwarzhaarigen.
    Mit einem erstickten Schrei fuhr Mikael auf und sein Blick irrte durch den Raum. Es dauerte eine Weile, bis er begriff, wo er sich befand. Er sah ihn mit verstörten Augen an. „Du hast geträumt“, sagte Ben und löste seine Hände, die noch immer auf Mikaels Schultern rasteten. Sein Gegenüber nickte, sagte aber nichts.
    „Willst du darüber reden?“, fragte Ben nun, obwohl er wusste, wie die Antwort lauten würde. Mikael würde über diesen Traum nicht mit ihm sprechen. Er würde nicht antworten und sich in sein Schneckenhaus verkriechen.
    „Nein“, folgte zugleich die Bestätigung auf Bens These.
    „Er hat von mir gehandelt, nicht?“, bohrte er dennoch nach.
    Mikael zuckte mit den Schultern. „Ich will nicht darüber reden“, sagte er in einer Stimmlage, die mechanisch klang. Nicht traurig, nicht wütend, sondern nichtssagend.
    „Mikael, ich weiß, dass es schwer ist, aber …“
    „Ich will nicht darüber reden!“ Diesmal hörte Ben sie raus – die Wut.
    „Bin ich darin gestorben?“, hakte Ben weiter nach. Er merkte, wie Mikaels Atmung hektischer wurde. Seine eisblauen Augen füllten sich mit Tränen. „Mikael, bitte du kannst mit mir über alles red …“
    Mikael sprang aus dem Bett. „Ich konnte dich nicht retten!“, schrie der Schwarzhaarige wütend, ehe Ben seinen Satz beenden konnte. Seine rechte Faust knallte gegen die Wand. Immer und immer wieder. „Sie waren doch weg! Sie waren weg, diese elenden Träume! Warum kommen sie zurück! Warum kann ich dich nie retten!“
    Ben schluckte. Mit einem Mal wünschte er, dass er nicht alleine mit Mikael war. Er war überfordert mit der Situation und war sich sicher, dass Antti viel besser wüsste, wie er Mikael beruhigen sollte. Die Wunde am Handgelenk hatte wieder zu bluten begonnen und nun handelte Ben nach Instinkt. Er zog seinen Freund von der Wand weg und drückte ihn sanft gegen sich. Der Finne wehrte sich zunächst mit aller Kraft, doch dann ließ seine Gegenwehr urplötzlich nach und Ben hörte nur noch ein leises Schluchzen.


    Es war eine kurze Nacht gewesen. Ben hatte nur wenige Stunden geschlafen und war immer wieder wach geworden. Wenn er unauffällig zur Seite geblickt hatte, hatte er gesehen, wie Mikael die Augen offen hatte und an die Decke gestarrt hatte. Er war sich sicher, dass sein Freund nach diesem Albtraum nicht mehr geschlafen hatte. Um 06:00 Uhr war Mikael in das Bad gestürmt und nun lief bereits seit 40 Minuten die Dusche. Ben hatte überlegt, ob er an die Tür klopfen sollte, doch dann kam er sich albern vor. Er wollte ja auch nicht überfürsorglich sein.
    Der deutsche Kommissar stand auf und blickte aus dem Fenster. Die Sonne ließ sich langsam am Horizont blicken und tauchte die Häuser vor sich in ein zartes Licht. Er dachte zurück an die letzte Nacht. Nach dem Albtraum hatte Mikael kurz in seinen Armen geweint. Sie hatten nichts gesprochen und dann, dann hatte sich sein Freund von ihm gelöst und nur gesagt, dass er müde sei. Ben wusste nicht, ob es auf seinen seelischen Zustand bezogen war, oder ob er sein körperliches Befinden gemeint hatte. Danach waren sie wieder schlafen gegangen. Nun gut, eigentlich nur er. Mikael hatte nicht wieder geschlafen, da war er sich sicher.
    Er hörte, wie das Wasser der Dusche abgestellt wurde. Zehn Minuten später wurde die Tür zum Bad geöffnet und Ben drehte sich um. Mikael sah noch immer blass und müde aus.
    „Ich weiß, wie ich aussehe“, sagte sein Freund und nahm Ben damit seine Worte vorweg. Er nickte. „Wann wollen wir ins Krankenhaus? Ich dachte, wir frühstücken so gegen neun und gehen dann hin. Andrea hat mir geschrieben, dass Semir bei Veikko auf dem Zimmer ist.“
    „Ja, können wir so machen.“


    Das Frühstück sowie der Spaziergang zum nur einen Kilometer entfernten Krankenhaus verlief mit nur wenigen Wortwechseln der beiden Freunde, was vor allem dem Jüngeren geschuldet war. Ben hatte mehrmals versucht Mikael in ein Gespräch zu verwickeln, doch dieser blieb die meiste Zeit über still oder antworte ihm nur mit wenigen Worten.
    „Wann wirst du zurück nach Finnland fliegen?“
    „Gegen Nachmittag.“
    „Soll ich dich bringen.“
    „Nein, ich nehme ein Taxi.“
    Irgendwann hatte Ben es dann aufgegeben eine großartige Konversation aufzubauen und gab sich mit der Stille zufrieden. Immerhin Mikael schien damit kein Problem zu haben, auch wenn sie ihn im Gegensatz dazu fast erdrückte. Er fühlte sich unwohl, wenn so lange nicht gesprochen wurde und man sich anschwieg. Als hätte man sich überhaupt nichts zu sagen. Er hatte sehr viel zu sagen, aber keine Lust auf einen Monolog. Es ist wie in diesen Filmen von Aki Kaurismäki, dachte er bei sich. Stilmittel des berühmten Filmemachers aus Finnland waren reduzierte Dialoge, die ihren Namen schon kaum noch verdienten.
    „Warum grinst du so dumm?“
    Ben sah zur Seite. Mikael blickte ihn mit hochgezogener Augenbraue an.
    „Ich habe nur an diesen Film gedacht, den wir mal zusammen gesehen hatten – von Kaurismäki. Du könntest derzeit problemlos eine Hauptrolle übernehmen“, antwortete er.
    „Ja, vermutlich.“
    Vermutlich? Ganz bestimmt, führte Ben seinen inneren Monolog fort, als sie durch die große Drehtür in das Krankenhaus traten.


    Als sie ins Foyer traten, kaufte Ben noch schnell eine Tafel Schokolade in einem der vielen kleineren Geschäfte. Es war zwar nicht die Lieblingssorte von Veikko, aber dennoch würde er den Süßkram nicht ausschlagen. Für Semir wurde es schließlich eine Autozeitschrift. Die beiden Kollegen lagen im dritten Stock und so entschieden sich Mikael und Ben die Treppe anstatt den Aufzug zu nehmen. Vermutlich ging es so eh viel schneller.
    „Zimmer 302. Hier ist es!“, ließ Ben verlauten, als er das richtige Zimmer gefunden hatte, und klopfte an. Schon wenig später vernahm er Semirs Stimme von drinnen und öffnete die Tür. Ein breites Grinsen empfing Ben, als er hineintrat. Semir hatte sich in seinem Bett leicht aufgerichtet und las in einer Zeitschrift. „Ich sehe, du hattest die gleiche Idee wie Jenny!“ Ben sah auf sein Mitbringsel und lächelte verlegen. „Und dabei habe ich solange überlegt, welche Zeitschrift ich dir denn nun mitbringe!“, verteidigte er sich und legte sie auf den Tisch. Sein Blick fiel auf das Bett von Veikko. Der finnische Kommissar schlief. Seine Wangen waren vom Fieber leicht rot gefärbt und um den Oberarm, der über der Bettdecke lag, war ein dicker Verband gelegt.
    „Das Fieber ist schon deutlich runter gegangen und die Wunden sahen bei der Visite ganz ordentlich aus. Er kann wahrscheinlich schon in ein paar Tagen wieder nach Hause“, informierte Semir sie.
    „Das ist gut“, hörte Ben Mikael von hinten murmeln.
    „Ich muss mich noch einmal bei euch bedanken. Andrea hat mir erzählt, dass das, was ihr da gemacht habt nicht ganz ohne Risiko war.“
    Ben winkte ab. „Es ist doch alles gut gegangen. Uns geht es gut und euch auch. Das ist doch die Hauptsache.“
    Semir lachte. „Ja und das sollten wir bald bei einem Bier feiern. Wie lange bist du noch hier Mikael?“
    „Nur noch ein paar Stunden. Ich werde heute Nachmittag wieder zurück fliegen. Tut mir leid.“ Mikael hatte sich inzwischen an das Fensterbrett gelehnt. Eine leichte Brise, die durch das gekippte Fenster kam, fuhr durch seine schwarzen Haare.
    „Du kannst dich auch an den Tisch setzen. Räum die ganzen Sachen einfach zur Seite“, ließ Semir den jungen Kollegen wissen, doch Mikael schüttelte sofort den Kopf. „Nein, ich würde lieber hier am Fenster stehen bleiben.“
    Ben sah Semir mit einem vielsagenden Blick an. Die ganze Körperhaltung, die Mikael eingenommen hatte, sprach dafür, dass er sich sichtlich unwohl fühlte.


    „Mach halt das Fenster weiter auf … wenn dich der Krankenhausgeruch stört … du kriechst ja fast in die Ritze …“
    Mikaels Arme lösten sich fast erschrocken von dem Fensterbrett und er starrte Veikko an. „Du bist wach“, stellte er fest.
    „Sieht so aus, ja. Und nun mach halt das scheiß Fenster auf! Es ist so offensichtlich, dass dich dieser ganze Geruch nach Desinfektionsmitteln total aus der Bahn wirft.“
    „Du hast Fieber. Ich glaube nicht, dass es besonders gut wäre, wenn du dann auch noch so viel kalte Luft abkriegst“, merkte Mikael unsicher an.
    „Es ist Sommer, da ist kalte Luft jetzt nicht so vorhanden. Ich kann auch selbst aufstehen und es erledigen, wenn du willst.“ Veikko zog die Bettdecke bereits zur Seite, doch da hatte sich der Angesprochene bereits aus seiner Starre gelöst. „Jaja, ist ja gut“, grummelte Mikael leise und zog das Fenster anschließend auf.
    Ben betrachtete Mikael kurz irritiert, als dieser sich wieder an die Fensterbank lehnte, wurde dann jedoch von Veikko wieder ins Hier und Jetzt befördert. „Die Schokolade ist hoffentlich für mich, denn ansonsten wären diese Tage unter der Erde vollkommen umsonst gewesen!“
    Der Braunhaarige sah auf die Tafel Schokolade in seiner Hand und lächelte dann. „Natürlich ist sie für dich, Schatz“, zog er den Finnen auf und reichte ihm das Mitbringsel. Nur kurz danach hörte er das Verpackungspapier rascheln. Veikko war also tatsächlich wieder auf dem Weg der Besserung.


    Während Mikael weiterhin am Fenster blieb, setzte sich Ben nun auf einen der Besucherstühle und lehnte sich etwas zurück. „Hat man diese Typen wenigstens geschnappt?“, wollte Semir nun wissen. Ben schüttelte den Kopf. „Smirnov ist während der Verfolgung bei einem Unfall gestorben und an Petrov ist kein Herankommen.“ Er raufte sich durch die Haare. „So wie ich die Salminen verstanden habe, gibt es auch zu dem V-Mann keinerlei Kontakt mehr, oder Mikael?“
    Der Angesprochene zog die Schultern hoch. „Woher soll ich das wissen, ich habe mit dem Fall nichts zu tun“, antwortete er ihm in einer monotonen Tonlage.
    „Aber du hast doch auch mit ihr gesprochen. Das meinte ich“, setzte Ben abermals an.
    „Aber nicht darüber.“
    „Naja gut, dann ist es eben nur mein Stand!“, antwortete Ben gereizt. Mikaels Laune war kurz davor ihm den letzten Nerv zu rauben.
    „Sie suchen immer noch nach einigen Kollegen, habe ich gehört“, schaltete sich nun Veikko ein. „Gestern in der Nacht hat man noch zwei gefunden – sie haben nur leichte Verletzungen.“
    Ben atmete sichtlich erleichtert aus. „Immerhin gibt es auch mal gute Nachrichten.“


    Auch die kommenden Stunden im Krankenhaus verliefen eher bedrückend. Mikael sagte nicht besonders viel und schien regelrecht froh darüber sein, dass er um die Mittagszeit gehen konnte, damit er seinen Flieger nicht verpasste. Ben hatte ihn noch einmal gefragt, ob er ihn nicht bringen sollte, doch sein Freund hatte abermals verneint und ihm bestätigt, dass er wirklich ein Taxi nehmen konnte.


    „Es war noch zu früh, das ist alles“, beruhigte ihn Veikko, als Mikael das Zimmer verlassen hatte. „Du denkst doch über Mikael nach, oder nicht?“, hängte der junge Finne nach einer Weile an.
    „Ja, schon. Er war ziemlich durch den Wind seit gestern Nacht. Abwesend und so …“
    Veikko nickte. „Wie gesagt, es ist noch etwas früh. Er war immerhin seit seinem Zusammenbruch nie in Köln und dann gleich wegen so etwas. Das Krankenhaus und das alles muss ihn an die Sache vor ein paar Monaten erinnert haben.“
    „Vermutlich.“
    „Mach dir keine Gedanken Ben. Mikael wird es bald wieder gut gehen.“
    Ben seufzte. „Warum bist du dir da so sicher? Die letzten Monate und diese letzten Wochen. Er hätte Eva fast verloren …“
    „Glaub mir, ich habe Mikael ganz weit unten gesehen, Ben. Er ist dabei sein Leben wieder in die richtigen Bahnen zu lenken. Ich meine, er besucht sogar weiterhin diesen Therapeuten und das, obwohl er denkt, dass er ziemlichen Stuss daher redet“, versicherte ihm Veikko.
    „Vor ein paar Wochen, als wir in Finnland gemeinsam gegrillt haben, da war er richtig entspannt“, schaltete sich nun auch Semir ein.
    Ben seufzte. „Ich mache mir vermutlich mal wieder viel zu viele Gedanken um ihn. Immerhin sollte ich glücklich sein, dass er hier war. Er war eine große Hilfe.“
    Semir zwinkerte mit dem rechten Auge. „Ja, das war er wohl. Aber da reicht ihr zwei euch das Wasser, keine Angst!“
    Der braunhaarige Hauptkommissar lachte laut. „Glaub mir Semir … wäre ich wirklich alleine in den Wald, wie ich es am Anfang vorhatte, ich wäre hoffnungslos verloren gewesen. Ich bin nun einmal kein Naturtyp, habe mich nie mit dem Zeug beschäftigt.“

  • Sechs Tage später


    Ben schlenderte durch den Park. Die Sonne schien und es war warm. Das sommerliche Wetter sorgte dafür, dass die Parkanlage mit vielen Menschen gefüllt war. Einige joggten, andere gingen mit ihren Hunden spazieren. Wieder andere waren mit ihren Kindern unterwegs, die laut lachten. Über die warmen Sonnenstrahlen freuten sich auch die vielen Budenbesitzer, die noch einmal ein gutes Geschäft machen konnten, bis es in ein paar Wochen Herbst werden würde.


    Ben hob die Hand, als er gefunden hatte, wen er suchte. Veikko saß mit Jenny auf einer Bank und schleckte Eis. „Schokolade, nehme ich an“, begrüße er den finnischen Kommissar. Dieser lachte fröhlich und zwinkerte Ben zu. „Was denkst du?“
    Ben setzte sich zu Veikko und Jenny auf die Bank und genoss für einen Augenblick die Sonne. Veikkos Fieber war schnell heruntergegangen und die Heilung der Wunden war gut vorangegangen. Seit zwei Tagen war er bereits wieder aus dem Krankenhaus raus. Bei Semir würde es noch ein paar Tage länger dauern, aber Ben war sich sicher, dass der türkische Hengst bei Andrea in besten Händen war. Inzwischen hatte man auch die letzten Kollegen gefunden. Zum Glück ebenfalls lebend.
    „Und wie fiel die Abschlussbesprechung mit Frau Salminen aus?“, wollte Veikko wissen.
    Ben zuckte mit den Schultern. „Vom V-Mann fehlt jede Spur. Man hat hohe Geldsummen auf einem Konto gefunden, eine Spur in die Karibik. An Petrov kommt man ebenfalls nicht heran, da wir keine wirklichen Beweise haben. Ein Satz mit X, das war wohl nichts.“
    „Er kommt also nach all dem davon?“, mischte sich Jenny ein, die ihre Hand fest in die von Veikko gelegt hatte.
    „Sieht so aus. Zumindest wir haben mit dem Fall jetzt nichts mehr zu tun“, äußerte Ben und seufzte.
    „Was ist mit unserer Leiche von der Raststätte. Sollen wir die auch einfach so vergessen?“, gab auch Veikko zu bedenken.
    Ben lehnte sich zurück und sah in den Himmel. Eine dünne, faserige Wolkenkonstellation zog an ihnen vorbei. „Es handelt sich bei seinem Mörder um Smirnov. Wir haben Beweise in seiner Wohnung gefunden.“
    „Was für Beweise?“, fragte Veikko skeptisch.
    „Die Tatwaffe zum Beispiel, mit seinen Fingerabdrücken. Wirklich Veikko, ich war auch erst verwirrt. Aber es besteht kein Zweifel darin, dass er unser Mann ist.“
    Der Finne gab einen Laut zwischen einem Seufzer und einem genervten Brummen von sich. „Das ist nur alles plötzlich so leicht. Als würde man uns den Mörder auf dem Silbertablett servieren!“
    Ben verschränkte die Arme hinter seinem Kopf. „Ja, das stimmt wohl. Plötzlich scheinen alle vorherigen Ermittlungen wirklich Zeitverschwendung gewesen zu sein.“
    Er spürte Veikkos Hand auf seiner Schulter. „Naja sei es drum. Wir können es ja jetzt nicht mehr ändern und ehrlich gesagt, ich bin froh, dass wir uns jetzt wieder langweiliger Kontrollen auf der Autobahn widmen können. Das ist mir dann doch etwas lieber, als in irgendwelchen Stollen eingesperrt zu sein.“
    „Mir ist es auch lieber, wenn ich nicht Angst haben muss, ob meine liebsten Kollegen noch leben“, fügte Ben hinzu und lächelte.





    Sergey Petrov stand auf dem Balkon seines Sommerhauses und blickte auf den See, der in der Sonne glitzerte. Er nippte zufrieden an seinem Wodkaglas. „Ich muss dich Loben, Kyynänen. Du machst deinen Job besser, als ich gedacht hätte.“ Sein neuer Handlanger winkte bescheiden mit der Hand ab. „Ein Kinderspiel, Petrov. Ich und Dimitry haben die Spuren so gelegt, dass der Polizei keine andere Möglichkeit bleibt, als diese Geschichte zu kaufen.“
    Petrov nickte. Ja das stimmte wohl. Durch die Fingerabdrücke an der Tatwaffe ging wohl niemand davon aus, das Smirnov den Mord in Köln nicht begangen hatte. Gleichzeitig waren seine Problemfälle Titov und Mäkelä aus dem Weg geräumt. Es wäre wohl eng geworden, hätte Mäkelä gegenüber diesen finnischen Polizisten von der Mordkommission geplaudert. Mit seinem Verschwinden ging man weiterhin davon aus, dass Mäkelä für Kuznetsov gearbeitet hatte, auch wenn dieser diese Tatsache weiterhin bestritt. Aber Petov waren die Widerworte seines Konkurrenten egal. Wer glaubte schon einem Schwerverbrecher? Er meinte, dass er sich selbst dadurch loben könnte. Er hatte durch einige Quellen mitbekommen, dass Kuznetsov plante Juhani Koivisto zu ermorden, weil dieser mit den Esten Geschäfte machte. Er hatte nur einen zweiten Mord in seinem Muster gebraucht, damit sich die Polizei dann voll und ganz nur auf diesen Hinweis warf und ihm seinen lästigen Widersacher vom Leibe hielt, indem man ihn endlich hinter Gitter brachte. Es war ein guter Zufall gewesen, dass dieser kleine Kommissar noch eine Rechnung mit Kuznetsov offen hatte. Wenn nicht, dann hätte er selbst dafür gesorgt und einen Zeugen aus dem Hut gezaubert, der den Mord beobachtet hätte. Ja, er konnte sich gewiss dafür loben.
    Das kleine Spiel mit der falschen Drogenlieferung und der Bombe konnte er sich dann einfach nicht entgehen lassen. Es geschah Lone Salminen ganz Recht. Diese Kommissarin war ihm ein Dorn im Auge und nun wusste sie zumindest, dass er sich nicht so leicht verarschen ließ. Vielleicht hätte er den Finnen einen kleinen Zettel für Backrezepte beilegen sollen? Er lachte laut auf, bei dem Gedanken daran, wie die Gesichter der finnischen Polizisten wohl ausgesehen hatten, als sie einen LKW voll Backpulver beschlagnahmt hatten. Und das Beste daran war, dass man ihm nichts hatte nachweisen können. Natürlich hatte Lone es versucht, aber er hatte Freunde auf allen Ebenen und ihr schnell den Wind aus Segeln genommen.
    Sergey Petrov erhob sein Wodkaglas, betrachtete die Goldplättchen darin, die in der Sonne glitzerten, und schüttete es dann mit einem Schluck seine Kehle herunter. Danach drehte er sich von dem See weg in Richtung Haus. „Komm Kyynänen, die Arbeit ruht nicht.“




    - FIN -

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